Thomas Maul – Vorbemerkung

Vorbemerkung

Thomas Maul

Islamismus, Fundamentalismus, archaischer Tribalismus – das sind die Schlagwörter, mit denen die herrschende Meinung dem globalen Djihad der Muslime gegen Frauen und Homosexuelle, gegen Juden und den Westen, beizukommen sucht, um gegen jede Evidenz am Trugbild einer eigentlich friedlichen Religion mit menschlichem Antlitz festzuhalten, die mit den Verbrechen, die unzweifelhaft in ihrem Namen begangen werden, nichts zu tun haben soll. Entsprechend wird der islamische Krieg gegen das selbstbestimmte Individuum auf seine spektakulären und monströsen Auswüchse reduziert – ein Vorgehen, dem es sich zu verweigern gilt. Denn der islamische Antisemitismus beginnt nicht mit den Terroranschlägen radikaler Gruppierungen wie Al-Qaida, Hizbollah, Hamas, Islamischer Djihad sowie verhetzter Einzeltäter auf Juden und jüdische Einrichtungen oder mit der akuten atomaren Vernichtungsdrohung gegen den jüdischen Staat seitens des Iran. Die islamische Misogynie beginnt nicht mit der staatlich organisierten Steinigung von Ehebrecherinnen oder mit der Ermordung tugendloser Ehefrauen, Töchter und Schwestern zwecks Wahrung der Familienehre. Die islamische Homophobie beginnt nicht mit den Hinrichtungen schwuler Jugendlicher in islamistischen Staaten oder dem Schwulen-Klatschen als Feizeitbeschäftigung migrantisch-muslimischer Straßenbanden. Vielmehr wurde der Frauen-, Schwulen- und Judenhaß bereits erfolgreich in Moschee, Koranschule oder Familie gesät, wenn unter Muslimen etwa auf Kreuzberger Schulhöfen “Nutte”, “Schwuler” und “Jude” zu den beliebtesten Schimpfwörtern avancieren. Dergleichen beginnt die (Re-) Schariatisierung von Gesellschaften nicht erst dann, wenn Banden oder Staaten das traditionelle islamische Strafrecht auf einem bestimmten Territorium durchgesetzt haben, sondern bereits dort, wo Kopftuchzwang herrscht, wo muslimische Schülerinnen vom koedukativen Unterricht abgemeldet werden können, wo das Recht auf freie Meinungsäußerung mit Bezug auf die angebliche Gefühlslage von Muslimen freiwillig oder erzwungen eingeschränkt wird. Das Ideal, jede Lebensäußerung, jede individuelle Handlung, den repressiven Anforderungen des Kollektivs unterzuordnen bzw. – was dasselbe ist – an den Verboten und Geboten der Scharia auszurichten, ist nämlich gerade keineswegs “fundamentalistisch” oder “islamistisch” geschweige denn gar auf einen “vorislamischen Tribalismus” zurückzuführen, sondern genuiner Kern des hegemonialen islamischen Selbstverständnisses. Und doch geht der Zusammenhang zwischen Islam und Islamismus – hält man an dieser begrifflichen Unterscheidung fest – über quantitative Fragen der Dosierung hinaus, ist er zwingender als etwa jener zwischen Alkohol und Alkoholismus.

So ist auch die unter Islamismuskritikern mittlerweile recht gängige Auffassung zu präzisieren, derzufolge der politische Islam eine – mehr oder weniger pathologische – Reaktion auf die Krise muslimischer Gesellschaften sei, wobei die Faktizität der Krise selbst keiner näheren Erläuterung bedarf: schließlich macht niemand – nicht einmal die Regime des Orients oder die Muslim-Verbände im Westen – einen Hehl aus Krisenindikatoren wie Massenarbeitslosigkeit, Verarmung, Analphabetismus insbesondere unter Frauen im Nahen Osten oder der im Vergleich zur Mehrheitsgesellschaft und anderen Migrationskollektiven schlechten sozialen Stellung von Muslimen in der Diaspora. Allerdings lassen sich die pathologischen Implikationen und Konsequenzen einer Ideologie – und hier überschneidet sich die islamistische mit traditionslinken und postmodernen Weltanschauungen –, die Kapitalismus, Kolonialismus und Rassismus für das muslimische Elend verantwortlich macht und eine (Rück-) Besinnung auf den Islam als Lösung, gar als identitätsstiftenden emanzipatorischen Widerstand, propagiert, erst kritisch würdigen, wenn zur Kenntnis genommen wird, daß der ordinäre Alltagsislam selbst Verursacher der Krise bzw. entscheidender Entwicklungshemmer war und ist, weshalb die Muslime – folgen sie den Islamisten, Postmodernisten und Linken –, indem sie den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben versuchen, immer weiter verelenden werden, bis sich ihnen nur noch die Alternative stellt: Abkehr vom Islam oder suizidaler Amoklauf in seinem Namen.

Wenn andererseits das Pathologische der islamischen Barbarismen nicht immer eindeutig als Reaktionsform auf die Krise der Tradition bestimmt werden kann, sondern mitunter ebensogut als anachronistische Fortsetzung derselben in modern times, so hat diese analytische Unschärfe immerhin ein Fixum zur Voraussetzung: die kategorisch nicht versöhnbare Feindschaft zwischen dem modernen westlichen Leben und den Vorgaben des traditionellen Gesetzesislam. Am sinnfälligsten wird dies nicht zuletzt deshalb am Verhältnis des Islams zur Sexualität, weil die Organisierung des Geschlechterverhältnisses seit jeher das Zentrum der Scharia, der muslimischen Jurisprudenz und Theologie bildet.

