Walter Schrotfels – Hab mich gerne, Postmoderne * Rezension zu: Gruber/Lenhard, Gegenaufklärung

Walter Schrotfels

Hab mich gerne, Postmoderne

Klappentexte sollen bei potentiellen Leserinnen Interesse wecken, im besten Falle die Linie des Buches gleich mitliefern. Die wenigen Sätze auf der Rückseite des von Alex Gruber und Philipp Lenhard herausgegebenen Sammelbandes Gegenaufklärung lassen in dieser Hinsicht nichts zu wünschen übrig: »Die postmoderne Philosophie ist nichts anderes als >das Nachleben des Nationalsozialismus in der Demokratie< (Adorno)«. [Herv. W.S.] Das mag knackig klingen, wird aber weder den verhandelten Denkerinnen noch den Beiträgen des Sammelbandes gerecht. Wenn die AutorInnen von der Postmoderne sprechen, dann meinen sie damit eine geistesgeschichtliche Linie, die von Max Stirner bis Jacques Derrida reicht, und die im (ebenfalls bereits im Klappentexten erwähnten) Islamismus und der poststrukturalistischen Philosophie der zeitgenössische Ausdruck der »deutschen Ideologie« sei. Das postmoderne Denken, so die Stoßrichtung der Kritik, die bereits durch den Untertitel angekündigt wird, leiste einen entscheidenden Beitrag zu »Barbarisierung der Gesellschaft«. Nun ist es weder selbstverständlich, eine Linie von gut 200 Jahren zu ziehen, in denen die deutsche Ideologie den Nationalsozialismus entweder vorbereitet oder am Leben erhält, noch einer Theorieströmung, die ihr Dasein in Seminaren und Bücherregalen fristet, die

Wirkmächtigkeit zuzugestehen, die Gesellschaft zu barbarisieren. Überhaupt schieben sich derartige Kampfbegriffe – Aufklärung, Gegenaufklärung, Barbarei -, bei denen immer schon klar ist, wo man steht und zu stehen hat, tendenziell vor die Beiträge des Bandes. Diese versuchen hingegen durchaus, die französische Theorie – freilich gefiltert durch die Tradition und Prämissen Kritischer Theorie – ernst zu nehmen, ohne daß sich das Gefühl einstellt, es sei immer schon klar, wohin die Reise geht.

Es ist in der Tat bemerkenswert, daß eine Theorietradition, deren gemeinsame Nenner in dem Anschluß an einen philosophischen Kollaborateur des Nationalsozialismus – Martin Heidegger – und der massiven Abwertung des Subjekts bestehen, in den achtziger und neunziger Jahren derart begeistern konnte. Und ebenso notwendig ist es, eine Auseinandersetzung mit postmodernen Theorien zu führen, die über die Ablehnung einer diffizilen Sprache hinausgeht, die – wie Tjark Kunstreich in seinem lesenswerten Beitrag zu Jacques Lacan richtig bemerkt – genauso gut gegen Adorno vorgebracht werden könnte. Die Frage, warum die postmoderne Philosophie, abgesehen vom verführerischen Gestus des Radikalen und Neuen, überhaupt zum Trend werden konnte, beantwortet der Sammelband allerdings nur unzureichend. Zwar gibt es Hinweise auf den gesellschaftlichen Grund der Werke von Michel Foucault oder des Strukturalismus – nämlich eine realiter stattfindende Entmachtung des Subjekts, auf die in jener Philosophie affirmativ reagiert wird -, mehr allerdings nicht. Und so gleichen sich in der Gesamtschau die Beiträge in der Rückführung des jeweils verhandelten Autors auf Martin Heidegger, dessen raunende, von Gesellschaft gereinigte Eigentlichkeitsphilosophie zu Recht kritisiert wird. Wirklich lesenswert ist der Sammelband hingegen dort, wo er sich Denkern zuwendet, die gar nicht recht in die Schablone »Postmoderne« zu passen scheinen. Dies gilt vor allem für die Texte zu Alain Badiou und dem schnaufenden, vielschreibenden Meisterdenker der Oberschicht, Peter Sloterdijk. Auch wo nicht Pathos, sondern Begriffsarbeit den Text dominiert, wie in dem Beitrag von Birte Hewera über Jean Amerys Verhältnis zum Strukturalismus, lohnt sich die Lektüre allemal.

Allerdings muß man sich beim Aufschlagen des Buches auch auf einige schwer zu verdauende Brocken gefaßt machen. Dies gilt vor allem dann, wenn tatsächlich versucht wird, den Bogen zu schlagen von der Theorie zur Gesellschaft, denn gerade dort bleibt es nicht selten bei Analogien. Wenn beispielsweise Alex Gruber und Philip Lenhard in ihrem Vorwort die Philosophiegeschichte neu schreiben, dann knirscht und knarrt es, wo Heideggers Philosophie des Seins mit den Kategorien Wert und Krise zusammengebracht werden soll. Das Wörtchen »wie«, das signalisieren möchte, das beides irgendwie zusammenhängt, verdeckt hier eher, als daß es erklärt. Überhaupt fällt es schwer – und dies ist zweifelsohne auch dem Gegenstand geschuldet – von den hermetischen Denkgebäuden der jeweiligen Vertreter postmoderner Theorie wieder den Bogen zu schlagen zu ihrem gesellschaftlichen Grund. Es scheint als würde immer dann, wenn die Wirkmächtigkeit und politische Relevanz der Theorie nicht offen auf der Hand liegt (also dann, wenn einzelne Denker gerade einmal nicht fragwürdige politische Allianzen eingehen), die Rhetorik einspringen, um einzuholen was zu entgleiten droht. Dann ist von Vernichtung, Barbarisierung, Ausstreichung und Liquidierung die Rede, und man scheint über dem radikalen und brachialen Klang der Worte zu vergessen, daß man es hier immer noch in erster Linie mit Texten zu tun hat und nicht mit Schlächtern. Dennoch: Wer ein wenig Jargontoleranz mitbringt, dem sei der Sammelband, insbesondere wegen der erwähnten Ausnahmen, zur Lektüre empfohlen.

Aus: Phase 2. Zeitschrift gegen die Realität Nr. 40 (August 2011)

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