Die Konterrevolution gegen Israel
Die Konterrevolution gegen Israel
Initiative Sozialistisches Forum
Die Situation des Juden ist derart, daß sich alles, was er tut, gegen ihn wendet.”
Jean-Paul Sartre, 1945 [ 1 ]
Kein Mensch ist heute mehr Antisemit, man versteht nur die Araber.
Friedrich Dürrenmatt, 1976 [ 2 ]
Nichts anderes ist der Zionismus als die letzte bürgerliche Revolution, die der Gegenwart. Theodor Herzl, dessen staats- und rechtsphilosophisches Buch “Der Judenstaat” diese Revolution 1896 erst so denkbar machte wie Jean-Jacques Rousseaus “Gesellschaftsvertrag” 1762 die französische, und David Ben Gurion, der Lenin Israels, stellen nichts anderes dar als die jüdische Ausgabe der großen Revolutionäre des Bürgertums, heißen sie nun Maximilien Robespierre, St. Just und Danton. Eine Revolution jedoch, eine bürgerliche zumal, ist kein Zuckerschlecken, und der Preis der Erklärung der Menschenrechte waren die Guillotine und der revolutionäre Terror, schließlich die napoleonischen Kriege gegen die feudal-absoluten Mächte, die sich weigerten, das Prinzip des neuen Zeitalters, den Code civile, d.h. die Vergesellschaftung nach Maßgabe der zu Subjekten formierten Individuen unter der Aufsicht des kapitalen Souveräns, zu akzeptieren. Der König mußte geköpft werden, um die Unverletzlichkeit der Körper zu garantieren. 1789 hatte die feudale Gesellschaft der Egalité, der Liberté, der Fraternité Platz zu machen, und Karl Marx, der diesen Fortschritt unschwer als den hin zu Infanterie, Kavallerie und Artillerie zu denunzieren wußte, erkannte gleichwohl an, daß erst so die Geschichte der Menschheit unter die ihr wesentliche Bestimmung gesetzt wurde, die der Vernunft. Revolutionäre Gewalt erst setzte die Gattung anders denn als zoologische Bestimmung. Darin enthielt die bürgerliche Revolution den Vorschein auf das ihr ganz Andere, auf den Kommunismus als die freie Assoziation. Und darin bestand die Dialektik dieser Aufklärung, daß das Bürgertum den Fortschritt der Vernunft über die kapitalistische Vergesellschaftung hinaus zu sabotieren trachtete, um die Erklärung der Menschenrechte schlechthin als Naturrecht, damit als die Anthropologie der Konkurrenz zu setzen. 1789 jedoch war dies Prinzip der Affront schlechthin gegen die Unterordnung des Menschen unter die klerikalen und feudalen Gewalten, d.h. der immerhin formelle Auftakt zur Geschichte der Gattung. Aber jede große Revolution, die ihren Namen verdient, findet ihre Vendée, ihre Konterrevolution. Die Vendée der Zionisten heute heißt Palästina, und das Ancien régime, der Block aus Pfaffen, Bauern und königstreuen Aristokraten, der den Jakobinern den Weg verlegen wollte, heißt heute PLO, Islamischer Djihad, Hamas und Hisbollah, dazu, um den Islamfaschismus europäisch zu würzen, eine Prise Postmoderne, Multikulti und linksbürgerlichen Pazifismus.