Die Bedeutung, die der klassischen Sexualpolitik des Islam für eine Kritik des gegenwärtigen Suizid- und Tugendterrors zukommt, ist bisher jedoch nicht hinreichend erfaßt worden. Dies zu ändern, erfordert eine detaillierte Darstellung des traditionellen Geschlechterverhältnisses; und zwar unter Berücksichtigung von fünf verschiedenen, aber ineinandergreifenden Dimensionen desselben: so wird die allgemeine Grundstruktur des Patriarchalismus, mit dessen Einführung Mohammed dem Mythos gemäß die arabische Welt zivilisierte, im besonderen religiös geprägt durch Eschatologie und Ritualpraxis sowie politisch durch den Djihadismus – gerade in seinen über den bewaffneten Kampf hinausgehenden Formen als sechste Säule des Islam – und den Despotismus, der das islamische Verhältnis zum Gesetz von Anfang an ganz eigentümlich durchdringt. Über das rein Sexuelle hinaus wird das Wesen der islamischen Vergesellschaftungsideologie, das sie fundamental von Judentum, Christentum und säkularem Abendland unterscheidet, vor allem in dieser Symbiose aus Patriarchat, Eschatologie, Ritual, Djihad und Despotie auszumachen sein. Der Ausdruck Phallozentrismus soll sie auf den kritischen Begriff bringen. Denn dieser traditionelle Phallozentrismus bzw. seine Krise in der Moderne – so der im weiteren zu entfaltende zentrale Gedanke – stellt den Zusammenhang von Juden-, Frauen- und Schwulenhaß her, bzw. bildet das den vielfältigsten islamischen Angriffen auf das selbstbestimmte Individuum zugrundeliegende Gemeinsame – wobei kritische Vernunft beim Nachvollzug von Pathologien auf einem nicht-erklärbaren Rest beharren muß, will sie sich als sittliche und humane nicht preisgeben.

Die zu diesem Zweck verwendeten Quellen werden dabei mehr oder weniger vom Gegenstand selbst vorgegeben: zwischen dem 12. und 14. Jahrhundert hat die Fiqh-Orthodoxie innerhalb des Islam die Deutungshoheit über das errungen, was unter Islam zu verstehen sei. Die vier sunnitischen Rechtsschulen, deren Bezeichnungen auf ihre Gründer zurückgehen – Abu Hanifa (699–767), Ibn Malik (708-795), al-Schafi i (767–820), Ibn Hanbal (780–855) – sowie die schiitischen Entsprechungen haben ihr Dogma als alternativloses durchsetzen können. Danach ist der Koran göttlicher Abkunft, unnachahmlich und aus dem sakralisierten Arabischen eigentlich nicht zu übersetzen. Einzige Aufgabe muslimischer Gelehrsamkeit ist es, aus dem buchstäblich zu nehmenden Koran und der Sunna (den überlieferten Taten, Bräuchen und Aussprüchen des Propheten) das göttliche Gesetz (Scharia im engen Sinn) zu rekonstruieren und dieses mittels aktueller Rechtsgutachten (Fatwas), die auf Analogieschlüssen und dem Konsens der Gelehrten (Ulema) beruhen, stetig zum islamischen Recht (Scharia im übertragenen Sinn) auszubauen. Damit wurde der Islam zu einem Weltanschauungs- und Normensystem, das primär Handlungsanleitungen für die Gläubigen vom kleinen Alltag über die Ritualpraxis bis zur großen Politik enthält. Auf der Strecke geblieben sind dabei nicht nur die islamische Mystik (Sufismus) und der Kalam als eine institutionalisierte, von Rechtsfragen unabhängige, eigenständige konservative Theologie. Mit der Mutazila wurde bis heute eine Rechtsschule verboten, deren Dogma im 9. Jahrhundert noch Staatsdoktrin in Bagdad war: die menschliche Erschaffenheit des Koran, die eine größere Freiheit beim Interpretieren des heiligen Textes zuließ. Der entscheidende Kampf der Orthopraxie jedoch galt der Tradition rationaler Philosophie, die von al-Farabi (870-950) ihren Anfang nahm und ihren höchsten Ausdruck im Denken Ibn Sinas bzw. Avicennas (980-1037) und Ibn Roshds bzw. Averroes‘ (1126-1198) fand, das in Niveau und Gehalt dem der abendländischen Scholastiker – etwa Petrus Abälardus (1079-1142) und Thomas von Aquin (1225-1274) fürs Christentum sowie Moses Maimonides (1135-1204) und Levi ben Gershon (1288–1344) fürs Judentum – ebenbürtig ist, ja dieses sogar beeinflußte. Im Unterschied aber zu den jüdischen und christlichen Aristotelikern, die die Fortentwicklung ihrer jeweiligen Religion dominierten, blieb der Einfluß von Avicenna und Averroes auf den Islam nicht nur marginal. Die Spuren ihres Denkens wurden vielmehr restlos getilgt: dafür steht die öffentliche Verbrennung der Schriften Averroes‘ und seine Verbannung aus Cordoba 1197. Unauflöslich verbunden mit dem Triumph des Scharia-Islam und bis heute von maßgeblicher Wirkung sind dagegen die Theologien Hamid al-Ghazalis (1058-1111), dessen Werk über die Vernichtung der Philosophen sich direkt gegen Avicenna richtete und seinerseits von Averroes noch leidenschaftlich bekämpft wurde, und Ahmad ibn Taimiyas (1263-1328). An die Stelle der Scholastik tritt im Islam damit gewissermaßen eine Restauration der Patristik im Zeichen der politischen Krise des Kalifatszerfalls. [ 1 ]

