Deutsches Geld

Deutsches Geld

Manfred Dahlmann

Um erfassen zu können, worauf die aktuelle Währungs- bzw. Schuldenkrise beruht, wäre die Welt als einziger Binnenmarkt zu betrachten. Hier steht, so die Vorstellung der Ökonomen wie auch der Ausgangspunkt von Marx, ein innerhalb einer bestimmten Periode tatsächlich für den Tausch verwendetes Quantum Geld einer diesem äquivalenten (tatsächlich verkauften) Warenmenge gegenüber. Alles Geld, das in diesen Tauschakten den Eigentümer wechselt, gilt als »gedecktes« oder, so sei es im Folgenden genannt: objektives Geld. Diese Äquivalenz von Ware und Geld – spätestens hier trennen sich die Wege von herrschender Nationalökonomie und Kritik der politischen Ökonomie – stellt sich, so glaubt jene, auf den Märkten von selbst her, es sei denn, ein Akteur wie der Staat tritt auf, der deren Selbstregulierung aushebelt: Dann komme es unter anderem zu so mißlichen Erscheinungen wie etwa einer Inflation.

Seit nahezu drei Jahrzehnten nun haben die Ökonomen und die ihnen verpflichteten Politiker die inflationäre Geldentwertung »im Griff«; die Inflationsrate bewegt sich in den kapitalistisch entwickelten Ländern dauerhaft auf einem äußerst niedrigen Niveau – doch richtig stolz auf diesen Erfolg sind die Ökonomen nicht. Denn sie wissen: Macht man die Probe aufs Exempel, summiert also die Preise aller zum jetzigen Zeitpunkt verkaufbaren Waren und stellt ihnen die Summe des in Umlauf befindlichen Geldes gegenüber, kann von Äquivalenz keine Rede sein. Mit welchen Verfahren auch immer man dieses Verhältnis berechnet: Klar ist, die vorhandene Geldmenge übersteigt die Summe der aktuellen Preise der tauschbaren Waren um ein Vielfaches.

Um zur Sache, also zu den Möglichkeiten handfesten Protestes angesichts dieser Situation kommen zu können, seien die innerlogischen Gründe für dieses Mißverhältnis außer Acht gelassen und sei unmittelbar auf den Staat eingegangen. So einleuchtend das Postulat einer – den Staat außen vor lassenden – Äquivalenz von Ware und Geld auch erscheint, empirisch gibt es das oben so genannte objektive Geld gar nicht; es existiert nur als Realabstraktion. Denn bezahlt werden Waren nicht in »Geld an und für sich«, sondern in einer bestimmten Währung. Auf einen Nenner gebracht: ohne Staat kein Geld. Die theoretischen Probleme, die das den Ökonomen bereitet, können uns gleichgültig sein, es genügt festzuhalten: Voraussetzung für ein weltweit inflationsfreies Wirtschaften wäre, daß auf einem jeden Staatsgebiet nur so viel Geld – in dessen Währung – im Umlauf ist, wie es dessen Anteil an objektivem Geld entspricht. Wie einfachste Überlegungen zeigen könnten, ist diese Bedingung unmöglich zu erfüllen, aber das interessiert die Ökonomen wenig. Braucht es auch nicht, denn sie wissen Rat: Gelingt es den einzelnen Staaten, ihre Inflationsrate auf, sagen wir, unter zwei Prozent zu begrenzen, kann man – so die herrschende Lehrmeinung – einfach davon ausgehen, daß es sich bei der Währung in diesem Staat um eine »stabile« handelt.

Kommen wir zur sogenannten Euro-Zone und deren höchst eigenwilliger Konstruktion in der Beziehung zwischen Währungseinheit und Warenproduktion. Was staatsrechtlich wie eine gigantische Fehlkonstruktion aussieht, erweist sich praktisch als höchst effizienter Weg nicht zur Steigerung irgendwelcher Profite, sondern der politischen Macht Deutschlands. Die Quelle dieser Macht ist, daß es Deutschland, wie schon mehrfach in seiner Vergangenheit, gerade unter diesen EU-Bedingungen gelingt, das ansonsten als Krisenursache negativ bewertete Auseinanderfallen von empirischem Geld (also der Währung) und objektivem (also dessen Wert) für sich ins »Positive« zu wenden. Kurz gesagt: Es füllt mit dieser Differenz seine Kriegskasse. Wie dies derzeit geschieht, kann am Beispiel Griechenlands illustriert werden.

