Die bürgerliche Wissenschaft vom Reichtum als Politische Ökonomie des Reformismus

Die bürgerliche Wissenschaft vom Reichtum als Politische Ökonomie des Reformismus

Über Sir John Maynard Keynes

Joachim Bruhn

Mit John Maynard Keynes wird der politische Souverän als auch ökonomisches Existential der kapitalistischen Produktionsweise erkannt und anerkannt, wird also der “Überbau” zum konstitutiven Element der “Basis”. Der Staat, als Gewaltmonopolist in letzter Instanz stets schon äußerer Garant wie als Rechtswahrer je schon formeller Organisator, wird nun zur inneren Kondition der Akkumulation. Politische Ökonomie, die schon immer, ihrem Begriff gemäß, von der materialen Einheit von Ökonomie und Politik in Gestalt ihrer formalen Trennung handelte, behandelt sie nun auch der Sache nach. Es war daher mehr als eine durchsichtige Anbiederung an den Nazismus, als Keynes 1936 im Vorwort zur deutschen Ausgabe seines epochemachenden Werkes Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes erklärte, seine “Theorie der Produktion als Ganzes (könne) viel leichter den Verhältnissen eines totalen Staates angepaßt werden als die Theorie der Erzeugung und Verteilung einer gegebenen, unter Bedingungen des freien Wettbewerbs und eines großen Maßes von Laisser-faire erstellten Produktion.” Keynes liquidierte die liberale Nationalökonomie theoretisch, als der politische Liberalismus praktisch liquidiert wurde. Denn seine kritische Abgrenzung von aller bisherigen Nationalökonomie wie seine Behauptung, “sowohl die Manchester-Schule wie der Marxismus (stammten) letzten Endes von Ricardo ab” zielen darauf, die Gesamthaftung, die der Staat, wie im New Deal so im Nazismus, für Fortgang und Gedeih der Akkumulation übernimmt, zum Dreh- und Angelpunkt der volkswirtschaftlichen Theorie werden zu lassen. Die gesellschaftliche Synthesis ist zum Problem geworden, seit sich die “unsichtbare Hand” der liberalen Theorie in der großen Krise von 1929 wie gelähmt zeigte. Der allseits sichtbare starke Arm des Souveräns hat nun der Konkurrenz unter die Arme zu greifen, um die Akkumulation zu retten. Dieser Funktionswandel des Staates reflektiert und vollzieht den Übergang von der bürgerlichen Gesellschaft zur totalen Vergesellschaftung. Der Keynesianismus ist die Nationalökonomie dieses Übergangs wie der “klassenlosen Klassengesellschaft” (Adorno), die er etabliert.

Es war einmal: Vor über hundert Jahren, als die Arbeiterbewegung noch gewisse Anstalten machte, eine revolutionäre Bewegung zu werden – d.h. vor ihrer Spaltung in ehrenwerte Arbeitskraft und Lumpenproletariat wie vor ihrer Zerlegung in Marxismus und Anarchismus –, war die Politische Ökonomie eine durchaus bürgerliche Angelegenheit. Politische Ökonomie, so, wie sie in den epochalen Werken Turgots und der Physiokraten in Frankreich, so, wie sie in den Untersuchungen über die Gründe des Reichtums der Nationen bei Adam Smith oder bei David Ricardo in England und so, wie sie auch in Deutschland mit Friedrich Lists Das nationale System der Politischen Ökonomie vorlag, sollte die objektive Wissenschaft sein, in der die kaum als herrschende installierte bürgerliche Klasse der Ursachen und Bedingungen ihres Reichtums sich vergewisserte. Politische Ökonomie war diese Wissenschaft, weil der Staat, ihr eigenes politisches Organ und geschäftsführende Kommission, zur Bedingung der Möglichkeit der neuen Wirtschaftsweise geworden war, war er es doch, der die doppelt freie Lohnarbeit erzwang. Die Politische Ökonomie hatte als Wissenschaft vom Allgemeinen die Nachfolge und das Erbe der Theologie angetreten; die Rede von der “unsichtbaren Hand” zeugt davon.

