Stephan Grigat * Die befreite Gesellschaft und Israel. Zum Verhältnis von Kritischer Therorie und Zionismus

Befreite Gesellschaft und Israel

Zum Verhältnis von Kritischer Theorie und Israel

Stephan Grigat

Kritische Theorie ist das Gegenteil von linker Gesinnung. Rekapituliert man, was in den letzten vierzig Jahren so alles unter „die Linke“ firmierte und damit einen Anspruch darauf anmeldete, Teil einer umfassenden Emanzipationsbewegung zu sein, läßt sich in der Rückschau die Tatsache, daß die Schriften der Kritischen Theoretiker zumindest in einigen Fraktionen dieser Linken als Pflichtlektüre galten, nur durch die selektive Wahrnehmung der Gedanken Adornos und Horkheimers erklären. Während der Marxismus-Leninismus den Staat zum Garanten der Befreiung adelte und ihn mit Vorliebe gegen „Kosmopoliten“ vorgehen ließ, Anarchisten zu Freunden von „kleinen Einheiten“ mutierten, die gegen die „Superstruktur“ in Anschlag gebracht wurden, und alternative Lebensphilosophen immer neue Verzichtsideologien auf den Markt warfen, hielt die Kritische Theorie beharrlich an ihrem Ziel fest: die befreite Gesellschaft auf dem höchstmöglichen Stand von Zivilisation und Luxus. Während die diversen Fraktionen der Linken, einschließlich jener, die bei Adorno und Horkheimer studierten, den Klassenkampf zur anbetungswürdigen und überhistorischen Geheimwaffe der Emanzipation verklärten, sprach Adorno von der klassenlosen Klassengesellschaft, der „Pseudomorphose der Klassengesellschaft an die klassenlose“ (1942: 391), dem zu sich selber kommen der Klassenherrschaft durch die falsche Abschaffung der Klassen. Während die meisten Faschismusforscher, und zwar gerade die linken, den Antisemitismus ignorierten, als Herrschaftstechnik verharmlosten oder einfach dem Rassismus im Allgemeinen subsumierten, hat die Kritische Theorie die materialistische Antisemitismustheorie, das heißt: Kritik des Antisemitismus als Gesellschaftskritik, begründet. Während Postmoderne und Poststrukturalisten Kritik zur Attitüde, zur nonkonformistischsten aller Begründungen für’s Mitmachen erniedrigte, bei der man selbst noch mit Heidegger kokettieren kann, dessen Ungeist Adorno und die anderen fast das Leben gekostet hätte, widmete sich Kritische Theorie der Denunziation der deutschen Ideologie und des Nachlebens des Faschismus in der Demokratie. Und während die Studenten Ende der sechziger Jahre in den Nachfolgestaaten des Nationalsozialismus nach einem kurzen Erschrecken über ihre Eltern meinten, es sei eine prima Idee, dem „Volke zu dienen“ und sich von den palästinensischen Fedayin ausbilden zu lassen, ahnten die nach Frankfurt Zurückgekehrten schon früh, wohin dieser deutsche Aufbruch führen würde und setzten dagegen die Solidarität mit den prospektiven Opfern. Diese Solidarität führte zwar nicht dazu, die Bedeutung des Zionismus in vollem Ausmaß zu erfassen (vgl. Scheit 2004: 322), aber sie implizierte ganz selbstverständlich die Solidarität mit Israel als Zufluchtstätte für alle vom Antisemitismus Bedrohten.

Max Horkheimer war sich bereits im Klaren darüber, daß der Antizionismus als Platzhalter für den Antisemitismus dienen mußte und sah die diesbezüglichen Überschneidungen zwischen staatssozialistischer und nationalsozialistischer Propaganda. 1969 schrieb er in einem Brief an Zachariah Shuster: „In der Nationalzeitung wird das Wort `Juden`, wie in den Zeitungen des Ostblocks, durch `Zionisten` (…) ersetzt.“ (1949-1973: 725) Wie man in einer Notiz aus dem Jahre 1970 nachlesen kann, registrierte Horkheimer, auch wenn das in der öffentlichen Auseinandersetzung mit der Studentenbewegung kaum eine Rolle spielte, die Verbrüderung der deutschen Linken mit der damals noch viel unumwundener auf Vernichtung setzenden palästinensischen Nationalbewegung (vgl. 1949-1969: 539)

In seinen Notizen zur Situation nach dem israelischen Sinai-Feldzug stellte er heraus, wie das Anlegen gleicher Maßstäbe in der Staatenkonkurrenz auf Grund der ungleichen Ausgangsbedingungen zum Angriff auf Israel gerät. Er registrierte das Desinteresse für die Aggressionen der arabischen Regierungen und strich heraus, daß sich ein Staat wie Israel anders gegen seine Feinde zur Wehr setzen muß als eine Weltmacht: zeitweise präventiv und aggressiv (vgl. 1991: 243f.).

