Thomas Schmidinger – Amerika und das "alte Europa"

Thomas Schmidinger

Amerika und das „alte Europa“

Zwei Sammelbände setzen sich kritisch mit dem neuen und alten Antiamerikanismus
des „alten Europa“ auseinander

Der Irakkrieg hat in Deutschland und Österreich eine neue Welle antiamerikanischer Ressentiments produziert, in deren Gefolge auch eine große Zahl von Büchern erschienen sind, die versuchen, dem auflagenstarken Bush-Kritiker Michael Moore Konkurenz zu machen. Das Spektrum der Autoren reicht dabei vom österreichischen Grünen-Parlamentarier Peter Pilz über nationalbolschewistische Journalisten um die Tageszeitung „Junge Welt“ bis zu rechtsextremen Autoren. In den letzten Monate publizierten zwei linke Verlage jedoch auch Sammelbände, die sich kritisch mit dem neuen und alten Antiamerikanismus des „alten Europas“ und mit der Differenz zwischen US-amerikanischer Realpolitik und europäischer Wahrnehmung beschäftigen. Ursprünglich hätten beide Bücher im selben Verlag, nämlich bei Konkret, erscheinen sollen. Einen Tag vor Drucklegung des von Thomas Uwer, Thomas von der Osten-Sacken und Andrea Woeldike herausgegebenen Bandes „Amerika. Der „War on Terror und der Aufstand der Alten Welt“, legte Konkret-Herausgeber Hermann L. Gremliza jedoch sein Veto ein. Das Buch erschien schließlich mit einiger Verspätung Ende 2003 im „ça ira-Verlag“.

Wer den parallel im Konkret-Verlag erschienenen Sammelband von Michael Hahn gelesen hat, wird Gremlizas Entscheidung rasch nachvollziehen können. Die Intention dieses Buches besteht laut Umschlagtext darin, „zu einer nichtantiamerikanischen Kritik an den USA beizutragen“. Dies ist nicht die Intention des nun im ça ira-Verlag erschienen Bandes. Vielmehr scheint für Andrea Woeldike, Thomas Uwer, Thomas von der Osten-Sacken und ihre AutorInnen klar zu sein, daß Kritik eben nie etwas mit Antiamerikanismus zu tun hat, der ja wie der Antisemitismus eine Projektion von Vorurteilen und damit das Gegenteil von Kritik darstellt.

Unter den AutorInnen von Michael Hahns „Nichts gegen Amerika“ scheint sich dies jedoch noch nicht herumgesprochen zu haben. Positive Ausnahmen stellen dabei lediglich die Beiträge von Mary Kreutzer und Wolf-Dieter Vogel zum „Antiyanquismus“ in der lateinamerikanischen Linken, sowie von Ivo Bozic über den Antiamerikanismus in der PDS und Christian Stocks Kritik an der „globalisierungskritischen Bewegung“ dar. Angesichts dieser Artikel scheint es fast, als hätte der Herausgeber Michael Hahn einige Beiträge seines eigenes Buch nicht gelesen oder zumindest nicht verstanden, wenn er meint, daß sein Buch für einen „Anti-Antiamerikanismus“ den er etwa den Historiker Dan Diner oder den „antideutschen Kommunisten“, denen er eine „neue anti-linke Querfront“ unterstellt, vorwirft „nicht zu haben“ wäre. Bei anderen Autoren seines Buches, wie dem ex-antideutschen Trotzkisten Bernhard Schmid liegt er damit hingegen wieder goldrichtig.

Weitaus interessanter und stringenter zu lesen ist dagegen „Amerika, Der „War on Terror“ und der Aufstand der Alten Welt“ in dem sich u.a. Bernd Beier, Gerhard Scheit, Stephan Grigat, Elliot Neaman, Stephen Schwartz und Ayelet Banai-Miller mit dem Verhältnis von Antiamerikanismus und Antisemitismus, den deutsch-amerikanischen Beziehungen seit 1945, der unterschiedlichen Wahrnehmung der Irakkrise in Europa und den USA, den amerikanisch-saudischen Beziehungen oder Israels Verhältnis zum „Krieg gegen den Terror“ beschäftigen. Dabei wird weder die US-Politik schön geredet noch die naive Behauptung aufgestellt die USA hätten aus selbstloser Liebe zu Demokratie und Menschenrechten einen Diktator wie Saddam Hussein gestürzt und damit die Demokratisierung des gesamten Nahen Ostens in die Wege geleitet. Vielmehr betrieben die USA die selbe interessensgeleitete Interventionspolitik, die sie auch schon während des Kalten Krieges betrieben hätten, nur daß ihre Interessen, vor allem aber ihre Gegner, heute teilweise andere sind.

Es sind heute eben nicht mehr die Sowjetunion oder linksgerichtete antikoloniale Befreiungsbewegungen, die den USA entgegenstehen, sondern faschistische Diktatoren wie Saddam Hussein und menschenverachtende islamistische Extremisten wie al-Qaida, die sich der Hegemonie der USA am wirksamsten entgegensetzen. „Wenn das „Telos des Kapitals“ seine eigene Aufhebung in der Barbarei ist, so lautet gegenwärtig die verwirrende Erkenntnis“ der HerausgeberInnen „ daß gerade diejenigen, die sich der Verbreitung des Kapitalismus verschrieben haben und oft in ans Zynische grenzender Naivität erklären, mehr Markt löse die Probleme der Menschheit, sich der Barbarei, die heute im radikalen Islam ihren zeitgemäßen Ausdruck findet, entschlossener entgegenstellen als diejenigen, die in vermeintlich antikapitalistischer Manier zum Kampf gegen die USA mobilisieren. Der Skandal, daß Woche für Woche Tausende Kinder verhungern und Millionen Menschen mit weniger als einem Dollar pro Tag ihr Leben zu fristen gezwungen sind, wird zur Basis einer Lüge und zur Ideologie, wenn der Hinweis auf ihn zur Legitimation der suicide bombings verwendet wird.“

Michael Hahn (Hg.)
Nichts gegen Amerika
Linker Antiamerikanismus und seine lange Geschichte
Konkret Literatur Verlag, Hamburg, 2003

Thomas Uwer / Thomas von der Osten-Sacken / Andrea Woeldike (Hg).
Amerika
Der „War on Terror“ und der Aufstand der Alten Welt
ça ira-Verlag, Freiburg, 2003

Aus: Aufbau (New York)

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