Das “zweite Geschlecht” und das “Dritte Reich”
Über “Rasse” und “Geschlecht” im Feminismus
Gabriela Walterspiel
“Die Tat der KZ-Wächterin gegenüber ihren Opfern bleibt eine Machtausübung und Vergewaltigung. Die Frage nach der Mittäterschaft, der Verstrickung mit dem Täter, steht im Zusammenhang mit ihrem eigenen Untergeordnetsein, ihrer eigenen Bedrohung durch die Mächtigeren. Sie trägt Verantwortung für ihre Tat in dem Maße, wie sie Macht ausübt, wenngleich sie nicht verantwortlich ist für ein System, in dem sie selber untergeordnet ist” (Kappeler, S. 207).
I.
Was ist das Besondere und gewissermaßen “typisch Weibliche” (Ilse Bindseil) am Verhältnis zwischen den Frauen und dem Nationalsozialismus? Gibt es ein besonderes Verhältnis der Frauen als Frauen zum Nationalsozialismus, etwas, das sie spezifiziert und ihnen einen besonderen Rang zuweist, der sie vom Rest der Gesellschaft separiert, der dann – ganz logisch und doch ganz falsch – aus nichts als Männern bestehen muß? Ist das Verhältnis der Frauen zum NS nicht vielmehr das Verhältnis der “friedfertigen Frau” (Margarete Mitscherlich) zum wahlweise bloß faschisierten oder sogar existentiell faschistischen Mann? Und ist dann nicht der Mann als Nazi erstens ganz er selbst und mit sich identisch und zweitens das übergreifende und gesellschaftlich Allgemeine? Ist also die bürgerliche Gesellschaft schon ganz ohne weiblichen Part fix und fertig, d.h. ihrem Begriff entsprechend?
Der Versuch jedenfalls, das Geschlecht – und zwar nur das weibliche – zum erkenntnisleitenden Interesse wie zur erkenntnisstiftenden Kategorie nicht nur in Sachen Faschismus zu erklären, verwickelt sich in allerhand Widersprüche, so sehr und so aussichtslos, daß er gar ein einziger Widerspruch zu sein scheint.
Das Eingangszitat stammt von Susanne Kappeler und gehört in den Zusammenhang der Diskussion über die von Christina Thürmer-Rohr formulierte These der Mittäterschaft von Frauen. Es soll hier aus methodischen Gründen pars pro toto stehen, denn es umreißt den inhaltlichen wie begrifflichen Rahmen, in dem innerhalb des Feminismus das Verhältnis der Frauen zum NS diskutiert wird: Waren die Frauen als Frauen Opfer des NS, waren sie Täterinnen oder Mittäterinnen? Waren die Frauen weibliche Nazis und damit selbständig Handelnde, oder waren sie nur passive Volksgenossinnen und bloße Mitbeteiligte, d.h. Mitläuferinnen? Was soll es meinen, wenn – wie es im Programm der Veranstaltungsreihe der Freiburger Gruppe Wüste Alma im Frühsommer 1992 hieß – die Frauen als Besitzerinnen von sogenannten “Handlungsanteilen” am NS bezeichnet werden? Verweist doch die Formulierung von “Handlungsanteilen” auf einen feministischen Jargon der Uneigentlichkeit, dessen Tücken in dem Zitat von Susanne Kappeler deutlich werden. Fragen wir also danach, wie Kappeler das “typisch Weibliche” definiert. Zuerst sagt sie: “Die Tat der KZ-Wächterin gegenüber ihren Opfern bleibt eine Machtausübung und Vergewaltigung.” Der Massenmord erscheint in der uneigentlichen Form der “Machtausübung”, er wird mit einem Wort beschrieben, das gemeinhin den mit Sanktionsgewalt ausgestatteten Befehl meint, jemanden zum eigenen Nutzen und Vorteil zu einer bestimmten Handlung zwingen zu können. Die Macht mag die ihr Unterworfenen terrorisieren, aber sie setzt doch deren Leben und physische Existenz voraus. Die entfesselte Staatsgewalt der KZ scheint eine den Frauen eigentlich wesensfremde zu sein, denn zu ihrer Bezeichnung fällt Kappeler nur der Ausdruck “Vergewaltigung” ein. Sollte das “typisch Weibliche” am NS darin bestehen, daß er es vermag, Frauen zu dem ihnen wesensfremden Verhalten der “Vergewaltigung” zu motivieren? Und wie ist es um eine feministische Wissenschaft bestellt, der weder ein Wort, geschweige denn ein Begriff für weibliche Gewalttätigkeit einfällt? Ist das besonders Weibliche nur das spezifisch Männliche? Hören wir weiter: “Die Frage nach der Mittäterschaft, der Verstrickung mit dem Täter, steht im Zusammenhang mit ihrem eigenen Untergeordnetsein, ihrer eigenen Bedrohung durch die Mächtigeren.”
Die Erkenntnis, daß die Volksgemeinschaft als das Kollektiv der Mörder selbst hierarchisch organisiert war, ist nicht neu. Kappeler sieht die Frauen jedoch gleichsam an ihrem unteren Ende rangierend und in einer Grauzone angesiedelt, in der Opfer und Täter irgendwie verschwimmen und die Rollen tauschen. Ihr Interesse zielt auf darauf, eine Verantwortung dinghaft zu machen, deren juristische Intention unüberhörbar ist. Der Ausdruck “Machtausübung” erhält seinen tieferen Sinn erst im Kontext der, wie sie sagt, “eigenen Bedrohung durch die Mächtigeren”. Die Balance ist hergestellt – und die Gesellschaft des Tretens und Getretenwerdens, die Gemeinschaft derer, die nach oben buckeln und nach unten austeilen, ist gestiftet. Nicht typisch weiblich, sondern typisch deutsch könnte man sagen – wenn nicht der Versuch, gerade ersteres zu identifizieren, auf die Verteidigungsstrategie hinausliefe, der sich Eichmann in Jerusalem befleißigt hat: nämlich Befehlsnotstand. Und zum Schluß des Zitates sagt Kappeler: “[Die KZ-Wächterin] trägt Verantwortung für ihre Tat in dem Maße, wie sie Macht ausübt, wenngleich sie nicht verantwortlich ist für ein System, in dem sie selber untergeordnet ist.”
Wer oder was jedoch ist “das System”? Kann man für ein System “verantwortlich” sein? Der Logik des Befehlsnotstandes folgend, herrscht die Freiheit und Souveränität zu bestimmen, wie und wozu die Macht eingesetzt wird, nur ganz oben an der Spitze des pyramidalen Aufbaus der Kommandoverhältnisse. Der Führer ist schuld, denn nach Maßgabe des juristischen Gesellschaftsbegriffes, den Kappeler schon einführte, handelt nur er aus freien Stücken. Wäre sie als Frau nur dann verantwortlich, wenn der Führer eine Führerin gewesen wäre?
Anders gefragt: Ist die feministische Diskussion über die Verantwortung der Frauen am Nationalsozialismus nicht vielleicht nur die “typisch weibliche” Methode, eben diese Verantwortung zu verkleinern, zu relativieren und schließlich zu verdrängen?
Zwar scheint der Weg, den die Debatte in den letzten Jahren genommen hat, diese Behauptung Lügen zu strafen, denn schließlich gilt die Position, Frauen als Frauen seien Opfer, vielleicht sogar die Opfer gewesen nach den heftigen Kritiken, die in erster Linie Dorothea Schmidt (1987), Karin Windaus-Walser (1990), Gudrun Brockhaus (1990), und Lerke Gravenhorst (1990) in die Debatte um die Frauen und den NS eingebracht haben – zumindest in bestimmten Kreisen – als überholt. In ihren Einsprüchen gegen das Bedürfnis, die Frauen zu entschulden, sie als Opfer mit den Juden gleichzusetzen, haben gerade G. Brockhaus und K. Windaus-Walser der Patriarchatsthese widersprochen. Ich werde ihnen bei meiner Kritik dieses Theorems folgen, beziehe diese Kritik allerdings auf die Abstraktion, die der bürgerliche Staat im allgemeinen und insbesondere in seiner faschistischen Gestalt an der Menschheit – und damit auch an den Frauen – vollzieht: Sind die Frauen wirklich das Andere oder das Äußere des NS, das der feministische Standpunkt unterstellen muß? Oder ist es nicht vielmehr der Faschismus selbst, der sich zu den Frauen nicht, wie es sich für einen ordentlichen und d.h. bürgerlichen Staat gehört, als bürgerlichen Subjekten, sondern eben als Frauen verhält? Ist es der faschistische Staat, der das “typisch Weibliche” aus den Frauen herausholt? Und was ist in und an den Frauen als bürgerlichen Subjekten, das sie auf die geschlechtlichen Masken dieses faschistischen Staates derart hereinfallen ließ, daß sie anfingen, nicht nur Frauen zu sein, wofür sie nichts konnten, sondern überdies auch Frauen sein wollten – und heute das gleiche tun?
