Fabian Kettner – Rogue Spear
Rogue Spear
Fabian Kettner
Was einem kein Islamwissenschaftler, zumindest kein deutscher, erzählt, das müssen Autodidakten zusammensuchen. Matthias Küntzel leistet eine Synthese aus verstreuten und teilweise schwer zugänglichen Materialien. Karl Selents Buch enthält dessen Glossen und Kommentare zum Nahostkonflikt, wie dieser hierzulande dargestellt und was nicht erwähnt wird. Dazu kommen kurze historisch-systematische Exkurse, die einem Wissenswertes vermitteln bspw. über ein einst sehr beliebtes linkes Markenzeichen, das Palästinensertuch.
Beide Autoren behandeln ein Thema, das man inzwischen als »Islamfaschismus«, bzw. »islamistischen Klerikalfaschismus« bezeichnet. Diese Bezeichnung stößt auf harsche Kritik, und zwar bei Menschen, bei denen dies überrascht. Menschen, die sei‘s sonst den Nationalsozialismus samt Judenvernichtung in eine Geschichte der Modernisierung einfügen; die sei‘s sonst zielsicher das Beharren auf der Einzigartigkeit der Shoah als Profilierungssucht und Erpressungsmittel der Juden enttarnen; die sei‘s sonst je lieber und je öfter überall Faschismus entdecken, und am liebsten bei den USA und bei Israel, desto mehr sie damit vom Nationalsozialismus schweigen können; – solche Menschen entdecken mit einem Mal und genau dann die Rede von der »Singularität der Shoah« und der Einzigartigkeit des deutschen Faschismus als unbedingtes Gebot, wenn der Vorwurf tatsächlich stimmt und als analytische Kategorie passt. Flankiert werden sie vom anti-eurozentristischen Anti-Rassismus, der bei Zygmunt Bauman, Enzo Traverso et al. gelernt hat, aus einer Dialektik der Aufklärung die Dialektik wegzukürzen und feuilletonistisch von »Auschwitz & Moderne« zu parlieren. Kritik am Islam als Religion und Politik im allgemeinen wie auch am Islamismus als gegenwärtiger pan-arabischer Bewegung im besonderen werden als rassistisch (bzw. inzwischen als »Islamophobie«) diffamiert, einfach nur auf Grund der Tatsache, dass die Weltanschauung von Menschen kritisiert wird, die »aus einem anderen Kulturkreis« stammen. Differenziert solche Kritik auch zwischen Islam und Islamismus, zwischen einem Menschen & seiner Herkunft einerseits und dem, was er sagt & praktiziert andererseits, so kann der Anti-Rassismus dies anscheinend nicht wahrnehmen, denn für ihn sind Menschen aus dem arabischen Raum oder Kulturkreis so homogen und so sehr mit ihrer Herkunft verbunden, wie sonst nur für RassistInnen. Die Kritik des Islamismus kennt Individuen, die in der Lage sein sollten, sich von gesellschaftlicher Naturwüchsigkeit zu emanzipieren; der Anti-Rassismus kennt nur Völker, Kulturen und deren »Eigenheiten«, die man vor aller Reflexion zu respektieren habe.
Der Islamismus wurde Mitte bis Ende der 1920er Jahre in Ägypten begründet. Parallel zu den Faschismen in Europa wurde auch hier das Führerprinzip und die Abschaffung aller Parteien propagiert. Politisch berief man sich auf eine auf Scharia und Kalifat beruhende »organische Staatsordnung«, praktizierte militanten Anti-Kommunismus, predigte die Abschaffung von Zins & Profit und die Gemeinschaft von Arbeit & Kapital. Der Islamismus war die erste städtisch verankerte und Massen organisierende Revolutionsbewegung in den islamischen Ländern und er zielte auf den Aufbau einer islamistischen Internationale. Bei der Auslegung des Koran steht der Djihad im Mittelpunkt; – i.ü. gegen den Widerstand der damals maßgeblichen Lehre. Der heilige Krieg richtet sich v.a. kulturell gegen den Westen, dem verderblicher Materialismus und Sittenverfall vorgeworfen werden. Die Beseitigung dieses äußeren Feindes, der die eigene Ursprünglichkeit verletze, statt der Verbesserung der sozialen Lage ist eine ideologische Schlüsselfigur. Mit besonderem Hass werden die verfolgt, die aus den eigenen Reihen Zeichen von Verwestlichung (Kleidung u.ä.) tragen; der äußere, das eigene Kollektiv bedrohende, zersetzende Feind aber ist v.a. der Jude. Militanter Antisemitismus nicht nur zur Herstellung völkischer Homogenität im Inneren, sondern auch mit dem Ziel der Vernichtung der Juden und ihres Staates im Äußeren ist der Kern des modernen Djihadismus.
Seit dem Staatsantifa-Sommer dürfen sich die Deutschen sich selber in Gestalt rechtsradikaler Jugendlicher nicht mehr bemitleiden und entschulden. Seit sie ihren erwachsenen Kindern nicht mehr nachsagen dürfen, dass diese ideologisch verhetzt seien und aus begreiflicher Notlage heraus handelten, tun sie dies umsomehr bei Islamfaschisten. Ein Araber von heute vergleiche eine Karte des vergangenen arabischen Großreichs mit einer von heute, käme mit der Diskrepanz nicht zurecht und reagiere – verständlich – enttäuscht bis aggressiv, äußert ein Islamwissenschaftler aus dem Ruhrgebiet. Keiner lacht ihn dafür aus, denn diese Enttäuschung kann man – so unformuliert sie auch bleibt: was deutsch ist, denkt aus ihnen – nur zu gut nachvollziehen. Ob die arabische Welt in Elend lebt, ob der Antisemitismus in den arabischen Raum importiert wurde, so die liebsten Einwände, oder nicht: niemand wird als Faschist geboren, und eine Erklärung der Genese kann keine Entschuldigung sein. Der Islamismus ist wie der europäische Faschismus eine barbarische Antwort auf gesellschaftliche Krisen, die die Ursachen unangetastet lässt, auf einen äußerlichen Feind als Ferment der gesellschaftlichen Veränderung verschiebt und im Juden personifiziert; soziales Elend ideologisch überhöht, rechtfertigt und zementiert; den Einzelnen dem Kollektiv unterordnet und für dieses das Opfer, bis zum leiblichen, fordert.
Parteinahme für Israel ist somit nicht ein merkwürdiges Hobby, dem man, gespeist aus welchen Gründen auch immer, nachgeht. Der Hass und der Vernichtungswunsch, der sich in der antisemitischen Internationale, die bis in die Reihen der GlobalisierungsgegnerInnen und MenschenrechtlerInnen reicht, richtet sich nicht gegen Israel allein, sondern gegen »Anderssein und Differenz. Das Bemühen um eine Gesellschaft, die die Emanzipation des Individuums jenseits des Kapitalismus neu zu begründen sucht, setzt eine kategorische Absage an das islamistische Homogenitätsideal voraus« (Küntzel).