Es war das Unglück des Zionismus, daß seine Revolution nur ungleichzeitig sein konnte, aber noch mehr, daß sie die bürgerliche Revolution der Juden darstellt. Man weiß nicht recht, was für Israel desaströser sich auswirkt. Denn die Revolution der Zionisten fand statt zu einem Zeitpunkt, zu dem der Westen nicht nur dem Programm der Aufklärung längst abgeschworen hatte, sondern sich vielmehr im Zuge der Zusammenbruchskrise des Kapitals nach 1929 und in Gestalt Deutschlands als des ‘schwarzen Lochs’ der kapitalen Vergesellschaftung dazu radikalisierte, die Juden zur “Gegenrasse” und zum unvermittelten Antiprinzip der Menschheit zu stilisieren, sie sodann wahnhaft als Verkörperung des ‘raffenden Kapitals’ erst zu diskriminieren, dann zu verfolgen, schließlich zu ermorden. In Gestalt des Antisemitismus kassierte Deutschland die Erklärung der Menschenrechte. Es tat dies nicht nur hinsichtlich des Antisemitismus als der Verkörperung ökonomischer, sondern ebenso politischer Wahnvorstellungen: der Antisemitismus bezweckte nicht allein die ökonomische Wohlfahrt der Volksgemeinschaft, sondern zugleich den Staat des ganzen Volkes, die nationale Selbstbestimmung des Mordkollektivs, d.h. die Identität der Deutschen als Rasse, als bösartige Natur. Dieser Versuch, durch die Feinderklärung gegen die Juden, nicht nur das Geheimnis der Kapitalproduktivität den Deutschen zuzueignen, sondern zugleich das Geheimnis der Loyalität sich einzuverleiben, d.h. den Grund dafür zu essen und zu verdauen, daß das Gewaltmonopol des Souveräns funktioniert, daß das System von Befehl und Gehorsam fraglos wird, daß die Bereitschaft zum Opfer und vor allem zum Töten zur eingefleischten Natur wird. Dies war der Sinn der Nürnberger Gesetze: jede Bestimmung, die vorgab, das, was jüdisch sein soll, zu definieren, war unmittelbar der Versuch, “das Deutsche” zu fabrizieren und dem Souverän anzueignen. Der Nazifaschismus ermordete die Juden, um die Volksgemeinschaft herzustellen, d.h. letztlich, die bürgerliche Gesellschaft, aus deren Zusammenbruchskrise er entstand, als Naturzusammenhang und eine Art Ameisenstaat zu retten. In diesem Sinne war Hitler der erste Djihadist, und ein kluger Beobachter wie Winston Churchill kam, auf die Frage, was für ein Buch denn “Mein Kampf” sei, darauf, es sei dies “der neue Koran” für Deutsche. [ 3 ]
Die bürgerliche Revolution der Juden, wie sie sich in Theodor Herzls “Der Judenstaat” aussprach, geriet in die Falle der Ungleichzeitigkeit. Es war diese Ungleichzeitigkeit, die ihren gesellschaftlichen Charakter besonders eklatant machte, als die bürgerlichen Gesellschaften im Begriff waren, zum autoritären Staat überzugehen. Alle Schwierigkeiten, denen sich der Versuch, die bürgerliche Gesellschaft der Juden zum Staat zu formieren, ausgesetzt sah, zeigten nur, im Invers, das Problem der Begründung bürgerlicher Staatlichkeit schlechthin. Antizionismus ist der Selbsthaß der bürgerlichen Gesellschaft, der projiziert wird, die Wut der kapitalen Eigentümer darauf, daß sie eine Welt erschaffen haben, die nur die Wahl noch läßt zwischen Sozialismus und Barbarei. Die Juden waren zu Zeiten Theodor Herzls eine auf viele Nationen verstreute Gesellschaft, die sog. “Diaspora”, Nationen, die samt und sonders, die “Affäre Dreyfus” zeigt es, langsam, aber unerbittlich dazu übergingen, die Aufklärung zu Lügen zu strafen; und sie waren in den östlichen Gesellschaften der (semi-)asiatischen Despotie einer unmittelbar exterministischen Pogrom-Gewalt ausgesetzt, sie konnten schließlich wenig Hoffnung setzen auf die Parteien der sozialdemokratischen Internationale, da sie doch dem jüdischen Proletariat Osteuropas in Gestalt des “Bund” jedes Recht auf die sonst so lauthals proklamierte “nationale Selbstbestimmung” verweigerte. Das Bürgertum verweigerte die objektive Konsequenz seiner Aufklärung, die proletarische Internationale gefiel sich in den Rechtsillusionen, dem Staatlichkeitswahn, die hinein in den 4. August 1914 führten – so fand sich die internationale jüdische Gesellschaft im Außerhalb jedweder Dialektik von Herr und Knecht als die dritte Partei, der der fanatische Haß von Herr und Knecht gleichermaßen galt. Das “Konzert der Nationen” fand ohne die Menschen statt, die auch die proletarische Internationale als Kosmopoliten denunzierte.
