Die “Bibel der Arbeiterklasse” als Koran der Linksdeutschen * Rezension

Die “Bibel der Arbeiterklasse” als Koran der Linksdeutschen

Wie man das Marxsche “Kapital” gemeinverständlich zubereitet

Joachim Bruhn

Rezension zu:

Valeria Bruschi/Antonella Muzzupappa/Sabine Nuss/Anne Steckner/Ingo Stützle

PolyLux Marx. Bildungsmaterial zur “Kapital”-Lektüre. Erster Band

Berlin: Karl Dietz-Verlag 2012, 19.90€

(zum Glück auch gratis unter www. polyluxmarx.de)

Als Aufklärung gilt gemeinhin die schwarze Kunst, Leuten etwas beizubiegen, die überhaupt gar nichts begreifen wollen, weil sie sich längst schon entschieden haben, rundum informiert zu sein und allseits Bescheid zu wissen. Die marxistische Spielart dessen: Dialektik, die als große Methode in Anschlag gebracht wird, verfährt zwar mit dem Objekt ihrer pädagogischen Begierde, der Arbeiterklasse, mit deren “An sich” und “Für sich” sie jongliert, auch nicht anders als jeder Studienrat, der die Goofen zu Staatsbürgern dressiert. Aber der marxistoide Mittelsmann hat dafür ein blitzblankes Gewissen, d.h. eine historische Mission, was naturgemäß dann am schlimmsten sich auswirkt, wenn er sich der Popularisierung des Marxschen Hauptwerkes widmet, dem “Kapital”. Wenn der Röntgenblick des Theoretikers Marx sich zuwendet, wenn das Bedürfnis, hinter die Kulissen der Erscheinungswelt zu gucken, übermächtig wird, wenn er gar versucht, seine höhere Einsicht nach den Maßgaben des gesunden Menschenverstandes plausibel zu machen – dann ist das Erste, was regelmäßig auf der Strecke bleibt, ausgerechnet der Untertitel des Werkes, der die “Kritik der politischen Ökonomie” verspricht und damit diskret andeutet, daß es hier nichts zu verstehen, sondern etwas bestimmt zu begreifen, d.h. gesellschaftlich abzuschaffen gilt. Und so betrügt der Theoretiker sein Publikum allererst um die (wenn auch negative) kommunistische Egalität, die im kollektiven gesellschaftlichen Unverständnis der Vergesellschaftung durchs Kapital angelegt ist, d.h. um die Erfahrung, daß es sich als objektiv irrational und widervernünftig darstellt.

Marx ist unter die Rechthaber gefallen. Seit das Kapital abermals vom Gespenst seines definitiven Zusammenbruchs sich verfolgt fühlt, boomt das Theorie-Gewerbe und nicht nur die Linksdeutschen überbieten sich gegenseitig mit Produkten wie “Warum Marx recht hat” oder “Wo Marx Recht hat”, grübeln nachhaltig “Hatte Karl Marx doch recht?”, konstatieren frech “Warum Marx unrecht hat” oder schwelgen selig in der Gretchenfrage “Feiert Marx sein Comeback?” [ 1 ] Es geht unter den Intellektuellen zu wie auf einer großen Auktion – und man muß gewiß die These riskieren, daß die Inflation volkstümelnder Marx-Einführungen ein untrügliches Indiz kommender historischer Katastrophen darstellt. [ 2 ] Denn die Sucht, “Das Kapital” als eine Theorie sich verständlich zu machen (und d.h.: es aus “Arbeit” abzuleiten), stellt die nur akademische Schauseite eines mit allen Wassern gewaschenen und gesalbten Etatismus dar, eines seit Lassalle und Lenin grassierenden Staatlichkeitswahns also, der unter der gesellschaftsnotwendigen Halluzination leidet, der Souverän könne, unter die Leitung der Marxistoiden gestellt, das kapitale Unwesen derart kurieren, daß endlich “der Kapitalismus seinen eigenen Ansprüchen gerecht wird”, so Sahra Wagenknecht [ 3 ] , denn, sekundiert eilfertig die FAZ, “die Gefahr einer Entkoppelung des Finanzsektors von der Realwirtschaft ist in der Tat eine Achillesferse des Kapitalismus.” [ 4 ]