Die Frage nach dem Verhältnis der Frauen zum Nat ionalsozialismus bündelt nicht nur die zentralen Ideologeme des politischen, des emanzipatorischen Feminismus, sondern sie reflektiert zugleich unser kollektives und gewissermaßen bundesrepublikanisches Erbe an den Resultaten der Barbarei. In dieser doppelten Stellung erkennt der Feminismus einerseits eine falsche Kontinuität, und er verkennt andererseits einen wirklichen Bruch. Man könnte sagen, daß der Feminismus das Ereignis von Auschwitz übersieht und ignoriert, um seinen falschen Gegner – das Patriarchat – weiterhin und mit gutem Gewissen bekämpfen zu können. Und selbst da, wo er den Auftrag erhält, “Auschwitz als das existentielle Ergebnis der NS-Geschichte zu begreifen”, wird die Frage der Massenvernichtung doch von der Frage der Frauen separiert und nur folgende Alternative als Forschungsprojekt benannt: “Sollen unter moralischen Gesichtspunkten die Bezugswelten für eine feministische Analyse definiert werden als 'das NS-deutsche Patriarchat' oder 'das patriarchale NS-Deutschland'?” (Gravenhorst 1990, S. 31) Und gerade in der Separierung liegt, was ich im folgenden zeigen möchte, das Scheitern des Feminismus begründet.
II.
Beginnen wir noch einmal bei Susanne Kappeler: “[Die KZ-Wächterin] trägt Verantwortung für ihre Tat in dem Maße, wie sie Macht ausübt, wenngleich sie nicht verantwortlich ist für ein System, in dem sie selber untergeordnet ist.”
Hier spricht ein Bewußtsein, wie es Claude Lanzmann in seinem Film “Shoah” an den kleinen Leuten gezeigt hat, an den Eisenbahnern, den Nachbarn der Deportierten, den Helfershelfern und den Rädchen im Getriebe. Der Gedanke ist klar: die Bilanz umfaßt Licht- und Schattenseiten, Soll und Haben, und sie umfaßt Faschismus und Weiblichkeit.
Susanne Kappelers Aussage bündelt den Punkt der maximalen Übereinstimmung von feministischer Wissenschaft, Politik und also Ideologie. Sie bildet sozusagen den “point of no return”. Denn hier haben wir die drei zentralen Theoreme der feministischen Diskussion: erstens die Frau als Unterdrückte und als Opfer, zweitens die Frau als Täterin und/oder Mittäterin und drittens das frauenverachtende Patriarchat. Indem Susanne Kappeler den Nationalsozialismus als patriarchales System definiert, bewegt sie sich im main-stream des feministischen Bewußtseins: Die feministische Theorie erblickt das Wesen des Nationalsozialismus in jener Trennung, die er zwischen Männern und Frauen zieht, in einer Spaltung der Menschheit und einer generellen Abwertung ihres weiblichen Teils, die wiederum auf den Grundwiderspruch von Patriarchat und Weiblichkeit zurückführt. Nichts anderes sei der Faschismus als der ultimate Exzeß des Patriarchats.
So heißt es beispielsweise – in dem weitverbreiteten und populären Frauenhandlexikon. Stichworte zur Selbstbestimmung der Frau: “Mit dem NS machte erstmals ein Regime die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung zum signifikanten Bestandteil seiner Macht- und Herrschaftssicherung. (...) Der NS war Eskalation und Pervertierung eines latenten Geschlechter- und Gesellschaftskonfliktes. Die intellektuelle Zurichtung der Frau und Unterwerfung unter männliche Autorität und Normen förderte deren Verinnerlichung – als Pseudoidentität (oder zweite Natur) (...) Mit der Polarisierung von Mann und Frau zu entgegengesetzten Geschlechtscharakteren (Verstand – Gefühl) wurde jegliche Abweichung von der Norm und Andersartigkeit zum Verhängnis. Auf den gemeinsten Nenner wurde die Frau als 'reine Natur' gebracht wie das Minderwertige auf die Stückzahl. Entmündigung und Verklärung der Frau zum zweiten Geschlecht setzen aber bis heute das Bündnis von Männern und Macht voraus” (Beyer 1983, S. 208).
Wie ist es eigentlich um das Verhältnis von Mann und Macht bestellt? Der Text flimmert und oszilliert zwischen den widersprüchlichsten Bestimmungen. Ist Macht gleich Autorität? Und entspricht ein Begriff wie Autorität, der deutlich an der Stellung des Vaters in der Familie abgelesen worden ist, dem Verhältnis des Staats zur Gesellschaft? Ist der Staat für die Gesellschaft, was der Vater für die klassische bürgerliche Familie darstellt? Oder ist die Spaltung in Mann und Frau selbst ein Resultat der Macht?
Der Feminismus kann sich nicht entscheiden, ob die “Polarisierung von Mann und Frau” aus der Politik einer an sich geschlechtsneutralen Macht resultiert, die die Männer privilegiert, oder ob diese “Polarisierung” selbst das Wesen der männlichen Macht ausdrückt. Handelt es sich dabei um ein historisches Akzidenz, d.h. um etwas Hinzukommendes oder um eine logische Koinzidenz? – Obwohl nicht recht einzusehen ist, warum die Männer überhaupt ein Bündnis mit ihrer eigenen Macht einzugehen brauchen, weiß das Frauenhandlexikon doch sehr genau, daß die Frauen nur das prädestinierte Opfer abgeben können. Ihr Verhältnis zur Macht ist eindeutig das der substantiellen Opposition und eigentlich das des tödlichen Antagonismus.
Das Nachdenken und Forschen der Frauen als Frauen über den Faschismus führt auf eine befremdliche Konsequenz. Man stelle sich nur vor, was eine Geschichte des NS aus homosexueller Perspektive dazu sagen würde – und vielleicht würde sie in die These münden, die männlich-weibliche deutsche Herrenrasse hätte in koordinierter Aktion nichts anderes im Sinn gehabt als die Vernichtung aller, die von der Norm abweichen, d.h. von homosexuellen Männern und Frauen. Haben sich die deutschen Frauen und Mütter ebenso mit dem Faschismus verschworen, um die weiblichen Homosexuellen auszurotten, wie die soldatischen Männer es taten, um ihre naturwidrigen Gattungskollegen zu beseitigen?
Diese Methode der Geschichtsschreibung mündet ihrer Tendenz nach darin, die Wahrheit des Faschismus exklusiv für jede der unzähligen Interessengruppen und Lobbys zu schreiben, aus denen eine bürgerlich-pluralistische Gesellschaft besteht.
Aber das Forschen und Nachdenken der Frauen als Frauen über den Faschismus führt nicht nur auf diese beschriebene befremdliche Konsequenz, sondern sie offenbart eine systematische Defizienz. War der Nationalsozialismus wirklich der Kampf der Männer als Männer gegen die Frauen als Frauen? Wenn das stimmt, dann hätten die Nazis sich umstandslos mit den männlichen Juden verbünden können, um gemeinsam gegen deutsche und jüdische Frauen vorzugehen. Daß sie es nicht getan haben, das kann der Feminismus nicht einfach nur nicht erklären – er muß es vielsagend beschweigen. So kehrt der Antisemitismus, der als Kategorie wie als Praxis der bürgerlichen Gesellschaft quer zum feministischen Denken liegt, im Feminismus als die Weigerung wieder, sich die männlichen jüdischen Toten zum Problem werden zu lassen. Darin besteht der feministische Revisionismus in der Geschichtsschreibung, und es scheint, die ganze Diskussion sei weiter nichts als die weibliche Ausgabe des “Historikerstreits”.
In den Ansichten des Frauenhandlexikons liegt mehr als nur ein Denkfehler und vielmehr das Resultat einer Erkenntnisstrategie, die sich in den Fallen des Positivismus verfängt und so die Geschlechtscharaktere für bare Münze nimmt, die der bürgerliche Staat gerade in seiner faschistischen Gestalt als eine seiner Masken zur Schau stellt. Die Idee jedenfalls, der Faschismus sei der Krieg der Männer gegen die Frauen als Frauen und nicht der Vernichtungskrieg des wie auch immer hierarchisch strukturierten Deutschtums gegen die Juden und den Rest der Menschheit gewesen, bringt Annette Kuhn und Valentine Rothe darauf, in den Kommentaren ihrer für den Unterricht zusammengestellten Quellensammlung Frauen im deutschen Faschismus folgendes zu Papier zu bringen: “Die terroristische Komponente der faschistischen Politik traf in besonderer Weise die Frauen. Gerade das Haus und die Familie, die Domänen der Frauen, wurden von der terroristischen Politik des Regimes in besonders hohem Maße betroffen” (Kuhn/Rothe 1982, S. 138). Und an anderer Stelle schreiben sie: “Wird die NS-Frauenpolitik von der rassistisch-imperialistischen Zielsetzung des Systems und seinen dazu notwendigen terroristischen Mitteln her betrachtet, so lassen sich auf diesem Hintergrund die einzelnen Aspekte dieser NS-Frauenpolitik als Teil der gesamten NS-Politik verfolgen. In diesem Gesamtzusammenhang hatte die NS-Frauenpolitik die totale Funktionalisierung der Frauen zum Ziel, eine Funktionalisierung, die im Sinne eines NS-Herrenstaates entweder die Domestizierung, die völlige Ausbeutung oder die Vernichtung der Frauen der verschiedenen Klassen und Rassen zur Folge haben sollte” (Kuhn/Rothe 1982, S. 86).