Deshalb waren die Juden gezwungen, das Problem der bürgerlichen Revolution in seiner vollendeten Abstraktion zu durchdenken und zu praktizieren, in einer cartesianischen Kühle und Klarheit, wie sie nie, auch nicht 1789, möglich waren. Die “Autoemanzipation”, von der Leo Pinsker schon 1882 geschrieben hatte, war möglich nur als Münchhausen-Politik. Was der staatssüchtige Mob dem Zionismus als bodenlose Niedertracht ankreidet, die Parole “Ein Land ohne Volk für ein Volk ohne Land” etwa, trifft die Sache genau. Es ist dies die Quintessenz der zionistischen Revolution: keinen Staat, kein zentralisiertes Gewaltmonopol, gab es in Palästina, dessen vorfindliche Souveränität man, wie es die französischen Revolutionäre taten, erobern und sich aneignen hätte können. Kein Staatsterritorium gab es, dessen Bewohner man hätte zur Bevölkerung formen können. Keine Gesellschaft gab es, wie in Frankreich, deren Produktionsweise irgend auf den Kapitalismus hinwies. Was es in Palästina gab, das war die Herrschaft des Osmanischen Reiches, d.h. das gesellschaftliche System einer asiatischen Despotie und einer asiatischen Produktionsweise, in der, im islamischen Kalifat (dem die Hamas bis heute nachtränt), die bedingungslose Einheit weltlicher und geistlicher Macht herrschte und in der der Einzelne, als Fellache, keineswegs, wie der europäische Bauer, ein Privateigentum an Grund und Boden genoß, sondern ein rechtloser Pächter war. Der Fellache war dem Mullah hörig wie kein Bauer seinem Pfaffen. In Palästina gab es kein “Volk”, keine Masse Mensch, die irgend zum Staatsmaterial qualifiziert war, sondern moslemische Staatssklaven. In dieser despotischen Gesellschaft inaugurierten die jüdischen Immigranten in einem den Prozeß der “ursprünglichen Akkumulation” des Kapitals wie zugleich den der ursprünglichen Zentralisation der politischen Gewalt. Proletarier aller Länder, die den Status des Bürgers nicht anders denn als Freiheit begreifen konnten, setzten das “automatische Subjekt” (Marx) ex nihilo ins Werk, die dazu nötige Staatsgewalt inklusive.
Die Bürger hassen den Zionismus aufs Blut dafür, daß er ihnen, in seiner Ungleichzeitigkeit, die immensen menschlichen Unkosten vor Augen führt, die ihr eigener, längst gnädig vergessener Staatswerdungsprozeß im 16./17. Jahrhundert zur Konsequenz hatte. Wer etwa das 24. Kapitel des ersten Bandes des Marxschen “Kapital” über “Die sogenannte ursprüngliche Akkumulation” studieren sollte, der wird unschwer den ökonomischen Prozeß der zionistischen Konstitution wiedererkennen – mit dem Unterschied nur, daß die britischen Landvertriebenen im Lande blieben und zwecks Maloche nach Liverpool und Manchester gehen konnten. Niemand kommt heute auf die Idee, die Legitimität der britischen Staatlichkeit deswegen anzugreifen, während solcherlei im Falle Israel stets nur die “Künstlichkeit” des israelischen “Gebildes” demonstrieren soll und seine mangelnde “Verwurzelung” im “Boden” sowieso. Die Ideologie jedoch, der Staat habe ‘organisch’ zu sein und im Volk zu wurzeln wie der Kürbis auf dem Mist, ist reaktionär, auch wenn sie fallweise von den sog. “Neuen Historikern” Israels kommt und besagt: Es gibt ein “natürliches Recht der Palästinenser auf nationale Souveränität und Unabhängigkeit.” Das Naturrecht auf Staatlichkeit ist allerdings eine Idee, von der unter den Kalifen niemals die Rede sein konnte, und es gab in diesem Reich überhaupt gar keine “Palästinenser”, die zum Subjekt einer Staatlichkeit hätten taugen können, sondern nur Araber, die in der Landschaft Palästina lebten wie die Oberammergauer in ihrem Herrgottswinkel, und schließlich reicht ein Naturrecht immer nur soweit wie der Staat, als seine Inkarnation, auf