Initiative Sozialistisches Forum – Jour Fixe Programm Frühjahr/Sommer 1990

Jour Fixe Programm Frühjahr/Sommer 1990

Dienstag, 8. Mai 1990

Der Zusammenbruch des Staatskapitalismus und die Perspektiven der Linken

Die pax sovietica, die fast ein halbes Jahrhundert eine eiserne Zwangsjacke um die Nationalismen Osteuropas gelegt hatte, bricht in diesen Tagen endgültig zusammen. Außenpolitisch hat der Marxismus-Leninismus seit Lenins Theorie vom “Selbstbestimmungsrecht der Nationen” genau den Fanatismus gezüchtet, an dem die Sowjetunion jetzt zerbricht. Innenpolitisch angetreten, die Ideale der deutschen Sozialdemokratie von Lassalle bis Hilferding militant zu realisieren, hat er nicht nur nicht “Jedem nach seinem Bedürfnis” gegeben, sondern vielmehr einen Warenhunger in den Menschen ausgebrütet, an dem sich die neu-linke Phantasmagorien von wegen “Konsumterror” noch gewaltig blamieren werden. Pleite auf der ganzen Linie also – wie wird die Linke darauf reagieren? Wie gewohnt, d.h. mit Verdrängung plus Durchhalteappell oder, wie gehabt, mit Abschwören inclusive drängelndem Konvertitentum? Im Westen nichts Neues?

Um 20 Uhr im Jos Fritz-Café, Wilhelmstr. 15 (Spechtpassage)

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Dienstag, 15. Mai 1990

Sozialismus als Auslaufmodell

“Wert” und “Wertgesetz” wurden im stalinistischen “Realsozialismus” zu einem spezifisch historischen Block der bürgerlichen Gesellschaft zusammengeschweißt, dessen Entwicklung in eine ausweglose Zusammenbruchsituation mündete. Die Vermittlung mit der Weltmarktbewegung des Gesamtkapitals verweist dabei auf das entfaltete Barbarisierungspotential des warenproduzierenden Systems überhaupt. Neo-reformerische Perspektiven, wie sie unter Linken derzeit etwa unter der positiven Modellformel einer “ökologischen Marktwirtschaft” Konjunktur haben, sind dagegen logisch wie empirisch gleichermaßen haltlos. – Es spricht Robert Kurz, Nürnberg, von der Redaktion der Zeitschrift “Marxistische Kritik”.

Um 20 Uhr im Jos Fritz-Café, Wilhelmstr. 15 (Spechtpassage)

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Dienstag, 29. Mai 1990

Über das Selbstbestimmungsrecht der Nationen

“Die Arbeiter haben kein Vaterland.” 70 Jahre nachdem Marx und Engels dies behauptet hatten, schlägt mit der russischen Revolution die Geburtsstunde des “Vaterlands aller Werktätigen.” Weitere 70 Jahre später droht nun das Sowjetimperium aufgrund von Nationalitätenkonflikten wieder zusammenzubrechen. Grund genug, noch einmal zu rekapitulieren, wie sich die klassischen Theoretikerinnen des Marxismus zum Verhältnis von Sozialismus und Nation geäußert haben.

Um 20 Uhr im Jos Fritz-Café, Wilhelmstr. 15 (Spechtpassage)

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Dienstag, 12. Juni 1990

Ko(h)lonie im Osten, Abkoppelung im Süden

Der (Alp-)Traum von der neuen Weltwirtschaftsordnung

Seit der “Reale Sozialismus” tot ist, liegen die Billiglohnländer nicht mehr “weit hinten in der Türkei”, sondern direkt vor der Haustür. Finanzminister Waigel sprach es in Leipzig aus und jene unheilige “Allianz für Deutschland” ließ es prompt auf ihre Wahlplakate drucken: “Wir gehen lieber in die DDR als nach Singapur oder Korea!” Die Kapitalströme fließen nach Osten; was wird aus dem Süden? Es spricht Claudia von Braunmühl, Berlin.

Um 20 Uhr im Jos Fritz-Café, Wilhelmstr. 15 (Spechtpassage)

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Dienstag, 19. Juni 1990

Visualisierte Geschichte

Ausstellungen an Orten nationalsozialistischer Konzentrationslager

Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus wollen die Erinnerung an die Verfolgten und Ermordeten nationalsozialistischen Terrors wachhalten. Ob diese Einrichtungen die “Verdoppelung des Todes durch Vergessen” aufhalten können, bleibt ungewiß: Obwohl fast immer gegen erhebliche Widerstände durchgesetzt, sind sie als isolierte Orte der Erinnerung zugleich Zeichen öffentlicher Erinnerungslosigkeit. Ausstellungen in Gedenkstätten vergegenwärtigen, was in den Konzentrationslagern geschah. Wo jedoch die Dokumentation zum “Katalysator von Emotionen”, gar zum “Erlebnisraum” pädagogisch aufbereitet wird, bestätigt vermeintliche Aufklärung herrschendes geschichtliches Unbewußtsein.

