Jour Fixe Programm Frühjahr/Sommer 2003
Jour Fixe Programm Frühjahr/Sommer 2003
Dienstag, 29. April
Deutschland, die Linke und der Krieg
Begutachtung eines Desasters
Die Stunde der Not war stets die Stunde der schnatterndsten Dummheit; der Augenblick der brennenden Angst immer schon der Startschuß zur frei flottierenden Panik: So könnte argumentieren, wer den Pazifismus erklären, also entschuldigen möchte: Not kennt kein Gebot, die Globalisierung der Dummheit keine Grenze, und Selbsterhaltung, die zu Kopfe steigt, scheut keine Ideologie. Sozialpsychologisch gedeutet, wäre der Pazifismus eine Art Chauvinismus des Seelenlebens, eine Gefühlskrankheit, in der die kleine Bourgeoisie, die Pfarrer, Akademiker, Sozialarbeiter und Gewerkschaftsfunktionäre, von Zeit zu Zeit von der Gefühlserkältung des Geschäftslebens sich zu kurieren suchen: “Kein Blut für Öl”, wie schön das kribbelt; “Not in our name”, denn wir sind Volk und Souverän; “Ami go home”, und wärste gar nicht erst gekommen. Allerdings ist der Pazifismus nicht die Unschuld vom Lande und sind die weißen Tücher kein Beweis blütenreiner Absichten, so wenig, wie die roten Fahnen, die die linksradikalen Hausdiener der Friedensbewegung, die Antiimperialisten, Autonomen und all die anderen nach links Verwirrten ins Persilweiß tüpfeln, die Angelegenheit irgend besser machten. Im Gegenteil: Nicht nur ist der Moralismus dieser Massenveranstaltung unerträglich, er ist auch typisch deutsch; nicht nur ist die Staatshörigkeit dieses Spektakels über die Maßen, es dient als Rebellion der Konformisten der geistigen Vorbereitung kommender, dann endlich gerechter, d.h. deutscher Kriege, und nicht nur ist die Kapitalseligkeit dieser Manifestationen betäubend, sondern der inszenierte Kampf für gerechten Preis und Lohn müht sich um eben die Verschmelzung des Sozialen mit dem Nationalen, die, andersherum, Adolf Hitler im Juni 1933 vor dem Reichstag die größte deutsche Friedensbewegung aller Zeiten proklamierte, ein Pazifismus, der bis Stalingrad und El Alamein vordrang, und der bis heute anhält. Die Linken sind darin die “nützlichen Idioten” (Lenin), die für die deutschnationale Friedensbewegung in etwa die Funktion haben wie der “antikapitalistische Flügel” des Nazifaschismus für den Erfolg der Bewegung: die Funktion des Scharfmachers und Katalysators. So war es immer gewesen: im August 1914, im September 1939. Heute, nachdem man schon zwei Friedensbewegungen erdulden mußte, die gegen die Pershings und die gegen den (zweiten) Golfkrieg, verspricht die dritte, das Werk der nationalistischen Formierung gegen Amerikanismus und Zionismus zu vollenden. Erst dann wird der totale Frieden sein, wenn Deutschland Amerika und Israel den Krieg erklärt, Seite an Seite mit Despoten vom Schlage Saddams. – Es sprechen Manfred Dahlmann und Joachim Bruhn (Freiburg).
Um 20 Uhr im Jos Fritz-Café, Wilhelmstr. 15 (Spechtpassage)
Dienstag, 6. Mai
Die USA im Visier der deutschen Antikapitalismus
Nach der Niederlage in zwei Weltkriegen hat Deutschland seine Lektion gelernt und ist heute für den Weltfrieden zuständig. Um in der Weltpolitik tatkräftig mitmischen zu können, ist ein ideeller und moralischer Überbau von Nöten. Vor den militärischen werden die kulturellen Erstschlagswaffen eingesetzt: Sloterdijk und die anderen Heideggerianer, dazu Walser, Grass sowie natürlich Pastor Schorlemmer. Solange die militärischen Kapazitäten beschränkt sind, ist diese Form der Moralpropaganda angemessen. Sie kann in der gegenwärtigen Konfrontation mit den Vereinigten Staaten auf alle Stereotypen über den “angelsächsischen” Kapitalismus der britischen Krämer und der Wall Street sowie über den “angloamerikanischen” Imperialismus zurückgreifen, die man in den hundert Jahren ausgearbeitet hat, die der Kampf um den “Platz an der Sonne” schon währt. Wenn der Pazifismus, der sich derzeit auf deutschen Straßen so ausagiert wie bei den großen Demonstrationen am 15. Februar in Berlin, bei Kriegsbeginn weiter eskaliert, so hat er alle Chancen, später einmal zu einer Art umgekehrtem “August ‘14”, d.h. zu einem deutschen Pfingst-Erlebnis, mythologisiert zu werden,. Das Programm dieses Aufbruchs hatte Oswald Spengler schon 1920 in seiner Schrift “Preußentum und Sozialismus” so dargelegt: “Es gilt, den deutschen Sozialismus von Marx zu befreien… Wir Deutschen sind Sozialisten, auch wenn niemals davon geredet worden wäre. Die anderen können es gar nicht sein.” Deutschland ist die antikapitalistische Macht par excellence. – Es spricht Bernd Beier (Berlin), Redakteur der “jungle World” und Co-Autor des gerade erschienenen Buches “Amerika, Du haßt Dich besser. Die USA in Wahn und Wirklichkeit” (Konkret-Verlag).
