Winterpalais, Führerbunker, Meinungsbörse
Winterpalais, Führerbunker, Meinungsbörse
Der Herbst 1977 und die Eindeutschung der Linken
Joachim Bruhn
Zwei Sätze, das Wesen des Fortschritts in der Politik betreffend
“Der Staat bin ich. ”
Ludwig XIV, 1643
“Der Staat ist nämlich nichts von den Individuen Abgehobenes, ein kollektives Grundböses,
sondern der Staat sind wir. ”
Antje Vollmer, MdB Die Grünen, am 14. 11. 1987 im Bundestag
Zur gequälten Witzfrage umtriebiger Protestveteranen ist verkommen, ob die Studentenbewegung unter den emphatischen Titeln von Emanzipation und Revolution je anderes bezweckte als jenen mäßig amüsanten Beitrag zur ’politischen Kultur‘, den danach die grüne Partei aus ihrem Nachlaß destillierte. Unter der totalitären Logik des gesellschaftlichen Ausnahmezustandes verging der radikalen Linken im Herbst 1977 das dialektische Bewußtsein so gründlich, als wären es nur Flausen gewesen. Was an der rebellischen Jugendsünde nur spektakuläres Sakrileg war und provokative Probe auf die wirkliche Kraft insgeheim ersehnter Autorität, kehrte im schlagartig hereingebrochenen Altersstarrsinn danach als die kritisch sich mißverstehende Apologie wieder. Der über Nacht vollzogene Umschlag radikaler Staatskritik in wohlwollende Demokratietheorie läßt ebenso wie die durch die Gründung der grünen Partei 1980 nur ratifizierte Einwechselung sozialkritischer Publikumsbeschimpfung gegen gesinnungstüchtigen Populismus daran zweifeln, das hinterm Gestus kulturrevolutionärer Verachtung des Establishments kaum mehr sich verbarg als die militante Rationalisierung des Mißgeschicks, von dessen Privilegien einstweilen ausgeschlossen zu sein. Der deutsche Herbst zerlegte die Rede von der ’konkreten Utopie‘ gründlich in jenes phraseologische Sammelsurium, dessen beliebig kombinierbare Bausteine: abstraktes Ideal, permanenter Bekenntniszwang und begriffsloser Trieb zur Tat, von heute her beweisen, daß die Linke mit der Dialektik nur dem Namen nach bekannt war und daß sie an revolutionärer Praxis nur deren modisches Flair interessierte. Dem Gedanken, der pompöse Beginn sei durchs traurige Resultat mindest vermittelt und vielleicht gar gesetzt, stellt der nostalgische Seufzer etwa Daniel Cohn-Bendits – “Wir haben sie so geliebt, die Revolution” – als die mit guten Vorsätzen gepflasterte Variante der höllischen Bürgerweisheit sich dar, wonach im Ernstfall jeder selber der Nächste sich ist, und, leider, das Hemd näher als die Hose. Daß der 1968 plakatierte dialektische Zusammenhang von Aufklärung und Aktion erst in der leninistischen Litanei von der Einheit von Theorie und Praxis zur Unkenntlichkeit sich verdünnte und schließlich im bloß taktischen Kalkül aus Gesinnungsreklame plus Wählermobilisierung endgültig sich verflüchtigte, legt jedenfalls den Schluß nahe, ‘Revolution‘ sei schon zu Beginn wenig mehr gewesen als eine besonders originelle Reklame für den kategorischen Imperativ, alle Verhältnisse umzuwerfen, unter denen die sozialwissenschaftlich geschulte Intelligenz ein von der 5%-Klausel geknechtetes Wesen ist.