Gehorsam trifft. Was solche “neuen Historiker”, deren Begriff vom Staat bestenfalls zur Sozialdemokratie langt, sich so vorstellen, zeigen die Beispiele, mit denen sie ihre Einfalt illustrieren. So heißt es etwa bei Ilan Pappe, der gerade via “Zweitausendeins” sein Buch “Die ethnische Säuberung Palästinas” in die Wiehre drückt, der Zionismus habe sich, als er die Wüsten begrünte, gegen “die heimische Flora Palästinas” entschieden, und so käme es, daß in den “Wäldern ganz Israels nur zu 11 Prozent heimische Arten” wachsen. Aber noch ist Hoffnung, denn “zuweilen gelingt es der heimischen Flora überraschend, sich wieder durchzusetzen.” [ 4 ] Auch die Bäume machen Intifada.
Israel muß sich einerseits der “Künstlichkeit” bezichtigen lassen, weil seine Geschichte ohne jede historische Camouflage und Folklore den Charakter bürgerlicher Staatlichkeit als solcher zum Ausdruck bringt, und andererseits soll in eben dieser Polemik der wahrhafte Volksstaat als eine Art organische Gekröse bejubelt werden, der, gegen alle jüdische “Abgehobenheit”, dem Volke einwurzelt. Der Antisemitismus hat hier den ungeheuren Vorteil, Herrschaft überall dort, wo sie nicht von Juden ausgeübt wird, als therapeutisches Event und Selbstverwirklichung zu betrachten. So tat es z.B. der iranische Präsident Ahmadineschad, als er George W. Bush mitteilte: “Ich denke, daß die Errichtung eines neuen Staates mit einem neuen Volk ein neues Phänomen ist, das einzigartig ist für unsere Zeit.” Er hat ganz recht mit dieser Qualifikation des “Phänomens Israel”, aber dies beweist nicht die Verworfenheit des “zionistischen Regimes” [ 5 ] , sondern vielmehr den gesellschaftlichen Zwang Israels zur Ungleichzeitigkeit, eine Zwangslage, die darin besteht, daß die die bürgerlichen Gesellschaften des Westens, insbesondere die deutsche, die ihren Aufklärungsverrat längst hinter sich gebracht haben, mit Moslems verbünden, für die selbst die Hl. Inquisition schon der Fortschritt zur Aufklärung wäre.
Die Konterrevolution gegen Israel, die in vorsätzlicher Begriffsstutzigkeit das historische Schicksal der Juden ausbeutet, hat viele Fraktionen, nicht nur das des Islamfaschismus, dessen alerteste Charaktermaske der iranische Präsident ist. Wenn es noch Pluralismus gibt, dann herrscht er hier, und der Markt der Möglichkeiten, sein Scherflein zum Haß auf Israel beizutragen, ist enorm, v.a. unter den Linksmicheln. Wenn die KPD/ML eine Broschüre mit dem Titel “Zionismus – Todfeind der Völker” veröffentlicht, die im wesentlichen aus Zitaten des abgelebten MaoStalinisten Enver Hoxha besteht – “Israel … gleicht einer Pistole inmitten der arabischen Völker …” – , mag das noch satirische Qualitäten haben. [ 6 ] Wenn allerdings diese Trachtengruppe, die Israel als “Brückenkopf des Imperialismus” verteufelt, mit Linksparteilern wie Norman Paech sich verbündet, die für das “Völkerrecht” kämpfen, wird es unheimlich. Wenn dann die Claque der Anti-Antideutschen, darunter ein “Freiburger Soziologe”, der für das linksvölkische Blatt “junge Welt” schreibt, einen “emanzipatorischen Antizionismus” vertritt und für die “wichtige und umkämpfte Unterscheidung zwischen Antisemitismus und legitimer Israel-Kritik” [ 7 ] eintritt, wird es gruselig. Der losgelassenen Staatsfetischismus, der hier agiert, ist “paradoxerweise sozialistisch aus Israelfeindschaft”, wie der Philosoph Michael Landmann 1971 in seinem Buch “Das Israelpseudos der Pseudolinken” bemerkte, und: erwüchse dieser Sorte Links daraus “politischer Nutzen, so würde sie nötigenfalls morgen vom Sozialismus auch zur Anthroposophie schwenken.” [ 8 ] Mittlerweile hat man die Esoterik hinter sich und ist bei den “Protokollen der Weisen von Zion” angelangt.