Im höheren Auftrag des Souveräns liquidieren die Linksdeutschen Begriff und Sache der Kritik, damit den kategorischen Imperativ, man habe sich gefälligst an Vernunft und Wahrheit zu orientieren, und substituieren ihn durch die Verpflichtung auf Verstand und Schlauheit. Denn “Kritik” meint allerdings – und dies Programm hatte Marx schon in seiner Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie auf den Weg gebracht – nicht den “halbherzigen Gegensatz zu den Konsequenzen, sondern den allseitigen Gegensatz zu den Voraussetzungen des deutschen (!) Staatswesens” [ 5 ] , insbesondere zu seiner als “Volkswirtschaft” verniedlichten Ausbeutungs- wie zu seiner als “Volkssouveränität” angehimmelten Herrschaftspraxis. Zu begreifen ist, daß der Begriff dieser an sich selbst widersinnigen, daher unvernünftigen Sache, keineswegs Definition sein kann, sich weder im Zuge von Multiple-Choice-Verfahren noch von Meinungsumfragen ergibt, nicht via Lehrplan vermittelt noch abiturmäßig abgefragt werden kann, sondern vielmehr, daß der Begriff des Kapitals dessen Aufhebung resp. Abschaffung bedeutet. Denn die Menschheit wird “Das Kapital” erst dann verstanden haben, wenn es das Kapital nicht mehr gibt und man das Buch endlich nicht mehr lesen muß. Daraus folgt erstens: sein Begriff kann unmöglich ein theoretischer sein, sondern nichts anderes als die durchgeführte “freie Assoziation” selbst, und zweitens: es wäre unsachlich, das Kapital nicht polemisch zu behandeln. Unterm Diktat des “wissenschaftlichen Sozialismus” allerdings betrügen die Intellektuellen sich und ihr Publikum gewerbsmäßig um die Einsicht, daß die kommunistische Kritik vor dem Kommunismus so unbeweisbar wie nach der Revolution schlicht überflüssig ist. Diese ‘Position’ ist so dialektisch, daß sie über die Hutschnur geht.

Seit allerdings Friedrich Engels die Marxsche Kritik des Kapitals als die “Bibel der Arbeiterklasse” [ 6 ] auslobte, ist das Werk unter die säkularisierten Theologen gefallen, d.h. zur Beute der Akademiker und zum Koran der Linksintellektuellen geworden. Kritik ist ihnen Hekuba, nach Begriff und Sache. Und so lesen sie das Buch als Theorie der kapitalistischen Entwicklung und als alternatives Handbuch der Volkswirtschaftslehre. Folgerichtig ist die Geschichte der Versuche, “Das Kapital” nach Maßgaben des Common sense zu popularisieren, gemeinverständlich aufzubereiten und häppchenweise zur ideologischen Verköstigung zu servieren, nicht nur die Geschichte der systematischen Verfehlung seines Gegenstandes, sondern zugleich eine Chronik fortgesetzter Ersatzhandlungen, und nicht umsonst praktiziert sich diese volkstümliche Zurichtung der Kritik oft über die Ausmerzung der Fremdworte. Nun hat die “Generation Facebook” diese Erbschaft angetreten, und, finanziert natürlich von der Rosa-Luxemburg-Stiftung und zu Zwecken der Linkspartei sowie ihrer ideologischen Staatsapparate, “Das Kapital” auf das Niveau ihres eigenen Infantilismus heruntergezwungen: Marx zum Anglotzen, d.h. im Power-Point-Format, als Treibsatz der sog. Kapital-“Lektüre-Bewegung”. [ 7 ]

