Armin Pfahl-Traughber – Hitler. Schüler der “Weisen von Zion”
Armin Pfahl-Traughber
Hitler. Schüler der “Weisen von Zion”
Der sozialdemokratische Publizist Alexander Stein machte in seiner 1936 erschienenen Schrift “Adolf Hitler. Schüler der ‘Weisen von Zion’” darauf aufmerksam, dass Hitler sich in seinem eigenen Denken und Handeln offensichtlich von antisemitischen Zerrbildern beeinflussen ließ.
Die Herausgeber Lynn Ciminski und Martin Schmitt haben den ursprünglichen Text mit Erläuterungen und Hinweisen versehen und ihn in Beiträge zur Biographie Steins und zur Interpretation seines Buchs integriert.
Wenn bestimmte Neigungen, die man sich selbst nicht zugestehen will, auf andere Menschengruppen als negative Eigenschaften übertragen werden, bezeichnet man das in der Vorurteilsforschung als “Projektion”. Ein Beispiel dafür kann in folgendem Sachverhalt gesehen werden: Die Nationalsozialisten unterstellten den Juden, mit geheimen Methoden und moralischer Schlechtigkeit die Macht erlangen zu wollen. Dies beabsichtigen die Anhänger der Hitler-Bewegung aber auch selbst. Eine solche Interpretation fand sich ausführlich belegt in dem Buch “Adolf Hitler. Schüler der ‘Weisen von Zion’”, das der sozialdemokratische Publizist Alexander Stein 1936 veröffentlichte und das heute weitgehend als vergessen gilt. Mit dem Titel spielte der Autor seinerzeit auf die gefälschten “Protokolle der Weisen von Zion” an, welche angebliche Pläne und Strategien der Juden zur Erlangung der Weltherrschaft belegen sollten. Stein wollte demgegenüber in einem aufklärerischen Sinne aufzeigen, dass Hitler selbst sich derartiger Methoden in Ideologie und Praxis bediente.
Nun liegt eine Neuausgabe dieser Schrift vor: Am Beginn steht ein kurzes Portrait Steins von seiner Tochter Hanna Papanek, worin sie die Stationen seiner Exile als inhaltliche Struktur wählt. Danach folgt der Originaltext von “Adolf Hitler. Schüler der ‘Weisen von Zion’”, der aber keineswegs einfach nur nachgedruckt wurde. Die Herausgeber Lynn Cimnski und Martin Schmitt haben ihn sorgfältig durchgesehen und um erläuternde Fußnoten ergänzt.
Zunächst ging Stein in seinem Buch auf die geistigen Wurzeln des Hitlerismus ein: Es handele sich dabei um “willkürlich zusammengeholte Gelegenheitsideen, ohne inneren Zusammenhang mit dem Hauptzweck, spontane Regungen der Volksmassen in den Dienst der nach größerer Macht und Weltgeltung drängenden Herrenschichten zu stellen” (S. 24). Diese Einschätzung kann man so wohl nicht aufrechterhalten: Die nationalsozialistische Ideologie enthielt durchaus eine gewisse Struktur, und sie war auch nicht nur ein Instrument zur Erlangung und Legitimation politischer Macht.
Im Hauptteil seines Buchs machte Stein aber anhand von Auszügen aus den “Protokollen der Weisen von Zion” und der Schriften von Hitler und seinen Anhängern anschaulich und überzeugend deutlich, wie sehr Inhalte und Moralvorstellungen einander entsprechen: “Es wäre simpel, zu glauben, Hitler habe die ‘Protokolle der Weisen von Zion’ einfach abgeschrieben. Er hat sich vielmehr in sie hineingearbeitet, hat sie eingegliedert in sein politisches System, in seine ‘rassistische’ Weltanschauung, die er mit dem Fanatismus eines Besessenen vertritt” (S. 55). Dies zeigt Stein anhand von Forderungen und Positionen wie “Gewalt geht vor Recht”, “Nieder mit der Demokratie”, “Rechtsverfall und Schreckensherrschaft”, “Presseknebelung und Meinungsfabrikation” oder “Vorstoß zur Weltherrschaft”. Bilanzierend heißt es dann: “Die Gegenüberstellung der ‘Protokolle der Weisen von Zion’ mit der Theorie und Praxis des Dritten Reiches zeigt die Ähnlichkeit ihrer sittlichen und staatlichen Auffassungen zwingend auf” (S. 135).
Dass Stein hiernach eine etwas schiefe Gleichsetzung mit dem politischen Denken Machiavellis betrieb, kann man ihm wohl angesichts der vorgenannten Deutungen durchaus verzeihen. Die Herausgeber haben in den Neudruck noch ein ausführliches Nachwort aufgenommen, worin sie die Analysen in “Adolf Hitler. Schüler der ‘Weisen von Zion’” im Lichte der späteren Antisemitismusforschung deuten. Für Ciminski und Schmitt nahm er zwei Gedanken vorweg: “Erstens nämlich hat das Urteil über die Juden nichts mit ihrer tatsächlichen gesellschaftlichen Gegenwart zu tun” (S. 172). Und: “Zweitens argumentiert Stein auf der Grundlage, dass die Dinge, die der Antisemit über die Juden äußert, der Schlüssel zum Verständnis nicht der Juden, sondern der Antisemiten sei” (S. 173). Und im Anhang findet man dann noch Nachdrucke älterer Texte von Stein aus damaligen Zeitschriften. Damit liegt nicht nur der Text einer lange Zeit ignorierten interessanten Schrift wieder vor. Die Neu-Edition erfolgte auch mit wichtigen Anmerkungen und Informationen.
Armin Pfahl-Traughber, in: Humanistischer Pressedienst