Von Adorno weiß man zwar aus seiner Korrespondenz, daß er es mitunter ablehnte, bei proisraelischen Veranstaltungen als öffentlicher Redner aufzutreten. Am 20. Juni 1967 schrieb er beispielsweise an Horkheimer: „Ich sollte bei einer pro-israelischen Veranstaltung (…) als einer der Hauptredner (…) auftreten. Ich habe das aber abgesagt, aus mehr als einem Grund. Auch in dieser Absage weiß ich mich mit Dir einig.“ (Horkheimer 1949-1973: 660) Was die genauen Gründe dafür waren, erfährt man nicht. Doch aus anderen Schriften darf man folgern, daß solche Absagen keineswegs aus mangelnder Sympathie für den Staat der Shoahüberlebenden zustande kamen. Am 5. Juni 1967, dem Tag des Ausbruchs des Sechs-Tage-Krieges, schrieb Adorno an seine Wiener Freundin Lotte Tobisch: „Wir machen uns schreckliche Sorgen wegen Israel. (…) In einem Eck meines Bewußtseins habe ich mir immer vorgestellt, daß das auf die Dauer nicht gut gehen wird, aber daß sich das so rasch aktualisiert, hat mich doch völlig überrascht. Man kann nur hoffen, daß die Israelis einstweilen immer noch militärisch den Arabern soweit überlegen sind, daß sie die Situation halten können.“ (Adorno/Tobisch 2003: 197) Einen Tag später sprach er öffentlich, als er sich zu der Ermordung des Studenten Benno Ohnesorg in Berlin äußerte, auch von dem „Furchtbaren, das Israel, der Heimstätte zahlloser vor dem Grauen geflüchteter Juden, droht.“ (zit. n. Kraushaar 1998: 241) Zwei Jahre später war Adorno vom Niederbrüllen des israelischen Botschafters in Frankfurt durch deutsche linke und arabisch-nationalistische Studenten dermaßen entsetzt, daß er in einem Brief an Herbert Marcuse gar von der Gefahr eines Umschlagens der Studentenbewegung in Faschismus sprach (vgl. ebd.: 652).

Marcuse, der für die regressiven Tendenzen in der Studentenbewegung sehr viel weniger sensibilisiert war als Adorno und Horkheimer, erklärte sich mit dem Grundmotiv der zionistischen Bewegung solidarisch: „Ich kann nicht vergessen, daß die Juden jahrhundertelang zu den Verfolgten und Unterdrückten gehörten, daß sechs Millionen von ihnen vor nicht allzu langer Zeit vernichtet worden sind. Das ist eine Tatsache. Wenn endlich für diese Menschen ein Bereich geschaffen wird, in dem sie vor Verfolgung und Unterdrückung keine Angst mehr zu haben brauchen, so ist das ein Ziel, mit dem ich mich identisch erklären muß.“ (2004: 142) In der Jerusalem Post, wo er 1972 seine Eindrücke von einer zweiwöchigen Israelreise zusammenfaßte, schrieb er: „Ich glaube, daß der historische Zweck der Gründung des Staates Israel darin bestand, eine Wiederholung von Konzentrationslagern, Pogromen und anderen Formen der Verfolgung und Diskriminierung zu verhindern. Diesen Zweck (…) unterstütze ich voll.“ (ebd.: 147 f.) Er war sich auch bewußt darüber, daß dieser Zweck nicht in Form eines UN-Reservats für Juden und Jüdinnen oder durch andere paternalistische Maßnahmen jener Weltgemeinschaft erreicht werden kann, die sich von der Shoah kaum beeindruck gezeigt hat: „Unter den gegenwärtigen internationalen Bedingungen setzt die Verfolgung dieses Zwecks die Existenz eines souveränen Staates voraus, der verfolgte oder von Verfolgung bedrohte Juden aufnehmen und schützen kann.“ (ebd.)

Gleichzeitig äußerte Marcuse scharfe Kritik an der Art der israelischen Kriegsführung, an Folterungen und an Diskriminierungen der arabischen Bevölkerung in Israel. Die Empörung über derartiges trieb ihn soweit, daß er in einem Interview mit einer linken us-amerikanischen Zeitung 1970 meinte, jenen zustimmen zu müssen, „die grundsätzlich kritisch gegenüber Israel eingestellt sind.“ Zugleich wies er aber die antizionistische Propaganda solcher „grundsätzlichen“ Kritiker in die Schranken, wandte sich gegen die Mär von Israel als us-amerikanischen Brückenkopf und wies gegen die Vorstellung von der besonderen Perfidie des israelischen Staates auf das Wesen von Staatlichkeit im allgemeinen hin: „In all diesen Aspekten unterscheidet sich die Gründung des jüdischen Staates nicht wesentlich von den Ursprüngen praktisch aller Staaten in der Geschichte: der Gründung durch Eroberung, Besetzung und Diskriminierung.“ (ebd.: 148)