Um 20 Uhr im Jos Fritz-Café, Wilhelmstr. 15 (Spechtpassage).
Freitag, 9. Mai
Freiburg im Nationalsozialismus
Ein antifaschistischer Stadtrundgang
An exemplarischen Stationen wird gezeigt, wie die Arisierung organisiert wurde, und es wird gezeigt, welche Menschen wo gelebt haben, die ihre Wohn- und Lebensstätte verlassen mußten. An der Universität wird vom Rektorat Martin Heideggers im Frühjahr 1933 die Rede sein. Der Rundgang endet gegen 17 Uhr am “Deportationsstandpunkt Freiburg”. – Es führt und kommentiert E. Schlesiger.
Treffpunkt um 15 Uhr am Regierungspräsidium (gegenüber Buchhandlung Herder), Kaiser-Joseph-Straße
Donnerstag, 15. Mai
Zur Bedeutung von Heideggers Seinsdenken
Heidegger gilt allgemein als der bedeutendste Denker des 20. Jahrhunderts. Die Frage ist aber, worin seine Bedeutung besteht. Man würde sich einer gefährlichen Verharmlosung schuldig machen, erklärte man Heideggers Seinsdenken für bedeutungslos oder negierte es abstrakt. Heideggers Seinsdenken beansprucht der Zeit dieses Denkens, und das ist die Geschichte, mächtig zu sein. Darin ist es verknüpft mit einem Bruch mit der Metaphysik, d.h. mit der Philosophie, in deren Mitte der Mensch steht. Das Arrangement der heutigen Philosophie mit Heidegger ist nur Ausdruck ihres Arrangements mit jenem Zustand, in dem der Mensch nicht gilt. – Es spricht Prof. Dr. H. Givsan (TU Darmstadt). Er ist Autor von “Heidegger – das Denken der Inhumanität” (Königshausen und Neumann 1998).
Beginn: 19.30 Uhr, Universität Freiburg, Hörsaal 3118
Der Vortrag wird veranstaltet vom AK Positive Aspect of Negative Thinking
Samstag, 17. Mai
Breakcore-Party
Soli-Fete für das demnächst bei ça ira erscheinende Buch von Willy Huhn: “Der Etatismus der Sozialdemokratie. Zur Vorgeschichte des Nazifaschismus” mit DJs u.a. aus der Schweiz und Australien. Ab 21.30 Uhr: Book release von Andrea zur Niedens eben erschienenem Buch: “GeBorgte Identität. Star Trek als kulturindustrielle Selbstversicherung des technisierten Subjekts” (ça ira) mit Videos und Musik.</ p>
KTS, Basler Str. 103
Dienstag, 20. Mai mußte verschoben werden
Der Irak und der Krieg
Die Ideologie des Baath-Regimes, die Friedensbewegung und das Massaker von Halabja
Die baathistische Herrschaft im Irak ist am ehesten als panarabischer Faschismus unter trikontinentalen, peripheren Bedingungen zu charakterisieren, der in seinen ideologischen Verlautbarungen offene Anleihen beim deutschen Nationalsozialismus und seinen Vorläufern macht. Nach Schätzungen von Menschenrechtsgruppen, die bei der UNO akkreditiert sind, beläuft sich die Zahl der Opfer des Hussein-Regimes auf etwa eine Million. Davon hört man in der Friedensbewegung, die den gewaltsamen Sturz des Hussein- Regimes kategorisch ablehnt, vom Krieg gegen die irakische Bevölkerung, die Nachbarländer und Israel aber nicht reden mag, auffällig wenig. Gerade die Friedensbewegung mit ihren mal naiven, mal bösartigen Argumenten, mit ihrem mal impliziten, mal expliziten Geschichtsrevisionismus, mit ihrem Desinteresse für die Bedrohung Israels und für die Massaker an der irakischen Bevölkerung, mit ihrem abstrakten Pazifismus, der mit revolutionärem Antimilitarismus, der sich über die Rolle der Gewalt in der Geschichte keine Illusionen macht, nichts zu tun hat, mit ihren dumpfen Ressentiments gegen Amerika, die mit einer Kritik an der Rolle der USA im globalen Prozeß ökonomischer Ausbeutung und politischer Herrschaft nichts gemein haben, und mit ihren Demonstrationen, die vom Antisemiten, Antikommunisten und Massenmörder Saddam selbstverständlich und für alle wahrnehmbar als großer Sieg gefeiert werden, verhindert es, daß überhaupt vernünftige Kriterien entwickelt und diskutiert werden können, nach denen eine Intervention der USA im Irak vor dem Hintergrund des Interesses an allgemeiner Emanzipation zu beurteilen wäre. – Es spricht Thomas von der Osten-Sacken (Frankfurt)
Um 20 Uhr im Jos Fritz-Café, Wilhelmstr. 15 (Spechtpassage)
Dienstag, 3. Juni
