Hannes Püschel – Der Wahn vom Weltsouverän * Rezension zu Gerhard Scheit, Der Wahn vom Weltsouverän
Hannes Püschel
Der Wahn vom WeltsouveräN
Die Berufung auf das “Völkerrecht” hat ganz besonders dann Konjunktur, wenn bewaffnete Konflikte, an denen der Staat Israel beteiligt ist, verhandelt werden. Dies ist Gerhard Scheits Anlaß zu einer Rekonstruktion der Hobbesschen Souveränitätstheorie. Die damit bezweckte Kritik des Völkerrechts überzeugt jedoch nur teilweise.
Auf der Vorderseite von Gerhard Scheits neuem Buch “Der Wahn vom Weltsouverän”, vom ça ira-Verlag in gewohnt stilvollem schwarzen Paperback herausgegeben, findet sich ein Ausschnitt des Titelkupfers von Thomas Hobbes’ Werk “Leviathan”. Es zeigt das biblische Monster, das Hobbes als Metapher für den souveränen Staat benutzt. Von diesem Bild ausgehend, streitet Scheit gegen den “Wahn vom Weltsouverän”, den er im Völkerrecht oder in der ideologischen und politischen Berufung auf das Völkerrecht – so präzise ist er da nicht – verkörpert sieht, und für die Verteidigung westlicher Souveränität. Denn gegen den Leviathan – oder korrekter die Vielheit der Leviathane auf der Welt – sieht er den Weltsouverän als Behemoth sich erheben, den biblischen Gegenspieler des Leviathans, der Franz Neumann als Titelgeber für seine Analyse des nationalsozialistischen Unstaates diente.
Der Leviathan stellt das staatliche Gewaltmonopol her und schützt das Leben der ihm Unterworfenen, woraus sich die Legitimität seiner Zwangsgewalt ergibt: “Mit einem Wort und in den Begriffen der Kritik der politischen Ökonomie: Der Staat darf die Arbeitskraft nicht einfach kommandieren und nicht vernichten – er darf dem Individuum nicht die Fähigkeit nehmen, seine Arbeitskraft zu verkaufen: er muß seinen Leib schützen und kann sein Bewußtsein nicht befehligen” (S. 131). Demgegenüber zerfällt dieses Gewaltmonopol im Nationalsozialismus in den Konkurrenzkampf rivalisierender Banden (Rackets), die nur noch durch das gemeinsam verübte Verbrechen – die Shoa – zusammengehalten werden.
Scheits Kritik ist motiviert von der steten Bedrohung des Staates Israel, der nach der Shoa als “Jude unter den Staaten” wichtigstes Hassobjekt des postnationalsozialistischen Antisemitismus sei, vor allem durch islamische Bewegungen und Staaten, sowie dem in weiten Kreisen “linker”, rechtsfetischistischer Antizionist_innen verbreiteten Wunsch nach einer übergeordneten juristischen (Welt-)Instanz, die Israel – und die USA – wegen der gegen diese Bedrohung ergriffenen Maßnahmen abstraft. Als ideologiekritisches Werk will es einen Beitrag leisten zur Aufklärung, die zu mündigen Individuen führt, “[…] die allein vollziehen können, was der Wahn vom Weltsouverän von den Staaten erwartet: daß es keinen Herrn über Leben und Tod mehr geben muß, um friedliches Zusammen- oder Nebeneinanderleben zu gewährleisten.” (S. 264)
Ein nichteingelöster Anspruch
Der größte Verdienst dieses Buches liegt in der Rekonstruktion der Hobbesschen Theorie, in dem Wegpusten des Staubes der politologischen Langeweile und dem Herausarbeiten ihres emanzipatorischen Gehaltes, ihrer Inbezugsetzung zur Marxschen Kritik der politischen Ökonomie und der daraus abgeleiteten Kritik an Bestrebungen, kapitalistische Staatlichkeit in Richtung Barbarei zu überwinden.
Leider erweckt das Buch den Eindruck, als ob es aus Entwürfen und Fragmenten zusammengesetzt sei. Die literarische Qualität schwankt und die Argumentation ist nicht immer ganz stringent – nachdem einmal abgehandelt ist, daß es kein Völkerrecht als Recht geben könne, nähert es sich der Frage nach der Bedrohung des Souveräns wie eine Aufsatzsammlung. Dabei fallen durchaus Erkenntnisgewinne ab, wie z. B. eine kritische Kriminologie des Ehrenmordes im Kapitel “Ehre und Emanzipation”. Was dies mit dem “Wahn vom Weltsouverän” zu tun hat, bleibt jedoch unklar. So führt der Untertitel “Zur Kritik des Völkerrechtes” bedauerlicherweise in die Irre, denn eine Kritik rechtsförmiger internationaler Beziehungen – des Völkerrechtes – leistet Scheit nicht, will sie auch gar nicht leisten. Für ihn ist klar, “[…] daß internationales Recht immer nur eines ist, das gelten soll, aber nicht wirklich gilt – nicht gilt wie das Recht, das der einzelne Souverän auf seinem begrenzten Territorium garantieren kann”, und das niemals “[…] ein geltendes, also durch einen Souverän garantiertes Recht sein […]” könne (S. 10 f.).
Was es mit diesem nicht durch einen Souverän garantierten Recht auf sich habe, fragt das Buch dann nicht weiter – unter den vielen zitierten Theoretikern fehlt der Analytiker der Rechtsform Paschukanis. Es unterstellt vielmehr, daß jede nicht ideologiekritische Bezugnahme auf das Völkerrecht den Weltsouverän herbeisehne. Damit gerät Scheit in Gefahr, dem kritisierten “Wahn vom Weltsouverän” selbst aufzusitzen. Denn im Gegensatz zur Idee eines Weltsouveräns setzt das klassische Völkerrecht die souveräne Gleichheit der Staaten voraus, d. h. ihre Gleichheit als Souveräne – nicht vor einem Souverän. Die Frage, inwieweit das heutige Völkerrecht tatsächlich zu einer Barbarisierung, zur Mobilisierung der “Reserven zur Herstellung des allgemeinen Chaos”, beiträgt, kann so nicht beantwortet werden.
Letztlich bleibt dieses Buch für alle, die sich mit Fragen des Völkerrechts befassen ein unbequemer Aufruf zur (Selbst-)Kritik und ein Anstoß, Hobbes, Marx, Arendt, Neumann etc. selbst zu lesen. Eine Kritik des Völkerrechts, die die Impulse der Kritischen Theorie aufnimmt, muß noch erarbeitet werden.
Aus: Forum Recht N°2, 2010