Marcuse brachte eine Reihe von realpolitischen Vorschlägen zur Beendigung des permanenten Kriegszustands im Nahen Osten zu Papier, die stark von seinen optimistischen Vorstellungen hinsichtlich der zukünftigen Entwicklungen jener Potentiale geprägt waren, die auf die allgemeine Emanzipation zielen. Allerdings formulierte Marcuse auch eine entscheidende Einschränkung für seine Versöhnungsvorschläge. Im Vorwort für die hebräische Ausgabe von Der eindimensionale Mensch nennt er eine Bedingung für eine friedliche Koexistenz von Juden und Arabern im Nahen Osten, die bis heute nicht erfüllt ist: „Nur eine freie arabische Welt kann neben einem freien Israel bestehen.“(ebd.: 143)

Ähnlich wie Marcuse äußerte sich auch Leo Löwenthal, der in seiner Studentenzeit in Heidelberg Mitglied einer zionistischen Studentenorganisation war, sich später aber enttäuscht zeigte von der israelischen Realität. Auch Löwenthal formulierte massive Kritik an der Art und Weise der zionistischen Siedlungspolitik und befürchtete, daß eine fehlende Aussöhnung mit der arabischen Bevölkerung zu „bösen Konflikten, wenn nicht zu Katastrophen“ (1990: 274) führen könne, verbat sich aber gleichzeitig jeden Zweifel daran, daß er ein Unterstützter Israels sei.

Antiimperialismus als Feind der Emanzipation

Es ist nicht allein das Bewußtsein über die Gefahren, denen die israelische Gesellschaft ausgesetzt ist, welches die Kritische Theorie spätestens ab Mitte 1967, nach der propalästinensischen Wende der deutschsprachigen Linken, auch in diesem Punkt in einen Gegensatz zum linken Mainstream brachte, und das sie so unangenehm aktuell macht. Insbesondere von Horkheimer gibt es, mit allen dabei wohl kaum zu vermeidenden Übertreibungen und partiellen Fehleinschätzungen, zahlreiche hellsichtige Äußerungen zum Antiimperialismus. Bereits 1960, als es auf Grund der Existenz der Sowjetunion und ihres leider völlig in Verruf geratenen „Sozialimperialismus“, bei dem versucht wurde, mittels Zivilisationsexport Einflußsphären abzusichern, noch sehr viel mehr Anzeichen für eine tatsächlich vorhandene Dialektik von nationaler und sozialer Befreiung gab als heute, schrieb er in einem Brief an Hans Dollinger: „Die Souveränitat eines Landes ist etwas anderes als die Freiheit derer, die in ihm leben.“ (1949-1973:490) Insbesondere in Horkheimers Notizen finden sich immer wieder weitsichtige Ausführungen zu einem möglichen Bündnis zwischen Deutsch-Europa und den auf die Vernichtung Israels abzielenden arabischen Staaten. Besonders deutlich formulierte er seine Befürchtungen in einer längeren Notiz aus dem Jahr 1960, die den Titel Vom Sinn des Neonazismus trägt: „Um die Jahreswende 1959/60 sind in sehr vielen westlichen oder zum Westen haltenden Ländern Synagogen und andere Gebäude mit pronationalistischen, antisemitischen Losungen und Symbolen bedeckt worden. (…) Ich habe eine Vorstellung vom Sinn der Aktion. Sie geht von Nasser und seinen nazistischen Beratern aus, hinter denen mutmaßlich auch manche Gruppen in Deutschland stehen. Trotz Wirtschaftswunder und Aufrüstung ist die Bundesrepublik allein zu schwach, um den Traum vom Dritten Machtfaktor oder wenigstens des Züngleins an der Waage zu verwirklichen. Nicht wenige mächtige Männer mögen deshalb einen Sinn, ja ein Interesse an Nassers Ideen haben, das Feldgeschrei gegen Israel, das die arabischen Völker einigen sollte, auch auf weitere Nationen auszudehnen. (…) Der Plan ist die starke, Rußland wie Amerika gegenüber machtvolle, dritte Gewalt darzustellen, einen faschistischen Block, der Staaten der alten Welt mit den sogenannten unterentwickelten Völkern zusammenfaßt.“ (1949-1969: 100)

Ähnliche Befürchtungen formulierte auch Adorno. In Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit, ein Aufsatz, der in der universitären Linken der 60er und 70er Jahre stark rezipiert wurde, ohne das die Warnungen vor einem regressiven trikontinentalen Antiimperialismus zu breiteren Diskussionen geführt hätten, schreibt er: „Das faschistische Wunschbild heute verschmilzt ohne Frage mit dem Nationalismus der sogenannten unterentwickelten Länder (…). Einverständnis mit denen, die in der imperialistischen Konkurrenz sich zu kurz gekommen fühlten, und selber an den Tisch wollen, drückte schon während des Krieges in den slogans von den westlichen Plutokratien und den proletarischen Nationen sich aus.“ (1959: 565)

Bei Horkheimer heißt es 1960 in einem Brief an Oscar Gans hinsichtlich der Zunahme offen nazistischer Manifestationen in der BRD: „Entscheidend ist, daß die Angelegenheit nicht auf Deutschland beschränkt ist, vielmehr in ihr eine Mächtekonstellation sich ankündigt, deren Modell Herr Nasser und die alten Nazis in Kairo bilden. Wenn der anti-israelische Slogan bei der Einigung der Araber seine Dienste tut, so soll (…) der antijüdische ein Bündnis der unterentwickelten Orientalen mit anderen Teilen der Welt, die von den Angelsachsen, wie den Kommunisten, sich emanzipieren wollen, vorbereiten. In zukünftigen Krisen, die denen vom Ende der zwanziger Jahre gar nicht so unähnlich zu sein brauchten, könnte es geboren werden.“ (1949-1973: 458f.)