Denn die feinsinnige Unterscheidung von Antisemitismus und Antizionismus kommt aus dem Arsenal der Propaganda. Jeder, wenn er auch sonst nichts weiß, muß wissen, daß der Antisemitismus schon immer nur die im engeren Sinne ökonomischen Motive, d.h. tatsächlich: Rationalisierungen des Judenhasses vertrat, während der Antizionismus seit Hitlers Rede im Bürgerbräu vom August 1920 die eher politisch-staatlichen Vorwände versammelt. Der Antizionismus ist von vorneherein, logisch wie historisch, jene Form des Judenhasses, der am Staat das “Mechanische” vom “Organischen” so abspaltet wie der Antisemitismus im engeren Sinne am Kapital die Spekulation von der Akkumulation des Kapitals. Daher schrieb Alfred Rosenberg, Ideologe en chef des NS, Traktate wie “Der staatsfeindliche Zionismus” (1943), weil er zwanghaft beweisen wollte, daß die Juden, weil sie zur Arb eit unfähig seien, auch zum Staat: Denn “das Wesen des skrupellosen, zähen, national-übernational verbundenen parasitären Judenvolkes” reiche nur bis zum Zionismus, und der sei, “bestenfalls, der ohnmächtige Versuch eines zu produktiver Leistung unfähigen Volkes … sich ein neues Aufmarschgebiet für Weltbewucherung zu verschaffen”, jedenfalls aber die “Austreibung und Ausrottung der Araber” zu bewerkstelligen. [ 9 ] So wird das historische Bündnis des Nazi- mit dem Islamfaschismus gestiftet, und wie das geht, läßt sich in den Schriften des “Islamischen Zentral-Instituts zu Berlin e.V.” nachlesen: “Dieser Staat … ist ein blutiger Dolch im Herzen des arabischen Vaterlandes”, und froh könne man sein, sagt der Mufti von Jerusalem 1943, daß Deutschland sich entschlossen hat, “für die jüdische Gefahr eine endgültige Lösung zu finden.” [ 10 ]
Die Scheidung des Antisemitismus vom Antizionismus, so haltlos sie ist, hat für Linke eine strategische Funktion: Unter der Hand lebt darin die Lüge fort, nichts anderes sei der Judenhaß als ein zwar unbewußter und fehlgeleiteter, aber eigentlich begrüßenswerter Ausdruck sozialrevolutionärer Protestenergie, die es anzueignen gilt. Der Historiker Karl Heinz Roth etwa, der Papst der Autonomen, kann so der Hamas attestieren, “aus den islamisch religiös verbrämten Strukturen von sozialer Selbsthilfe und Solidarität ließen sich sehr wohl emanzipatorische Perspektiven ableiten” – würden nur die Frauen nicht so patriarchalisch behandelt. [ 11 ] Es wundert nicht, daß der explizite Antisemitismus der Hamas kein Thema ist, daß die ausdrückliche Verpflichtung der Charta der Hamas auf die “Protokolle der Weisen von Zion” nicht stattfindet, daß Roth den Begriff des Faschismus für den “Erez-Israel-Siedlerkolonialismus” [ 12 ] reserviert. Wenn also Khaled Maschal, ein Anführer der Hamas, der Meinung ist: “Die israelischen