Rico Rokitte – Kein “besseres” Deutschland, nirgends * Rezension von Geyer/Loeb, Fight for Freedom

Rico Rokitte

Kein “besseres” Deutschland, nirgends

Der »Vansittartismus« kann im Angesicht der nationalsozialistischen Bedrohung am besten mit Walter Benjamins Formulierung der Geschichtsphilosophischen Thesen beschrieben werden, die die politischen Implikationen von Geschichtsdeutung hervorhebt: »Vergangenes historisch artikulieren«, so Benjamin, »heißt nicht es erkennen, wie es denn eigentlich gewesen ist. Es heißt, sich einer Erinnerung zu bemächtigen, wie sie im Augenblick einer Gefahr aufblitzt.« Die 1941 in Großbritannien erschienene Broschüre Black Record von Lord Vansittart versuchte genau dies, und sorgte damit im linken und intellektuellen Milieu des Königreichs für einen Skandal. Seine zentrales Ansinnen – die re-education der Deutschen nach ihrer Niederlage – widersprach im Jahr 1941 noch der britischen Appeasement-Politik gegenüber Deutschland. Für die erste Herausgabe der damit eng verbundenen Debatten deutscher Emigrantinnen in London um 1940, kann der Gruppe um die Herausgeberinnen Anja Worm und Jan Gerber nicht genug gedankt werden. Die 2009 im ça ira Verlag erschienene Textsammlung Fight für Freedom. Die Legende vom »anderen Deutschland« liefert ein eindrucksvolles Abbild des sozialdemokratischen und kommunistischen Denkens im Exil. Die schon länger bekannte punktuelle Verbrüderung von KPD, SPD und NSDAP in der »nationalen Sache« bis 1933 verhinderte auch in der folgenden sozialdemokratischen und kommunistischen Emigration einen offenen Bruch mit Deutschland. Jedoch erforderte die nationalsozialistische Barbarei eine neue Zielformulierung: die Legende von einem »anderen, besseren« Deutschland. Die in Fight for Freedom dokumentierten Publikationen und Briefe einiger weniger deutscher Emigrantinnen aus SPD und KPD wie Curt Geyer, Carl Herz, oder Walter Loeb lassen keinen anderen Schluß zu, die Mehrheit der geflohenen deutschen Parteifunktionäre entblödeten sich nicht, trotz des Wissens über den nationalsozialistischen Massenmord, zwischen der deutschen Regierung und dem deutschen Volk einen Trennung zu imaginieren. Die Erhebung der deutschen Arbeiterinnen stand zwischen 1939 und 1945 für diese Mehrheit der Exil- SPD und KPD immer bevor. Daß die deutsche Arbeiterinnenschaft, der sie sieh noch zugehörig fühlten, selbst Anhänger und Beteiligte des Nationalsozialismus waren, kam ihnen nicht in den Sinn. Vor diesem Hintergrund ist die Gründung der Fight for Freedom-Verlagsgesellschaft 1941 in London umso überraschender. SPD-, KPD-und Gewerkschaftsfunktionäre wie Curt Geyer oder Walter Loeb begriffen, daß ihre eigene Politik bis 1933 einen Beitrag zur jetzt entfesselten deutschen Raserei geleistet hatte und der Niederlage Deutschlands kein einfacher Wiederaufbau folgen konnte. »Die brutale Herrschaft von Nationalismus und Militarismus beweist der Welt neben anderen Dingen, daß sich Nationalismus und Sozialismus in Deutschland nicht ausschließen. Die nationalsozialistische Partei, die SS, die SA und die Wehrmacht, all diese Organisationen, deren rücksichtslose Bestialität und Brutalität die Welt schockiert haben, sind nicht aus einer neuen Rasse oder einem neuen Menschen gemacht; sie sind in der Tat repräsentativ für die ganze deutsche Nation.«

Daß dieser Erkenntnis des Gründungsmitglied der KPD Karl Retzlaw und auch im Fall anderer dieser Gruppe, Parteistrafen und Ausschlüsse folgten, ist im Interesse der Legende vom »anderen Deutschland« nur konsequent. Umso bedeutender sind die politischen Erfolge der Fight for Freedom-Verlagsgesellschaft und Lord Vansittart. Ihre Publikationen und Lobbyarbeit sorgten in Großbritannien für ein Umdenken in der Kriegspolitik gegenüber Deutschland. Die wichtigen kriegsverkürzenden Flächen-Bombardements der britischen und amerikanischen Luftwaffe unter Arthur Harris Kommando fußten auf der Notwendigkeit eines schnellstmöglichen Endes des deutschen Mordens. Für die anderen deutschen Patriotinnen im Exil, oh nun im National-Komitee Freies Deutschland in der Sowjetunion, oder dem Deutschen Kulturbund in Schweden, konnte Arthur Harris dagegen nur der Verantwortliche des »angloamerikanischen Mordens« sein. Der Rückgriff auf den deutschen Nationalismus innerhalb von KPD und SPD wurde jedoch trotz der Versuche durch Fight for Freedom nach 1945 unvermindert fortgesetzt. Für die SPD, oder die SED in der DDR war auch 1960 noch jeder Schritt in die Westbindung der BRD ein Verrat am Vaterland und Bruch des Versprechens zur Wiedervereinigung des deutschen Volkes. Wen wunderte es da, daß die meisten Aktiven von Fight for Freedom lieber gleich im Exil blieben? Anja Worm und Jan Gerber gewähren mit dieser Textsammlung einen neuen erweiterten Blick auf Debatten des deutschen Exils in London um 1940. Die fast vergessenen und bis dato nur auf Englisch erschienen Einzelpublikationen von Fight for Freedom ermöglichen eine weiterreichende Auseinandersetzung mit SPD und KPD. Wer der Nostalgie der »wiederständigen deutschen Arbeiterparteien« aber weiter anhängen möchte, dem sei präventiv von der Lektüre abzuraten.

Aus: Phase 2. Zeitschrift gegen die Realität N° 32 (Sommer 2010)

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