Rezension zu »Es denkt« im Jahrbuch Sexualitäten
Im Jahrbuch Sexualitäten 2021 findet sich eine von Marco Ebert verfasste Rezension zu Ilse Bindseils Schrift Es denkt.
Ilse Bindseils 1995 im ça ira-Verlag veröffentlichte und 2019 wiederaufgelegte Schrift »Es denkt« lässt sich als eine Kritik an jenen feministischen Wissenschaftskritikerinnen lesen, die im Konzept einer neuen »weiblichen Subjektivität« einen Ausweg aus den sozialen Widersprüchen sahen und damit die Möglichkeit der Versöhnung von Gesellschaft und eigenem Körper verbanden. In gleicher Weise trifft sie aber auch all jene linken Gesellschaftskritiker, die unverdrossen vom souveränen bürgerlichen Subjekt schwadronierten, als hätte es Auschwitz und Kulturindustrie nie gegeben. Akribisch zeigt die Autorin die Konsequenzen auf, die sich aus der Ideologie eines der Gesellschaft gegenüber immunen Denkens ergeben. Das ist zuvorderst ein zweites Inbeschlagnehmen des Körpers durch die Gesellschaft. Neben seiner ohnehin stattfindenden Vernutzung durch die Arbeit wird das, was danach von ihm übrigbleibt, ein weiteres Mal der Gesellschaft zugeführt: diesmal als ihr angeblich Widerständiges oder transzendentales Moment, das im Denkenden als Potenzial angelegt sei. Wo schließlich der durch die gesellschaftliche Gewalt zugerichtete Körper als Denkfabrik und Keimzelle des Neuen oder als die verkörperte Unschuld gilt und wo dieser sich schließlich selbst als möglicher Heilsbringer einsetzt, geschieht Affirmation in Reinform. Nicht allein der geschundene Körper wird affirmiert, sondern – noch wesentlich fataler – die gesellschaftliche Gewalt, die ihn in dieser Form hervorgebracht hat, erfährt eine positive Sinnstiftung. Und hierfür muss diese Gewalt weder begriffen noch beschrieben werden, es geschieht quasi hinter dem Rücken der Ideologen. Gegen eine solche Sinnstiftung der kapitalistischen Vergesellschaftung, die die Menschen tatsächlich zum bloßen Auswurfprodukt eines zutiefst irrationalen Prozesses gemacht hat, wehrt sich die Marxistin Bindseil. Sie interessiert nicht, wie das Richtige auszusehen hat, sondern wie ein »Nein« zum Falschen weiterhin möglich ist und unter welchen Bedingungen dieses formuliert werden muss. [Weiterlesen]