Jihad Now
Jihad now
Zum Kinostart des Filmes ›Paradise Now‹
Initiative Sozialistisches Forum
Neunzig Minuten kann man in ›Paradise Now‹ einen Selbstmordattentäter begleiten. Seine Opfer: israelische Juden. Am Ende des Filmes wird die Leinwand weiß, man sieht weder Trümmer noch ermordete Menschen. Der letzte Blick führt in zwei entschlossene Augen, dicht an das Gesicht des jungen Palästinensers heran und separiert damit die um ihn herumsitzenden Menschen, seine Opfer.
Während der palästinensische Mörder als Opfer der angeblich von Israel zu verantwortenden Zustände portraitiert und seine Tat zur einzig plausiblen Handlungsoption wird, verschwindet die Ermordung der israelischen Juden am Schluß des Filmes in unschuldigem Weiß: Die Juden sind nicht die Opfer, sie haben ihre Ermordung selbst verschuldet. Ihre Auslöschung verschwindet in der Inszenierung des Selbstopfers. Denn soll die Einfühlung in die Täter gelingen, müssen die Opfer unsichtbar bleiben. Man darf sie nur aus der Ferne sehen, als abstrakte Figuren, nicht als Menschen. Keinen, ob den Zivilisten an der Busstation, den Soldaten im Bus oder das kleine Mädchen beim Busfahrer, darf man kennen lernen – die Gefahr, der Zuschauer könnte zu ihnen ein Verhältnis aufbauen, ist zu groß.
Der Regisseur Hany Abu-Assad, der in der »Religion den einzigen Ausweg aus der Hölle des Lebens« sieht, versteht sich als Künstler, der einen Mythos neu schreiben will: den Mythos vom Märtyrer, der in den Tod geht, um den Feind zu töten. Er veredelt die schäbigen Abschiedsvideos, die vor jedem Anschlag gedreht werden, zu europäischer Filmkunst. Konsequent wird die Perspektive des Selbstmordattentäters gewählt, dessen Tat Abu-Assad in einem Interview »als eine sehr menschliche Reaktion auf eine extreme Situation« billigt.
Im Schlußmonolog des Filmes klagt der Mörder Said Israel an, dem er in antisemitischer Manier die Schuld für alles zuschiebt – selbst für die palästinensische Lynchjustiz an sogenannten Kollaborateuren. Der Widerspruch, den Saids Freunde Khaled und Suha zuvor gegen das suicide bombing formuliert haben, verstärkt in der Dramaturgie dieses Filmes nur den Konflikt zwischen Schicksalsauftrag und menschlicher Schwäche. Denn der Film läßt keinen Zweifel daran, daß Individualität nicht kompatibel ist mit der Notwendigkeit des Kampfes: Suha, in Said verliebt, propagiert den ›moral war‹ gegen Israel, den gleichen Krieg mit anderen Mitteln. Das Ende der Szene, in der sie Khaled ihre Ablehnung der Selbstmordanschläge vorbringt, zeigt, daß ihre Haltung zu den Israelis keineswegs von derjenigen der Jihadisten abweicht. Die Kamera schwenkt auf einen israelischen Checkpoint und augenblicklich erlischt der Disput. Ein Blick zwischen Said und Suha genügt, um Einvernehmen herzustellen.
In der Nacht vor dem Attentat wird man Zeuge, wie Said als Vorbereitung für den ›kleinen Jihad‹ gegen die ungläubigen Besatzer den ›großen Jihad‹ gegen seine niederen Bedürfnisse austrägt, also gegen alles, was in der national-islamistischen Gemeinschaft an individuelles Glück gemahnt. Said blickt beim Abschied noch einmal zum Haus von Suha zurück. Die Verführung zu Liebe, Leben und Sexualität wird mit Schicksal und Tod zunichte gemacht. Mit Saids Augen sieht man die Strandpromenade von Tel Aviv, großformatige Werbetafeln und Frauen, die im Bikini am Strand entlanglaufen.