Wie schade, daß Eva Braun das nicht mehr lesen kann, wie schade auch für Karin Göring und die anderen begeisterten Frauen von Nationalsozialisten, die sich als Frauen dem Faschismus zur freien Verfügung stellten! Oder haben sie sich über den Charakter des Faschismus deshalb von den Männern täuschen lassen, weil er das Haus und die Familie als die “Domäne der jüdischen Frau” zerstörte und damit vorgab, eine emanzipatorische Politik zu verfolgen? Zugegeben – das sind zynische Fragen. Aber sie liegen in der Logik dieses feministischen Denkens. Sie werden nicht deshalb nicht bemerkt, weil man sich irgendwie schämt, sondern weil man sie in der feministischen Familie doch für irgendwie diskussionswürdig hält.
III.
Die Vorstellung vom “patriarchalen NS-Herrenstaat”, die unter den Feministen und Feministinnen nach wie vor verbreitet ist, hat die Meinung, die Frauen als Frauen seien Opfer gewesen, unmittelbar zur Folge. Es herrscht ein unheimliches Bedürfnis, die Frauen als Frauen zu entlasten, sie im nachhinein um ihre Tat zu bringen, weil sie – wie Renate Wiggershaus meint – doch nur als “fremdbestimmte, willenlose Objekte funktionieren konnten” (Wiggershaus 1987, S. 363). Diese Form feministischer Entsorgung der Vergangenheit arbeitet – wie Karin Windaus-Walser festgestellt hat – damit, daß nicht die Frauen, ihre materiellen Motive und politischen Strategien zum Gegenstand der Untersuchung gemacht werden, sondern daß sie sich vielmehr am Frauenbild des NS und seiner Frauenpolitik abarbeitet. Weil die Frau als bürgerliches Subjekt nicht vorkommen darf und weil sie unmittelbar als Frau genommen werden muß, verfällt diese Untersuchung keinesfalls in Ideologiekritik und betreibt vielmehr eine alternative Ideengeschichte, von der unterstellt wird, sie spiegele das eigentliche und handlungsleitende Denken des Staates und/oder der Faschisten treulich wider. Daraus erwächst – als Erkenntnisstrategie betrachtet – die Möglichkeit, selbst überzeugte Nationalsozialistinnen zu Opfern zu stilisieren, d.h. die Frauen um ihren eigenen historischen Faschismus zu betrügen und derart ihre Verantwortlichkeit nur nach Maßgabe ihrer “Vergewaltigung” bzw. Vermännlichung zuzugeben. Die faschistische Frau wird zur Marionette der Nationalsozialisten. Eine “Aufsichtsmaschine” oder “Gebärmaschine”, zu der die Frauen nach Renate Wiggershaus (1987, S. 365) degradiert wurden, braucht sich über ihre eigenen Impulse, Beweggründe und Interessen keine Gedanken mehr zu machen. Die faschistische Frau ist ein Knopfdruckwesen, ein Instrument, deren Motor außerhalb ihrer selbst liegt. Und dieser Motor, der die Frauen bewegt, ist ein “männerbündischer” Zusammenhang, der eben einen “Männerstaat” hervorgebracht hat, wie Margret Lück ihr Buch über den NS betitelt hat (Lück 1979). In dieser Perspektive wird selbst das bescheidene Stückchen Eigen-Verantwortlichkeit, das Susanne Kappeler der KZ-Wächterin immerhin zusprach, ohne weiteres zurückgenommen. Und Rita Thalmann schreibt: “Ob als Zuschauerin, als Opfer oder Henker, fast immer haben sie nämlich ihren Platz innerhalb oder am Rande des Schicksals der Männer. Auf der Seite der Henker, ob sadistisch oder nicht, sind sie nur Ausführende” (Thalmann 1984, S. 228). Man könnte – zugegebenermaßen zynisch – auf die Idee kommen, in dem Wörtchen “nur” schwinge ein Bedauern mit und damit das Gefühl, diskriminiert und unterprivilegiert, d.h. vom Faschismus um den Status des bürgerlichen Subjekts, und das heißt in diesem Fall auch des verantwortlich mordenden Subjekts betrogen worden zu sein.
IV.
Die Theorie vom “patriarchalen NS-Männerstaat” hat eine harte und eine weiche Variante. Die harte Variante definiert das Patriarchat als die absolute Herrschaft der Männer als Männer. Ihnen soll es gelungen sein, die Rasse der Frauen zu willenlosen, willfährigen und dumpfen Objekten zu formen, d.h. ein urwüchsig selbstbewußtes Geschlecht in Weibchen zu transformieren. Geschichte und Gesellschaft sind ein universaler Verschwörungszusammenhang. Die Macht der Männer ist es, die seit der chauvinistischen Machtergreifung von Adam Hitler die Gattungsgeschichte bestimmt – und der Nationalsozialismus ist bloß eine besonders böse Ausgabe dieses fundamentalen, aber sich gleichwohl immer wieder anders darstellenden gesellschaftlich basalen Tatbestandes.
Gesellschaft soll, der harten Theorievariante zufolge, ein geschlechtliches Subsumtionsverhältnis sein. Die Diktatur der Männer über die Menschheit ist es, was die Welt im Innersten zusammenhält. Die Reproduktion der Gattung hat mit Herrschaft und Ausbeutung nur am Rande zu tun, der männliche Wille zur Macht ist die ebenso usurpatorische wie monopolistische Vermittlung der Gesellschaft. Das ist alles. Und so hat der männliche Herrschaftswahn in seiner größenwahnsinnigen Übersteigerung schließlich Imperialismus und Faschismus, hat den nationalsozialistischen Rassismus und Antisemitismus hervorgebracht. So ist die Geschichte die Selbstentfaltung des Männlichen schlechthin.
Rita Thalmann zum Beispiel ist der Meinung, die bloße Auflistung all dessen, was Goebbels, Rosenberg, Hitler über die Aufgaben und die Rolle der deutschen Frau in der Volksgemeinschaft gedacht und gesagt haben, ergebe schon den Begriff einer NS-Frauenpolitik, die alle Frauen als Frauen unterschiedslos gleichzuschalten und dem Nazi-Patriarchat unterzuordnen beschlossen habe: “Bei den meisten Frauen gingen Anpassung und mangelnde Ausbildung so weit, daß diese – immerhin 51,4% der deutschen Bevölkerung – ebenso wie die jüdische Minderheit resignierten, als Joseph Goebbels ihren Ausschluß aus dem öffentlichen Leben verkündete” (Thalmann 1984, S. 81).
Ich werde auf das Phänomen, Frauen und Juden gleichermaßen als Opfer des Nationalsozialismus zu setzen, noch gesondert zurückkommen. Zunächst soll der merkwürdige Umstand bedacht werden, der es macht, daß die Frauen, die mit “immerhin 51,4%” die Mehrheit darstellen, sich von einer kleinen maskulinen Minderheit von 48,6% tyrannisieren lassen. Denn Rita Thalmann konstruiert ein Universalobjekt Frau, das zur Resignation und zur Anpassung an faschistische, sprich männliche Standards gezwungen werden mußte. Und wie kommt es, daß die Frauen als Frauen in dieser ihrer geschlechtlichen Unmittelbarkeit unter den Stiefel gezwungen werden konnten, wo sie doch in ihrer Eigenschaft als gleichberechtigte bürgerliche Subjekte und mit der friedlichen Waffe des allgemeinen Wahlrechts sich auf ihre objektiven Interessen, d.h. den Antifaschismus hätten verständigen können? Es muß etwas an den Frauen sein, daß sie daran hindert, Frauen zu sein. Wenn die Frauen aber gar nicht so weiblich sind, wie es Feminismus und Faschismus unisono behaupten, wenn sie gar, obwohl wesentlich weiblich, doch phänomenal profaschistisch waren, dann muß die Spaltung der Frau erklärt werden. Und nicht anders kann diese Erklärung im Rahmen der durchaus idealistischen Theorie der Geschichte als Selbstentfaltung des Mannes zu seiner eigenen Begrifflichkeit und Wirklichkeit gegeben werden, als mit der Idee von ursprünglichem Verrat, Abfall und Erbsünde.