Wie die Theologen um den Begriff Gottes den Kopf sich zerbrachen, so die Ökonomen um den der Arbeit. Wie der Theologie alles und jedes aus Gott entstand, so der bürgerlichen Reichtumswissenschaft aus Arbeit. Gott sollte der totale Ursprung sein, aber seinen Antagonisten, den Teufel, gab es doch. Die Arbeit, und nur die Arbeit, sollte den Reichtum schaffen, und doch gab es die Massen der working poor und unüberschaubare industrielle Reservearmeen. Die Wissenschaft vom Reichtum wollte dem auf den Grund, aber indem sie es tat, überführte sie nach und nach die Rede vom Eigentum aus eigener Arbeit, die ihre Polemik gegen die müßige, gleichwohl aneignende Feudalität rechtfertigte, der Ideologie. Denn das Eigentum an der Arbeitskraft anderer war theoretisch nicht recht vorgesehen. Je entschiedener die Nationalökonomie – in den Schriften Ricardos – daran festhielt, aller Wert stamme aus Arbeit und berechne sich nach Arbeitszeit, desto mehr mußte sie anerkennen, daß der Tauschwert, d.h. der tatsächliche Marktpreis der Waren, einer anderen Logik folgte, der von Angebot und Nachfrage. Darüber wurde die Nationalökonomie nachgerade schizophren. Objektiver Wert und subjektive Wertschätzung trieben auseinander; die Nationalökonomie gab ihren Anspruch auf Totalitätserkenntnis sukzessive preis und spaltete sich auf in Betriebswirtschaftslehre und Rationalisierungswissenschaft einerseits, in Marktkunde und Preisstatistik andrerseits. Der theoretische Spagat zwischen Fabrik und Markt konnte um so weniger gelingen, als nicht nur der Wertbegriff Anathema war, sondern eben auch die Form, in der der Wert diesen Spagat praktisch bewältigte: die Form des Geldes. Über der Fülle der empirischen Erscheinungen und Funktionen des Geldes – Maß der Werte, Maßstab der Preise, Wertspeicher, Zahlungsmittel, Geld als Kapital, Kreditgeld, Weltgeld – ging ihr die wesentliche Einheit der Sache, die die Vielfalt erst stiftete, verloren. Das Vermittlungsproblem von, bürgerlich gesprochen: Produktionswert und Marktwert ist der Nerv der Politischen Ökonomie, und es hört auf den Namen des Geldes, dessen Begriff positivistisch liquidiert wurde.

Die Geschichte, die folgt, resümiert sich so: Bevor das Proletariat zur Arbeiterklasse transformiert wurde, benötigte es keine eigene Politische, besaß es doch eine moralische Ökonomie. Das proletarische Naturrecht besagte, die Natur habe alles für alle und für alle wahrhaftigen Bedürfnisse bereitgestellt; nur Habgier habe die prästabilisierte Harmonie von Bedürfnis und Gebrauchswert gestört. “Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen”: Das war, noch ganz ohne antisemitische Pointe, gegen die nach dem Bild des Feudalherrn gedachten Fabrikdespoten gemünzt, etwa bei Wilhelm Weitling. Als das Proletariat dann als Arbeiterklasse konstituiert war, griff sie zur Politischen Ökonomie David Ricardos und schuf den proletarischen Kultus der Arbeit als Quell allen Reichtums (und unterschlug, ganz bürgerlich gestimmt und idealistisch, die Natur als den Stoff allen Reichtums). Sie schlug sich auf die Seite des “Produktionswertes” gegen den “Marktwert”, nahm die Partei des “Produktivkapitals” gegen das “Finanzkapital” und die des scheinbar konkreten Gebrauchswerts gegen das scheinbar abstrakte Geld. Und als dann Karl Marx seine revolutionäre Kritik der Politischen Ökonomie verfaßte, in der er nachwies, daß der Reichtum ob seiner antagonistischen Produktionsweise Warenform und Geldform anzunehmen gezwungen ist, in der er weiter zeigte, daß nicht “die Arbeit” der Quell allen Reichtums, sondern die Lohnarbeit der Stoff der Kapitalakkumulation ist, da war es zwar nicht für die Erkenntnis des tatsächlichen Sachverhalts zu spät, aber doch für die Arbeiterbewegung. Daß, wie Marx eingangs des Kapital konstatiert, “der Reichtum der Gesellschaften, in welchen kapitalistische Produktionsweise herrscht, als eine ungeheure Warensammlung, die einzelne Ware als seine Elementarform erscheint”, ging keinen mehr an, der sich genötigt fühlte, das gewaltige Warengebirge neu und anders zu verteilen.