Der Ausnahmezustand wirkte als Katalysator, als Schock, der die Linke zur Raison brachte. Zum Vorschein kamen ihre schiefe Konstitution wie ihr innerster Nerv. Theodor W. Adorno hatte 1969 in den ’Marginalien zu Theorie und Praxis‘ hinter der “automatisch einschnappenden Präge nach dem Was tun, die auf jeglichen kritischen Gedanken antwortet, ehe er nur ausgesprochen, geschweige denn mitvollzogen ist” jene panische Begeisterung fürs repressive Kollektiv vermutet, die aus der Angst vor Einsamkeit, aus dem Gefühl resultiert, als Individuum für den Fortgang des gesellschaftlichen Betriebes herzlich überflüssig zu sein. Kontaktsperre und Isolationshaft, staatlich beaufsichtigter Selbstmord und Geiselopfer stellten klar, unter welchen Bedingungen allein der Staat bereit war, Rechtsstaat zu bleiben und das Recht auf Leben zu achten. Klargestellt wurde überdies, daß man mit Marx vielleicht die historische Tendenz, einstweilen aber nicht die stärkeren Bataillone hinter sich hatte. Der übergesetzliche Notstand konnte so ans Licht bringen, was es mit der “Gnadenwahl der Zugehörigkeit” auf sich hatte, die sich der Einzelne durch die Denunziation kritischer Theorie als ’elitär‘ und ’abstrakt‘, als ’unpraktisch‘ und ’abgehoben‘ erworben hatte. Der Haß auf den radikalen Gedanken war die Vorleistung für den Übertritt zum stärkeren Kollektiv, die Invektive gegens nutzlose Denken die Eintrittskarte fürs Mitmachen bei beliebigen Zwecken. Leitbilder, in denen das Lebensziel sich ausdrückt, sind dafür Indiz. War es zuvor der Partisan, so wurde nach dem Schock der Freibeuter zum heimlichen Idol politischer Unzufriedenheit. Das formelle Dementi seiner Zugehörigkeit zur bürgerlichen Gesellschaft gibt ihm den moralischen Überbau und den ideellen Rechtstitel zur rigorosen Aneignung ihrer Reichtümer. Beide sind Outlaws, beide Repräsentanten der anachronistischen, gleichwohl virulenten Sehnsucht nach einem Leben vom Schlage Robinsons: Einsam und frei. Äußerlich dem Partisanen darin verwandt, daß auch der Pirat mit dem Gleich um Gleich des Tausches bricht, so bricht er doch nur, im Raub, für sich selbst. Der Pirat ist der zur Bande organisierte Konsument, der mit der Äquivalenz von Arbeit und Konsum ein Ende macht, um sich das Beste anzueignen. Mit Herrschaft steht er auf dem Kriegsfuß wie ein Kumpan mit dem anderen, wenn der Kneipier die letzte Bestellung vor der Sperrstunde ausruft. Während der Partisan und Guerillero als Avantgarde der zum historischen Subjekt sich bildenden Produzenten handelt und daher die ungleiche, also materielle Gerechtigkeit ins Verhältnis von subjektiver Fähigkeit und objektivem Bedürfnis bringen will, eignet der Freibeuter das allgemeine Äquivalent der Gesellschaft des abstrakten Rechts sich an: Gold und Geld. Wo der Partisan im objektiven Auftrag der Unterdrückten handelt, da arbeitet der erfolgreiche Pirat als Unternehmer mit hoheitlichem Mandat. Von Staats wegen suspendiert er das Recht der Anderen, seine Kaperbriefe haben die nämliche juristische Qualität wie der “rechtfertigende Notstand” nach Artikel 34 StGB, der den Staat zum Jedermann macht, das Recht zum Accessoire der Staatsraison und die überlegene Repression zur legitimen Notwehr. Stehen revolutionäre Enteignung und räuberische Aneignung auch im Widerspruch, so bedürfen Revolutionär und Räuber doch vergleichbarer persönlicher Vorzüge. Beide, Genosse Che Guevara wie Sir Francis Drake, waren Draufgänger und Kämpfernaturen. Im Untergrund und in der Konkurrenz überlebt der Stärkere, der sich den Mut zum Risiko auch leisten kann. Das Leitbild erhebt diese dem Zweck ephemeren Eigenschaften zum persönlichen Faszinosum, es idealisiert der Aktion, nicht der Funktion wegen. An der Naht vom nagenden Gefühl der eigenen Unzulänglichkeit und der Begeisterung fürs ’survival of the fittest‘ sprang 1977 einer Generation von Herrmann Hesse-Lesern und ’Steppenwolf ’-Fans der Funke über. Revolutionäre Praxis als Ideal wurde gegen den organisierten Pragmatismus gewitzter Schnorrer so fugendicht ausgewechselt, daß dieser überlebensnotwendige Unterschleif vorm Bewußtsein weder als Verrat noch Bruch, sondern als Rettung und Aufhebung des Wesentlichen auf höherem Niveau erschien. Die Linke schwor ab und wollte, was zuvor gegen Theorie sie einklagte, nicht so gemeint haben. Der Rückschlag noch gegen die Theorie, die pragmatisierende Praxis mit dem Vokabular der bolschewistischen Antike legitimiert hatte, folgte auf dem Fuß. Was sich als mindest unpraktisch und überdies gefährlich erwiesen hatte, das mußte obendrein noch unwahr sein. Die Rede vom Klassenkampf und vom proletarischen Subjekt mußte der Apotheose der als Gattung nur notdürftig getarnten Volk sgemeinschaft weichen. Bruch und Niederlage mußten, was natürlich die Theoretiker der Praxis als Letzte merkten, als Lernprozeß ausgegeben werden und als nüchterner Portschritt aus uninteressierter Erkenntnis. Auf die Pleite folgte nicht Selbstkritik, sondern der ’Paradigmenwechsel‘. Die erschwindelte Sozialkritik im Namen der Arbeiterklasse wurde ersetzt durch eine Sozialphilosophie der Boheme, der nichts mehr wichtig, vielmehr alles irgendwie interessant schien. Der Herbst 1977 zerstörte den Traum vom Winterpalais und denunzierte die Staatsraison als den Führerbunker, der sich der Rechtsformen nur bedient. Mit ihren Theorien von der Enthüllung des faschistischen Charakters der Macht lag die Rote Armee Fraktion richtig, unrecht bekam sie nur dadurch, daß, was vorher schon gewußt wurde, die inszenierte Entlarvung niemanden etwas anging. Wovor die Massen revolutionär erschüttern sollten, vorm Antlitz ungebändigter Autorität, war ihnen schon zur Sehnsucht geworden. Ohne historischen Auftrag, nur aus eigener Vernunft, wollte die Linke nichts Grundsätzliches mehr am Kapital auszusetzen haben, Daß der Rückversicherungsvertrag mit dem Proletariat längst einseitig gekündigt war, machte die Wahrheit der RAF aus, bevor sie ihr zum Wahn wurde. Wie Jan-Carl Raspe schrieb, besteht das Problem jeder revolutionären Gruppierung “am Anfang … gerade darin, sowohl schon der Fisch zu sein, als auch durch und in der militärisch-politischen Aktion den Eisblock aufzutauen, damit der Fisch schwimmen kann” (Brief an Gerhard Müller vom 2. 8. 74). Darin war die objektive Stellung des revolutionären Gedankens zur Wirklichkeit reflektiert und zugleich der konstitutionelle Mangel des Proletariats, aus eigener, vom Kapital nur angestoßener Logik vom Objekt zum Subjekt sich zu entwickeln. Nur rechnete die RAF die Notwendigkeit eines identischen Subjekt/Objekts sich selber als Mangel zu, als Unfähigkeit des stählernen Willens zur Tat. Der Versuch, die blockierte Dialektik ins Rollen zu bringen, endete, als tragische Reprise der Geschichte Münchhausens, der am eigenen Schöpf sich aus dem Morast zieht, in der Bestätigung des Satzes, daß Revolutionäre Tote auf Urlaub sind. An der überflüssigen Demonstration dieses Satzes entzündeten sich die Politiken des Überlebens um jeden Preis, wie sie dann in Ökologie und Pazifismus zum Programm wurden. Die Geschichte von den Massakern des Herbstes 1977 über die neuen sozialen Bewegungen bis zur Gründung der Grünen steht im Zeichen der Verdrängung von Todesangst. Habermas avancierte zum organischen Intellektuellen des friedlich-schiedlichen Reformblocks, und die Begeisterung für seine Auffassung, nichts anderes sei der Staat als der Protokollant der parlamentarischen Meinungsbörse, drückt noch aus, welche Strafe auf die Verletzung und Kritik dieser allseits geteilten Ideologie steht. Weil keiner mehr sie wirklich glaubt, müssen alle um so vorbehaltloser sie bekennen. Was um 1980 im