So ergeben sich die ersten drei Quellen von selbst. Zunächst der Koran. [ 2 ] Dann die Sunna in Form der kanonischen und als gesichert (sahih) geltenden Hadithsammlungen von al-Bukhari (810-870) und Muslim (821-875). [ 3 ] Schließlich das von der Fiqh-Orthodoxie über die Jahrhunderte bis heute herausgebildete (ideale) Rechtssystem (Scharia). [ 4 ] Wenn die vorliegende Abhandlung sich als vierte Quelle auf al-Ghazalis Buch der Ehe konzentriert, dann, weil es zum einen die für den Islam repräsentative Metaphilosophie des schariatischen Geschlechterverhältnisses in einer kaum zu überbietenden Systematik enthält. Zum anderen, weil die Autorität seines Autors gegenüber derjenigen Ibn Taimiyas einen darstellungsstrategischen Vorteil bietet. Als Angehöriger der besonders strengen hanbalitischen Rechtsschule wird Ibn Taimiya heute nämlich vorwiegend als Wegbereiter des rigorosen saudi-arabischen Wahabismus und als Stichwortgeber für moderne sunnitische Islamisten vom Schlage Sayyid Qutbs (1906-1966) rezipiert. [ 5 ] Dagegen repräsentiert Al-Ghazali eher so etwas wie die Mitte der klassischen islamischen Theologie, nimmt er innerhalb der Rechtsschulen schon als Schafiit eine mittlere Position ein und bemüht er sich doch zeitlebens um die Versöhnung von Scharia und Sufismus.

Al-Ghazali, so Küng, ist “unbestreitbar einer der anerkanntesten und einflußreichsten Gelehrten in der Geschichte des islamischen Denkens und hat durch seine erste exemplarische Synthese von traditioneller Theologie und Sufismus für das Ulama-Sufi-Paradigma der nachklassischen Zeit eine für die sunnitische Mehrheit schließlich weithin maßgebende Theologie geschaffen. Im Islam sollte er eine vergleichbare Rolle spielen wie ein gutes Jahrhundert später im katholischen Christentum Thomas von Aquin.” [ 6 ]

Darüber hinaus wird al-Ghazali gerade von Autoren, die dem traditionellen Islam durchaus kritisch gegenüberstehen, nur zu gerne als Beispiel für einen anderen Islam herangezogen, insbesondere auf dem Feld der Sexualität. Gegen die Regensburger Papstrede gerichtet meint z.B. Deniz Yücel, “daß Mohammed etwas gebracht hat, das, zumindest im Vergleich zu den anderen abraha­mi­tischen Religion, tatsächlich neu, aber weder schlecht noch inhuman war: daß er nämlich der sexuellen Lust zu ihrem Recht verholfen und sie gar zu einem Akt der Gottesverehrung erhoben hat […] Besonders hervor tat sich in diesem Zusammenhang einer der bedeutendsten islamischen Theologen überhaupt, der Perser Hamid al-Ghazali, der Ende des 11. Jahrhunderts in Bag­dad lehrte. Er erkannte in der sexuellen Lust nicht weniger als einen Beweis für die Existenz Gottes.” [ 7 ]

Während al-Ghazali für Yücel nur fortsetzt, was seit Mohammed angelegt sei, sieht Fatima Mernissi hier einen Bruch. Stehe die Frau im Islam im Allgemeinen außerhalb der Menschheit, mache al-Ghazali “den präkoitalen Lustgewinn, der vor allem im Interesse der Frau liege, zur religiösen Pflicht.” [ 8 ]

Den sich an derartige Fehldeutungen schmiegenden weit verbreiteten Mythos zu dekonstruieren, mit dem Aufkommen des Islamismus habe ein moderner Puritanismus die ursprüngliche Balance aus theologischer Sittenstrenge und pragmatisch-höfischer Liberalität im klassischen Islam gestört [ 9 ] , ist die Funktion der fünften Quelle, die von vereinzelten Schriften Khomeinis gebildet wird. An ihnen läßt sich zeigen, wie gering die theologischen Unterschiede zwischen einem klassischen Sunniten und einem modernen schiitischen Islamisten in den wesentlichen Fragen sind, die bei aller Liebe zum sexuellen Detail mit Lust noch nie auch nur irgendetwas zu tun hatten. Al-Ghazali und Khomeini allein, mag man indessen einwenden, können jedoch schwerlich den Islam, geschweige denn den heutigen, repräsentieren. Ginge es um ein differenziertes Bild von Geschichte und Gegenwart islamischen Denkens, müßte die Beschäftigung etwa mit Ibn Khaldun (1332-1406) oder as-Suyuti (1445-1505) in der Tat über gelegentliche Verweise hinausgehen. Folgte die Gewichtung der Quellen gar ihrer Relevanz für die Gegenwart, wäre insbesondere dem Klassiker Ibn Taimiya, dem modernen Islamisten Qutb und der aktuell obersten sunnitischen Autorität, Muhammad Sayyid Tantawi (geb. 1928), mehr Platz einzuräumen. In diesem Sinne hätte man die für die gesamte heutige muslimische Welt stehenden Islamischen Menschrechtserklärungen von 1981 und 1990, welche die Menschenrechte der Scharia unterordnen, einer eingehenden Analyse zu unterziehen. [ 10 ] Das gleiche gilt für die jüngsten Fatwas der Al-Azhar-Universität in Kairo, die Dokumente des Verbandsislam in der westlichen Diaspora, die saudi-arabischen Fernsehpredigten Yussuf al-Qaradawis (geb. 1926), die Schriften Tariq Ramadans (geb. 1962), etc. pp. Nur, es entstünde derart beileibe kein freundlicheres Islam-Bild. Insofern kann die hier vorgenommene – wenn man so will – einseitige und den Islam etwas verzerrende Fokussierung auf al-Ghazali für sich beanspruchen, den islamischen Phallozentrismus in seiner eloquentesten und vergleichsweise liberalsten Gestalt zu kritisieren.