Das von Valeria Bruschi u.a. mit freundlicher Unterstützung des Berliner Marxistoiden Michael Heinrich erarbeitete Machwerk PolyluxMarx. Bildungsmaterial zur Kapital-Lektüre. Erster Band ist von Anfang bis Ende eine Katastrophe, darin aber zugleich die objektive Bilanz eines mehr als 100jährigen fleißigen Popularisierungsgewerbes, das 1873 mit Johann Mosts Buch Kapital und Arbeit. Das ‘Kapital’ in handlicher Zusammenfassung begann (das Marx, leider vergeblich, zu verhindern suchte), und das mit Karl Kautskys Marx’ ökonomische Lehren (1886) und Louis Althussers Das ‘Kapital’ lesen (1968) leider noch lange nicht am Ende war, sondern sich in Traktaten wie Elmar Altvaters Kapital.doc (1999) und neuerdings Marx neu entdecken (2012) oder Michael Heinrichs Wie ‘Das Kapital’ lesen? in die Gegenwart fortschleppt. Die systematische Verfehlung der Marxschen Kr itik beginnt stets am Anfang und mündet in die immer gleiche, den Akademismus stimulierende Ersatzhandlung. Die falsche Frage ist, spätestens seit Lenin [ 8 ] , selbst zum Dogma geworden, und Bruschi u.a. formulieren sie so: “Warum beginnt Marx seine Analyse mit der Ware?” (S. 13) Damit steht glücklich zugleich das Resultat fest: “Das Marxsche Werk ist eine analytische Baustelle, ein Torso, also alles andere als eine abgeschlossene, kohärente und zu Ende gedachte Theorie.” (ebd.).

Wunderbar! Es soll sich also um ein Forschungsprogramm handeln, und Materialismus soll daher wohl sein das Bemühen, logische Stringenz, theoretische Kohärenz, klippklare Definitionen und politischen Konsens zu erzeugen! Da hilft es auch nicht, daß “PowerPoint-Folie 1” den ersten Satz des “Kapital” zeigt und dazu auffordert, “den Satz von einer Person laut vorlesen und von anderen in eigenen Worten wiedergeben zu lassen” (S. 25), auch nicht, daß überall “Fragespeicher” und “Raum für eigene Notizen” angeboten werden. Denn wie soll der erste Satz des “Kapital” verstanden werden, wenn mit der “Kritik der politischen Ökonomie” angeblich “ein ganzes Theoriefeld” (S. 21) eröffnet wurde, das der akademische Bauer zu beackern hat? Wenn es sich nicht um Begriffe handelt, sondern um Worte? Um Phrasen also, die jeder je nach Gusto, aber so originell wie möglich erbrechen können soll? Denn dieser erste Satz lautet ja: “Der Reichtum der Gesellschaften, in welchen kapitalistische Produktionsweise herrscht, erscheint als eine ‘ungeheure Warensammlung’, und die einzelne Ware als seine Elementarform. Unsere Untersuchung beginnt daher mit der Analyse der Ware.” [ 9 ] Der Kommentar der PowerPointler merkt sogleich an, dies “kläre noch nichts”, sondern solle “erstmal nur für bestimmte Begriffe sensibilisieren” (S. 25), und man mag sich vorstellen, wohin der Versuch führen wird, all dies “in eigenen Worten wiederzugeben”, wenn schon der Unterschied zwischen Wort und Begriff liquidiert wurde: bestenfalls in den wissenschaftlichen Beirat von Sahra Wagenknecht.