Der Faschismus der Frauen ist den Frauen, die als Frauen denken und forschen, ein böses Wunder. Aber immerhin hat Rita Thalmann mit ihrer These von der ohnmächtigen 51,4%-Mehrheit schon die Überlegungen vorweggenommen, die Christina Thürmer-Rohr dann in den Achtzigern zur Theorie der Mittäterschaft ausgearbeitet hat. Auch Thürmer-Rohr ist der Ansicht, die Welt sei “von Männern gemacht” und die “mörderische Normalität”, in der die Frauen leben müssen, sei vom Mann als “gegenwärtigem und historischem Täter” bestimmt. Der Grund, der es historisch notwendig macht, daß die Frauen ihre Mittäterschaft aufkündigen, liegt in dem “todkranken Erbe”, mit dem der “atomare Sprengstoff” die Erde belastet und der die Welt in ein “ausfluchtloses Konzentrationslager” (Thürmer-Rohr 1987, S. 44) verwandeln wird. Auschwitz ist Zukunft. Obwohl der Begriff der Mittäterschaft in der westdeutschen Diskussion um den Nationalsozialismus entwickelt wurde, entledigt sich Thürmer-Rohr dieses Kontextes, indem sie die “ausfluchtlosen Konzentrationslager” als apokalyptisches Zukunftsszenario ausgibt, zu dem einem nur noch das Ozonloch und das FCKW, Tschernobyl und Seweso einfallen – aber nicht die Zeit vor dem 6. August 1945. Der Feminismus mißbraucht die Bombe, um seine Gleichsetzung von Vernunft und Vernichtung zu illustrieren.
Die Theorie allerdings, die Frauen hätten in der Geschichte nur opportunistisch und immer nur aus Anpassungsdruck gehandelt, mag zwar beschämend genug sein und Grund zu allerhand Selbstkritik bieten, aber – und darin besteht ihre Verdrängungsleistung – sie wehrt immerhin den noch viel härteren Verdacht ab, die deutsche Frau und Mutter hätte im Verein mit ihrem soldatischen Gatten und Sohn den Faschismus nicht nur toleriert und geduldet, sondern vielmehr gewollt, betrieben, unterstützt und durchgeführt.
Denn wenn die Frauen – wie in der Mittäterschaft endlich eingestanden – zumindest korrumpierbare Opfer sind, dann muß es in ihnen selbst etwas geben, das die objektive Möglichkeit ihrer Korruption erklärt. Hat also das Weibliche eine heimliche und innige Neigung zum Faschismus? Ist die Frau als Frau objektiv und aus Gründen ihrer Natur weniger zum Faschismus prädestiniert wie der Mann als Mann? Und kann das Grund genug sein, die Frauen zu “Opfern” oder zu bloßen Komplizinnen einer Tat zu heiligen, die andere anstifteten – nur weil sie ihre Neigung zum Faschismus aus historischen Gründen nicht im gleichen Maße ausleben konnten wie die Männer? Kann ein historischer Umstand eine Abteilung der Gattung Mensch an sich freisprechen? Es sind Fragen von dieser Art, die die Theorie der Mittäterschaft zu verdrängen erlaubt. Und es sind Fragen, die sich immer dann stellen, wenn Frauen versuchen, sich als Frauen zu denken. Das Wesen ist gut, es mag sich korrumpieren lassen, aber im Prinzip... Was aber, wenn das Weibliche gar kein Wesen ist, sondern ideologischer Schein? Dann wäre es aus mit dem feministischen Privileg, vom Faschismusverdacht wegen verminderter Zurechnungsfähigkeit ganz freigesprochen oder zumindest mit Bewährung verurteilt zu werden. Darum muß der Feminismus immer wieder – und diesmal in den Worten von Gisela Dischner – darauf schwören, daß “sich der gegen die patriarchalischen Normen verstoßende Feminismus auf allen Ebenen nicht mit dem Faschismus verträgt” (Dischner 1982, S. 19). Feminismus, d.h. das unkorrumpiert erscheinende Wesen der Frau, ist so nur ein anderes Wort für Antifaschismus.
Das feministische Denken produziert eine gespaltene, dualistische und manichäische Wirklichkeit, die in Richtung Schizophrenie tendiert. Auf der einen Seite haben wir das Patriarchat – auf der anderen Seite die Natur der Frau. Die Wirklichkeit wird in zwei verschiedenen Ausgaben geliefert, und es scheint, als hätte sie nicht nur, wie Ilse Bindseil sagt, “ein zweites Gesicht” (Bindseil 1984), sondern als hätte sie in ihrer zweiten, für die Frauen bestimmten Version mit sich selbst nichts mehr zu tun. Dazwischen ist nichts, keine Vermittlung, und innerhalb der Gattung tut sich ein Graben auf, den man nur verstehen kann, wenn man die Männer und die Frauen als Rassen sui generis definiert. Die Vergeschlechtlichung der Analyse führt zur Rassifizierung der Geschichte gerade dort, wo sie historisch mit Rassismus und Antisemitismus konfrontiert ist.
V.
Während die harte Variante der Theorie vom “patriarchalen NS-Männerstaat” die Geschichte, wie gezeigt, zum Kampfboden antagonistischer Prinzipien erklärt, bemüht sich ihre weiche Version, die historische Dialektik zumindest zu simulieren, d.h. sich dem Vermittlungsproblem irgendwie zu stellen.
So erscheint die Weiblichkeit der Frauen nun nicht mehr als Voraussetzung, sondern als Produkt und Möglichkeit der Geschichte. Man hofft, die theoretische Aporie zu entschärfen, indem man das unlösbare Problem des Abfalls vom Ursprung zur Frage der Eroberung der Utopie umdefiniert. Nicht mehr haben sich die Frauen von ihrem Wesen durch böse Wunder entfremden lassen, sondern sie haben dies Wesen in Zukunft sich erst noch zu erobern. Die Weiblichkeit gibt es bestenfalls und frei nach Ernst Bloch als “Vorschein der Geschichte”. Sie entsteht, so wird gesagt, aus einer Art List der Vernunft, die – Abfall der Männergeschichte – durch den systematischen Ausschluß sinnlicher Qualitäten und ihrer Projektion auf die Frau, das Weibliche wider Willen produziert. Die Frauen, abgedrängt ins Reservat der Ungleichheit, entwickeln ihre spezifisch weibliche Identität nicht allein im einfachen Gegensatz, sondern im transzendierenden Widerspruch zur Männerherrschaft.
Welchen Stellenwert hat nun der Nationalsozialismus in dieser Dialektik der Weiblichkeit? Während die Opferthese den NS als die radikale Negation der Frau als Frau auffaßt, sieht die geschmeidigere These der Mittäterinnenschaft eine Negation der Negation am Werk. Und wo die Opferthese den Ausschluß bis an sein Extrem – den Tod – vorangetrieben sieht, da gewährt ihr weiches Pendant eine durch eben diesen Ausschluß produzierte äußerste Intensivierung und Konzentration des Weiblichen in den Frauen. So schreiben Annette Kuhn und Valentine Rothe: “Gerade in den Extremsituationen des nationalsozialistischen Terrorregimes, als traditionelle Rollenvorstellungen versagten, werden nachfaschistische und nachpatriarchalische Normen sichtbar” (Kuhn/Rothe 1982, S. 14). Die Nazis haben es einfach übertrieben und erfuhren die prompte Rache durchs unterdrückte Gegenteil.
Aber diese – erkenntnistheoretisch betrachtet – elegante Dynamisierung der feministischen Theorie – drückt sich um die Kritik gerade der als männlich wie weiblich mißverstandenen bürgerlichen Sekundärtugenden. Denn waren es nicht gerade, wie Claudia Koonz (Koonz 1991) gezeigt hat, die traditionellen Geschlechtscharaktere, die es den Individuen erlaubten, sich für “Extremsituationen” zu ertüchtigen und ihre Gewissensbisse im Befehlsnotstand zu bewältigen – so sie denn welche hatten? Und waren es nicht gerade die Frauen, die Arierstolz, Demut und weibliches Selbstbewußtsein erschreckend gut miteinander zur deutschen Identität zu verknüpfen wußten, die Frauen also, die als Mütter und Kameradinnen ihren militanten Männern das seelische Futter gaben, an dem sie an der Front und im Lager zehren konnten? Wie lobend spricht doch Rudolf Höß von seinem Heimchen, das ihm nach langem Vernichtungstag Kraft, Stärke und Liebe spendete, und zwar unbezahlt! Hatten nicht die Männer, die in Nürnberg zum gerechten Tod verurteilt wurden, ganz normale Frauchen, die sich aller Kniffe weiblichen Verhaltens zu bedienen wußten – Frauen wie die des Generalgouverneurs von Polen, Frank, die gerne den Krakauer Judenmarkt besuchten und den Preis fürs weibliche Accessoire mit Todesdrohungen herunterzuhandeln wußten, Frauen wie Karin Göring, die sich mit Kind und Gatte vergiftete – aus Angst vor Deutschlands Niederlage? Das “typisch Weibliche”, wie es der Faschismus in den Frauen zum Vorschein brachte, war auch das Schmiermittel zur Banalität des Bösen.