Desweiteren ist analytisch selbstverständlich zwischen dem Islam als einem objektiven und idealen System von alltagspraktisch und politisch relevanten Normen und Vorschriften auf der einen und den tatsächlichen Glaubensinhalten und Praktiken heutiger Muslime auf der anderen Seite zu unterscheiden. [ 11 ] Daß sich aber deutlich mehr Muslime als eine vernachlässigbare Minderheit in ihrem Alltag vom orthodoxen Phallozentrismus leiten lassen, und damit eine – mindestens potentielle – Bedrohung aller freiheitsliebenden Individuen welcher Herkunft auch immer darstellen, das läßt sich mit zwei weiteren Arten von Quellen wenigstens nahelegen. Zum einen sind dies im Orient und im Westen veröffentlichte Statistiken und Studien über Handeln und Denken der jeweiligen muslimischen Bevölkerung. [ 12 ] Zum anderen die zahlreichen, vor allem im Westen veröffentlichten Erfahrungsberichte muslimisch sozialisierter Frauen und Mädchen, die ihre Geschichten selbst nicht als Einzelschicksale verstanden wissen wollen, die schließlich bei aller Einzigartigkeit allgemeine und typische Merkmale aufweisen. Wenn nun von den Autobiographien Ayaan Hirsi Alis, Necla Keleks, Seyran Ates‘, Serap Cilelis, Fatma Bläsers, Inci Y.s, etc. – um nur die prominentesten zu nennen – diejenige Halima Alaiyans bevorzugt zitiert wird, dann nicht etwa, weil sie die drastischsten und skandalösesten Schilderungen enthielte, sondern weil ihre Autorin sogar für antiliberale Linke, die z.B. Kelek und Hirsi Ali Assimilation an die weiße Mehrheitsgesellschaft und den Kapitalismus vorwerfen, satisfaktionsfähig sein müßte: linke Palästinenserin, die sie ist, die mit “Kritik” an Israel und dem Westen nicht hinterm Berg hält, und der mit Oskar Lafontaine ein ausgewiesener Sozialist und Islamfreund das sympathisierende Vorwort geschrieben hat. [ 13 ]

Wie groß auch immer die Anziehungskraft des Islam auf moralisch verwahrloste und autoritäre Charaktere ist, die akute Bedrohung individueller Freiheit geht weltweit weniger vom Islam und den bekennenden Muslimen selbst aus. Im Gegenteil: deren Aggressivität, Gewaltbereitschaft und Irrationalität sind Ausdruck eines ökonomischen und kulturellen Bankrotts, der sich nicht zuletzt auch in militärischer Impotenz niederschlägt. Daher ist es vielmehr der vom Westen praktizierte “Dialog der Kulturen”, der sich dem Islam als Viagra andient. Schließlich beginnt auch das proislamische Appeasement bzw. die Kollaboration nicht erst da, wo diplomatische und wirtschaftliche Beziehungen zu Regimen unterhalten werden, die Israel mit einem zweiten Holocaust drohen und/oder Terrorbanden unterstützen, die die systematische Ermordung von Juden bereits organisieren, sondern schon bei den regelmäßigen Integrations- und Islamgipfeln mit den Mullahs des bundesrepublikanischen Verbandsislam. So ist eine Gesellschaft, die überhaupt Kopftuchdebatten führt, nicht besonders demokratisch oder migrationsfreundlich. Sie ist längst schamlos dazu übergegangen, die Bürgerrechte von Frauen (die anderen Kulturkreisen entstammen) für diskutierbar zu erklären.