Hier liegt die Aktualität Kritischer Theorie leider deutlich auf der Hand. Horkheimer hat das unmenschliche Wesen des Antiimperialismus früh erkannt. Deutschland hatte und hat mit seiner spezifischen Variante eines antiwestlichen Antiimperialismus als Form nachholender Entwicklung, bei der man „seine Rückständigkeit kurzerhand als Avantgardeposition nutzt und ein antibürgerliches Kapitalverhältnis installiert, das auf dem Kurzschluß von Ressentiment und Legalität, von Volksmobilisierung und Staat basiert“ (Nachtmann 2004b: 56) ein attraktives Modell für den trikontinentalen Antiimperialismus geliefert, mit dessen arabischen Ausprägungen schon das nationalsozialistische Deutschland das Bündnis gesucht und gefunden hatte.

Horkheimers Antizipation eines möglichen Bündnisses zwischen Deutsch-Europa und den zu kurz gekommenen Staaten des Trikont, das sich zwangsläufig gegen Israel wenden muß, ließt sich wie eine Beschreibung der Entwicklung der letzten Jahre, bei der Deutschland, mal in Kooperation, mal in Konkurrenz zu Frankreich seine Kontakte in die arabische Welt ausbaute, einen Art Kalten Krieg niederer Intensität gegen die USA eröffnet hat und stets, gegen den ausdrücklichen Willen Israels und der USA, an Arafat als Verhandlungspartner festhielt.

Eine Differenzierung wäre allerdings hinsichtlich der antiimperialistischen und antikolonialistischen Bewegungen der fünfziger, sechziger und siebziger Jahre notwendig. Man kann Ho Chi Min und Pol Pot, Fidel Castro und Idi Amin nicht in einen Topf schmeißen. Jede Form des Antiimperialismus ist durch den positiven Bezug auf Staat und Nation wesenhaft antiemanzipatorisch. Dennoch lohnt es sich in Erinnerung zu rufen, daß dieser Antiimperialismus das eine mal zur partiellen Emanzipation der Frauen, zu Alphabetisierung, sozialer Absicherung und humanistischer Gesinnung geführt hat, während er ein anderes mal in Völkermord, Intellektuellenverfolgung, Rassismus und Antisemitismus seine Erfüllung fand. Ebenfalls lohnt es sich, den traditionalistischen Antiimperialismus Leninscher Prägung mit seinem positiven Bezug auf die Russische Revolution von jenem „Antiimperialismus des Djihadismus“ (Krug 2003a: 9) zu unterscheiden, mit dem die Sowjetunion im Afghanistan der 80er Jahre in einen blutigen Konflikt geraten ist. Bei all seine r staatssozialistischen Borniertheit beinhaltete der traditionelle Antiimperialismus immer auch ein Element der Befreiung, daß in den trikontinentalen Entwicklungsdiktaturen, die sich an der Sowjetunion orientierten, Ansätze jener emanzipativen Entwicklungen hervorgebracht hat, gegen die sich der djihadistische Antiimperialismus wendet.

Mit dem Wegfall des zweiten Weltmarktes der RGW-Staaten ist es allerdings vorbei mit diesen überschießenden Elementen, und die nationale Befreiung offenbart überall dort, wo sie in Erscheinung tritt, ihr barbarisches Wesen. Die Unterscheidung zwischen einem leninistischen und einem djihadistischen Antiimperialismus ist heute nahezu obsolet. Das zeigt sich unter anderem in den weltweiten Solidaritätserklärungen linker Gruppierungen und Bewegungen mit den islamistischen und panarabistisch-faschistischen Massenmördern im postba’athistischen Irak und in der Fraternisierung des castristischen Kubas oder der venezuelanischen Regierung unter Hugo Chavez mit dem islamistischen Klerikalfaschismus im Iran.