Ideologie und Literatur der deutschen Volksfront
Nach ihrer Niederlage gegenüber dem Nationalsozialismus entledigte sich die KPD mit der 1935 offiziell propagierten Volksfrontideologie jedes emanzipatorischen “Ballastes”. Stattdessen suchte sie sich der nationalistischen Ideologie der Massenbasis des Nationalsozialismus anzunähern und mit ihr zu konkurrieren. Die deutsche Volksfrontideologie rückte von klassenkämpferischen und sozialen Inhalten ab und appellierte vielmehr an die klassenübergreifende “Liebe zum deutschen Vaterland und seiner Kulturtradition”. Die KPD forderte nun von ihren Schriftstellern und Intellektuellen, sich dezidiert um die Basis der NS-Massenorganisationen zu bemühen. An der Volksfrontliteratur lässt sich aufzeigen, inwiefern sie dieser Direktive folgten: Volksfrontliteratur wird nun von einer Argumentation getragen, die nur als nationalistisch zu bezeichnen ist. Unter der Prämisse vom “besseren Deutschland”, von dem die exilierten KPD-Schriftstellerinnen allzu gerne selbst glaubten, daß es existiere und täglich gegen die Hitler-Schmach kämpfe, setzten sie zusehends auf Vaterlandsliebe und den sogenannten wahren Patriotismus, um dem NS-Regime den ideologischen Boden zu entziehen. Der Adressat dieser Romane blieb unbestimmt; im Roman selbst tritt er als “der im Grunde anständige Nazi” auf, der sich nur in die Reihen der Hitler-Gefolgschaft verlaufen habe. Von daher verwundern die zusehends rechtsbürgerlichen Implikationen der Volksfrontliteratur – Frauen- und Homosexuellenfeindlichkeit, völkischer Rassismus, offener Antisemitismus – wenig. Doch es hat auch Brüche gegeben: Die vorwiegend jüdischen Kommunisten, die seit 1944 in Mexiko vom Holocaust erfahren mußten, stellten sich gegen Ende ihres Exils offen gegen die deutsch-nationalistische Ideologie des in Moskau exilierten Ulbricht-Flügels der Partei. Nach ihrer Rückkehr in die SBZ/frühe DDR (und in andere Staaten des Stalinschen Einflußbereiches) mußte dies zu Kollisionen führen, für die die ehemaligen Westemigranten teuer bezahlten. – Es spricht Birgit Schmidt (Berlin), Autorin der gerade im Unrast-Verlag erschienenen Studie “Wenn die Partei das Volk entdeckt. Anna Seghers, Bodo Uhse, Ludwig Renn und andere. Ein kritischer Beitrag zur Volksfront- Ideologie und ihrer Literatur”.
Um 20 Uhr im Jos Fritz-Café, Wilhelmstr. 15 (Spechtpassage)
Dienstag, 17. Juni
NGOs der Vernichtung
Über die neuen Formen des Antisemitismus
Der stumme Zwang der Verhältnisse wird mit der offenen Bejahung des Opfers besiegelt. Darin liegt das Wesen des Selbstmord- Attentats. Carl Schmitt könnte heute auf seine Art triumphieren: “Die politische Einheit muß gegebenenfalls das Opfer des Lebens verlangen” – auch, ja gerade dann, wenn die Einheit prekär geworden ist. Denn wo der Staat scheitert, treten die Selbstmord-Attentäter in Aktion (als die Mutanten der Partisanen, wie Schmitt sie schon vor Jahrzehnten beschwor). Sie realisieren jeder für sich, eingebunden in repressiven Gruppen, aber relativ unabhängig von den wirklich existierenden Staaten, was einmal die deutsche Volksgemeinschaft mit dem eigenen Staat vollkommen verwachsen umzusetzen wußte: Vernichtung als Antwort auf die Krise. Ist es Vernichtung um jeden Preis, so ist sie zwangsläufig auf einen einzigen Punkt ausgerichtet, der in der unabsehbaren Zersplitterung allein noch Einheit stiften kann. Immer dasselbe – aber immer neu erfunden: Die Juden, ihr Staat und dessen Schutzmacht als der kleine und der große Teufel. Demgegenüber dieselbe Bereitschaft zum Opfer – aber anders verteilt: In Deutschland und Europa die Friedens- Diplomatie und die reguläre Souveränität; im Nahen und Mittleren Osten suicide attack und irreguläre Gewalt. – Es spricht Gerhard Scheit (Wien), der u.a. für “konkret” schreibt und bei ça ira die Bücher “Verborgener Staat, lebendiges Geld. Zur Dramaturgie des Antisemitismus” sowie “Meister der Krise. Über den Zusammenhang von Vernichtung und Volkswohlstand” veröffentlicht hat.
