Interview mit Gerhard Stapelfeldt in »Woxx«

In der Wochenzeitung WOXX erschien am 30. September ein Interview mit Gerhard Stapelfeldt über »Aufklärung als gesellschaftliche Praxis« und ihre Dialektik auf der Höhe des Neoliberalismus:

Dirk Farke: Vernunft impliziert eine Aufklärung, die nicht auf oktroyierten Voraussetzungen beruht, sondern alles Vorausgesetzte durch Kritik bewusst zu machen versucht. Nun ist dieses (Voraus)Gesetzte bereits seit Mitte des 19. Jahrhunderts, das heißt seit mehr als 170 Jahren durch wissenschaftliche Kritik bekannt, bewusst und verständlich gemacht. Sehr erfolgreich im Hinblick auf die Annäherung an eine emanzipierte antikapitalistische Gesellschaft ist die Kritik dabei leider nicht gewesen.


Stapelfeldt: Die von Hegel und mehr noch von Marx intendierte Vernunftaufklärung der voraussetzungsvollen, auf dem Dogma der Herrschaft der Verhältnisse beruhenden liberalen Verstandesaufklärung hat wohl durch Kritik das bewusstlose Allgemeine ausgesprochen – aber nicht vollends aufgeklärt. Das lässt sich an den dogmatischen Gehalten der Philosophie Hegels, auch an der Kritik der politischen Ökonomie von Marx studieren, vor allem an der Lehre von der revolutionären Potenz der Produktivkraft-Entfaltung. Es gibt keine rein theoretische Aufklärung, keine Vernunft in einem unvernünftigen Allgemeinen. Hegel hat treffend bemerkt, dass dieses bewusstlose Allgemeine alle Seiten der bürgerlichen Gesellschaft bestimmt, dass deshalb die Vernunft nicht einfach nur theoretisch zu verwirklichen ist, sondern allein praktisch. Marx hat diese Einsicht radikalisiert in der berühmten elften Feuerbachthese: »Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt drauf an, sie zu verändern.«