Aktionen in Gaza sind der wahre Holocaust” [ 13 ] , dann kann dies nach den Maximen linksdeutscher Faschismusforschung nur ein bedauernswerter Irrtum sein. Geht es darum, die Totalliquidierung Israels als höchstes und letztes Stadium der sozialen Revolution darzustellen, dann geht der Gaul durch, wie kürzlich beim Ableben des Chefs der marxistisch-leninistischen “Volksfront zur Befreiung Palästinas” (PFLP), George Habasch: “Der Che Guevara der PalästinenserInnen”, titelte die linke Schweizer Wochenzeitung “WoZ”, kein Wunder, war doch sein Ziel “die Befreiung des gesamten historischen Palästina, inklusive Israel” [ 14 ] ; und die notorische “junge Welt” riskierte unter der Schlagzeile “Ein Leben für die Freiheit” den irrwitzigen Satz: “Für Palästinenser war der überzeugte Marxist und Internationalist ein Patriot.” [ 15 ] Da fehlt nicht viel, daß Ahmadineschad für seine Parole “Tod Israel!” [ 16 ] der Theodor W. Adorno der Mullahs geheißen werden wird.
Während Linke so entschieden am Kultus national-sozialer Kollektive arbeiten und in Gestalt der “PalästinerInnen” die wahrhaftigen Juden der Gegenwart erblicken, hat die staatstragende Mitte längst gemerkt, wie man sich an Israel und den Juden geschichtspolitisch gesundstoßen kann. Am besten geht das in der Knesset, hier läßt sich die Verzweiflung Israels über den nicht endenwollenden Kampf mit der internationalen Konterrevolution vorzüglich ausbeuten. Vor zwei Jahren hatte der Bundespräsident den Juden bereits erklärt, “die Verantwortung für die Shoa (sei) Teil der deutschen Identität” [ 17 ] , d.h. ein guter Klebstoff für‘s Kollektiv, und er habe dafür zu danken. Nun bestätigte Angela Merkel die These, daß, wer die Deutschen zu Freunden hat, keine Feinde mehr braucht: erst fabuliert sie von einem “im deutschen Namen verübten Massenmord”, weiterhin aber davon, “daß die Shoah uns Deutsche mit Scham erfüllt” [ 18 ] . Nicht also war die Vernichtung das Werk der fugenlos zum Mordkollektiv vereinten bürgerlichen Gesellschaft der Deutschen gewesen, dessen revolutionäre Sühne ausbleibt, nein: Hitler soll ein treuloser Prokurist gewesen sein, der “im deutschen Namen” tat, was “uns Deutsche” zutiefst anwidert. Die Knesset nahm diese Unverschämtheit zur Kenntnis; was blieb ihr anderes übrig, weiß man doch in Israel genau über die tatsächlichen Aspirationen des deutschen Wir-Gefühls Bescheid. Auch in Tel Aviv liest man die “Süddeutsche Zeitung” und ist also unterrichtet, was die Deutschen denken, wenn sie denken, z.B. gelegentlich des von der Hamas organisierten Ausbruchs aus dem Gaza-Streifen, “der für die Palästinenser so etwas war wie der 9. November für uns Deutsche” [ 19 ] , wobei sich von selbst versteht, welcher “9. November” gemeint ist.