Man mag darüber streiten, in welchem Mischungsverhältnis Dummheit, Feigheit, ideologische Nähe zum Umma-Sozialismus, ökonomische und geostrategische Interessen jene Islamophilie begründen, welche die entsprechende Innen- und Außenpolitik der jeweiligen westlichen Staaten bestimmt. Die Bedingung ihrer Möglichkeit liegt zweifellos darin: einer seit Jahrzehnten im Zeichen der Postmoderne systematisch von Orient-Instituten, islam- und kulturwissenschaftlichen Fakultäten sowie den Gender Studies betriebenen Wirklichkeitsverdrängung und Begriffsakrobatik ist das schier Unglaubliche gelungen, nämlich inmitten der bürgerlichen Intelligenzia eine politische Haltung hegemoniefähig zu machen, nach der Verharmlosungen und Beschönigungen des offensichtlich Barbarischen als Ausdruck antirassistischen und gar feministischen Gutmenschentums gelten können, während eine an Bürgerrechten orientierte konsequente Islamkritik als dem Antisemitismus angeblich verwandte Islamophobie denunziert wird. [ 14 ] Deshalb ist die hier vorgelegte kritische Darstellung des islamischen Phallozentrismus stets strukturiert von einer mal direkten, mal indirekten Auseinandersetzung mit der westlichen Islamapologetik in zwei besonders perfiden Erscheinungsformen: zum einen die pseudoaufgeklärte Gleichmacherei der drei monotheistischen Religionen, wie sie von den einander doch scheinbar so feindlich gesonnenen religionsfreundlichen Toleranzaposteln und dorfatheistischen Religionshassern unter entgegengesetzten Vorzeichen vertreten wird – ob erstere mit Bezug auf Lessings Ringparabel einen identischen humanistischen Kern der Religionen heraufbeschwören, der trialogisch gegen die jeweiligen Fundamentalismen zu wenden sei; ob letztere gegen eine ominöse “Wiederkehr des Religiösen” auf einen Laizismus setzen, der Kreuz, Kippa und Kopftuch gleichermaßen zum Schutz der angeblich bedrohten Spezies der Konfessionslosen zurückdrängen möge. Dagegen wird auf die Einzigartigkeit des dem Judentum und Katholizismus fremden Phallozentrismus zu insistieren sein, der gerade die Herausbildung eines humanistischen Kerns im Islam verhinderte. [ 15 ] Zum zweiten der postmoderne Feminismus (kurz: Postfeminismus), wie ihn die Gender Studies im Einklang mit den antimodernen Denkern Michel Foucault, Judith Butler, Frantz Fanon und Edward Said lehren, der das Kunststück vollbringt, den Widerspruch in der Staatsräson zwischen Islamophilie und Gender Mainstreaming einerseits derart aufzulösen, daß Gender Mainstreaming zur Sache weißer Frauen erklärt wird, während Orientalinnen als die angeblich geliebten marginalisierten Anderen zwecks emanzipatorischer Wahrung ihrer Identität dem islamischen Phallozentrismus zu überantworten seien – also marginalisiert und anders zu bleiben hätten – und andererseits die darin aufscheinende weiße (nahezu rassistische) Besitzstandswahrung zugleich als Gipfel einer kritischen Reflexion des eigenen Weißseins, als vollendeten Antirassismus und Feminismus, auszugeben. [ 16 ]

Einer Feindaufklärung endlich, die für die kleinste gesellschaftliche Minderheit, die es gibt, nämlich das Individuum, Partei ergreift, verbietet sich daher jedes unkritische Bekenntnis zum realexistierenden Westen. Denn, was den Islam unmittelbar gefährlich werden läßt, das ist die in der Mitte der bürgerlichen Gesellschaft sich reproduzierende Bereitschaft, die zentrale Errungenschaft der eigenen Geschichte sowie den jüdisch-christlichen Anteil an ihr zu verraten:

Wir halten diese Wahrheiten für ausgemacht, daß alle Menschen gleich erschaffen wurden, daß sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten begabt wurden, worunter Leben, Freiheit und das Streben nach Glückseligkeit sind.. Daß zur Versicherung dieser Rechte Regierungen unter den Menschen eingeführt worden sind, welche ihre gerechte Gewalt von der Einwilligung der Regierten herleiten; daß sobald eine Regierungsform diesen Endzwecken verderblich wird, es das Recht des Volkes ist, sie zu verändern oder abzuschaffen, und eine neue Regierung einzusetzen, die auf solche Grundsätze gegründet, und deren Macht und Gewalt solchergestalt gebildet wird, als ihnen zur Erhaltung ihrer Sicherheit und Glückseligkeit am schicklichsten zu seyn dünket. [ 17 ]

Anmerkungen

[ 1 ] Dazu im allgemeinen und im besonderen zur Rolle Ibn Taimiyas vgl. Tibi, Imam, S. 169. Zur Bedeutung al-Ghazalis und zum Sufismus siehe Küng, S. 426. Zur Mutazila vgl. Paret, Einführung, S. 34.

[ 2 ] Obgleich hier keine philologischen Absichten verfolgt werden, sind immerhin drei Koranübersetzungen vergleichend konsultiert worden: die “wissenschaftliche Standardübersetzung” von Paret aus dem Jahr 1966, die aufgrund ihres “historisch-kritischen” Anspruchs, d.h. der Kennzeichnung von unklaren Stellen und Alternativübersetzungen in Klammern, vom Berliner Institut für Islamwissenschaft – neben den Übersetzungen von Henning und Zirker – zum Studium empfohlen wird, wenn es “um eine kritische Auseinandersetzung mit dem Text vor dem Hintergrund seiner Entstehungsgeschichte” (28 ff.) geht. (Daß wiederum die anteilnehmende Begeisterung für den Frühislam beim ehemaligen Afrikakämpfer Rommels und Orientalisten Paret mit einer offenen Verteidigung der mohammedanischen Ausrottungspolitik gegenüber den jüdischen Stämmen einhergeht, also aus Antisemitismus sich speist (vgl. FAZ, 12.02.10), ist dem Institut allerdings keine Erwähnung wert.) Die zahlreichen muslimischen Übersetzungen des Koran seien dagegen zu verwenden, sofern die traditionelle oder “gängige zeitgenössische Auslegungspraxis” den Gegenstand bildet. Für diesen Fall – der ja auch auf vorliegendes Buch zutrifft – empfiehlt das Institut Elyas/Bubenheim und schreibt dazu: “Vom saudischen Religionsministerium in Auftrag gegeben und abgesegnet; insofern traditionalistischem Koranverständnis verpflichtet. […] Der Versuch, möglichst nah am Text zu übersetzen, ist etwas gewöhnungsbedürftig, die Übersetzung ist aber gut lesbar. Unter den muslimischen Übersetzungen die sorgfältigste und differenzierteste.” Von der ebenfalls vom Zentralrat der Muslime in Moscheen und mittels seiner Website (islam.de) verbreiteten Übersetzung von Rassoul rät das Institut allerdings ab, weil es an dieser eine “starke Anlehnung an die arabische Ausdrucksweise” und einen “Hang zur beschönigenden Apologetik” bemängelt. In Wirklichkeit jedoch hat der “Versuch, möglichst nah am Text zu übersetzen” (Elyas/Bubenheim), entschärfende und beschönigende Effekte, die sowohl anti-traditionell, d.h. reformerisch, als auch in dem Sinne gerade traditionell motiviert sein können, als eine deutschsprachige Leserschaft über die muslimische Auslegungspraxis des Koran getäuscht werden soll. Weil nach Auffassung des Autors die Übersetzung von Rassoul am ehesten dem traditionellen Verständnis der Muslime entspricht, wird der Koran also stets – sofern nicht anders ausgewiesen und dann begründet – danach zitiert.