Warum bloß können Marxisten nicht lesen, wollen es auch partout nicht lernen? Denn “Das Kapital” beginnt ja, “PowerPoint-Folie 1” zeigt es, mit dem Reichtum, keineswegs mit der Ware, und außerdem unterscheidet Marx im Interesse der Kritik noch zwischen dessen “Untersuchung” und dem, was er “Analyse” nennt. Es geht also um die Konstitution der Ware, um ein Gesellschaftsverhältnis, das das Objekt einer zuerst “Untersuchung”, sodann “Analyse” genannten intellektuellen Operation erst stiftet, und d.h.: mit deren Mitteln offenkundig nicht einholbar oder gar: denkbar ist. Wo es der Kritik um die Konstitution des Reichtums in seiner kapitalistischen, d.h. selbstnegatorischen Form zu tun ist, um den Skandal seiner Konstitution, die ihn nötigt, als das gerade Gegenteil seiner selbst zu “erscheinen”, da widmet sich die Analyse der Weise, wie das Kapital diesen Widerspruch ausagiert, d.h. in Antinomien sich bewegt, um seines eigenen Begriffs auch praktisch inne zu werden: ein ebenso zwanghaft notwendiges wie vollendet sinnloses Unterfangen, das allerdings Weltgeschichte gemacht hat. Polylux Marx löst dies auf, indem es das Publikum zum einen um die Unterscheidung von Kritik, Untersuchung und Analyse betrügt, es zum anderen damit beschäftigt, sich wie ABC-Schützen von einer “Ebene der Darstellung” (S. 49) zur nächsten zu hangeln. Nicht nur, daß die marxsche Kritik als ein Unternehmen denunziert wird, das vom Abstrakten zum Konkreten aufsteige, nicht allein, daß die Luxemburg-Stiftung glauben machen will, die Verfolgung der Antinomie, die den Anfang setzt, könne je in “Theorie” münden statt in der Abschaffung eines Gesellschaftszustandes, der die Individuen unter den logischen Denkzwang des Entweder-Oder setzt und damit systematisch um die Einsicht betrügt, daß der Wert ein Sowohl-als-auch darstellt, das als Entweder-Oder-Verhältnis nur zu erscheinen und zu sein vermag – als genüge dies alles nicht, wird das Publikum “zunehmend facettenreicher” mit der Frage bedrängt, “welche Strukturprinzipien, Funktionsweisen und Handlungsrationalitäten den Kapitalismus zum Kapitalismus machen” (S. 13), bis es sich seiner Infantilisierung ergibt und, endlich auf der “Ebene” der einfachen Warenzirkulation angelangt, allerlei “szenischen Auflockerungen” sich hingibt: Dort darf man zuschauen, wie der Liebeskummer an der Leinwand nagt: “Ich bin etwas wert, aber ich habe nichts und niemanden, der meinen Wert ausdrücken würde. Lieber Rock, bitte drück’ meinen Wert aus.” Darauf der Rock (leicht grummelig, und man darf nur hoffen, daß die “Sender-Empfänger-Hierarchie im Raum” (S. 6) der “geschlechtlichen Quotierung der Redner_innen” (S. 10) gerecht wird): “Na gut. Du weißt, daß ich das nicht mag, weil dann niemand mich als Rock will, sondern nur als Deinen doofen Wertausdruck.” Worauf die Leinwand erleichtert säuselt: “Das ist nett von Dir. Dann habe ich endlich etwas gefunden, und jeder kann jetzt sehen, was ich wert bin: 1 Rock” (S. 49). [ 10 ]

Da es Polylux Marx nicht um die Sache selbst geht, d.h. um die Selbstnegation der Gattung in einem Herr-Knecht-Verhältnis, das sich selbst als Zusammenhang von nichts als egalen Subjekten darstellt und darin die negative Qualität dieser Gesellschaft als Klassenkampf um die Quantität der erst als Geld, sodann als Kapital erst dinglich, dann prozessierend erscheinenden Vermittlung durch den Wert ausdrückt und reproduziert, kann man sich im folgenden und systematisch um all jene Passagen des Kapital drücken, in denen die “Analyse” vor ihrem Gegenstand kapituliert und zu Metaphern greift wie “Transsubstantion” oder gar “automatisches Subjekt”. Derlei überschreitet den theoriesüchtigen Verstand, weil es ein an sich selbst und daher für uns widersinniges Verhältnis angreift, als “sinnlich-übersinnlich” denunziert und ergo kritisiert. Der etatistische Wahn, der Wert aus der Arbeit “abzuleiten” [ 11 ] und den Proleten das klassenbewußte Wahlverhalten beizubringen, geht schnurstracks über den tatsächlichen Sachverhalt hinweg, wonach “die Arbeit”, als von der Wertform als kapitalproduktiv gesetzte Lebensäußerung, allenfalls die Wertgröße bestimmt, keineswegs den Wert selbst als die Vermittlung der falschen Gesellschaft konstituiert. Was etwa, so Marx, “die Auffassung des Geldes in seiner vollen Bestimmtheit als Geld besonders schwierig macht … ist, daß hier ein Gesellschaftsverhältnis, eine bestimmte Beziehung der Individuen aufeinander, als ein Metall, eine rein körperliche Sache außer ihnen erscheint” [ 12 ] , ist den Polylux Marx-Pädagogen nicht der Rede wert, denn der Gedanke, ein Verhältnis könne sich aus sich selbst verdinglichen um überhaupt gesellschaftliche Geltung gewinnen zu können, d.h. sein “Wesen” nur zu haben, indem es in dessen “Erscheinung” restlos aufgeht, liegt im Jenseits jeder nur möglichen Theorie. Sie flüchten sich stattdessen in staatstragende Pädagogik, die ihnen schon als halbe Miete der Praxis gilt und diskutieren lieber über das Geschlecht des Kapitals und über die grundstürzende Frage “In, _, *, /in, oder -in?”: “Wir haben nächtelang diskutiert und konnten uns nicht einigen. Kein Kompromiß war befriedigend, und das Ergebnis bleibt umstritten: ‘PolyLux Marx’ verwendet für die Kategorien der Kritik der politischen Ökonomie ausschließlich die Marxsche, d.h. männliche Schreibweise: Warenproduzent, Arbeiter, Kapitalist. Es ist uns bewußt, daß wir dem Problem, damit herrschende Sprechformen zu reproduzieren, nicht entkommen.” (S. 7) Daß Kategorien ein Genital haben sollen, das ist mindest so verwunderlich und also aufklärungsbedürftig wie das Phänomen, daß Sonne und Mond, überschreitet man nur die Grenze nach Italien, plötzlich als il sole und la luna über uns erscheinen; daß Marx dagegen sein Buch “Das Kapital” nannte, müßte die Polylux-Marx-Autoren, ginge es hier mit rechten Dingen zu, so erschüttern wie einen Franzosen, der erfährt, daß es hierzulande “das Mädchen” heißen muß. Derlei Mühen um das Geschlecht des Kapitals illustrieren ganz unfreiwillig, daß “es die innerlich verzweifelte Armut (ist), die die Grundlage des bürgerlichen Reichtums und seiner Wissenschaft bildet” [ 13 ] wie auch seiner linksdeutschen Theoretisierung.