Die Qualitäten, die das Patriarchat im Ausschluß der Frauen an ihnen produzierte, steigerten sich im Faschismus nicht zum Widerspruch, sondern sie wurden zum Moment der Reproduktion der Volksgemeinscha ft als eines Mordkollektivs.
Was also wollen Annette Kuhn und Valentine Rothe sagen, wenn sie vom Zusammenbruch der Geschlechterpolarisierung sprechen? Bestimmt würden sie nicht die Tatsache leugnen wollen, daß das, was in den Konzentrations- und Vernichtungslagern geschah, eine der “Extremsituationen des nationalsozialistischen Terrorregimes” darstellte. Und gehört dann nicht das Eindringen der Frauen in typische Männerberufe und die durchaus gelungene Gleichstellung als Aufseherinnen und KZ-Wärterinnen nicht – im Kontext des Endes der Polarität betrachtet – zur geheimen Emanzipationsgeschichte der Frauen, die es anzueignen gilt? Eine zynische Konsequenz, die die Autorinnen wortlos suggerieren.
Aber vielleicht meinen Annette Kuhn und Valentine Rothe auch noch etwas anderes und noch mehr? Vielleicht denken sie ja, daß die Kameradinnen an der Heimatfront, daß die Generation der Flakhelferinnen dadurch, daß sie durch die massenhafte Abwesenheit der Männer gezwungen waren, das gesellschaftliche Getriebe – wenn auch unter fachkundiger Aufsicht und Leitung, so doch mehr oder weniger alleine – am Laufen zu halten, gelernt habe, daß es auch ohne Nazis geht? Zur Dialektik des feministischen Vorscheins gehörte dann, daß Frauen, die das Patriarchat ganz ohne Männer am Leben halten können, Selbstbewußtsein genug erwerben, um endlich autonom zu werden. Weil sie also – dieser Logik zufolge – die Heimatfront besser gehalten haben als ihre Großmütter am Ende des Ersten Weltkrieges, weil sie in der Lage waren, ihre Kinder ganz alleine zu erziehen, weil sie schließlich als Trümmerfrauen sich als kompetent genug erwiesen, den Dreck ordentlich aufzuräumen, den die Männer hinterlassen hatten, weil die unfähig waren, den patriarchalischen Krieg wenigstens siegreich zu beenden – weil sie also, dieser Logik zufolge, vom Patriarchat so entlassen wurden, darum kam zum Vorschein, wie die Frauen als Frauen sind.
Diese Frauen scheinen es zu sein, die die “nachfaschistischen und nachpatriarchalischen Normen” nach Kuhn/Rothe erfüllen. Es sind wohl diese Frauen, die – in den Worten von Gerda Szepansky – auch unter der neuen Herrschaft der Männer und das heißt in der BRD “politisch aktiv engagiert blieben, ihre Erfahrungen und Erkenntnisse an die Generationen der Töchter und Enkelinnen weiter gaben, zu Vorkämpferinnen der heutigen Frauenbewegung wurden, vor allem der Frauenfriedensbewegung, und ein progressives Frauenbild bestimmten” (Szepansky 1986, S. 18). Diese Generation stellte – abermals Szepansky – die “besten aller Frauen”.
Die erste fachdidaktische Lernzielebene, die Kuhn/Rothe angeben, nämlich die “Geschichte der Frauen als Identifikationsbasis in den Mittelpunkt” (Kuhn/Rothe 1982, S. 14) zu stellen, findet so in der wahnwitzigen Idee sein Pendant, die “soziale Empfindlichkeit, die den Frauen durch Erziehung vermittelt wurde”, habe sie “oft in einen gefühlsmäßigen Widerspruch zur Unmenschlichkeit der Naziherrschaft” gebracht (Szepansky 1986, S. 15).
Es muß dies allerdings ein Widerspruch jener Art sein, den die patriarchalischen Helfershelfer des NS nach der Kapitulation mit der Rede von der “inneren Emigration” meinten – Befehlsnotstand eben. Ein Widerspruch von jener Statur, den Goebbels meinte, als er sagte, die SS sei trotz allen Elends, das sie mit habe ansehen müssen, “menschlich anständig und integer” geblieben. Es war nicht alles schlecht in den zwölf Jahren des Tausendjährigen Reiches, wenn man nicht immer wie gebannt auf die Schattenseiten starrt. Und man kann sich ein Vorbild daran nehmen, so, wie es zum Beispiel die Frauenforscherin Sigrid Metz-Göckel tut, wenn sie schreibt: “Die Kriegserfahrungen und die damit verbundenen sozialen Erschütterungen in der Nachkriegszeit haben zumindest einige Jahre lang ein mutiges, starkes, erfindungsreiches Frauenleben geprägt [...] Im kollektiven Unbewußten der damals aktiven Frauengeneration und ihrer Töchter ist die Erfahrung eines selbständigen, Not und Gefahren meisternden Frauenlebens, ja das Modell einer Frauennotgemeinschaft gespeichert” (Metz-Göckel 1987, S. 39).
VI.
Die Frage ist vielmehr die, woher es kommt, daß der Feminismus sich verdächtig fleißig für die Details der internen Hierarchie der Volksgemeinschaft interessiert und dabei den Fakt, daß diese intern stark differenzierte faschistische Gesellschaft bis zum letzten Kriegstag monolithisch geschlossen ihre wirklichen und imaginierten Feinde bis aufs Messer bekämpfte, souverän ignoriert. Oder, anders gesagt: die Frage ist die, warum die erkenntnistheoretische Aporie des Feminismus diesen dazu führt, den Antisemitismus und die Vernichtung der europäischen Juden nicht denken zu können.
Denn der Antisemitismus steht – wie der Nationalsozialismus insgesamt – quer zur Theorie vom Patriarchat. Weil die Theorie ihn nur um den Preis ihrer Selbstaufgabe und ihres Selbstdementis als Ideologie und geistigen Lobbyismus erklären könnte, muß sie ihn rationalisieren und bis zur heimlichen Apologie verdrängen. Dieser Tatbestand ist es, der, wie noch am Falle der feministischen Historikerin Gisela Bock genauer zu diskutieren sein wird, die Vergeschlechtlichung der Analyse als theoretischen Ausdruck der Emanzipation der Frauen zur Teilhabe an der bürgerlichen Subjektivität durchschaubar macht. Indem die Frauen als Frauen denken, denken sie sich als Bürger und damit als Volksgenossen.
Seit den frühesten Zeiten einer eigenständigen Artikulation der Frauen als Frauen – seit Mary Wollstonecraft und Olympe de Gouges – haben sie am Problem von Gleichheit und Differenz zu knabbern und, dadurch vermittelt, am Problem des historischen und funktionalen Status der überwältigenden Dominanz von Männern an den Hebeln von Ökonomie, Kultur und Politik. Die Produktivierung der Gesellschaft und die bürgerlichen Revolutionen, die dem Kapital zum Sieg verhalfen, wurden von Männern angeführt – aber wie verhält sich diese historische, bis heute nach- und fortwirkende Tatsache zum systematischen Status der neuen Produktionsweise? Ist das Geld männlich? Ist das Kapital männlich, obwohl es seine Neutralität schon im Titel führt? Und seit dieser Zeit wurden Frauen, die nichts anderes wollten als Bürgerinnen zu werden, entweder geköpft – wie Olympe de Gouges – oder diskriminiert. Die bürgerliche Revolution, die mit dem Anspruch auf Gleichheit, Allgemeinheit und Universalität auftrat, wollte sie doch für die Frauen nicht gelten lassen.
Die Frauen wurden in eine objektiv dilemmatische Position gedrängt – sie wurden wegen ihres Geschlechtscharakters über den grünen Klee gelobt und angehimmelt, und sie wurden im gleichen Augenblick eben dieser Qualitäten wegen aus der bürgerlichen Gesellschaft ausgeschlossen und aufs “Private” verwiesen, das selbst wieder eine öffentliche Funktion war. Daß ihr “Privates” selbst Teil der Reproduktion des Ganzen ist, darauf pochen sie bis heute und fordern z.B. “Lohn für Hausarbeit”. Aber sie können mit dem Widerspruch nicht zurechtkommen, daß das gesellschaftlich Notwendige noch keineswegs das öffentlich Anerkannte darstellt, und ebenso wenig mit dem Widerspruch, daß der ihnen zugeschriebene Geschlechtscharakter nur die subjektive Aneignungsform und Rationalisierung ihrer Lage war und keineswegs von Natur. So fingen die Frauen an, als Frauen zu denken, d.h. zu rationalisieren. Das lag im Zug der Zeit, und auch die Arbeiter dachten sich als Arbeiter und verfielen so auf die Idee der “Anerkennung des Werts der einfachen Arbeit” statt die Abschaffung der Lohnarbeit vorzubereiten.