massenhaften Bankrott der organisierten Neuen Linken sich aussprach, war die Rache der unterm Druck von Praxis zurechtgestutzten Theorie. Die ’Basis‘ verdrängte sie, um nicht in der Kritik an das in Lenin doch Unabgegoltene zu rühren. Der ’Überbau‘ rationalisierte diese falsche Liquidation. Nicht zufällig ging der Versuch baden, unterm Titel “Marxismus und Ökologie” aus den alten Exzerpten noch einmal zu schöpfen und der endlosen Produktion von Titeln wie ”Marxismus und Linguistik”, Marxismus und Soziologie” weitere zuzufügen. ”Marxismus”, gleich in welcher Gestalt, wurde zum Greuel und zur Drohung. War die Insistenz auf Praxis schon zuvor “als ihr eigener Fetisch zur Barrikade vor ihrem Zweck” (Adorno) aufgeschichtet, so legte die Vergeltung an der gefährlich gewordenen Revolution, die man sich hatte aufschwatzen lassen, die Theorie endgültig an die Kandarre. Der Aufgabe ledig, die obskuren Leidenschaften des Kampfes dutzendfacher Generallinien mit Argumenten zu alimentieren und ihrer jeweiligen Partei den Marsch zu blasen, verwandelte sie sich zum Sprachrohr der Lobby der Ungeborenen. Auf der schiefen Bahn ins parlamentarische Vorschlagswesen fungierte sie als Gleitmittel. Noch der ‘Abschied vom Proletariat‘ machte Reklame für den Verdacht, mit der Klasse je intim gewesen zu sein, aber die Werbung, es mit den Unterdrückten nach Bedarf halten zu können, diente schon dazu, den Preis hochzutreiben. Restlos übersetzte sich der Zwang, die Niederlage zum Lernprozeß zu modeln, in der tibetanischen Beteuerung, fortan als Bewegung “quer zur Klassenlage” aufzutreten, zum freiwilligen Schwur, nicht einmal mehr im Traum sich ins Eingemachte der ökonomischen Verhältnisse sich einzumischen.
Es ist das Paradox des deutschen Herbstes, daß nichts die Linke mehr um den Verstand brachte als die simple Tatsache, in punkto Staat wieder einmal Recht gehabt zu haben. Zehn Jahre hatte sie gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung polemisiert und dabei vom Staat jede Gemeinheit erwartet, aber keine einzige befürchtet. Sie hatte dem Staat sein Unwesen auf den Kopf zugesagt und im übrigen auf den Lernprozeß der Massen spekuliert. ”Protest ist, wenn ich sage, dies und das paßt mir nicht – Widerstand ist, wenn ich dafür sorge, daß, was mir nicht paßt, auch nicht passiert”: Das Diktum Ulrike Meinhofs enthält die geheime Pointe, die der Linken das Genick brach. Als radikaldemokratische Bewegung des nachgereichten Antifaschismus, die sie im Kern war, drapierte sie sich, unterm Eindruck von Notstand und Vietnam, als sozialistische und legte damit das Geständnis ab, daß sie sich das normale Funktionieren einer bürgerlichen Demokratie nicht erklären konnte. Der Marxismus-Leninismus war der zombiehafte Wiedergänger eines unmöglich gewordenen humanen Liberalismus. Dies Quid pro quo mußte unterstellen, die Massen stünden im Vertrag mit der Staatsgewalt und wüßten sie zu kündigen, wenn sie ihren Auftrag verletzt. ”Widerstand” verstand sich so als Methode, die Staatsgewalt wieder in ihre Schranken zu weisen. In marxistisch-leninistischer Verdrehung erscheint nun Widerstand als zur Revolution steigerungsfähige Form. Es wird unterstellt, die abstrakte Negation schlage in die bestimmte um und der Kampf erzeuge seinen eigenen neuen Inhalt. Es muß daher weiter unterstellt werden, das Subjekt, dem die Denunziation der Macht als Aufklärung zugeeignet werden soll, sei ein mindest bürgerlichen Maßstäben Genügendes und Intaktes, ein Subjekt, das selbstbewußt aufs Verhältnis von Aufwand und Ergebnis kalkuliert und seinen Vorteil zu wahren weiß. Nicht zuletzt war es dieser ums Beste halbierte Rationalismus, der schon zur Niederlage der Arbeiterbewegung vor dem Faschismus beigetragen hatte und der nun, als letzte Auskunft von Theorie, im Zentrum des Denkens der Neuen Linken stand.