Doch sollte man nicht aus den Augen verlieren, daß auch die israelische Staatsgründung in formaler Hinsicht ein antiimperialistischer und antikolonialistischer Akt war. Das drückte sich zum einen im linkssozialistisch-zionistischen Selbstverständnis aus, das sich zeitweise auf antikolonialistische Theoretiker wie Frantz Fanon berief (vgl. Diner 1969: 9ff.). Zum anderen sahen auch gar nicht wenige der antikolonialistischen Bewegungen, insbesondere in Afrika, Israel – trotz der ökonomischem und militärischem Kalkül geschuldeten zeitweiligen Unterstützung der israelischen Politik für die Bekämpfung antikolonialistischer Befreiungsbewegungen – als einen erfolgreichen, und daher vorbildhaften Fall von Entkolonialisierung. Viele dieser Bewegungen haben, nachdem sie die Macht erobert hatten, eng mit Israel kooperiert und in Afrika wimmelte es lange Zeit insbesondere in den links orientierten neu gegründeten Staaten von israelischen Agrarberatern. Das änderte sich erst 1973 und hatte weniger mit dem Wesen des antikolonialistischen Kampfes als vielmehr mit dem Druck der antisemitischen arabischen Regimes zu tun (vgl. Meir 1975: 339ff.).

Im Jom Kipur-Krieg bekam Israel einen Eindruck davon, wie es mit dem emanzipatorischen Potential der weltweiten „Befreiungsbewegungen“ bestellt war. In einer Situation, als Israel sich an den Rand einer Niederlage gedrängt sah, von der jeder wußte, daß sie die Vernichtung des Staates der Shoahüberlebenden und der Mehrzahl seiner jüdischen Bewohner bedeutet hätte, und die nur durch die massiven US-amerikanischen Waffenlieferungen abgewendet werden konnte, schickten fast sämtliche „Befreiungsbewegungen“ Solidaritätsadressen an die angreifenden arabischen Staaten und wünschten ihnen alles Gute im antiimperialistischen Feldzug gegen den zionistischen Feind. Daß der israelische Staat diese „Befreiungsbewegungen“ in der Zukunft wie Todfeinde behandelt hat, ist nicht sehr verwunderlich.

Das zionistische Projekt war aber nur der Form halber ein Akt nationaler Befreiung. Daß sich die israelische Staatsgründung auch als antikolonialistischer Kampf gegen Großbritannien behaupten mußte war mehr oder weniger zufällig. Formal waren Ben Gurion und Wladimir Jabotinsky die Führer nationaler Befreiungsbewegungen. Dem Wesen nach ist Israel aber gerade die Reaktion auf den nationalen Wahn. Unabhängig vom zionistischen Selbstverständnis ist es weniger eine antikolonialistische als vielmehr eine Art antinationalistischer Nation. Als Staat, dessen vorrangige Aufgabe die Verhinderung der Vernichtung ist, und der den Überlebenden des nazistischen Mordprogramms ein Refugium gab, galt ihm bei aller Kritik im einzelnen die Solidarität der Kritischen Theorie.

Materialistische Kritik und zionistische Praxis

Es ist kein Zufall, daß gerade jene Intellektuelle, die sich so entscheidend vom gängigen Marxismus und der real-existierenden Linken abgrenzten, sich mit Israel solidarisch zeigten. Wenn Praxis, die auf allgemeine Emanzipation zielt, abgeschnitten ist, stellt sich die Frage, was man überhaupt noch tun kann. Die Einsicht, daß man zumindest die Rudimente der wie auch immer beschränkten bürgerlichen Freiheit verteidigen muß, was selbstverständlich nicht heißt, daß man die Beschränkung dieser Freiheit nicht immer wieder thematisiert, ist durchaus eine naheliegende Antwort. Es ist dies eine Freiheit, die in Israel seit der Staatsgründung gegen die vernichtungswütigen Nachbarn und – was aber etwas völlig anderes ist – gegen einige Kräfte im Innern der Gesellschaft behauptet werden muß. Wenn es einem heute angesichts der momentanen Aussichtslosigkeit von revolutionärer Praxis und angesichts der fast weltweit um sich greifenden regressiven Tendenzen zumindest noch um die Aufrechterhaltung der Möglichkeiten der kritischen Reflexion zu tun ist, so kann man ohne weiteres einer Feststellung von Max Horkheimer aus dem Jahr 1967 zustimmen als er in einer Notiz über Die Pseudoradikalen meinte: „Heute kommt es (…) darauf an, zu retten, was von der persönlichen Freiheit noch übrig ist. Radikal sein eißt heute konservativ sein.“ (1949-1969: 413)

In der falschen Gesellschaft sind auch und gerade die kritischen Individuen permanent vor Alternativen gestellt, die zwar Wahlfreiheit suggerieren, aber den Zwang erst zementieren. Wirklich „frei wäre erst“, heißt es in der Negativen Dialektik, „wer keinen Alternativen sich beugen müßte” (1966b: 225). Das impliziert in gewissen politischen Konstellationen den bewußten Verzicht auf Praxis, die ob ihrer Aussichtslosigkeit nur jene Form von Pseudopraxis und geschäftiger Betriebsamkeit annehmen könnte, wie man sie von der heutigen Linken gerade in den postnazistischen Gesellschaften kennt. Praxisverzicht, die Beschränkung auf die Position der Kritik, leugnet jedoch nicht die Tatsache menschlichen Handelns. Wenn Adorno davon spricht, daß Praxis auf unbestimmte Zeit vertagt ist, meint er damit jene Praxis, die auf die Herstellung eines gesellschaftlichen Zustandes zielt, in dem freies Handeln überhaupt erst möglich wäre. Eben jene Praxis, die sich in ihrer Kritik auf die Gesellschaft als Ganzes bezieht, sah Adorno als momentan abwesend an, ohne sich jedoch im abstrakten Denken bequem einzurichten und sich über die Problematik der theoretischen Kritik ohne Praxis hinwegzutäuschen.