Indem sich die Frauen als Frauen denken, verfehlen sie die Erkenntnis ihres Dilemmas und verstehen es doch zugleich. Sie verfehlen es, indem sie dem Mann das Kapitalprinzip als sein Wesen zuschreiben, und sie verstehen es, indem sie die Kapitalfunktion, die bis zur Gründung einer feministischen Bank in New York vor einigen Jahren ausschließlich von Männer repräsentiert wurde, in ihrer emp irischen Unmittelbarkeit nehmen. Indem sie für ihre Rechte als Frauen und gegen die Männer eintreten, organisieren sie ihre eigene Kapitalisierung und bereiten die Vollendung der Geschlechtsneutralität des Kapitals vor.
Und indem sich die Frauen nun derart als Frauen verstehen wollen, bringen sie sich langsam, aber mit Methode um die Vernunft. Der Faschismus bringt historisch an den Tag, was in der erkenntnistheoretischen Aporie logisch beschlossen ist. Im gleichen Augenblick, in dem sich der bürgerliche Staat nicht mehr als Staat der Bürger aufführt, sondern seine weibliche Geschlechtsmaske heraushängt und Mutterkreuze verteilt, wissen sie nicht mehr, ob sie sich nun in ihrem Wesen anerkannt oder in ihrem Schein verachtet fühlen sollen. Ihre Gleichheit mit den Männern wird hergestellt – aber nicht unter den Auspizien des bürgerlichen Rechtsstaates, sondern unter Regie des Rasseamts. Der Maßstab der Vergleichung ändert sich zwar radikal, aber die Gleichheit tritt ein. So sehr sind die Frauen auf das Denken ihrer selbst in Wesen und Erscheinung hereingefallen und so fasziniert waren sie davon, sich ihre geschlechtliche Unmittelbarkeit als gesellschaftlichen Auftrag umzudeuten, daß sie die faschistische Definition dieser Unmittelbarkeit als Affirmation ihres Geschlechts verstehen müssen. Wen braucht es dann noch zu wundern, daß die bürgerlich-demokratischen Frauenverbände Arierinnenparagraphen erlassen und die Jüdinnen in dem Moment als undeutsch und lebensunwert ausschließen, in dem der Staat Männer und Frauen zum deutschen Volk vereinigt und die “artgemäße” Reproduktion der Gattung zur Haupt- und Staatsaktion erklärt?
War der Faschismus also nicht “frauenfeindlich”? Aber gewiß! Nur war er in demselben Maße “frauenfeindlich”, wie er auch “männerfeindlich” war, d.h. nur insoweit, als er dem politischen Projekt sich verpflichtete, das, “was deutsch ist”, d.h. die Kriterien der Zugehörigkeit zum Kollektiv – d.h. unbedingte Loyalität und absolute Kapitalproduktivität – in die Menschen hineinzuzwingen. Nicht “frauenfeindlich” ist der NS in genau dem Sinne gewesen, als es keinen prägnanten Zusammenhang zwischen der NS-Rassenideologie und einer spezifischen, die Männerfeindlichkeit qualitativ überschreitenden Frauenfeindlichkeit gibt. Es gab genug Nationalsozialistinnen der ersten Stunde, die sich das “Dritte Reich” als Abschaffung des Patriarchats dachten und dafür eintraten (vgl. Koonz 1991). Der Faschismus hat die Frau als Frau als funktional Gleiche und different Anerkannte auf den Begriff gebracht.
Aber sogar Christine Wittrock, die sich als eine der wenigen und folgenlos für diese Zusammenhänge interessiert hat, schreckt nicht davor zurück, das Frauenbild jener NS-Aktivistinnen, die eine größere Teilhabe der Frauen an der Machtausübung und quasi die Quotierung forderten, als – “durchaus fortschrittlich” zu kennzeichnen und dann zu sagen, es sei “nicht zu vergleichen mit dem patriarchalen Gedankengut, aus dem sich das Frauenbild der konservativen Mehrheit der bürgerlichen Frauenbewegung zusammensetzte” (Wittrock 1982, S. 188). Und auch Claudia Koonz, die gezeigt hat, daß es lange vor der Machtergreifung die verschiedensten Fraktionen von Nationalsozialistinnen mit je eigener Ideologie und Politik gab, die darum kämpften, das “zweite Geschlecht” ins “Dritte Reich” zu bringen, schlägt gelegentlich solche Töne an und muß sich die Frage gefallen lassen, ob der NS denn weniger patriarchal, also frauenfeindlich gewesen wäre, wenn es den Nazis nicht gelungen wäre, die Nationalsozialistinnen der ersten Stunde nach und nach zu verdrängen und durch gute Verwalterinnen zu ersetzen. Geschichtswissenschaftlicher Fleiß ist eben kein Gegengift gegen die Rationalisierungsleistungen der Ideologie; und die nackten Tatsachen verraten immer nur das, was man wissen will.
Frauen, die als Frauen denken, sind unfähig, die Gleichheit der Menschen anders zu denken denn als repressive Vergleichung. Indem sie die erst noch zu erkämpfende Gleichheit ohne Zwang nur in der Perspektive entweder der Vergleichung mit den bürgerlichen Männern oder der kollektiven Differenz zu antipatriarchalen Frauen zu denken vermögen, haben sie ihren eigenen potentiellen Faschismus immer schon bejaht. Nirgends scheint mir dies deutlicher zu werden, als in den Kampagnen, die sich gleichermaßen gegen “Sexismus, Patriarchat und Rassismus” wenden.
VII.
Gisela Bock hat sich in ihrer Studie über Zwangssterilisation im Nationalsozialismus programmatisch darauf verpflichtet, die Frauen als prädestinierte Opfer des NS zu analysieren und darzustellen. Zunächst geht sie ganz richtig davon aus, daß die nationalsozialistische Geschlechterpolitik mehr war als nur Mutterkult und Pronatalismus. Die NS-Bevölkerungspolitik wollte das Reich mit nützlichem Leben füllen. Zur Geburtenförderung gehört daher als logisches Pendant ein konsequenter Antinatalismus, d.h. der Versuch, sog. “unerwünschte” Geburten zu verhindern. Die Verhinderung des sog. “unwerten Lebens” war ein organischer Bestandteil der Aufzüchtung der Deutschen zur arischen Rasse. Und dem Mütterkult stand ein Vater- bzw. Männerkult zu Seite, wie nicht nur an den Monumentalstatuen eines Arnold Breker abzulesen ist.
Der ganze Komplex der NS-Rassenpolitik, angefangen von den Kopulations- und Heiratsordnungen des sog. “Blutschutzgesetzes” über die Nürnberger Gesetze bis hin zur Aktion T 4, der Ermordung der Geisteskranken in Grafeneck und Hadamar, ist ohne die Politik der selektiven Sterilisation nicht denkbar. Sie gehört zu Eugenik und Euthanasie, zu der mit wissenschaftlicher Akribie durchgeführten Spaltung der Menschheit und ihrer anschließenden Klassifizierung und Sortierung in nützliche, weniger nützliche und überflüssige, und damit zu vernichtende Esser. Die Sterilisation traf Männer und Frauen. Sie war ein wichtiger Bestandteil der Inventur, die der faschistische Staat an der für deutsch erklärten Bevölkerung vollzog, um sie einer gigantischen Musterung und Tauglichkeitsprüfung zu unterziehen. Diese Bevölkerungsinventur, die eine äußerst feine Differenzierung der für deutsch erklärten Bevölkerung impliziert, konnte nur auf der Basis einer ganz und gar undifferenzierten und fundamentalen Abgrenzung zu den Juden funktionieren. Ihr Fundament war die politische Unterscheidung zwischen deutschen Reichsbürgern und bloßen Staatsangehörigen, d.h. die Unterscheidung zwischen begeisterter Hingabe an den Staat und bloß formaler Anwesenheit auf seinem Territorium. Juristisch betrachtet handelt es sich dabei um eine ungeheure Radikalisierung der Kriterien der Mündigkeit, d.h. der Zugehörigkeit zum Kreis der Rechtssubjekte. Diese Zugehörigkeit zum Kollektiv wurde unter den permanenten Vorbehalt der Bewährung für den Staatszweck gestellt – der Zwang zum “Ariernachweis” verfolgte nicht nur genealogische Absichten, sondern war nur ein Mittel mehr, die Volksgenossen zu laufender Gewissensprüfung anzuhalten. Die Rassenpolitik hatte die Entrechtung und Vernichtung der zum “Anti-Volk” erklärten Juden zur unmittelbaren Voraussetzung wie direkten Konsequenz. Und es traf die Juden als Juden als einzelne, und es traf sie als Kollektiv. Es gibt keinen Zusammenhang weder zwischen dem Verhalten noch dem sog. “Erbgut” und schon gar nicht dem Geschlecht des einzelnen, aus dem sich sein Schicksal im “Dritten Reich” ableiten ließe. Und weil sich die Frauen als Frauen vom Faschismus geopfert sehen, darum müssen sie die Propaganda vom “lebensunwerten Leben” in ihrer biologistischen und naturalistischen Unmittelbarkeit wirklich ernstnehmen und tatsächlich glauben.