Aufgrund der EU-Verträge verbleibt dem griechischen Staat neben dem Gewaltmonopol die für jeden Staat existentielle Steuerhoheit vollständig, er kann also die Produktionsbedingungen auf seinem Territorium »frei« gestalten. Allein die Währungshoheit hat er nicht mehr, die ist in die EZB ausgelagert. Diese EZB als deutsche Institution zu bezeichnen, wäre selbstredend vollkommen verkehrt – denn deren Programm, die Sicherstellung der Stabilität des Euro, liegt im Interesse aller. Wie sehr, ist schnell gezeigt: Nehmen wir an, die Proteste der Griechen gegen die Sparpolitik ihres Staates hätten Erfolg. Dieser würde sich aber in eine grausame Niederlage verwandeln, wenn man auf einmal für dasselbe Geld nur noch halb so viele Lebensmittel kaufen könnte wie zuvor. Daraus folgt: Das vom Staat erkämpfte Geld darf nicht bloß auf dem Papier stehen, sondern muß objektivem Geld entsprechen.

Die EZB – nun allerdings mit deutschem Staatsgeld im Hintergrund – verspricht den Griechen: Wenn ihr Staat die Differenz beseitigt zwischen dem, was sich im griechischen Geldumlauf befindet, und dem, was ihre Wirtschaft an objektivem Geld produziert, dann sind die Banken bereit (was heißt, daß sie von Deutschland zur Bereitschaft »ermuntert« werden), neues Geld – und zwar objektives – in die griechische Wirtschaft zu pumpen.

Das Problem: Bei dem Geld, das Griechenland versprochen wird, handelt es sich – wie schon bei dem Geld, das es sich in den vergangenen Jahren »geliehen« oder als Subvention »geschenkt« bekommen hat – keinesfalls um objektives Geld; um Kapital erst recht nicht. Sondern um mit Euro-Zeichen bedrucktes Papier, das, der Logik aller Ökonomen gemäß, im Umlauf »eigentlich« nichts zu suchen hat. Dennoch: Kaum ein Grieche wird ernsthaft erwägen, allein deshalb das Angebot der EZB abzulehnen.

Der historisch bedingte Vorteil Deutschlands im Verhältnis der Staaten untereinander besteht darin, daß keine Macht dieser Welt groß genug ist, es zwingen zu können, seine Staatsfinanzen in derselben Weise »auf Vordermann« zu bringen, wie dies etwa von der griechischen Regierung verlangt wird. Um die Gründe dafür zu verstehen, tauche man in die Vorstellungswelt einer Person ein, die, sagen wir mal, 100 000 Euro ihr Eigen nennt. Sie lebt in der Überzeugung, dafür auch in 20 Jahren noch Waren erwerben zu können, deren Preise ihrem heutigen Geldvermögen entsprechen, ahnt aber, daß dies illusionär ist. Jeder wird Verständnis dafür aufbringen, wenn diese Person (und jeder, der auf arbeitsloses Einkommen angewiesen ist, befindet sich prinzipiell in derselben Lage) Überlegungen anstellt, wie sie das Risiko minimiert, einen Großteil des Geldes (oder seine Sozialhilfe- bzw. Rentenansprüche) demnächst in irgendeinem Crash (oder einer Währungsreform) zu verlieren.