Um 20 Uhr im Jos Fritz-Café, Wilhelmstr. 15 (Spechtpassage)
Dienstag, 1. Juli
Wenn man dich nicht fragt, sag nein
Deutsche, Antiimperialisten und Pazifisten im Krieg gegen den Krieg gegen den Terror
Schon am Abend des 11. September 2001 stellte sich heraus, dass wir doch nicht alle Amerikaner sind. Viele Deutsche suchen und finden die wahren Schuldigen im Weißen Haus und in Israel. Die Friedensbewegung beweist noch einmal ihre intellektuelle Hilflosigkeit, und in der radikalen Linken kehrt der Antiimperialismus wieder. Er leugnet die antisemitischen Motive des islamistischen Terrors, um sich mit Saddam Hussein und den Palästinensern zu verbünden. Die zahlreichen organisierten Oppositionen in der PDS wissen nichts Besseres mehr, als darüber zu wachen, daß der Parteivorstand den Pazifismus nicht verrät, während dieser mit Genugtuung beobachtet, wie die Bundesregierung sich von der “Vasallentreue” zu den USA emanzipiert. Denn Friede und Gerechtigkeit können nur aus dem alten Europa kommen. – Joachim Rohloff (Berlin) schreibt u.a. für “konkret ” und “jungle world”. Er liest aus seinem Buch “Wenn man dich nicht fragt, sag nein. Deutsche, Antiimperialisten und Pazifisten im Krieg gegen den Krieg gegen den Terror” (Verbrecher-Verlag, Berlin).
Um 20 Uhr im Jos Fritz-Café, Wilhelmstr. 15 (Spechtpassage)
Dienstag, 8. Juli
Krise und Zusammenbruch des Kapitals
Über Henryk Grossmann
Wer auf den Namen Henryk Grossmann stößt, der hat in der Regel Literatur zur Geschichte des Frankfurter Instituts für Sozialforschung vor sich liegen, die ihn als “marxistischen Ökonomen” abhandelt, der unter Carl Grünberg Assistent war und im übrigen ein typischer Vertreter der mechanistischen Marx-Interpretation der Zweiten Internationale; mit der eigentlichen “Frankfurter Schule” aber habe er nicht viel am Hut gehabt. Die zweite Gelegenheit, Grossmann zu begegnen, besteht in der Auseinandersetzung mit der “marxistischen Krisentheorie”. Dem einschlägigen Schrifttum dient Grossmann meist als Paradebeispiel für “Ökonomismus” und “Objektivismus”. Einen festen Platz im Kuriositätenkabinett linker Verirrungen scheinen sein mathematisches Interesse für das Marxsche Schema der einfachen Reproduktion und seine Rechenkünste einzunehmen, die sich angeblich darin erschöpften, für das verflixte “35. Jahr” das Verschwinden des zur individuellen Konsumtion der Kapitalisten bestimmten Mehrwertanteils “k” vorauszusagen. Mal wird er als ordinärer Ricardianer bezeichnet, mal als Positivist. Manchen gilt er gar als marxistisches Milchmädchen, das noch zum Rechnen zu einfältig sei. Sieht man von Paul Mattick ab, der zeitlebens nichts auf Grossmann kommen ließ, hat er sich jedenfalls unter Linken nicht gerade viele Freunde gemacht. Und doch war es Grossmann, der 1929 – im Jahr der Weltwirtschaftskrise – ein dickes Buch nicht etwa zum Generalkartell oder zur Sozialisierung der Reichsfinanzen vorlegte, sondern zum “Akkumulations- und Zusammenbruchsgesetz des kapitalistischen Systems”. – Über dieses Buch spricht Joachim Wurst (AK Antifa Gießen)
Um 20 Uhr im Jos Fritz-Café, Wilhelmstr. 15 (Spechtpassage)