Bündnis gegen Arbeit
Initiative Sozialistisches Forum
Bündnis gegen Arbeit
“Wer Arbeit kennt und sich nicht drückt, der ist verrückt”: Arbeit ist kein Spaßvergnügen und alles andere als Jux und Dollerei – sie ist vielmehr das gerade Gegenteil eines halbwegs vernünftigen Umgangs mit der knapp bemessenen Lebenszeit. Daß die Reproduktion des Einzelnen nur über den Umweg der Beihilfe zur Akkumulation des Kapitals zu haben sein soll, ist objektiver Widersinn, der kein besseres Argument für sich hat als den nervtötenden Zwang der gesellschaftlichen Verhältnisse. Aller Hysterie über die Spekulanten und Steuerflüchtlinge zum Trotz, die “uns alle”, die Nation und ihren Staat schädigen, bewahren die lohnarbeitenden Subalternen daher eine gewisse Sympathie für die Schneider, Graf, Becker & Co., denen es wie auch immer gelang, ein arbeits- und müheloses Einkommen sich zu verschaffen. Nicht zuletzt die freiheitliche Massenprozession zu den Lottobuden beweist schlagend, daß jeder für sich und allein gegen alle nichts mehr ersehnt, als der Arbeit, die angeblich nicht schändet, die jedoch tatsächlich verblödet, zu entkommen. Es ist der widersinnige Charakter der Arbeit selbst, der sich im Sprichwort ausdrückt und der doch, bei allem kumpanenhaften Augenzwinkern, das zum Absentismus agitiert, kollektiv beschwiegen wird. Es bewahrt die Kenntnis des tatsächlichen gesellschaftlichen Zusammenhangs der Ausbeutung, aber es bewahrt sie in einer Form, in der sie folgenlos bleibt und in ihr gerades Gegenteil verkehrt wird. Denn die Freiheit von der Arbeit, die als Resultat von sechs Richtigen im Lotto gedacht wird, soll sein die Befreiung zum Geld.
Zu den Betriebsgeheimnissen der kapitalisierten Gesellschaft gehört, daß jeder Einzelne vernünftiger ist, als er weiß, klüger, als er es sich selbst eingesteht, schlauer, als er es den Anderen mitteilen könnte. Einerseits ist der Einzelne eine Art ursprünglicher Materialist, der genau weiß, daß die Arbeit, ganz genau so, wie Marx im “Kapital” schreibt, “ihrem Wesen nach immer Zwangsarbeit bleibt, wie sehr sie auch immer als das Resultat freier kontraktlicher Übereinkunft erscheinen mag”. Einerseits läßt sich niemand durch das offizielle Gerede von wegen “soziale Marktwirtschaft”, von wegen Demokratie & Menschenrechten & Freiheit & Gleichheit täuschen. Andrerseits jedoch ist die Vernunft in die Form bloßer Schlauheit und auftrumpfender Gewitztheit gebannt, die sich auf Kosten der Konkurrenz zu bereichern gedenkt und die, wenn alles nichts fruchtet, mit Elan darauf pocht, daß es den anderen auch nicht besser geht. Der Satz, wonach, wer sich vor Arbeit nicht drückt, offenkundig nicht ganz zurechnungsfähig sein kann, verträgt sich daher aufs Beste mit der scheinbar widersprechenden Parole “Arbeit macht frei”. So überaus eng sind dem ideologisierten Bewußtsein Vernunft und Wahn verschwägert, wie, gesellschaftlich betrachtet, die physische Reproduktion der Gattung mit der Akkumulation des Kapitals beinahe zur Ununterscheidbarkeit verschmolzen und verlötet sind. Und so scheint es gerade die Einsicht in den tatsächlichen Gang der Dinge zu sein, die in die bedingungslose Apologie der Verhältnisse umschlägt. Objektive Vernunft, die die Abschaffung des Kapitals gebietet, nimmt die Gestalt von Schlaumeierei und Bescheidwissertum an, die sich schließlich, im nationalen Kollektiv, in haltloser Projektion und manifestem Wahn aussprechen. Die Pathologie dieser Gesellschaft macht es, daß alle zusammen nichts gieriger zu glauben wünschen als die öffentliche Lüge, die doch jeder durchschaut. Darin liegt die fundamentale Disposition der kapitalisierten Gesellschaft zum autoritären Staat, gar zum Faschismus, zu der “nur noch” die Krise des Kapitals hinzutreten muß, um wirklich zu werden.
