Initiative Sozialistisches Forum – Friede den Linken
Initiative Sozialistisches Forum
Friede den Linken
Es gibt keine Linke mehr. So niederschmetternd und total ist ihr intellektueller und moralischer Zusammenbruch, daß keine Masse mehr für ein geregeltes Konkursverfahren vorhanden ist. Der Krieg um Kuwait, der zum Giftgaskrieg gegen Israel hätte eskalieren können, hat die geistige Pleite und die praktische Niederlage einer radikalen Gesellschaftskritik offenbart, die einmal nicht nur angetreten war, Ausbeutung und Herrschaft zu denunzieren, sondern auch das Fortleben der Volksgemeinschaft zu sabotieren. “Kein Blut für Öl”: Der pazifistische Stoßseufzer, die Politiker möchten endlich zur Besinnung kommen, manifestierte den Bankrott der linksaufklärerischen Idee vom “Lernen durch Erfahrung” und den der Ideologiekritik dazu. Das “andere Deutschland” zeigt die Yuppie-Visage des ganz alten. Die Deutschen, ihre linke Alternative inklusive, sind notorisch unbelehrbar und weder durch Erfahrung noch Vernunftgründe zum Besseren zu bewegen. Die Frage “Volkssturm oder Emanzipationsbewegung?”, die Wolfgang Pohrt vor einem Jahrzehnt der letzten Friedensbewegung stellte, war in dem Moment definitiv entschieden, als die erste irakische Rakete auf Tel Aviv niederging. So war die Wiedergutmachung der Nation auch in den Tiefen der Volksseele an ihrem Ende angelangt: Die Kapitalisten lieferten die C-Waffen und modernisierten die Raketenmotoren, die Militaristen der NVA und der Bundeswehr schulten die Republikanische Garde Saddam Husseins, die Pazifisten beteten für den Frieden, die Antiimperialisten nannten Saddam ihren Genossen und die Antimilitaristen agitierten für gewaltfreien Widerstand gegen arisches Giftgas – eine Volksfront der Gleichgültigkeit und Aversion gegen Israel, deren bei Michael Kühnens “Antizionistischer Aktion” organisierte Avantgarde schon drauf und dran war, deutschnationale Brigaden gegen den volksfeindlichen und völkermordenden US-Imperialismus zu rekrutieren. Und Israel saß im Keller. Tatsächlich, die “Badische Zeitung” hatte einmal ganz recht, als sie die nationale Friedensdemonstration vom 26.Januar 1991 so kommentierte: “Die Deutschen haben in diesen für sie so bitteren Tagen wenig, worauf sie stolz sein können, auf diese Kriegsgegner können sie es sein.”
Die stillschweigende Geschäftsgrundlage des couragiert ausgefochtenen Wettstreits zwischen staatstragender Propaganda und pazifistischer Demagogie bestand in der von niemandem bestrittenen Ansicht, daß der Krieg zwischen globalem Imperialismus und regionalem Sub-Imperialismus um eine souveräne Ölquelle jedenfalls gerechterweise zu Lasten eines unbeteiligten Dritten und daher auf Kosten Israels gehen müsse. Nur die Frage, ob man Auschwitz mit der Bundeswehr oder, wie Christian Ströbele vorschlug, durch gesinnungstüchtiges Aussitzen bewältigen solle, brachte Leben in die Volksfront. “Das Ausland verlangt einen deutschen Beitrag zu der in der Welt auszuübenden Gewalt”, formulierte die “Zeitung für Deutschland” kurz und bündig – da kam der Hitler vom Euphrat gerade recht, um die neue Weltordnung zu legitimieren. “Es ist evident”, schrieb eine Freiburger “Antikriegszeitung” am Tag des Waffenstillstands, “daß der Irak kein Giftgas gegen Israel eingesetzt hat” – woraus sophistisch gefolgert werden darf, daß dies auch nie geplant war und die ganze Aufregung daher durchsichtigen, weil “imperialistischen Interessen” dienen muß. Denn, so weiter, “die Vernichtung Israels stand in diesem Krieg real nicht zur Debatte. Die irakischen Angriffe verfolgten offensichtlich taktische und propagandistische Zwecke.” Viel Lärm um nichts: Aus dieser tröstlichen Botschaft mögen dann die Israelis die Frage ableiten, ob es besser ist, sich taktisch auf die Militaristen verlassen zu müssen oder von den Pazifisten propagandistisch verlassen zu werden.