Im genauen Maße, in dem die Arbeiter ihren gesellschaftlichen Auftrag sich aneigneten, das selbstbewußte variable Kapital darzustellen, verging der bürgerlichen Wissenschaft vom Reichtum die Intention auf Erkenntnis der Tota lität. Sie zerfiel in eine “linke” und in eine “rechte Fraktion”. Die Arbeiterbewegung okkupierte für sich den “Produktionswert”, die sog. “objektive Wertlehre”, das Bürgertum reklamierte für sich “Marktwert”, die sog. “subjektive Wertlehre”. Und im selben Gang, in dem die Arbeiterbewegung dem linken Ricardianismus anheimfiel und, weil der Zusammenhang von Arbeit und Geld ihr okkult blieb, den Sozialismus als Ereignis gerechter Distribution definierte – Karl Kautskys Rede vom “sozialistischen Geld” markiert den Wendepunkt –, im selben Zug warf die bürgerliche Nationalökonomie die Arbeitswertlehre über Bord und sich der “Lehre vom Grenznutzen” und der von den “Produktionsfaktoren” in die Arme.

Diese Entwicklung reflektiert – theoretisch betrachtet – die Spaltung der klassischen Wissenschaft vom Reichtum in eine objektivistisch-proletarische und eine subjektivistisch-bürgerliche Fraktion, die jedoch gleichermaßen nicht anzugeben wußten, wie, sei‘s von der Arbeit her, wie, sei‘s vom Markt her, die Objektivität des Geldes zu denken sei und wie der einheitliche Begriff des Kapitals in der Vielfalt seiner Erscheinung möglich. Das Geld blieb, ob proletarisch, ob bürgerlich, instrumentales Medium der Distribution; das Kapital war, ob objektivistisch oder subjektivistisch, dinglicher Reichtum und Vermögen. Aber diese Entwicklung reflektiert zugleich – sozialhistorisch betrachtet – einen folgenreichen Umschlag der Vergesellschaftung selbst. Gesellschaft, als kapitalisierte, wird zur zweiten Natur, und weder das Gründungssubjekt dieser Gesellschaft, das Bürgertum, noch das proletarische Alternativsubjekt vermögen dem automatischen des Kapitals noch theoretisch oder praktisch Paroli zu bieten. Die Kapitulation der proletarischen wie der bürgerlichen Variante klassischer Reichtumswissenschaft vor ihrem Gegenstand wie ihr Umschlag in Ideologie, der auf dem Fuße folgte, waren die Konsequenz.

Die Klassen waren als einander wie immer ausschließende oder konfligierend ergänzende Subjekte erledigt; die Bourgeoisie war durch die Aktiengesellschaften abgedankt, das Proletariat durch die reelle Subsumtion des Arbeitsprozesses unter den der Verwertung. Die Akkumulation war total geworden, aber das “automatische Subjekt” funktionierte nur in maschinenhaftem Objektivismus. Die Subjektivität des Gesamtprozesses – d.i. das Bewußtsein der nicht und unmöglich durch Konkurrenz und Akkumulation selbst zu erbringenden Voraussetzungen von Konkurrenz und Akkumulation (es sind dies tatsächlich Eduard Bernsteins “Voraussetzungen des Sozialismus”) – wurde, als Ideologie und notwendig falsches Bewußtsein, vom politischen Souverän, vom Staat usurpiert. Die bürgerliche Spaltung von Ökonomie und Politik, die schon immer die Form ihrer materialen Einheit war, wurde nun, nach dem vom Kapital vollstreckten erst funktionalen, dann, im Nazismus, auch materialen Untergang der Klassen, zur kapitalen Einheit versöhnt.

Das Bewußtsein dieser falschen Versöhnung auf dem Boden einer falschen Spaltung heißt John Maynard Keynes; in ihm kommt der Gesamtprozeß zu Bewußtsein. Vor Keynes waren Begriff und Sache der Krise Anathema gewesen; mit Keynes wird die Krise zum Grundproblem der Ökonomie überhaupt und wird der Staat zum generalbevollmächtigten, in Permanenz tagenden großen Krisenausschuß. Der Staat wird das formelle Subjekt einer Ökonomie, dessen materieller Autor das Kapitalverhältnis darstellt; “Basis” und “Überbau” treten in ein Verhältnis wechselseitiger Konstitution.