Um 20 Uhr im Jos Fritz-Café, Wilhelmstr. 15 (Spechtpassage)

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Dienstag, 26. Juni 1990

Die Theorie der Geschlechterdifferenz

Das männliche, patriarchale, kapitalistische Herrschaftsprinzip hat abgewirtschaftet: Es hat die Frauen aus den symbolischen und den gesellschaftlich-öffentlichen Kommunikationsformen ausgeschlossen und ist für die Misere, in der wir zu leben gezwungen sind, haftbar zu machen. Das weibliche Geschlecht schickt sich an, das männliche Vergesellschaftungsprinzip zu durchbrechen und “in sich das eigene Maß und den Wert” zu entwickeln. Die Theorie von L. Irigaray und ihrer Adeptinnen um die “Libreria delle donne” mit L. Muraro in Mailand und die Philosophinnen-Gruppe “Diotima” aus Verona produziert den in der Frauenbewegung immer wiederkehrenden Denkfehler, es könne eine positive Aneignung von Weiblichkeit geben.

Um 20 Uhr im Jos Fritz-Café, Wilhelmstr. 15 (Spechtpassage)

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Dienstag, 10. Juli 1990

Die tote Frau im Wasser

Ophelia als literarische Projektionsfigur bei Autoren des bürgerlichen Realismus

Mit den hoch besetzten Symbol- und Bildwelten von Wasser und Tod verknüpfte Weiblichkeitsimaginationen haben eine lange mythologische und literarische Tradition. Neben den unzähligen Nixen- und Sirenengestalten gewinnt im Verlauf der Literaturgeschichte eine andere Figuration des Weiblichkeit-Wasser-Tod-Komplexes an Bedeutung: Ophelia, die tote Frau im Wasser, die sich, folgt man ihrer Spur durch die Jahrhunderte, immer mehr von ihrem eigentlichen Ursprung entfernt und zu einer Hohlform wird, in die existentielle Ängste und Wünsche Einzelner wie ganzer Epochen einschießen. Anhand von Textbeispielen (Storm, Raabe, Fontane, Keller) soll sowohl der “Psychogramm”-Charakter (Würffel) des Ophelia-Komplexes für die bürgerlich-patriarchale Gesellschaft nach 1848 beleuchtet als auch die Implikationen einer Männerphantasie entwickelt werden, in der das Begehren am toten Frauenkörper fixiert erscheint.

Um 20 Uhr im Jos Fritz-Café, Wilhelmstr. 15 (Spechtpassage)

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29. Juni – 1. Juli 1990

Seminar: Wertform und Kapitalismus

Die Diskussion um Marx und die ökonomietheoretische Position des Marxismus in den 70er Jahren machte sich vor allem an der Wertformproblematik fest. Dies war der Punkt, an dem die Differenzen deutlich wurden zwischen dem Versuch, in Anknüpfung an die Weiterentwicklung der Wirtschaftswissenschaften eine empirisch gehaltvolle marxistische Ök onomie zu betreiben und’ dem Insistieren darauf, daß mit Marx Ökonomie zu kritisieren sei. Erstere Position, vor allem die neoricardianische, läuft in ihrer Konsequenz darauf hinaus, den Wertbegriff für obsolet zu erklären. Letztere wurde nur in Ansätzen entwickelt (Reichelt, Backhaus) oder erlag der Versuchung, Marx zu rephilosophieren. Dies vor allem, weil sich hier die Tradition der Kritischen Theorie stark bemerkbar machte, die die Wertform als Warentauschrelation und diese als Elementarform des Kapitalismus mißverstand. Damit bewegte man sich aber wider auf derselben Eben wie die bürgerliche Ökonomie. – Diskutiert werden sollen Abschnitte aus dem ersten Band des “Kapital” sowie Aufsätze von Hans-Georg Backhaus. Das Seminar wird in einer Hütte im Schwarzwald stattfinden; Unkosten ca. 50 DM. Nähere Informationen und Anmeldung üben ça-ira-Verlag, Postf. 273, 7800 Freiburg 1. Ein Reader mit den Arbeitstexten wird nach Anmeldung zugeschickt. Seminarleitung: Kornelia Hafner und Diethard Behrens, Frankfurt.

Um 20 Uhr im Jos Fritz-Café, Wilhelmstr. 15 (Spechtpassage)

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