Der von Kriegstreibern und Friedensfreunden gleichermaßen gepflogene, bloß taktische und propagandistische Umgang mit Israel verweist darauf, daß die feindlichen Brüder im Prinzip und also in Sachen Staat und Nation der allemal gleichen Meinung sind. Daß der Krieg die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln ist, diese Staatsweisheit wollen sie entweder legitimieren oder interpretieren. Die Form Staat als solche steht weder bei der CDU und ihren sozialdemokratischen Weichspülern noch bei den Pazifisten und ihren antiimperialistischen Scharfmachern zur Debatte. Staat muß sein – ob es sich dabei, den Hintergedanken der “Frankfurter Allgemeinen” gemäß, um den autoritären Ordnungsstaat, oder, den Tagträumen der “Antikriegszeitung” zufolge, um die Diktatur des Proletariats handelt, ist nebensächlich. Auch Nation und Nationalismus gelten beiden Lagern als eine feine Sache – nur halten es die einen mit Schlesiern und Tirolern, die andern dagegen lieber mit den Kurden, Basken oder Palästinensern. Woraus natürlich folgt, daß die Militaristen die Methoden, mit denen die irakische Nation integriert wird, seit dem 2. August 1990 skandalös finden, während die Pazifisten seit dem 17. Januar 1991 meinen, man solle davon nicht soviel Aufhebens machen. Saddam Hussein, der schon in jungen Jahren für die Baath-Partei eine Broschüre über “Drei Dinge, die Gott lieber nicht erschaffen hätte: Perser, Juden und Fliegen” verfaßte, kann den moralischen Sieg für sich beanspruchen, daß die Grundsätze seiner Politik in Deutschland ungeteilt Beifall finden: “Wir glauben”, heißt es in seiner Schrift “Unser Kampf”, “daß die Araber in Zeiten der Spannung ihre Einheit wiederfinden. Läßt der Druck nach, schwindet auch das Gefühl der Zusammengehörigkeit. … Die wesentlichen Faktoren der gemeinsamen Aktion werden durch Bedingungen der patriotischen Gemeinsamkeit gebildet, wodurch Nationalgefühl und Einsatzwille mobilisiert werden. … Das ist ein entscheidender Aspekt unserer Politik, die wir in unserer Konfrontation mit dem zionistischen Feind verfolgen…”
“Nationalgefühl” und “Einsatzwille”: Ohne das ist eine ordentliche Nation nicht zu haben. Die Demonstrationsparole “Aufruhr, Widerstand, es gibt kein ruhiges Hinterland!” träfe diesen Sachverhalt genau, würde sie nicht von Leuten skandiert, die sich mehrheitlich einem als Antizionismus nur notdürftig getarnten Antisemitismus verschrieben haben, die zudem den kläglichen Abgang des nationalen Sozialismus im Osten noch immer nicht verkraftet haben. Im Winkel spielen sie immer noch Oktoberrevolution, und es ist daher keine Denunziation zu behaupten, daß sie sich bei den Moskauer Demonstrationen hinter dem Transparent “Kampf dem globalen Zionismus!” eingereiht hätten. Der Staat und sein Produkt, die Nation, können ohne völkische Homogenität nicht haushalten, und es liegt in der Logik der Form Nation selbst, daß sie, in der Krise, zur offenen Darstellung ihres fundamental antisemitischen und strukturell rassistischen Gehalts treibt. Er ist in den Strukturen der Staatlichkeit selbst verankert, und jede Rede von “uns als Deutschen” oder von “den Völkern, die Befreiung wollen” arbeitet daran, die ideologischen und praktischen Bedingungen des autoritären Staates, gleich, ob bürgerlicher oder proletarischer Konfession, zu reproduzieren. Ob die Linken den Rechten vorwerfen, sie instrumentalisierten die Schuldgefühle für Auschwitz, die es doch nur als Lippenbekenntnisse gab, zwecks Ausbau des “imperialistischen Bollwerks” Israel oder ob die Rechten den Linken vorhalten, ihr Pazifismus treibe Appeasement mit Hitlers Widergänger – beide triumphieren über den, wie die “Frankfurter Allgemeine” konstatierte, “sich abzeichnenden Verlust von Auschwitz als Dreh- und Angelpunkt des politischen Denkens, als Fluchtpunkt der deutschen Geschichte, als negativer Gottesbeweis und einmaliger Zivilisationsbruch, als singuläre deutsche Erbschuld und als in Ewigkeit festzuschreibende Basis deutschen Selbstverständnisses”. Bloß freuen sich die Linken aus Dummheit und V erblendung, die Rechten dagegen im zynischen Bewußtsein ihres Zwecks, dem gerechten Anteil an “der in der Welt auszuübenden Gewalt” einen Krieg nähergekommen zu sein.
Als “die Linke” gegen den Krieg, gegen Amerika und den Imperialismus auf die Straße ging, hat sie sich auf die andere Seite der Barrikade gestellt. Saddam Hussein hat es ihr gedankt, als er sie, über Radio Bagdad, als “edle Seelen” lobte. Das ist die Logik des Krieges und darin besteht die Rache, die ein unbegriffenes Gesellschaftsverhältnis an denen nimmt, die es auf ihre bornierten Zwecke zuschneidern wollen. Aufklärung kommt zu spät, wenn selbst “die Linke” nichts anderes ist als eine rote Falte am Eisernen Vorhang zwischen den Menschen und der revolutionären Vernunft.
Nachgedruckt in Flugschriften. Gegen Deutschland und andere Scheußlichkeiten