Und das heißt, daß der Staat den Umschlag des Kapitals und die Reibungslosigkeit der Permutationen, die es in diesem Umschlag durchzumachen hat, als seinen ureigenen Auftrag betrachtet. Nach Marx steckt im Wertrealisierungsproblem, d.h. im Verhältnis von Ware und Geld, die allgemeinste Möglichkeit und bestimmte Gewißheit der Krise überhaupt. Keynes greift diesen Gedanken auf – ohne allerdings vom Konnex von Warenform und Geldform nur den Anflug eines Schimmers zu haben –, um die Krisenträchtigkeit im Ansatz zu unterdrücken: erstens – dies die Einladung an den proletarischen Reformismus – wird die proletarische Nachfrage als Teil des Problems identifiziert. Die Krise soll wesentlich Unterkonsumtionskrise sein, Verelendung trotz Bedürfnis nach der Ware und Kaufenthaltung wegen Mangels an Zahlungsmitteln. Jeder Kapitalist will den Lohn seiner Arbeiter drücken, aber er hofft doch, daß die der anderen Kapitalisten möglichst viel Lohn beziehen, um seine Waren abzukaufen. Ein Widerspruch von nicht geringerer Statur als der bei der Frage der Begrenzung des Arbeitstages tut sich auf: Jeder Kapitalist verstößt, indem er seinem unmittelbaren Interesse folgt, gegen sein nicht weniger unbedingtes Interesse am Erhalt seiner Produktionsweise selbst. Der keynesianische Staat will die Arbeitslosen durch ABM in die Ökonomie zurückholen, und sei‘s durch bezahltes Ausheben und Zuschütten von Erdlöchern.

Zweitens – dies die Einladung an den bürgerlichen Konservatismus – wird die Golddeckung der Währung so als Hemmnis der Staatsintervention identifiziert wie die mangelhafte Organisation des Kapitalumschlags selbst. Die Deckung des Geldes durch das Gold, sagt Keynes, ist ein Restbestand des werttheoretischen Objektivismus, sie immobilisiert den Staat, hindert ihn an der Ausweitung des Kredits: Deflation, wie 1929, ist die Folge, d.h. die “Flucht in den Sachwert”. Die Idee, sagt Keynes, Geld werde durch Gold gedeckt, ist falsch, denn Geld sei seinem Wesen nach nichts anderes als Kredit, d.h. nur das generalisierte Vertrauen in die Zahlungswilligkeit und Zahlungsfähigkeit der Vertragssubjekte. So löst der Kredit sich auf in die Psychologie der Wirtschaftssubjekte, basiert auf ihren Erwartungen des zukünftigen ökonomischen Verlaufs. Indem der Staat für das Geld bürgt, gibt er die psychologisch nachhaltigste Garantie: Wann hätte man je, wie irgendeine Aktiengesellschaft, den Staat Bankrott anmelden sehen? Damit, mit der Staatsgarantie, ist zugleich ein Beitrag geleistet zur Permanenz der Akkumulation: die Rationalisierung der Umschlagszeit, die es ermöglicht, Kredit auf noch nicht verkaufte Waren aufzunehmen, um zu investieren, bevor der Zyklus eigentlich vollendet wurde, hänge von der Erwartung immer erweiterterer Reproduktion des Kapitals ab.

Drittens hält der keynesianische Staat der Bourgeoisie das Angebot feil, die sozialökonomisch integrierte Arbeiterklasse auch politisch und ideologisch einzubauen – denn sein Programm ist nichts anderes, sagt Keynes, als ein “antimarxistischer Sozialismus”, ein Sozialismus ohne Klassenkampf, d.h. die produktive Gemeinschaft der, wie es die NSDAP ausdrückte, “Schaffenden von Hirn und Hand”. Der Klassengegensatz wird zur funktionalen Arbeitsteilung, Ausbeutung wird sachlich nüchterne Produktionsleitung, indem der Staat für die Subsistenz der Ware Arbeitskraft sich verbürgt.

Und viertens schließlich gibt der keynesianische Staat der Arbeiterbewegung die Offerte einer “Sozialisierung der Investitionen”, kommt also ihren planwirtschaftlichen Ambitionen entgegen, einer Vergesellschaftung des Kredits, die wesentlich im Kampf gegen das arbeitslose Einkommen bestehen soll. Dem Mangel an Kaufkraft soll abgeholfen werden, indem Keynes eine Idee des einigermaßen faschistoiden Freiwirtschaftlers Silvio Gesell aufgreift: die Abschaffung des Zinses, der Rendite auf “untätiges Geldkapital”. Daraus soll folgen “der sanfte Tod des Rentners, des funktionslosen Investors, der nichts Plötzliches sein und keine Revolution erfordern wird.”