Daß derlei nach Form und Inhalt konterrevolutionäre Marx-Lektüre sich um ihr linksdeutsches Publikum nicht sorgen muß, beweisen die Rezensionen des Machwerks von Analyse & Kritik über die taz bis hinein ins Neue Deutschland. Der AK lobt ausdrücklich “die Auflockerungen durch Comic-Darstellungen, szenisches Durchspielen der Tauschverhältnisse und sukzessive ‘Bühnenauftritte’ derjenigen Kategorien, die eine kapitalistische Gesellschaft ausmachen”, die dazu geeignet seien, “Panik, Kopfschwirren oder Ungeduld” zu therapieren [ 14 ] , die taz die “Bildungsarbeiter” für “Allgemeinverständlichkeit und Witz, die nicht zulasten der inhaltlichen Differenzierung gehen” [ 15 ] , während das ND zwar zu bemäkeln weiß, daß Polylux Marx zwar auch nicht “ganz ohne abstrakte Begriffe und Theorien auskommt”, aber immerhin einigen “Sinn für die Visualisierung von Bildungsthemen” beweise. [ 16 ] Angesichts ihres Markterfolges erweist es sich als gute Investition der Polylux Marx-Autoren, ihr Publikum nicht weiter mit dem Zusammenhang von Gesellschaft und Erkenntnis, von Warenform und Denkform, gar von Kritik und Revolution belästigt zu haben, insbesondere nicht mit dem Hegel-Zitat, das Marx im Kapital anführt: “In unserer reflexionsreichen und räsonierenden Zeit muß es einer noch nicht weit gebracht haben, der nicht für alles, auch das Schlechteste und Verkehrteste, einen guten Grund anzugeben weiß. Alles, was in der Welt verdorben worden ist, das ist aus gutem Grund verdorben worden.” [ 17 ] Aber das macht nichts, ging es doch um weiter nichts, als “dem Verdrängen der Marxschen Analyse aus der Universität etwas entgegenzusetzen” (S. 5), d.h. um ein Pöstchen in den ideologischen Staatsapparaten – und dafür ist die absurde Theorie, das Kapital entstünde aus der Selbstentfremdung der Arbeit allemal gut genug. So ist Polylux Marx nur eine zwar ganz überflüssige, allerdings für Linksdeutsche höchst nützliche akademische Turnübung auf dem Kadaver des deutschen Proletariats, das alles andere zu sein bezweckt als die Klasse der Kritik und vielmehr ganz und gar nicht daran denkt, seine am 1. Mai 1933 in Szene gesetzte “Eindeutschung” revolutionär zu widerrufen. Diesen “Soldaten der Arbeit” (Hitler) muß man den Marx der Linkspartei nicht erst noch beibiegen.