Wenn, wie es in einer rassenbiologischen Schrift von 1934 heißt, dem Staat “die Aufgabe des Züchters” zufällt, dann verhält er sich eben zum vorfindlichen Menschenmaterial in der Weise, daß er weiß, daß er alle Faktoren der Fortpflanzung in den Griff zu kriegen hat. Der Irrtum des Feminismus besteht darin, dem faschistischen Staat die Propaganda abzunehmen, er wolle wirklich den genetisch optimalen Volksgenossen züchten, während es ihm doch um die absolut staatsloyale wie bedingungslos kapitalproduktiven Deutschen geht. Weil Gisela Bock den Zweck der Bevölkerungspolitik des NS verkennt, mißt sie der Unfruchtbarmachung von Frauen eine besonders böswillige Absicht zu, nämlich die bewußte Zerstörung der weiblichen Identität: “Die weibliche Erfahrung von Sterilisationspolitik”, schreibt sie, “war eine andere als die männliche. Sie traf Frauen und Männer unterschiedlich, und sie traf Frauen in mancher Hinsicht existentieller und härter als Männer” (Bock 1986, S. 371). Der Grund dieser besonderen Betroffenheit liege darin, daß “Frauen als Frauen von den sozialen Folgen der Sterilisation (Kinderlosigkeit, Ehelosigkeit, Sexualität, Operation) weitaus stärker als Männer” (Bock 1986, S. 435) tangiert worden seien.
Von der Geschmacklosigkeit des Vergleichens an sich ganz abgesehen ist sie der Ideologie aufgesessen, wonach das Kinderkriegenkönnen für die Identität der Männer weniger wichtig sei als für das Selbstbewußtsein der Frauen. Aus Bocks These spricht das dringende Bedürfnis nach einer säuberlichen Hierarchisierung der Opfer – selbst um den Preis der Propaganda für frauenfeindliche und männerfeindliche Platitüden.
So kommt Bock zu der Definition, die “nationalsozialistische Frauenpolitik in Gestalt des Antinatalismus” sei ein “konstitutives Element des 'Rassenkampfes' – Massenmord gerade auch an Frauen” (Bock 1988, S. 390). Das Gleichheitszeichen, das sie damit zwischen der sexistischen Politik der Arier- und Arierinnenzucht und der rassistischen und antisemitischen Aussonderungs- und Vernichtungspolitik setzt, hat nur den einen Sinn, die deutschen Frauen en bloc mit den Juden zu identifizieren und als Opfer auf ein und dieselbe Ebene zu stellen. – “Die Selbstglorifizierung der 'Wertvollen' im hygienischen wie im anthropologischen Rassismus erwies sich als das, was schon immer ihren Kern ausgemacht hatte: Verachtung, Diskriminierung, Vernichtung der 'fremden' Rassen und des 'anderen' Geschlechts.” Und weiter sagt sie: “Innerhalb der zwölfjährigen Eskalation des nationalsozialistischen Rassismus waren Sterilisationspolitik und Mordpolitik nicht nur gleich gerichtet, sondern auch partiell identische Strategien der 'Sonderbehandlung' von 'Minderwertigen', der 'Lösung' und 'Endlösung' von wirklichen und vermeintlichen sozialen Problemen” (Bock 1986, S. 380).
Es ist schon interessant zu sehen, wie sich die Frauenforscherin unversehens in die Position der Politikberaterin manövriert und jetzt ganz genau weiß, wie im Faschismus “die wirklichen von den vermeintlichen sozialen Problemen” zu unterscheiden gewesen wären. Nichts anderes spricht sich darin aus, als der Verzicht auf Ideologiekritik, und die Kritik des Faschismus bewegt sich auf der Ebene, die der Faschismus selber vorgibt – auf dem Niveau der Hierarchisierung der Opfer.
Irgendwie scheint aus Gisela Bock die Wut darüber zu sprechen, daß der Faschismus noch nicht einmal die Frauen verschont hat. Indem sie die weiblichen – und nur die weiblichen – Opfer der Sterilisation mit den Opfern der Gaskammern in eins setzt und indem sie beide als Opfer von “gleich gerichteten”, “partiell identischen” Strategien und an anderer Stelle als Opfer des gleichen “geplanten und bewußten Massenmordes” identifiziert, macht sie die Frauen in einem zur Rasse und die Juden zu Deutschen. Aber ging es den Nazis wirklich um eine “Endlösung der Frauenfrage”? Alles hängt an der Frage, wer denn das “Subjekt” der nazistischen Politik gewesen ist. Oder anders herum: Alles dreht sich um die Funktion des Antisemitismus. Davon ist nicht nur bei Gisela Bock nirgends die Rede. Sie sitzt den Geschlechtermasken des NS-Staates auf.
VIII.
Im folgenden will ich – zugegebenermaßen kursorisch und grob geschnitzt – einige Anhaltspunkte geben, wer denn dieses Subjekt gewesen ist und wie es um den NS und den Antisemitismus bestellt ist. Ich knüpfe hier an Ulrich Enderwitz' Buch “Antisemitismus und Volksstaat. Zur Pathologie kapitalistischer Krisenbewältigung” (1991) an, der einen Beitrag zur Analyse des Weges vom Volk über die Volksgemeinschaft zum staatlich organisierten Mordkollektiv geleistet hat. Enderwitz beschreibt, wie “der Jude” im nationalsozialistischen Antisemitismus zum Inbegriff von Akkumulationsfeindschaft und Hochverrat wird. Die Projektion dieser Eigenschaften auf die Juden, ihre wahnsinnige Vergegenständlichung in den Juden, schließlich die Vernichtung dieser Projektion in Gestalt der Juden ist der Weg, den der politische Souverän als formeller Gesamtkapitalist dann einschlägt, wenn die ökonomische Synthesis fundamental bedroht wird. Indem er die Juden verfolgt und vernichtet, legitimiert er sich als Inbegriff der gelungenen Versöhnung von schaffendem Kapital und gemeinnütziger Arbeit. Enderwitz untersucht nun im einzelnen, wie der Souverän diese Aufgabe löst, indem er die Versöhnung von antiklassenkämpferischer Hand- und antibürgerlicher Kopfarbeit vorantreibt. Dieses Janusgesicht der Versöhnung ist es, das mir der Ausgangspunkt für die daran anschließende Analyse der Geschlechtscharaktere eben dieses Souveräns sein soll – ein Arbeitsprogramm, das noch der weiteren Ausarbeitung bedarf.
Der faschistische Souverän, der Kapital und Arbeit in sich versöhnt, muß zugleich bestrebt sein, den Gegensatz von Mann und Frau aufzuheben. Das eine ist die Bedingung einer gelingenden Akkumulationsstrategie, das andere die Voraussetzung einer Kriegsstrategie, die sich mit den bereits dargestellten Mitteln der “Rassenpolitik” um ein wehrfähiges Menschenmaterial bemüht – und d.h. in einem sich “pronatalistisch” wie “antinatalistisch” verhält und also Bevölkerungspolitik treibt. Die Versöhnung von Kapital und Arbeit im als “Führer” personifizierten faschistischen Souverän bedeutet, daß er die Arbeiterklasse von ihrer bisherigen politischen und ökonomischen Vertretung enteignet, um sich die Arbeit anzueignen – und er tut dies mit dem Versprechen von “Gemeinnutz vor Eigennutz”, “Anerkennung des Werts der einfachen Arbeit” und Vollbeschäftigung.. Er enteignet das Kapital von seinen bürgerlichen Parteien und Standesvertretungen, trennt das Kapital von der Bourgeoisie, um die Kapitalfunktion unmittelbar zu befriedigen. Die Arbeiterbewegung zerschlägt er und transformiert sie zur deutschen Arbeitsfront, um sich das Geheimnis der mehrwertschaffenden Arbeit unmittelbar anzueignen – die Frauenbewegung zerschlägt er und transformiert sie zur Reichsfrauenschaft, um sich das Geheimnis der Produktion und Reproduktion des wehr- und arbeitsfähigen Lebens anzueignen. Er enteignet die Arbeiter ihrer Parteien und Gewerkschaften, indem er die Arbeiter als Verkörperung der Arbeit affirmiert. Und er enteignet die Frauen ihrer Bewegung für die Gleichberechtigung als bürgerliche Subjekte, indem er die Frauen als Frauen, d.h. in ihrem unmittelbaren Geschlechtscharakter affirmiert. Rigide entlarvt er das Wesen der Arbeiterbewegung als Kult der Arbeit und das der Frauenbewegung als Kult der fruchtbaren Natur. Indem er den Schein der Arbeiter- wie Frauenbewegung zerstört, eignet er sich das Wesen der Arbeit und das der Weiblichkeit an. Es versteht sich, daß er damit das bürgerliche Subjekt Frau in einige Schwierigkeiten versetzt, löst er doch das Problem von Gleichheit und Differenz tatsächlich, wenn auch auf seine faschistische Weise – Gleichheit mit den Männern im Kampf gegen die Juden, Differenz in der arbeitsteiligen Reproduktion der Gattung. Hier liegt der Grund für die Kapitulation der bürgerlich-demokratischen Frauenbewegung vor dem Faschismus, die nicht in der Lage war, sich dem wirklichen Problem der Gleichheit und Differenz zu stellen.