Im Grunde haben Geldeigentümer (anders als Empfänger von Staatsknete) hier zwei Möglichkeiten: Sie verschieben ihr Geld in den »Dollarraum«, in der Hoffnung, daß die künftigen US-Regierungen, anders als vielfach zuvor, es nicht bei einem Achselzucken bewenden lassen, wenn dieses Geld in irgendeinem schwarzen Loch verschwindet. Oder sie bleiben beim Euro, im Vertrauen auf das nahezu täglich erneuerte Versprechen Deutschlands, mit allen, also auch der reinen Lehre widersprechenden Mitteln dafür zu sorgen, daß sich der Euro nicht entwertet. Und es bleibt ja nicht beim bloßen Versprechen: Tatkräftig wird dafür gesorgt, daß alle vorhandenen Euros sich ständig in Waren tauschen – auf diese Weise finanziert Deutschland unter anderem seine Exportoffensiven und, oh Wunder, dieses Geld taucht in Form von Schulden des Auslands an den deutschen Staat bei den Banken wieder auf. Das Ganze sieht zwar so aus, als finde hier eine gewaltige Umverteilung zugunsten Deutschlands statt, aber ökonomisch ist das alles komplett sinnfrei, auch wenn es deutsche Arbeitsplätze, was heißt: »eigentlich« unrentable Produktionskapazitäten sichert: Dieses Geld erhöht die Mehrwertmasse nicht (mit Marx: es verwertet sich nicht, ist also kein Kapital), blä ht die Geldmenge immer mehr auf und füllt so »nur« die deutsche Kriegskasse.

Zur Zeit führt Deutschland mit diesem Geld vor allem Krieg gegen die sogenannten Spekulanten. Mit jeder Einlage in irgendeinen Rettungsfonds, mit jeder Übernahme und Erhöhung irgendwelcher Bürgschaften sagt der deutsche Finanzminister ihnen: Nur zu, zieht euer Geld aus dem Euro ab und übertragt es in den Dollar oder sonst wo hin, wir halten mit. Irgendwann habt ihr euer Geld verschossen, der internationale Geldmarkt läßt es von der Bildfläche verschwinden. Wir hingegen drucken das Geld, das ihr uns entzieht, zur Not einfach nach – was der Androhung einer »stillen« Enteignung des privaten Geldvermögens gleichkommt. Und: Es wäre ja nicht das erste Mal, daß wir, im Interesse der uns verbleibenden Investoren, einen Wechsel auf die Zukunft ziehen. Das endete bisher zwar immer in einer Niederlage – aber so, wie wir aus jeder Niederlage gestärkt hervorgegangen sind, könnte uns beim nächsten Mal ja der totale Triumph gelingen.

Gegen »den« Kapitalismus zu demonstrieren, umgeht zwar den ansonsten üblichen, Staat und Kapital verdinglichenden Protestkult, ist aber so sinnig wie eine Demonstration gegen die Existenz Gottes. Ein politischer Kampf gegen die »Abwälzung der Krisenfolgen« auf den Lebensstandard der Menschen, die nicht unmittelbar an der Wertverwertung beteiligt sind oder sein wollen, ist hingegen nicht von vornherein aussichtslos, denn aus der Logik des Kapitals betrachtet dürfte es so etwas wie ein arbeitsloses Einkommen (außer dem aus Geldeigentum) gar nicht geben – dessen Existenz erklärt sich allein aus in der Vergangenheit erfolgreichen Drohungen mit einer die Verwertungslogik behindernden Gewaltbereitschaft. Die zu solchem Protest Bereiten dürfen allerdings unter keinem Umständen in die Stabilitätsfalle tappen, was voraussetzt, den Staat des Kapitals – auch den deutschen – nicht als Souverän, sondern als Vermittler zwischen Kapital- und Kriegslogik zu begreifen; sie sollten also redlich sein und sich eingestehen, daß es ihrem Protest »nur« um die Übertragung von Anteilen am objektiven, kapitalistisch »produzierten« Geld gehen kann, und vor allem: Sie müssen sich in einer Form artikulieren, die deutsche Krisenlösungsstrategien weltweit ächtet. Sonst droht ihr Protest erneut dorthin zu führen, wo bisher alle linke Praxis landete: in die Fänge deutscher Ideologie.

Aus: Jungle World Nr. 13 vom 29. März 2012

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