Trotz aller Skepsis gegenüber Praxis hat auch Adorno sich nicht gescheut, immer wieder in aktuelle politische Auseinandersetzungen zu intervenieren. Selbstverständlich begab er sich damit in eben jene Widersprüchlichkeit, die er selbst stets aufgezeigt hat: auf der einen Seite die Vorstellung, daß die Verblendungsstruktur in der Gesellschaft nahezu total geworden ist und der Schritt zur Praxis verstellt; andererseits die Einschätzung, daß, wenn der Schritt zur allgemeinen Emanzipation versperrt ist, zumindest das Schlimmste, die Wiederholung von Auschwitz, verhindert werden muß. Der adäquate Ausdruck dieser Widersprüchlichkeit ist Adornos radikaler kritischer Pessimismus.

Auch wenn Autoren wie Moshe Zuckermann, der auf antizionistischen Kongressen gerne gesehenen Leiter des Instituts für deutsche Geschichte an der Universität Tel Aviv, meinen, Zionismus und Kritische Theorie seien schlicht unvereinbar (vgl. Zuckermann 2004: 13 ff.) ist dieser kritische Pessimismus dem Zionismus in mancher Hinsicht durchaus verwandt. Der Mainstream-Marxismus hat sich bekanntlich auch von der Shoah nicht von seinem optimistischen Geschichtsverständnis abbringen lassen. Für Zionismus und Kritische Theorie hingegen markiert der Nationalsozialismus den welthistorischen Bruch. Der Zionismus zog die praktischen Konsequenzen aus dem Scheitern sowohl aller Assimilierungsversuche als auch der bürgerlichen und sozialistischen Gleichheitsversprechen und mißtraut seit dem völlig zu Recht jedem Versöhnungsangebot. Die Kritische Theorie zog die theoretischen Konsequenzen aus der Katastrophe für die materialistische Ge sellschaftskritik, mißtraut jedem begriffslosen Praktizismus, jedem linken Heilsversprechen und konfrontiert die kommunistische Kritik mit dem kategorischen Imperativ, alles Handeln so einzurichten, daß Auschwitz sich nicht wiederhole.

Im Zionismus konstruiert sich Geschichte, ähnlich wie in der Kritischen Theorie, „nicht als Zu-sich-selbst-Kommen des Wesens, sondern als der historische Zusammenhang der Katastrophen und als Abwehr der kommenden. Die Zionisten handeln, als hätten sie sich der Bewahrheitung der ‚Geschichtsphilosophischen Thesen’ Walter Benjamins verschrieben. In dieser negativen Geschichtsphilosophie ist der Materialismus dem Zionismus verwandt, wenn er auch so kontrafaktisch wie kategorisch, gegen alle Erfahrung und jeden Begriff, sich weigert, dessen These vom ‚ewigen Antisemitismus’ sich zuzueignen.“ (Initiative Sozialistisches Forum 2002: 14f.) Hier zeigt sich auch die Differenz zwischen Kritischer Theorie und Zionismus. Der Zionismus ist eine Notwehrmaßnahme gegen den Antisemitismus und muß in der Realisierung der Notwehr sich auf die Verfaßtheit der Welt positiv beziehen. Er muß sich Staat und Kapitalakkumulation zu eigen machen, will er in einer Welt von Staaten und Kapitalakkumulation bestehen. Kritische Theorie hingegen hält an der Möglichkeit fest, mit der Abschaffung von Staat und Kapital auch die Notwendigkeit des Zionismus aus der Welt zu schaffen.

Horkheimer, der sich in seinen Notizen und später auch öffentlich geradezu polternd über den Eichmann-Prozeß echauffierte, dabei den israelischen Politikern allerdings zugestand, daß sie „den neuen Staat in der rasch sich bewegenden Welt zu lenken haben“ und sich schon daher kaum den Luxus leisten könnten, den Bedenken eines kritischen Theoretikers „nachzuhängen“ (1967: 159), sah in der Gründung Israels ein Moment der Resignation. Während im jüdischen Messianismus das Moment der Hoffnung auf den versöhnten Zustand aufbewahrt sei und die jüdische Diaspora auf Grund der Erfahrung der Verfolgung das „Negative des Bestehenden“ verkörpere, sei das jüdische Volk in der Realisierung des zionistischen Traums, wie es in der Notiz Staat Israel Anfang der 60er Jahre heißt, „selber positiv geworden. Nation unter Nationen, Soldaten, Führer, money-raiseres für sich selbst. Wie einst das Christentum in der katholischen Kirche, nur weniger aussichtsreich, soll im Staat Israel das Judentum zunächst das Ziel erblicken; wie hat es doch im Triumph seines zeitlichen Erfolges im Grunde resigniert!“ (1991: 369)

