Die Transformation der Demokratie
Die Transformation der Demokratie
Auch Bücher haben ihr Schicksal, insbesondere dieses
Joachim Bruhn
Johannes Agnolis Hauptwerk, der staatskritische Traktat “Die Transformation der Demokratie“ von 1967, hat nicht nur einen bewegenden Inhalt, sondern auch eine bewegte Editionsgeschichte. Zuerst 1967 im bald verflossenen Berliner Voltaire-Verlag erschienen, dann nach 1968 in vielen Auflagen als “Basis-Studienausgabe“ bei der Europäischen Verlagsanstalt, schließlich von 2001 in der “Bibliothek der Utopien“ verramscht, war das Buch, wenn vielleicht nicht, wie Klaus Bittermann 1990 in der “taz“ meinte, die “Bibel der ApO“, dann jedenfalls der Katechismus jener ihrer Fraktionen, die es mit der Staats- und Parlamentarismuskritik ernst nahm. Diese Fraktion der Apo hatte einige machtlose Freunde und sehr entschiedene Feinde, die am Ende fusionierten. Die Freunde kamen aus den besiegten und untergegangen Strömungen der Arbeiterbewegung: Anarchisten, kritische Theoretiker, Rätekommunisten; die Feinde kamen aus dem Zentrum dieser Arbeiterbewegung selbst, aus ihrer etatistischen, sei es sozialdemokratischen, sei es (mao)stalinistischen Fraktion.
Die wollten den “Staat als Hebel“ ansetzen zum Sozialismus, entweder gleich in der Brachialform der “Diktatur des Proletariats“ oder, wie Schröder als junger Mann, friedlicher gestimmt, als der Staat, der “wir alle sind“, d.h. in der Perspektive von Oskar Lafontaine und Ferdinand Lassalle. Mit der Gründung der “Grünen“ Partei war die Staatskritik passé. Es war die neue Unbedarftheit der Politik und des Willens zur Macht, zu der sich autonome Häuserkämpfer, bürgerliche Pazifisten, verschlissene Maoisten, schlecht entbräunte Lebensschützer zusammenfanden. Agnoli ließ sich nicht lumpen und führte ein entschlossenes Rückzugsgefecht, kommentierte die grüne Parteibildung und beharrte, so in seiner “Kommemorativabhandlung“, die 1986 in der Zeitschrift “Probleme des Klassenkampfs“ erschien, auf den Einsichten der Protestbewegung. Er war die militante Nachhut einer Armee, die übergelaufen war oder sich in die Büsche geschlagen hatte. Das Buch wurde in die Antiquariate verfrachtet, und die Sache schien gelaufen. Die Kritik der Politik wurde abgewickelt, d.h. sie sollte, wie einmal die “Frankfurter Allgemeine“ rezensierte, “am Bedarf vorbei“ gedacht und geschrieben worden sein und hatte sich damit in den Augen Gottes, d.h. des Marktes, blamiert. Die Zerstörung der Bewegung von ’68 vollzog sich auf der ganzen Linie, aber der Sieg der Staatsfetischisten über die Subversion war nicht total.
Aus dem Bodensatz, aus dem Feinstaub gewissermaßen, entstand z.B. 1984, von der Initiative Sozialistisches Forum in Freiburg gegründet, der Ça ira-Verlag. Ende der 80er stimmte Agnoli einer neuen Ausgabe der “Transformation“ zu, auch in der Hoffnung, dies könne der Beginn und der erste Band einer Werkausgabe sein. Es zeigte sich dann zum Glück, daß die “Nie wieder Deutschland!“-Bewegung einigen Bedarf an Staatskritik hatte, und so erschienen in den Jahren bis 2001 die jetzt sechs Bände der Gesammelten Schriften, die nicht allein Entlegenes aufsammelten, sondern Agnoli durch viele Übersetzungen auch als italienischen Autor zu Bewußtsein brachten. Allerdings: Als die erste Auflage der “Transformation“ im Dezember 2003 ausverkauft war, verweigerte die Witwe dem Verlag das Recht des Nachdrucks und versemmelte das Werk. Sie verkaufte es aber nach einer Methode, daß dabei die Zerstörung der Werkausgabe, die Johannes Agnoli zu Lebzeiten mitgeplant und autorisiert hatte, herauskam.