Die Wahrheit liegt, als naturgemäß subversive, in diametral entgegengesetzter Richtung. Denn die Juden haben, wie Andrej Gromyko im Namen der Sowjetunion am 14. Mai vor der UN-Generalversammlung erklärte, viele tödlich entschlossene Feinde, aber nur wenige halbherzige Freunde: “Die Erfahrung der Vergangenheit … hat gezeigt, daß kein westeuropäischer Staat in der Lage war, dem jüdischen Volk bei der Verteidigung seiner Rechte und bloßen Existenz gegen die Gewalt der Hitleristen und ihrer Verbündeten wirklich Hilfe zu gewähren.” [ 20 ] Die Teilung Palästinas, die ein Jahr später zur israelischen Unabhängigkeit führte, brach mit der Ideologie der ‘ angestammten historischen Rechte’. Sie erkannte den Zionismus als revolutionären Ausdruck dessen an, daß es noch Vernunft gibt in der Geschichte, wenn sie auch traurig ist: “Wenn der Staat Israel im Jahre 1937 gegründet worden wäre und die Kontrolle über die Einwanderung und den Schutz der Juden in Europa übernommen hätte, so hätten wir sie vor der Vernichtung bewahren können”(David Ben Gurion, 1949). [ 21 ]
Anmerkungen:
[ 1 ] Jean-Paul Sartre, Betrachtungen zur Judenfrage, in: Ders., Drei Essays, Frankfurt/Berlin 1986, S. 183
[ 2 ] Friedrich Dürrenmatt, Zusammenhänge. Essay über Israel, eine Konzeption, Zürich 1976, S.135.
[ 3 ] Winston Churchill, Der Zweite Weltkrieg. Bd. 1: Der Sturm zieht auf, Olten/Stuttgart/Salzburg 1950, S. 78.
[ 4 ] Ilan Pappe, Die ethnische Säuberung Palästinas, Frankfurt 2007, S. 34 und 296
[ 5 ] Unbestreitbare Widersprüche. Irans Präsident Ahmadineschad schreibt an den amerikanischen Präsidenten George W. Bush, in: FAZ vom 17.5.2006
[ 6 ] KPD/ML, Zionismus – Todfeind der Völker, Magdeburg 2006, gratis unter: www.kpd-ml.net/doc/partei/zionismus.pdf
[ 7 ] Gerhard Hanloser, Was Dir verhaßt ist… Michael Brumliks “Kritik des Zionismus”, in junge Welt N° 37 vom 13.2.2008
[ 8 ] Michael Landmann, Das Israelpseudos der Pseudolinken, Berlin 1971, S. 17.
[ 9 ] Alfred Rosenberg, Der staatsfeindliche Zionismus, München 1943, S. 84, 86, 44.
[ 10 ] Rede S. Em des Großmufti anläßlich der Protestkundgebung gegen die Balfour-Erklärung am 2. November 1943, dokumentiert in: Klaus Gensicke, Der Mufti von Jerusal em, Amin el-Husseini, und die Nationalsozialisten, Frankfurt/Bern/New York/Paris 1988
[ 11 ] Karl Heinz Roth, Empirie und Theorie. Die Marxsche Arbeitswertlehre im Licht der Arbeitsgeschichte (Teil II), in: Sozial.Geschichte. Zeitschrift für historische Analyse des 20. und 21. Jahrhunderts, Heft 3/2007, S. 147-168, hier S. 164.
[ 12 ] Gerhard Hanloser, “Wir müssen uns allen Ausgegrenzten zuwenden”. Gespräch mit Karl Heinz Roth, in: junge Welt vom 31.3.2007.
[ 13 ] Zitiert nach Jüdische Zeitung N°3/2008.
[ 14 ] WoZ vom 7.2.2008.
[ 15 ] junge Welt vom 29.1.2008
[ 16 ] www.diejüdische.at vom 12.2.2008
[ 17 ] Zitiert nach Günther Nonnenmacher, Auf solidem Grund, in: FAZ vom 15.2.2008.
[ 18 ] Rede Merkels vor der Knesset, in: FAZ v. 19.2.2008.
[ 19 ] Thomas Avenarius, Der Auszug nach Ägypten, in: Süddeutsche Zeitung vom 26./27.1.2008.
[ 20 ] Andrej Gromyko, Rede des Delegierten der SU vor der UN am 14. Mai 1947, in: Der UN-Teilungsplan für Palästina und die Gründung des Staates Israel (1947/48), Offenbach 2002, S. 9.
[ 21 ] David Ben Gurion, in: Das Neue Israel, Bd. 1, H. 20, S. 3