Keynes denkt, alles in allem, die Einheit von Kapital und Arbeit im Programm ihres gemeinschaftlichen Kampfes gegen die Krise unter Leitung des politischen Souveräns. Indem er jedoch die Krise als Ausdruck der Unterkonsumtion denkt, erscheint ihm die Knappheit des Geldes als das basale Problem. Geld ist ihm wesentlich nicht Wertspeicher, d.h. Kapital in monetärer Form, sondern der Schleier über der Produktion von nichts als Gebrauchswerten. Geld ist ihm bloß das tech nische Instrument der Vermittlung von Kauf und Verkauf, bloß dingliche Einheit, in der gezählt und gerechnet wird, und reines Mittel ohne autonomes Wesen. Dem Mangel an Geld soll es geschuldet sein, daß der ökonomische Zyklus erlahmt. Diesem Mangel soll mittels staatlicher Geldschöpfung wie der Vergesellschaftung des Kredits abgeholfen werden, um die Nachfrage zu stimulieren. Aber die Gebrauchswerte sind keineswegs die Gebrauchswerte, sie sind Waren, Dinge, die aufgrund ihrer antagonistischen Produziertheit die Form der Waren erhalten, Kapitalprodukte, die daher die Form des Geldes annehmen müssen. Geld ist nicht, wie Keynes glaubt, “sozusagen die gleiche Sache wie Grünkäse”, sondern die besondere Darstellung des allgemeinen Warencharakters der Gebrauchswerte als der Produkte des Kapitals.

Die Krise mithin, die als sich selbst verstärkende Krise der Nachfrage erscheint, ist Krise der Akkumulation, ist Überakkumulation, Überfluß also nicht an Geld schlechthin, sondern an Kapital in Geldform. Mit Keynes wurde dieser Überfluß dem inneren Markt zugeleitet, d.h. der volkswirtschaftlichen Funktionalisierung des proletarischen Konsums, die sich als Moment der auch materiellen Subsumtion der Gesellschaft unter das Kapitalverhältnis erwies. Darin liegt die Stärke der bürgerlichen Wissenschaft vom Reichtum, wie Keynes sie ausgearbeitet hat. Sie hat damit der Akkumulation die systematisch letzten Ressourcen erschlossen und ihre letzte Grenze erreicht. Das ist der Anfang ihres Endes.

Der Keynesianismus ist die unhintergehbare Ideologie des Staates als ökonomischer Agent wie als Generalbevollmächtigter des Kapitalverhältnisses. Darin spiegeln sich das objektive Interesse wie der subjektive Konsens der zu Funktionsträgern mutierten Klassen am objektiven Zwangscharakter der Akkumulation.

Daher ist der Kampf, den der Reformismus gegen den “Neo-Liberalismus” führen möchte, Fiktion, wenn nicht: Propaganda. Das System von Manchester kehrt nicht wieder, denn es herrscht längst anderswo, in Bombay und Rio. Anders gesagt: der Keynesianismus ist der Liberalismus der Metropolen unter den Bedingungen der totalen Vergesellschaftung, die Wissenschaft vom Kapital, das sich der Verfügungsmacht der Bourgeoisie entzogen hat. Die Schlagworte, in denen die “Umverteilung von unten nach oben” gegeißelt wird – “Austeritätspolitik”, “Sozialdarwinismus”, “Marktwirtschaft pur” usw. usf. – wollen vergessen machen, daß der Staat seiner volkswirtschaftlichen Gesamthaftung allerdings gerecht wird: das Stabilitätsgesetz von 1967, das ihm die Obacht übers “magische Viereck” aus Vollbeschäftigung, ausgeglichener Zahlungsbilanz, Preisstabilität und ausgeglichenem Staatshaushalt auferlegte, ist nach wie vor in Kraft. Und es wird so strikt befolgt, wie die Lage es gestattet, d.h. unter den Bedingungen des hegemonialen Projektes, die Deutschmark zur europäischen Einheitswährung zu erheben und damit die Bundesbank zur europäischen Zentralbank. Sie ist, wie es Carl Schmitt, der etwas verstanden hatte vom Staat des Kapitals, wohl ausgedrückt hätte, tatsächlich der “Hüter der Verfassung”, der Kontrolleur ihrer Fähigkeit, die Normallage der Akkumulation zu garantieren. Und deren Kern wiederum besteht im “Vertrauen in die D-Mark”, in ihre Tauglichkeit, unter der Maske des Euro dem Dollar die überaus profitable Funktion des Weltgeldes streitig zu machen und zugleich die (wie immer relative so doch:) Kalkulierbarkeit der Profitmacherei zu sichern. Die Stabilität der Währung ist diesem modernisierten Keynesianismus nicht alles, aber ohne sie ist alles nichts.

Aus: Bahamas N° 26 / 1998

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