Robert Zwarg über Poliakovs Studie »Von Moskau nach Beirut«
Im neuen deutschland erschien jüngst eine ausführliche Besprechung von Léon Poliakovs Studie »Von Moskau nach Beirut«, die im Dezember 2022 bei uns erschien. In der Besprechung, die unter dem Titel »Dokumentation als Aufklärung« veröffentlicht wurde, heißt es u.a.:
»Ausgeblendet wird vor allem der linke Antisemitismus und seine Geschichte. Weil man das Ressentiment gegen die Juden so gut wie ausschließlich bei der politischen Rechten sieht und sehen möchte, weil das Schwarz-Weiß-Denken des Antiimperialismus in der zeitgeistigen Gegenüberstellung von »Westen« und »Globalem Süden« fröhliche Urständ feiert und weil einen schon die Gesinnung auf der richtigen Seite der Geschichte platziert, ist eine ganze Reihe von Debatten über die blinden Flecken der Linken in Vergessenheit geraten.
Abhilfe könnte die Lektüre des Buches »Von Moskau nach Beirut. Essay über die Desinformation« von Léon Poliakov verschaffen. Es erschien 1983 auf Französisch und nun, herausgegeben und erstmalig übersetzt von Alex Carstiuc und Miriam Mettler, im Freiburger Verlag Ça Ira, der sich seit Jahrzehnten um eine Kritik und Aufarbeitung jener erwähnten Leerstellen der linken Geschichte bemüht und verdient gemacht hat. Bereits 1992 veröffentlichte der Verlag Poliakovs Streitschrift »Vom Antizionismus zum Antisemitismus« aus dem Jahr 1969.
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Einerseits ist »Von Moskau nach Beirut« eine Streitschrift gegen die offen antisemitischen Stimmen unter den Reaktionen auf den Libanonkrieg und eine Darstellung ihrer historischen Wurzeln. Den wichtigsten ideologischen Gegensatz – und das ist mit Blick auf die Gegenwart bedeutsam – sah Poliakov jedoch nicht zwischen der Linken und der Rechten, »sondern zwischen der sogenannten Intelligenz und den Durchschnittsfranzosen«.
Andererseits ist sich Poliakov keineswegs sicher, ob sich das öffentliche Geschehen auf die Wiederkehr des »alten französischen Antisemitismus« reduzieren lässt. Im Grunde äußert sich darin die Ahnung, dass die neue geopolitische Gemengelage, die ideologischen Transformationen der Generation von 1968, Israels noch junge, staatliche Souveränität und deren Verhältnis zur internationalen Gemeinschaft sowie das willkürlich auf- und abnehmende Interesse am Schicksal der Palästinenser seinen Begriff vom Antisemitismus, der sich recht eigentlich aus dem Antijudaismus des Mittelalters herleitet, herausfordern. Dass Poliakov am Ende des Buches nach einigem Abwägen davon spricht, dass das Verschweigen der Tatsache, dass Jesus und seine Jünger selbst Juden waren, vielleicht »die bedeutendste Desinformation der westlichen Geschichte« sei, »die den Keim für all jene enthält«, die das Buch besprochen hat, drängt diese Ahnung wieder zurück.«