Saids letzter Gang ist der eines Helden zum Selbstopfer. In der Szene, in welcher der Mörder sich vor der geplanten Tat an eine Tafel setzt, stellt Abu-Assad da Vincis ›Abendmahl‹ bis ins Detail nach. Über die christliche Symbolik wird Said zu Jesus und Khaled, der sich gegen das Attentat entscheidet, zu Petrus. Die Dramaturgie, wonach nicht mehr der Jude Jesus, sondern ein Jihadist zum Zwecke der Erlösung sich opfert, ist zumal für ein christliches Publikum eingängig. Die Mordtat wird zur Symbiose aus christlichem Opfertod und islamischen Selbstopfer, das mythologische Motiv zum Kitt europäisch-palästinensischer Koprojektion. Said läßt sich von Khaled-Petrus zaghafter Widerrede nicht beirren und bleibt seinem Vorhaben treu. Jeder Zweifel am Auftrag könnte nur aus Feigheit oder niederer Gesinnung aufkommen. Said überwindet die Angst. Er behält den Sprengstoffgürtel am Leib, das Selbstopfer wird zur befreienden Tat, der Judenmord antifaschistisch als Befreiungskampf gegen Krieg und Gewaltherrschaft inszeniert. Entsprechend ließen Regisseur und Schauspieler nach der Aufführung in Berlin im Februar 2005 keinen Zweifel daran aufkommen, daß es inner- und außerhalb des Films nur ein Problem gibt: Israel. Dies kann als weitgehender Konsens beim Publikum vorausgesetzt werden.
Was der Film dann vortrefflich leistet, gelingt durch die ästhetisierende Inszenierung: die Legitimation des Selbstmordattentats. In der Aussage gibt es keine Differenzen zur islamisch-nationalistischen Hetze in arabischen Medien, doch das ach so anspruchsvolle europäische Publikum verlangt nach einer kultivierteren Propaganda für die Gerechtigkeit und Notwendigkeit des Judenmords. Und Europa dankt. Die deutsch-niederländisch-französische Koproduktion erhielt bei den Festspielen in Berlin nicht nur den Zuschauerpreis unter standing ovations, sondern auch den ›Blauen Engel‹ – die einzige Auszeichnung dieses Festivals, die mit Geld, nämlich 25.000 Euro dotiert ist (was etwa der Summe entspricht, die Saddam Hussein seinerzeit den Familien der Selbstmordattentäter zukommen ließ). Auch Amnesty International verlieh der »kleinen Geschichte über einen großen Konflikt« ihren Filmpreis und das moralische Gütesiegel.
Und so war, mit Unterstützung der Kulturstaatsministerin Christina Weiss und dem Berlinale-Chef Kosslick, der Weg dieses Filmes in den renommierten Constantin-Verleih geebnet. Über die Proteste jüdischer Organisationen setzt man sich souverän hinweg. Wenn die eigenen Ressentiments so anspruchsvoll und authentisch rationalisiert werden, wenn es sich dabei so schön über den »mutigen Film«, seine »ambivalenten Charaktere« und ihr »tragisch gebrochenes Engagement« (NZZ) schwadronieren läßt, haben die Opfer des antisemitischen Wahns zu schweigen. Auch M. Wiedemann vom Freiburger Friedrichsbau möchte die andächtige Atmosphäre nicht gestört wissen, in der sich die Einfühlung in die ›Verzweiflung‹ und ›Demütigung‹ der Mörder vollziehen soll. In seinem Kino darf jedenfalls keine Kritik am Film ausgelegt werden.
Der Text dieses Flugblattes geht auf die Filmanalysen von Tobias Ebbrecht, Ralf Schroeder und Tjark Kunstreich zurück. Weitere Texte dieser Autoren sind zu unter www.typoskript.net zu finden. Zahlreiche Dokumente zu antisemitischer Hetze und Märtyrerkult in den palästinensischen Gebieten bietet Palestinian Media Watch (www.pmw.org.il). Über den Zusammenhang von Islamismus, Antisemitismus und den Kampf gegen Israel informiert das Buch Djihad und Judenhaß im Freiburger ça-ira Verlag (s.a. www.matthiaskuentzel.de). Zu Antizionismus/Antisemitismus siehe auch Initiative Sozialistisches Forum: Furchtbare Antisemiten, ehrbare Antizionisten, ebenfalls im ça-ira-Verlag erschienen.
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