Martin Knepper in konkret über Goldschmidts Essay »Heidegger und die deutsche Sprache«
Martin Knepper besprach im April-Heft der Hamburger Zeitschrift konkret Georges-Arthur Goldschmidts Essay »Heidegger und die deutsche Sprache«; er schreibt über ihn u.a.: »Der Raum ist das Stichwort zu einem Schlüssel, der für Georges-Arthur Goldschmidts neu in deutscher Übersetzung erschienenen, aus dem Jahr 2006 stammenden Essay Heidegger und die deutsche Sprache von großer Wichtigkeit ist. Da Heidegger dem Deutschen eine Rolle als Quelle des Denkens zuschreibt und er wie wenige diese Neubildungen für seine Zwecke gebraucht, stellt sich die Frage, worin diese Besonderheit des Deutschen gründen soll. Und hier kommt die verbstiftende Macht der Partikel und Präpositionen ins Spiel: Dank ihrer ist es im Deutschen möglich, aus einer vergleichsweise begrenzten Zahl von rund 2500 Wortstämmen aus Tätigkeitsverben eine schier unermessliche Permutationskette zu bilden: umstellen, einstellen, abstellen, nachstellen, unterstellen usw. Eine agglutinierende Sprache des Konkreten, die die Möglichkeit bereithält, mittels dieser Methode und der im Deutschen so gebräuchlichen Substantivierungen unerschöpflich neue Zusammenhänge zu bilden – man kann es selbst ausprobieren: Aufruhen, untertragen, beilaufen, vieles wäre möglich und birgt das Potential, vom Gesprochenen zum Gedachten, mindestens Denkbar zu werden. Es ist eine Sprache der der Körper- und Räumlichkeiten, die einen Kubus aus Wortgeflechten bilden. Einen vielgestaltigen, aber gerade durch seine Plastizität gebundenen Kubus, ein morphologisches Labyrinth, was Goldschmidt parallel zur bildenden Kunst der Renaissance etwa eines Dürer setzt: Mit der Zentralperspektive wird eine Genauigkeit, eine scheinbar unhinterfragbare Richtigkeit der Darstellung erzielt, doch es ist eine ›gekränkte Räumlichkeit‹. Die körperlich spürbar beengt umschlossenen Figuren in den Altarpaneelen der Holzschneider und all ihrer gemalten, gestochenen Hieronymusse in ihren Gehäusen schaffen ein Gefühl gedrängter Fülle, vergleichbar einer Landschaft der Märchen, in einem vagen Irgendwie angesiedelt, das doch stets seine Phantasiewelt in enger Begrenztheit belässt, mit ein Ein- und Ausgang zwischen Spinnstube und Königshof: ›Heimat‹ ist immer auch ein Körperempfinden, der Sprachraum bildet einen Lebensraum ab. Und Heidegger, im Versuch, ein ›Eigentliches‹ hervortreten zu lassen, exerziert diese Plastizität durch Dinghaftigkeit in einem Maß, dass es nicht selten die Grenzen zur Komik streift«.