Als die terroristische Inszenierung der Wahrheit über den Staat bei den Massen nicht auf Entsetzen, sondern auf die begeisterte Bereitschaft stieß, aus der tatenlosen Fernsehfahndung im Lehnstuhl zur Volksfahndung nach dem revolutionären Untergrund überzugehen, brach dieses Weltbild zusammen. Die Klassenanalyse, die den Friseur von nebenan als den von Proletarisierung bedrohten, daher gegens Monopolkapital bündnisfähigen Kleinbürger geschichtsphilosophisch schon in der Tasche hatte, verging schlagartig über der sadistischen Lust, mit der der Volksfrontpartner in spe die Gesichter der ungeliebten Genossen auf den Plakaten ausstrich. Aus dem Spaß des Parteiaufbaus war blutiger Ernst geworden. Die sozialtherapeutische Intelligenz, die die leninschen Theorien vom Klassenbewußtsein nur übernommen hatte, um auch in Zukunft die Privilegien der geistigen Arbeit zu genießen und sich so ein Abonnement aufs Kommando der körperlichen zu verschaffen, begriff, daß sie von der Illusion, ganz vorne zu sein, Abschied nehmen mußte, um wenigstens dabeibleiben zu können. Wie im Fieber wurde das ABC aus Staat und Revolution zum kleinen Einmaleins aus Identität und Kommunikation eingedeutscht. In Zukunft sollte der Staat noch so oft zur organisiert en Gewalt greifen können – man würde garantiert nur den zwanglosen Zwang des besseren Arguments verstehen.
Der CDU-Abgeordnete Dregger sprach . der Linken aus der Seele, als er im Frühjahr 1978 während der ’Sicherheitsdebatte‘ im Bundestag ausführte: “Meine Damen und Herren, es ist noch etwas in Gang gekommen, ein neues Verständnis des Staates. Die Menschen haben in diesen Tagen gespürt, daß der Staat mehr sein muß als eine Schönwettervereinigung zur Wohlstandsmehrung, mehr als ein Gebilde, dem man nur als … lautstark und rücksichtslos Fordernder entgegentritt. … In diesen Wochen ist sichtbar geworden, daß die Deutschen noch ein Volk sind und nicht nur eine Wohlstandsgesellschaft und daß die Bundesrepublik Deutschland ein Staat ist und nicht nur ein Dienstleistungsunternehmen.” Der Herbst 1977 hatte die substantielle Einheit von Volk und Staat erwiesen und damit die Gründung der Grünen Partei auf die Tagesordnung gesetzt. Ökologie und Pazifismus wurden zur Mimikry ans Bestehende, zur programmatischen Versicherung, an dieser Einheit nicht rütteln zu wollen, sie in Zukunft nur anders zu interpretieren. Nur die wahnhafte Antithese aus dem Untergrund, die “Offensive 77” habe den Staat gezwungen, “zum reinen starken Staat zu werden … und sich als unentrinnbarer Apparat der Gesellschaft bis in die feinsten Verästelungen entgegenzustellen”, hält die Erinnerung daran wach, das die zum Kollektiv der Überlebenswilligen renovierte Volksgemeinschaft nicht der Weisheit letzter Schluß sein kann. Die Gefangenen der RAF haben diesen wie immer verschrobenen Verweis auf den Gewaltcharakter der Politik, den ÖkoPax aus guten Gründen nicht wahrhaben will, darin abzubüßen, daß ihnen die längst fällige Amnestie-Kampagne verweigert wird.
Vor 1977 agitierte die Linke gegen die bürgerliche Gesellschaft, seitdem erarbeitet sie Beiträge zur politischen Kultur. Das kommt davon: Vorher stand sie links von der Wirklichkeit, seitdem steht sie rechts von der Vernunft.
Aus: Links. Sozialistische Zeitung (November 1987), S. 18 f.