Und es sind weniger die nazistischen Mörder und Totschläger als vielmehr der Pöbel links von der Mitte, der den Katalysator der faschistischen Situation spielt: die Sozialdemokraten, die Gutmenschen vom Evangelischen Bildungswerk, die Gewerkschaften, die Grünen – die “Geistrevolutionäre” also, die das große “Umdenken” proklamieren, bei dem alles beim alten bleibt. Mit der Abschaffung des Asylrechts und den Debatten um das Einwanderungsgesetz haben sie schon die Verfolgten und Elenden verraten und ein Beispiel gesetzt, daß die Sortierung von Menschen nach Kriterien nationaler Nützlichkeit zu jeder Brutalität berechtigt. Sie haben damit ihrer eigenen sozialen Basis demonstriert, daß niemand auf Solidarität hoffen kann, daß es besser ist, dem Staat direkt sich anzudienen. Das von der IG Metall vorgeschlagene “Bündnis für Arbeit” bezeichnet den vorläufigen Höhepunkt dieser Entwicklung, das heißt das gewerkschaftliche Einverständnis zur ökonomischen Rubrifizierung und Sortierung. Wie es denn sein kann, daß Überfluß an Kapital besteht bei gleichzeitigem Überfluß an arbeitswilliger Bevölkerung, darin bestand schon immer – auch in der großen Krise von 1929, die 1933 in Hitler mündete – das sozialdemokratische, das gewerkschaftliche Paradox, d.h. die Gretchenfrage, die gerne auch die Grünen fragen. Es liegt dies tatsächlich an der Überakkumulation des Kapitals, das heißt im durchschlagenden Erfolg der Ausbeutung. Aber die Antwort, die links von der Mitte erteilt wird, besagt, es läge am Mißerfolg. Und so besteht sie im weiteren im Aufruf zur Jagd auf die Spekulanten, die das ganze schöne Geld ins Ausland tragen, statt es hier in Fabriken zu investieren, in der Agitation gegen die sogenannten Parasiten, die sich der “Steuergerechtigkeit” entziehen, im Appell an Staatsbürgerbewußtsein statt Egoismus, in einem Programm mithin, das sich, ohne gleich polemisch zu werden, mit “Gemeinnutz vor Eigennutz” so recht zusammenfassen läßt. Ohne direkt davon zu sprechen, bedienen sie die Ideologie vom “raffenden” und vom “schaffenden Kapital”. Auch wenn, und gerade weil sie von Keynes und vom Keynesianismus reden – die Rettung aus der Krise versprechen sie sich allemal von einem Staat, der das profitgeil streunende Kapital volksgemeinschaftlich in die Pflicht nimmt, von einem Staat, der aus Gründen der sozialen Integration dem “Manchester-Kapitalismus” wehrt. Joschka Fischer zum Beispiel möchte “die Zukunftsfähigkeit des rheinischen Kapitalismus und damit des sozialen Kapitalismus” bewahren, die linksliberale “Frankfurter Rundschau” sorgt sich um “die deutsche Konsensgesellschaft” und ruft dazu auf, “Politik zu machen, statt nur noch Sachzwänge zu verwalten”. Und Rudolf Hickel, Chef der Memorandum-Gruppe, die jedes Jahr ein Gegengutachten zum Rat der Sachverständigen erstellt und die den wirtschaftswissenschaflichen Kopf des Sozialreformismus darstellt, fragt: “Im letzten Jahr wurden nur 62 Pfennig von 1 DM eigenen Finanzierungsmitteln für Sachinvestionen genutzt. In wachsendem Ausmaß werden die Gewinne auf internationalen Finanzmärkten angelegt. Die Funktion, zu produzieren, verliert angesichts dieser Teilhabe am ’Kasino-Kapitalismus’ (Keynes) an Bedeutung. Wie kann verhindert werden, daß steigende Gewinne auf Kapitalmärkte in aller Welt abfließen, statt hierzulande angelegt zu werden?” Fragen über Fragen – und aus allen spricht eine die gleiche stupende Gewitztheit des Bescheidwissens, das sich längst ans Mitregieren gemacht hat und die Probleme, die sich aus der Akkumulation und Krise des Kapitals ergeben, zum eigenen Problem hat werden lassen. Der Staat des Kapitals, so die Projektion, sei “eigentlich” und seinem wirklichen Auftrag gemäß der Staat des ganzen Volkes, und das Kapital sei, so lautet die Lüge, in Wahrheit und seiner objektiven Statur entsprechend “Sachinvestition” (Hickel) zur arbeitsplatzschaffenden Herstellung von nichts als Gebrauchsgütern.
Es ist die existentielle und überaus begründete Angst vor der höchst eigenen Überflüssigkeit im Angesicht von Kapital und Staat, die die Leute nach der Lüge verlangen macht ; es ist diese Angst, die ebenso den Anfang der Erkenntnis des wirklichen Zustandes bedeutet wie sie zugleich deren rigorose Abwehr und Verdrängung motiviert, eine durchaus panikfähige, d.h. faschismusträchtige Angst. Die Leute hoffen, durch Anbiedern und Nachplappern sich nützlich zu machen, unverzichtbar und unabkömmlich. Während jedoch der Sozialreformismus in allen seinen Spielarten danach trachtet, dem Kapital und seinem Staat die Nützlichkeit und die Brauchbarkeit der Leute nachzuweisen (was eben der sogenannte Humanismus ist), hätte eine zynische, das heißt materialistische, das heißt revolutionäre Linke das auszusprechen, was ist. Sie müßte auf dem Niveau der objektiv nur allzu begründeten Angst agitieren, sie hätte das kollektiv Beschwiegene als die böse Wahrheit der Sache selbst darzustellen, und sie hätte nicht “Politik zu machen”, sondern die Projektion zu kritisieren, die in die Politik führt. Darin bestünde ihre Strategie, ein Bündnis gegen die Arbeit zu stiften.