[ 3 ] Ungesicherte oder schwache Hadith, von denen z.B. al-Ghazalis Buch der Ehe zahlreiche überliefert, können dagegen zwar keine Gesetze begründen; aus dem Koran und/oder gesicherten Hadith gebildete Gesetze und Normen lassen sich mit ihnen aber illustrieren. In diesem Sinne sind also auch ungesicherte Hadith legitime Quellen zur Darstellung islamischen Denkens.

[ 4 ] Für die Kritik insbesondere des schariatisch geregelten Geschlechterverhältnisses in Theorie und Praxis des Islam wird vor allem das ausgewogene und unpolemische Standardwerk Schirrmachers verwendet, dessen wesentliche Erkenntnisse auch von dem neuen und umfangreichen islamapologetischen Buch Rohes zum islamischen Recht nicht erschüttert werden. D.h.: die Islamverbundenheit des Juraprofessors, Islamwissenschaftlers, ehemaligen Richters und derzeitigen Beraters des Verfassungsschutzes artikuliert sich weniger in einer Beschönigung der Scharia als vielmehr im Wunsch, daß Muslimen in der Bundesrepublik gewährleistet wird, etwa ihre Eheangelegenheiten im Rahmen des islamischen Familienrechts zu klären. Vgl. dazu Rohes Äußerungen im Interview mit der Frankfurter Rundschau vom 28.11.2002. Für eine kleine Chronique scandaleuse deutscher Gerichtsurteile, die zwischen Januar und März 2009 im Sinne Rohes mit Bezug auf die Scharia zulasten muslimischer Ehefrauen gefällt wurden, siehe Alrabaa.

[ 5 ] Vgl. Manji, S. 153. Qutb gilt mit seiner Autobiographie Eine Kindheit auf dem Lande (1946) und den Hasspredigten Unser Kampf mit den Juden (1950) und Der Kampf zwischen Islam und Kapitalismus (1951) als einer der Chefdenker der Muslimbrüderschaft und damit als einer der wichtigsten islamistischen Ideologen des 20. Jahrhunderts. Sein Extremismus, für den er im Ägypten der sechziger Jahre hingerichtet wurde, macht ihn jedoch keineswegs zu einer irregeleiteten Randfigur des Islam. Im Gegenteil findet sein dreißigbändiger Kommentar Im Schatten des Koran (1954) bis heute im arabischen Raum Verbreitung und Aufnahme “wie das Kommunistische Manifest in Zeiten der frühen Arbeiterbewegung in Europa” und ist bekannter als der Koran selbst. (Vgl. Tibi, Weltunordnung, S. 137)

[ 6 ] Küng, S. 426. Mahmoud Zakzouk, Professor für Philosophie an der Al-Azhar-Universität im heutigen Kairo und Religionsminister Ägyptens in den ersten Jahren des 21. Jahrhunderts, nennt Al-Ghazali den “Doctor communis”, der “immer noch einen starken Einfluß auf die geistige Entwicklung in der islamischen Welt ausübt.” (Zit. n. ebd.)

[ 7 ] Vgl. Jungle World, Nr. 39, 27.9.06.

[ 8 ] Mernissi, S. 25, 21 u. 31.

[ 9 ] Vgl. z.B. Widmer.

[ 10 ] Die 1990 in Kairo von der Organisation der islamischen Konferenz, die mittlerweile 56 Staaten umfaßt, verabschiedete und noch heute gültige Erklärung der Menschenrechte im Islam repräsentiert die islamische Welt wie kein zweites Dokument und bestimmt in Artikel 24 und 25 die Scharia als “einzige zuständige Quelle für die Auslegung oder Erklärung jedes einzelnen Artikels dieser Erklärung.” Für eine ausführliche Kritik dieses Dokuments sowie der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte im Islam, die der in London ansässige, von Ägypten, Pakistan und Saudi-Arabien dominierte Dachverband für in Europa lebende Muslime namens Islamrat für Europa 1981 verabschiedete, siehe Schröter, S. 179-222.