Die Witwe begann, das Werk zu ruinieren, dies, indem sie nicht (was ihr möglich gewesen wäre), den ersten Band der Gesammelten Schriften komplett und 1 : 1 einem anderen Verlag verkaufte, sondern indem sie eine Auswahl traf. So werden einige Texte Agnolis wieder in die Unerreichbarkeit verschoben. Und weil im Maße des Verkaufs der noch vorhandenen fünf Bände bei Ça ira die Rechte daran ebenfalls an die Witwe Agnoli fallen, darf erwartet werden, daß sie ihr Zerstörungswerk besten Wissens und Gewissens fortführen wird. Daß sie, etwa in ihrer “biographischen Skizze“ Agnolis, öffentlich zugibt, keine Ahnung von der Sache zu haben, verschlägt dabei nichts: “Ich war keine ’Linke’, nur mit einem Marxisten verheiratet…“ Denn zur Qualifikation ist in diesem Fall keineswegs Sachverstand gefordert; ein gerichtsfester Privateigentumstitel und eine Rechtsschutzversicherung tun es immer. Zu einem derartigen Zerstörungswerk gehören jedoch zwei: eine Privateigentümerin am subversiven Denken, und ein Verlag, der die Zerstörung einer längst vorhandenen Werkausgabe mitmacht. Daß der Konkret-Literatur-Verlag aus Hamburg diesen Part übernahm, ist zwar nicht recht verständlich (andere, die zur Zerfleischung eingeladen wurden, taten nicht mit). Aber die Art und Weise, wie dieser Verlag Agnolis Klassiker unter Beihilfe von Markus Mohr alias Geronimo edierte, zeigt schon, daß der Verlegerin Dorothee Gremliza das Werk Agnolis schnurz ist. Die Bibliographie zum Beispiel, die Barbara Görres Agnoli als Herausgeberin vorlegt, genügt nicht den bescheidensten wissenschaftlichen Ansprüchen: ein schlamperter Murks. Wer sich für das Werk Agnolis interessiert, wird hier nicht nur schlecht bedient; er wird regelrecht in die Irre geführt, indem z.B. bei den italienischen Titeln nicht einmal die längst existenten deutschsprachigen nachgewiesen werden. Aber das macht nichts, denn den Großteil der italienischen Aufsätze wird auch niemand finden, weil ihr Nachweis nicht einmal der Literaturliste studentischer Hausarbeiten genügt. Es ist so recht eine Verhunzung und ein Ärgernis.
Die Kritik der Politik wird es aber, weil sie eine sozialphilosophische Notwendigkeit darstellt, überleben, daß das Werk eines ihrer entschiedensten Protagonisten an die Witwe gefallen ist, die es als ihr Privateigentum ausweidet. Eine der liebsten Passagen aus Hegels frühen Schriften war Johannes Agnoli diese aus dem “Ältesten Systemprogramm des deutschen Idealismus“ von 1796: “Die Idee der Menschheit voran, will ich zeigen, daß es keine Idee vom Staat gibt, weil der Staat etwas Mechanisches ist, so wenig als es eine Idee von einer Maschine gibt. Nur was Gegenstand der Freiheit ist, heißt Idee. Wir müssen also über den Staat hinaus! – Denn jeder Staat muß freie Menschen als mechanisches Räderwerk behandeln; und das soll er nicht; also soll er aufhören.“ Und mit ihm das Urheberrecht, d.h. jedwedes Privateigentum am Produkt des Denkens.
Rezension zu:
Johannes Agnoli, Die Transformation der Demokratie und verwandte Schriften.
Hrsg., von Barbara Görres Agnoli, Hamburg: Konkret-Literatur-Verlag 2004, 235 Seiten, 16,50 €