In einer merkwürdigen Analogie sah er in der Notiz Ausgeträumt in der jüdischen Diaspora und im „messianischen Vertrauen“ (ebd.: 392), das sich in der politischen Realität antizionistisch artikuliert, Verbündete der trotz aller Aussichtslosigkeit an der allgemeinen Befreiung festhaltenden Kritischen Theorie. Der israelische Staat hingegen erscheint an solchen Stellen in seiner zwangsläufigen Positivität als eine Art sozialdemokratisches Arrangement mit der schlechten Realität. Wie aber kann man es dem Zionismus zum Vorwurf machen, „positiv“ geworden zu sein, wo der Materialismus mit all seinem im besten Sinne negativen Potential doch eine einzige Geschichte des Scheiterns geschrieben hat, wo er nicht in der Lage war, die gesellschaftlichen Gründe für den Antisemitismus aus der Welt zu schaffen? Was nützt die im jüdischen Messianismus antizipierte und aufbewahrte Erinnerung an die Versöhnung sowie die in der Kritischen Theorie festgehaltene Hoffnung auf die allgemeine Emanzipation und die Möglichkeit zur befreiten Gesellschaft, wenn die Juden tot sind?

Kommunismus und kategorischer Imperativ des Zionismus

Es ist umstritten, ob es überhaupt legitim ist, Adorno oder Horkheimer als Kommunisten zu bezeichnen, wo sie sich selbst doch so sehr gegen diesen Begriff gesträubt haben, den sie durch den Sowjetmarxismus diskreditiert sahen. Doch jenseits alles akademischen Begriffsfetischismus kann man festhalten: das, was die Kritische Theorie befreite Gesellschaft nannte, ist der Sache nach nichts anderes als der Kommunismus, ein Kommunismus im Sinne der Kritik alles Bestehenden, einer Kritik, die sich jedoch spätestens nach Auschwitz zu Einigem dieses Bestehenden positiver verhalten muß, als es ihr lieb sein kann.

Kommunismus ist ein Begriff, der sich einer Definition im Sinne der gängigen Sozialwissenschaften entzieht. Streng genommen ist Kommunismus nichts weiter als die Bewegung der materialistischen Kritik. Kritiker, die Propaganda verabscheuen, sollten sich weigern, allzu detaillierte Beschreibungen einer befreiten Gesellschaft zu liefern. Aus der Kritik des Bestehenden ergibt sich allerdings in Grundzügen auch, was statt dessen sein sollte: Dem Kommunismus geht es nicht um eine Diktatur von Menschen über Menschen, sondern um eine Diktatur des Willens und der Wünsche der Menschen über die sachlich-materiellen Bedingungen ihres Daseins. Kritischer Theorie geht es darum, gesellschaftliche Zustände zu schaffen, die es den Menschen erstmals ermöglichen, ihr Leben selbstbewußt, das heißt, jenseits der Verwertungs- und Herrschaftsimperative von Staat und Kapital, zu planen. Das wäre dann nicht das Paradies auf Erden, in dem es keine Probleme und Widersprüche mehr gibt, aber eine nach Maßgaben der Vernunft eingerichtete Gesellschaft, in der niemand, und zwar nirgendwo auf der Welt, verhungern muß, weil er über keine zahlungskräftige Nachfrage verfügt. Kommunismus in diesem Sinne hat weder mit dem traditionellen Marxismus noch mit alternativen Verzichtsideologien etwas zu tun; und vielleicht sollte man den Vorschlag des Autorenkollektivs von Situationistische Revolutionstheorie aufgreifen, die vorschlagen, mit Kommunismus die staatskapitalistischen und sonstigen Verunstaltungen der Marxschen Kritik zu bezeichnen, für das Projekt der allgemeinen Emanzipation im Sinne Kritischer Theorie aber auf die Schreibweise des 19. Jahrhunderts zurückzugreifen, also den Communismus gegen den Begriff des Kommunismus, der vor einer erneuten Verwendung im positiven Sinne desinfiziert werden müßte, in Anschlag zu bringen. (Biene u. a. 2005: 11 f.)