[ 11 ] “Entscheidungstheoretisch betrachtet können sich [die konkreten Muslime] zum Beispiel entweder rigoros und dogmatisch (lsquo;fundamentalistisch‘) an die objektiven Vorgaben halten, diese nur partiell befolgen, diese ignorieren (ohne das nach außen zu zeigen), sich öffentlich distanzieren (austreten) oder aber einen subjektivistisch interpretierten lsquo;Self-Made-Islam‘ kreieren, der die lsquo;gefährlichen‘, lsquo;anstößigen‘, lsquo;problematischen‘, lsquo;unliebsamen‘ Aussagen einfach voluntaristisch ausblendet und so tut, als sei dieser subjektivistisch konstruierte Islam der lsquo;eigentliche‘ Islam.” (Krauss, Gegengesellschaft, S. 17 f.)

[ 12 ] Folgende Zahlen für eine erste Orientierung: 82% der Menschen im Westen befürworten die Gleichberechtigung von Mann und Frau, 55% im islamisch geprägten Raum; Toleranz gegenüber Homosexualität bejahen 53% im Okzident, 12% im Orient; in Deutschland lehnen 19% der Menschen Homosexualität ab, in Ägypten, dem bevölkerungsreichsten arabischen Land, 99%. (Vgl. Widmer) Nach Brettfeld, Integration – einer vom Innenministerium in Auftrag gegebenen Studie von 2007, die, wie Krauss, Gegengesellschaft, S. 410-441, zeigt, methodisch und interpretatorisch sogar auf Verharmlosung zielt – sind von den in Deutschland lebenden Muslimen 40% “fundamental-orientiert”, 21,7% “orthodox-religiös” und 19% “traditionell-konservativ”. Dementsprechend seien über 60% von mehr oder minder “autoritärem Charakter”; bei 68% trifft die Aussage – “Die Sexualmoral der westlichen Gesellschaft ist völlig verkommen.” – auf Zustimmung. In Zahlen wie diesen äußert sich so weniger eine schlichte Differenz von Sexualethiken als vielmehr ihre antagonistische Beziehung. Da nun die Regulation des Sexuellen, statt randständig zu sein, zum Fundament einer jeden Gesellschaftsordnung gehört, also die Individuation der ihr jeweils Zugehörigen maßgeblich mitbestimmt, und die Welt zunehmend eine globalisierte ist, kann es, selbst dann, wenn es wünschenswert wäre, kategorisch keine friedliche Koexistenz antagonistischer Sexualethiken geben, sondern – hier früher, da später – nur tödliche Feindschaft.

[ 13 ] Der ehemalige sozialdemokratische Kanzlerkandidat und Finanzminister, später Vorsitzender der Linkspartei, machte im Winter 2006 mit folgender Äußerung auf sich aufmerksam: “Es gibt Schnittmengen zwischen linker Politik und islamischer Religion: Der Islam setzt auf die Gemeinschaft, damit steht er im Widerspruch zum übersteigerten Individualismus, dessen Konzeption im Westen zu scheitern droht. Der zweite Berührungspunkt ist, daß der gläubige Muslim verpflichtet ist zu teilen. Die Linke will ebenso, daß der Stärkere dem Schwächeren hilft. Zum Dritten: Im Islam spielt das Zinsverbot noch eine Rolle, wie früher auch im Christentum. In einer Zeit, in der ganze Volkswirtschaften in die Krise stürzen, weil die Renditevorstellungen völlig absurd geworden sind, gibt es Grund für einen von der Linken zu führenden Dialog mit der islamisch geprägten Welt.” (Neues Deutschland, 13.2.06) Der Populär-Sozialismus eines Lafontaine hat wie der aller Globalisierungsgegner gar nichts zu tun mit der Kapitalismuskritik eines Karl Marx. Es handelt sich weder um eine theoretische Vereinfachung oder Verkürzung komplexer Zusammenhänge noch um eine strategisch gebotene, realpolitisch-reformistisch begründbare Beschneidung des revolutionären Ziels. Der propagierte anti-individualistische Almosenkapitalismus ohne Zins und Weltmarkt ist kategorisch nicht die Vorstufe einer staaten- und klassenlosen Weltgesellschaft – die das Privateigentum als “Schranke des Individualismus” (Oscar Wilde) aufgehoben hat, damit ein Jeder ohne Angst verschieden sein (Adorno) bzw. gelten kann: “Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen.” (Marx) – sondern ihr Gegenteil. Lafontaines persönliche Vorliebe mag die schon genügend ekelhafte Chavez-Diktatur sein, vom Standpunkt seiner “umma-sozialistischen” Idee aus läßt sich jedenfalls kein vernünftiger Einwand mehr gegen ihre Verwirklichung in Form von Stalinismus, Islamismus oder Nationalsozialismus vorbringen. Ebensowenig gegen den für all diese Regime – wenn auch mit unterschiedlichen Konsequenzen – nicht zufällig konstitutiven Antisemitismus, hat man sich erstmal positiv aufs christliche Zinsverbot bezogen. Orthodoxe Kommunisten sind demgegenüber nach Auschwitz, angesichts der Geschichte und Gegenwart der Linken wie der bürgerlichen Gesellschaft und gerade in Aufbewahrung des revolutionären Ziels theoretisch und realpolitisch gezwungen, ein Loblied des Zinses zu singen (vgl. Scheit, Zins) und – wie in diesem Buch – das Bürgerrecht zu verteidigen. Die Haltung, Kapital und Staat abschaffen zu wollen, weil sie einer weitgehenden Verwirklichung des u.a. in Zins und Bürgerrecht aufbewahrten Versprechens individuellen Glücks im Wege stehen, ist mit der Verpflichtung identisch, die antikapitalistischen Feinde dieses Versprechens – Rechte wie Linke – zu bekämpfen.