Joachim Bruhn

Anmerkungen

[ 1 ] Vgl. nur Terry Eagleton, Warum Marx recht hat, Berlin 2012; Fritz Reheis, Wo Marx recht hat, Darmstadt 2011; Rainer Hank, Hatte Karl Marx doch recht? In: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 13. Juni 2010; Nikolaus Piper, Warum Marx unrecht hat, in: Süddeutsche Zeitung vom 21. September 2012; www.zdf.de/ZDFmediathek/Feiert -Marx-sein-Comeback%253F

[ 2 ] So erschien 1931 in Berlin das Buch des Linkssozialisten Julian Borchardt Das Kapital, Kritik der politischen Ökonomie. Gemeinverständliche Ausgabe, das sich anheischig machte, “’Das Kapital’ lesbar zu machen”, denn “Marx’ Lehren zu kennen ist eben heute für 100.000e geistig erweckte Menschen eine materielle Notwendigkeit. Sie hungern nach seiner Botschaft; die Lektüre ist für sie ein Labsal.” (S. XV) – und ganz konsequent entfernte Borchardt als erstes alle Fremdworte, d.h. die “Juden der Sprache” (Adorno), um dann kein Wort über den Antisemitismus zu verlieren und vielmehr gegen die “Finanzaristokratie” (S. 317) zu wettern. Was die Intellektuellen, die den Proleten Marx selbst nicht zumuten wollen, stattdessen im Auge haben, machte Walter Schellenberg, ein DKP-Marxist, klar, denn sein “‘Grundkurs’ ist vor allem für junge Arbeiter gedacht, die den Willen haben, aktiv an der Gestaltung der Zukunft des Volkes mitzuarbeiten.” (Wie lese ich das “Kapital? Einführung in das Hauptwerk von Karl Marx, Frankfurt 1969, S. 6).

[ 3 ] So die Werbung für ihr Buch Freiheit statt Kapitalismus im Philosophie-Magazin 5/2012.

[ 4 ] Rainer Hank, a.a.O. – Zwar verwahren sich die Polylux-Marxisten S. 14 ihres Werkes gegen diese Spaltung des Kapital-Begriffs in produktives und spekulatives; da sie aber an keiner Stelle (offenkundig, um nicht ihren Genosken, den Antizionisten, in die Quere zu kommen), die Gesellschaft des Kapitals als objektiv antisemitisch bestimmen, bleibt dieses Modul im weiteren ohne jede Fortsetzung..

[ 5 ] Karl Marx, Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung, in: Marx-Engels-Werke, Bd. 1, S. 390.

[ 6 ] Friedrich Engels, Vorwort zur englischen Ausgabe (1886), in: Karl Marx, Das Kapital Bd.1 (MEW 23), S. 39.

[ 7 ] Siehe dazu Jörg Finkenberger, Zur Kritik der Lesekreisbewegung, in: Das große Thier 3/2012, S. 15f.

[ 8 ] W. I. Lenin, Karl Marx (1914), in: Ders., Ausgewählte Werke, Bd. 1, Berlin 1970, S. 39: “In der kapitalistischen Gesellschaft herrscht die Produktion von Waren, und die Marxsche Analyse beginnt daher mit der Analyse der Ware.”

[ 9 ] Marx, Das Kapital, S. 49.

[ 10 ] Siehe im übrigen Magnus Klaue, Lebenslang Feedback: die Krake Pädagogik, in: FAZ vom 27. Februar 2012.

[ 11 ] “Marx hatte Recht als er sagte: ‘Nur menschliche Arbeit schafft Werte’”, so der ehemalige Chef der Linkspartei, Klaus Ernst (solidrostock.blogsport.de/2011/08/30).

[ 12 ] Karl Marx, Ökonomisch-philosophische Manuskripte (1857/58), in: MEGA II.1.1, S. 161.

[ 13 ] Karl Marx, Grundrisse, Berlin 1953, S. 139.

[ 14 ] Anne-Kathrin Krug, Kapital-Lesekreise: Aufgepaßt! Bildungsmaterial zu Marx’ Hauptwerk erleichtert nicht nur TeamerInnen die Arbeit, in: AK 572 vom 18. Mai 2012.

[ 15 ] Kolja Lindner, Marx auf dem Markt, in. die tageszeitung vom 21. April 2012.

[ 16 ] Jürgen Amendt, Marx für Einsteiger, in: ND vom 29. Juni 2012.

[ 17 ] Hegel, Enzyklopädie I: Logik, § 121 (Zusatz), in: Marx, a.a.O., S. 278.

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