Kritischer Theorie geht es weder um eine gleichmäßige Verteilung des Elends, noch um Konsumverzicht. „Luxus für alle“ kommt den Marxschen wie Adornoschen Intentionen schon sehr viel näher. Kommunistische Kritik will nicht vorbürgerliche Verhältnisse herstellen, weder was die Produktivität betrifft (bei aller notwendigen Kritik an einer unter dem Kapitalverhältnis entwickelten Technik), noch was die begonnene Emanzipation des Individuums aus den Fesseln archaischer Gemeinschaften angeht. Kommunistische Kritik kreidet dem Kapitalismus nicht an, daß er beispielsweise „Revox“-Stereoanlagen hervorgebracht hat, sondern, daß solche Dinge, obwohl das nicht notwendig wäre, den meisten Menschen vorenthalten werden; nicht durch den bösen Willen irgendwelcher Einzelner oder dem bewußten Handeln einer Klasse (auch, wenn das dabei eine Rolle spielt), sondern durch die Logik eines Systems, das sich nicht an den Bedürfnissen von Menschen, sondern an der Verwertbarkeit des Kapitals orientiert. Kommunistische Kritik kreidet der bürgerlichen Gesellschaft nicht an, daß sie bestimmte Freiheits- und Individualrechte hervorgebracht hat, sondern weist darauf hin, daß eine Gesellschaft, die solche Rechte notwendig hat, weiterhin eine gewalttätige Gesellschaft ist. Diese Kritik richtet sich nicht gegen das Glücksversprechen der Bürger, sondern versucht seinen ideologischen Gehalt aufzuzeigen und zu verdeutlichen, daß dieses Versprechen in der bürgerlichen Gesellschaft gar nicht eingelöst werden kann.

Zudem weiß Kritische Theorie, daß es etwas Schlimmeres gibt als den Kapitalismus und die bürgerliche Gesellschaft: ihre barbarische Aufhebung. Für diese negative Aufhebung der bürgerlichen Gesellschaft steht Deutschland, dafür stehen Nationalsozialismus und Faschismus, dafür stehen auch panarabisch-nationalistische und islamistis che Ideen. Diese Ideologien stehen für einen ressentimentgeladenen Antikapitalismus, der das vom Kapital verursachte Elend nicht abschaffen, sondern nur anders, nämlich volksgemeinschaftlich oder ummasozialistisch, organisieren möchte und die zynische, den Tod zahlreicher Menschen achselzuckend in Kauf nehmende instrumentelle Vernunft der bürgerlichen Gesellschaft noch durch die wahnhafte Vernichtung von Menschen um der Vernichtung willen ergänzt.

Vor diesem Hintergrund ist die Parteinahme für Israel, für die man sich keine Sekunde lang darüber hinwegzutäuschen braucht, daß staatliche Verteidigungsmaßnahmen immer auch zu grauenerregenden Übergriffen führen, eine zwingende Konsequenz aus der kommunistischen Kritik. Hinsichtlich Israels könnte für an Emanzipation interessierte Menschen alles ganz einfach sein: Der Antisemitismus, der auch schon bei den Nazis antizionistisch war, hat zur Shoah geführt. Deutsche, Österreicher und ihre Hilfsvölker haben die Vernichtung organisiert und durchgeführt. Alle anderen Staaten waren lange nicht willens oder fähig den Massenmord zu verhindern. Die Gründung Israels war in einer Situation, in der auch nach dem Nationalsozialismus keine Anstalten gemacht wurden, die Grundlage für den modernen Antismitismus ein für alle mal aus der Welt zu schaffen, die notwendige und leider viel zu spät gezogene Konsequenz. Dementsprechend ist der Zionismus für die kommunistische Kritik zwar nicht die richtige Antwort auf den Antisemitismus (das wäre nach wie vor die Errichtung der klassen- und staatenlosen Weltgesellschaft, die freie Assoziation freier Individuen, die befreite Gesellschaft, die es den Menschen ermöglicht, ohne Angst und Zwang verschieden zu sein), aber er ist die vorläufig einzig mögliche.

Hier wird deutlich, daß der kategorische Imperativ in der Marxschen Fassung und in der bereits angesprochenen Adornoschen sich keineswegs widersprechen, daß also Adornos Forderung, alles Handeln so einzurichten, daß Auschwitz sich nicht wiederhole, nichts ähnliches geschehe, nur dann entsprochen werden kann, wenn man sich der Marxschen Forderung verpflichtet fühlt, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist. Der zionistische kategorische Imperativ lautete dann, vom materialistischen Verständnis aus betrachtet, in etwa: Solange es Menschen gibt, die sich zwar dem Marxschen Imperativ verpflichtet fühlen, mit ihrem Anliegen aber keineswegs erfolgreich sind, versuchen wir dem Adornoschen Imperativ dadurch gerecht zu werden, daß wir mittels Gewalt die körperliche Unversehrtheit von Juden und Jüdinnen gewährleisten. Oder, mit den Worten der Initiative Sozialistisches Forum aus Freiburg gesagt: „In dieser Perspektive ist Israel der bewaffnete Versuch der Juden, den Kommunismus noch lebend zu erreichen.“ (2002: 13) Solange die emanzipative Überwindung von Staat und Kapital keine Aussicht auf Erfolg hat, gilt es, kritische Theorie als entfaltetes Existenzialurteil zu betreiben (vgl. Horkheimer 1937: 201) und an einem materialistisch zu interpretierenden zionistischen kategorischen Imperativ festzuhalten: alles zu tun, um die Möglichkeiten reagierender und präventiver Selbstverteidigung des Staates der Shoahüberlebenden aufrecht zu erhalten.

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