[ 14 ] Den in diesem Sinne demagogischen Absichten des von Wolfgang Benz geleiteten Zentrums für Antisemitismusforschung stellt sich inzwischen auch Micha Brumlik mit einem unsäglichen Artikel für die taz (21.3.09) zur Verfügung.

[ 15 ] Davon abgesehen, daß die Aktualisierung des Lessingschen interreligiösen Toleranzgebotes aus dem 18. Jahrhundert auf eine Gesellschaftsordnung regrediert, in der Staat und Kirche – anders als heute – noch nicht getrennt sind, Religion noch nicht Privatschrulle (also Privatsache) des Einzelnen ist, wird dabei verdrängt, was an der Ringparabel einzig historisch wahr ist: sie gewährt nämlich gerade keinen säkular-neutralen Draufblick auf die drei monotheistischen Religionen, sondern ist im Augenblick der Gefahr Ausdruck jüdischen Wunschdenkens, Christentum und Islam mögen sich am selbstbezüglichen und selbstkritischen Charakter des Judentums ein Beispiel nehmen und daher ausschließlich in Vervollkommnung der je eigenen Frömmigkeit um Gottes Wohlgefallen und zum Wohle der Menschheit mit ihm wetteifern. Erdacht von sephardischen Juden im 12. Jahrhundert, legt Lessing seine Version der Ringparabel konsequenterweise einem während des dritten Kreuzzuges von Moslems wie Christen bedrängten Jerusalemer Juden namens Nathan in den Mund. Da die Gottesauserwähltheit im jüdischen Selbstverständnis bedeutet, daß nur Juden die Last der Tora zu tragen haben, also nur Juden an die 613 Mizwot (Gebote und Verbote der Tora) gebunden sind, während Nicht-Juden das Heil erlangen können, wenn sie sich an die sieben noachidischen Gesetze – eine Light-Fassung des Dekalogs – halten, und Missionierung keine Sache des Judentums ist, ging zudem zu keinem Zeitpunkt der Geschichte irgendeine Bedrohung für Nicht-Juden vom Judentum aus. Allein daran schon blamiert sich die beliebte Floskel der vermeintlich Auf- und Abgeklärten, jeder religiöse Fundamentalismus sei gleichermaßen abzulehnen. Das für heutige Fragen Relevante der Lessingschen Aufklärung besteht vielmehr darin, daß er den in der Ringparabel formulierten Anspruch ernst nahm und auf eine universale Perspektive zuspitzte: nämlich eine vergleichende Untersuchung des spezifischen Beitrages der jeweiligen Religion zu einer Erziehung des Menschengeschlechts. Lessings Antworten in der gleichnamigen Schrift sind freilich ungenügend. Zum einen läßt er den Islam außen vor, zum anderen geht er der christlichen Ideologie vom “neuen Bund”, der den alten jüdischen überwunden habe, auf den Leim. Zu retten, obgleich zu modifizieren, wäre allerdings die universale und humanistische Perspektive als Maßstab des Religionsvergleichs. Davon aber wollen weder die Kultur-Trialogisten noch die neuen Atheisten um Richard Dawkins irgendetwas wissen.

[ 16 ] “Auch wir möchten kein Kopftuch tragen” schreiben mit Christina von Braun und Bettina Mathes zwei exponierte Vertreterinnen des deutschen Postfeminismus in einem inzwischen von der Bundeszentrale für politische Bildung vertriebenen und mit Preisen ausgezeichneten Buch (S. 17), das auf 400 Seiten Argumente fürs Kopftuchtragen zusammenträgt und Migrantinnen, die das Kopftuch ablegen, vorwirft, ihre Kultur zu verraten. Die Anderen sollen nämlich gefälligst als Ausdruck eines orientalischen Feminismus begehren, was weiße Feministinnen zu Recht abstößt.

[ 17 ] Drei erfreulich anti-ideologische und in ihrer Dialektik schwer zu übertreffende Gedanken enthält die Präambel der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von 1776. Erstens: es ist – eben nicht beweisbar – für wahr zu halten, daß ein über den Menschen stehendes, transzendentes Prinzip (Schöpfer-Gott) jeden Einzelnen mit unveräußerlichen Freiheitsrechten ausstattet. Zweitens: den Schutz dieser Rechte kann nur inner-weltliche Gewalt (Regierung, Staat) – nicht der Schöpfer selbst – gewährleisten, was im Grunde gegen seine Existenz spricht. Drittens: wenn auch die Legitimität der Regierung vom Willen der people sich herleitet (Volkssouveränität, Demokratie), so bleibt umgekehrt der “Volkswille” selbst an die übergeordneten Prinzipien gebunden, womit eben einerseits nicht jede umstürzlerische Schandtat verfassungskonform oder jeder “Volksstaat” gerecht genannt werden kann, nur weil dergleichen sich eventuell auf eine Bevölkerungsmehrheit stützt, andererseits Gott als Urheber und Bürge der Prinzipien aber wieder ins Spiel kommt. Das Individuum und die bürgerliche Gesellschaft also brauchen den fürwahrgehaltenen Willen Gottes, auch dann, wenn sie areligiös sind. Das Paradox ist moralphilosophisch zwingend, weil andernfalls etwa die Hamas-Regierung legitim wäre, d.h. akademisch-wissenschaftlich nicht aufzulösen, ohne in einen relativistischen Voluntarismus zu verfallen.