Karl-Josef Müller über Albert Cohen
Karl-Josef Müller besprach auf literaturkritik.de Albert Cohens Erzählung ›Oh, ihr Menschenbrüder‹; darin heißt es u.a.:
»An seinem zehnten Geburtstag, wir schreiben den 16. August 1905 in Marseille, möchte Albert Cohen seiner Mutter eine Freude bereiten. Er sieht das Ende aller Flecken nahen. Ein Straßenhändler preist seinen Universalfleckenreiniger an. Der Zehnjährige hört ihm gerne zu, spricht der Händler doch ›die wunderbare französische Sprache‹, die er selbst, ›der mit fünf Jahren von seiner griechischen Insel gekommen war‹, immer noch nur unzureichend beherrscht.
Und so tritt er schließlich aus dem Kreis der Zuschauer vor, um dieses Wundermittel der Sauberkeit zu erwerben. Doch anstatt es beglückt ausgehändigt zu bekommen, muss Albert eine Suade grenzenlosen Hasses über sich ergehen lassen. Der Fleck, der ihm in den Augen des Straßenhändlers anhaftet, lässt sich mit keinem Mittel der Welt entfernen: Albert Cohen ist Jude. Und wie Alfred Dreyfus kann er, wie alle Juden, nur ein ›Verräter‹ sein.
In quälender Ausführlichkeit schildert Cohen anschließend die tiefe Verzweiflung des Kindes, das er damals war; eine Verzweiflung, die den nunmehr deutlich über siebzigjährigen Autor immer noch nicht verlassen hat.«