Und so ist es kein Wunder, daß die Frauen, sowie sie sich als Frauen anfangen zu denken, in die Aporie hineingeraten, daß sie, indem sie ihre Differenz zum Mann al s Mann herausstreichen, gerade ihre Gleichheit und d.h. funktional gleiche Brauchbarkeit für die Staatsräson unterstreichen. Indem sie auf ihre geschlechtliche Unmittelbarkeit als auf die Darstellung des Wesens ihrer Weiblichkeit pochen, haben sie schon ihre gesellschaftliche Vermittlung unter der Form der bürgerlichen Subjektivität akzeptiert. Der Staat wiederum, der sie als bloße Gebärmutter behandelt, reduziert sie im gleichen Maße, wie er sie befriedigt.
Daraus folgt, daß die Frau als formell dem Mann gleichgestelltes bürgerliches Rechtssubjekt und damit als egales Objekt des Souveräns, als faschismusträchtig sich sowohl in ihrer geschlechtsunmittelbaren Identität wie in ihrer gesellschaftlichen Funktionalität erweist. Mit den Gedanken von Gisela Bock haben wir nur eine besonders raffinierte Form vor uns, diesen Faschismus zu verdrängen, um so mehr, als in der Gleichsetzung von Antifeminismus und Antisemitismus eine Verharmlosung von Auschwitz beschlossen ist, die ihresgleichen sucht. Es scheint, daß auch die Geschlechter eine je spezifische Weise der Wiedergutmachung der Nation hervorbringe – und damit haben wir auch hier die weibliche Ausgabe des Historikerstreits.
IX.
Wenn es stimmt, daß in Sachen des bürgerlichen Staates und insbesondere seiner faschistischen Gestalt die These, er sei ein Ausdruck des Patriarchats, nur im gleichen Maße richtig ist wie die, daß er einen Ausdruck des Matriarchats darstellt, dann ist erwiesen, daß es im aporetischen Schema des feministischen Denkens allseits keinen Ausweg gibt als den, die Flucht nach vorne anzutreten und sich mehr oder weniger offensiv zum bürgerlichen Staat zu bekennen.
Entweder kann die Theorie des Patriarchats unsere Vergesellschaftung erklären – und dann gibt es keinen Grund, beim NS eine Ausnahme zu machen -, oder diese Lehre kann nicht den Antisemitismus und schon gar nicht Auschwitz begreifen – dann gibt es nicht den geringsten Anlaß, sie für irgendeinen Gegenstand für kompetent zu halten. Ein Drittes gibt es nicht, und Relativierungen tragen nur zur Verharmlosung bei.
Solange die Frauen sich jedoch nicht weigern, sich als Frauen zu denken, spielen sie ihren Part mit bei der Sabotage der kritischen Vernunft.
Literatur
- Beyer, Johanna / Lamott, Franziska / Meyer, Birgit (Hg.) (1983): Frauenhandlexikon. München
- Bindseil, Ilse (1984): “Typisch weiblich – Notizen zur gesellschaftlichen Weiblichkeit und zur neuen Weiblichkeit der Gesellschaft”. In: Ilse Bindseil / Ulrich Enderwitz: Der Wahnsinn der Wirklichkeit. Ideologiekritische Essays. Frankfurt, S. 16 f, nachgedruckt in Bindseil, Ilse (1991)
- Bindseil, Ilse (1991): Elend der Weiblichkeit, Zukunft der Frauen. Freiburg
- Bock, Gisela (1986): Zwangssterilisationen im Nationalsozialismus. Studien zur Rassenpolitik und zur Frauenpolitik. Opladen
- Bock, Gisela (1988): “Geschichte, Frauengeschichte, Geschlechtergeschichte”. In: Geschichte und Gesellschaft 14, S. 364 ff.
- Brockhaus, Gudrun (1990): “Opfer, Täterin, Mitbeteiligte. Zur Diskussion um die Rolle der Frauen im Nationalsozialismus”. In: Gravenhorst, Lerke / Tatschmurat, Carmen: TöchterFragen. Freiburg, S. 107 ff.
- Dischner, Gisela (Hg.) (1982): Eine stumme Generation berichtet. Frauen der dreißiger und vierziger Jahre. Frankfurt/M.
- Enderwitz, Ulrich (1991): Antisemitismus und Volksstaat. Freiburg
- Gravenhorst, Lerke (1990): “Nehmen wir Nationalsozialismus und Auschwitz ausreichend als unser negatives Eigentum in Anspruch? Zu Problemen im feministisch-sozialwissenschaftlichen Diskurs in der Bundesrepublik Deutschland”. In: Gravenhorst, Lerke / Tatschmurat, Carmen: TöchterFragen, Freiburg, S. 17 ff.
- Kappeler, Susanne (1989): “Vom Opfer zur Freiheitskämpferin”. In: Institut für Sozialpädagogik der TU Berlin (Hg.): Mittäterschaft und Entdeckungslust. Berlin, S. 200 ff.
- Koonz, Claudia (1991): Mütter im Vaterland. Freiburg
- Kuhn, Annette/Rothe, Valentine (1982): Frauen im deutschen Faschismus. Bd. I, Frauenpolitik und Frauenwiderstand im NS-Staat. Düsseldorf
- Lück, Margret (1979): Die Frau im Männerstaat. Die gesellschaftliche Stellung der Frau im Nationalsozialismus. Eine Analyse aus pädagogischer Sicht. Frankfurt/M., Bern, Las Vegas
- Metz-Göckel, Sigrid (1987): “Die zwei (un)geliebten Schwestern. Zum Verhältnis von Frauenbewegung und Frauenforschung im Diskurs der neuen sozialen Bewegungen”. In: Beer, Ursula (Hg.): Klasse Geschlecht. Feministische Gesellschaftsanalyse und Wissenschaftskritik. Bielefeld, S. 28 ff.
- Schmidt, Dorothea (1987): “Die peinlichen Verwandtschaften – Frauenforschung zum Nationalsozialismus”. In: Gerstenberger, Heide / Schmidt, Dorothea (Hg.): Normalität oder Normalisierung? Geschichtswerkstätten und Faschismusanalyse. Münster, S. 50 ff.
- Szepansky, Gerda (1986): “Blitzmädel”, “Heldenmutter”, “Kriegerwitwe”. Frauenleben im Zweiten Weltkrieg. Frankfurt/M.
- Thalmann, Rita (1984): Frausein im Dritten Reich. München, Wien
- Thürmer-Rohr, Christina (1987) Vagabundinnen. Berlin
- Wiggershaus, Renate (1980): “Frauen im Nationalsozialismus”. In: Beck, Johannes u.a. (Hg.): Terror und Hoffnung in Deutschland 1915-1933. Leben im Faschismus. Reinbek
- Windaus-Walser, Karin (1990): “Frauen im Nationalsozialismus. Eine Herausforderung für feministische Theoriebildung”. In: Gravenhorst, Lerke / Tatschmurat, Carmen: TöchterFragen, Freiburg, S. 59ff.
- Wittrock, Christine (1982): Weiblichkeitsmythen. Das Frauenbild im Faschismus und seine Vorläufer in der Frauenbewegung der 20er Jahre. Frankfurt/M.
Aus: Initiative Sozialistisches Forum (Hg.), Kritik & Krise. Materialien gegen Politik und Ökonomie. N° 6 (1993):
Nationalsozialistischer Staat - postfaschistische Demokratie, S.23 – 30