Jour Fixe Programm Herbst/Winter 2005/2006

Jour Fixe Programm Herbst/Winter 2005/2006

Dienstag, 25. Oktober

Kapital und Souveränität

Karl Marx und der Begriff der Politischen

Die Ideologie sagt: Die Wirtschaft ist unser Schicksal. Sie sagt aber auch: Die Politik ist das Reich unserer Freiheit. Beides ist falsch, gibt sich aber gegenseitig den Wahrheitsbeweis und legitimiert sich so. Ideologie jedoch ist kein „Diskurs“, wie die Postmoderne zu wissen beliebt, sie ist das Spiegelspiel aus Markt und Despotie der Fabrik einerseits, „one woman, one vote“ und staatlichem Gewaltmonopol andrerseits; Spaltungen, die ihre falsche Einheit so suchen wie die des Individuums in Bourgeois und Citoyen. Die Gedankenformen dieses Spiegelspiels sind zwar verkehrt, aber objektiv. Sie sind dinglich, sie sind gesellschaftlich gültig. Sie kreisen um den gesellschaftlich erzeugten Wahn des freien Willens. Denn die Ideologie der Politik zieht ihre Ratio aus dem Vertrag zwischen Freien und Gleichen als der zentralen Institution der Vergesellschaftung durch den Tausch. Wenn das, was in Deutschland als links auftrumpft, die Auffassung vertritt, es gelte, so Oskar Lafontaine, eine „Politik für alle“ zu erkämpfen, d.h. das, was seit den Tagen der Agitation Ferdinand Lassalles für den „Volksstaat“ oder auch Lenins Revolution für den „Staat des ganzen Volkes“ als Demokratisierung sattsam bekannt ist, dann kommt die Ideologie der Politik an ihr Ende: die Einheit von Bürger und Staat – die Volksgemeinschaft – bekennt sich in der Idee, die Souveränität sei das Instrument der gesellschaftlichen Selbstbestimmung und das System des Befehlens und Gehorchens wäre, nur recht auf Gemeinwohl getrimmt, die Freiheit schon selbst. Die marxsche „Kritik der politischen Ökonomie“ dagegen tritt auf als Kritik der politischen Ökonomie, die von Anfang an die Einheit von Ökonomie und Politik, von Basis und Überbau, von Kapital und Souveränität darstellt: in der Form der Kritik Alle Kategorien dieser Kritik sind ökonomisch und politisch zugleich. Insofern sie aus der vermittelten Identität von Ausbeutung und Herrschaft entspringen, gilt die Souveränität als nur eine, wenn auch die gegenwärtige Form der Knechtschaft. Als Kritik, die dem kategorischen Imperativ folgt, die Spaltung der Gattung in die wesentliche und in die überflüssige Menschheit aufzuheben, zielt sie nicht auf die Aufhebung, sondern auf die Abschaffung des Staates. – Es spricht Joachim Bruhn (ISF Freiburg).

Um 20 Uhr im Jos Fritz-Café, Wilhelmstr. 15 (Spechtpassage).

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Donnerstag, 10. November

Karl Marx: „Das Kapital“

Einführung in die Kritik der politischen Ökonomie

Es waren die Intellektuellen, insbesondere die Soziologen und die Philosophen, die Karl Marx zum „Marxisten“ gemacht haben und damit zu etwas, das er selbst, der in seinen besten Momenten als Kritiker der politischen Ökonomie auftrat, nur insoweit war, als er sich nicht aus der Tradition zu lösen vermochte – zum Theoretiker. Und es sind eben diese Intellektuellen, die, unfähig zur Kritik der geistigen Arbeit und deren spontanen Neigung zur Ideologieproduktion, in jedem Epochenumbruch, gleich, ob 1918, 1968 oder 1989 die „Krise des Marxismus“ ausrufen, weil die empirische Entwicklung den Theoretiker Marx widerlegt zu haben scheint. Zwei Phänomene wuchern ineinander, erstens die objektive Ambivalenz des marxschen Werkes selbst, zweitens die Rezeptionsgewohnheiten der akademischen Intelligentsia. Eine materialistische Lektüre des „Kapital“ wird daher weder einen „authentischen“ Marx herausdestillieren und zum Prüfstein der Interpretation machen können, noch wird sie der Neigung nachgeben, das Werk als Theorie der kapitalistischen Entwicklung zu lesen und soziologisch zu verifizieren. Denn der revolutionäre Materialismus oder auch „kritische Kommunismus“ (Marx) ist weder eine wissenschaftliche Methode noch eine proletarische Weltanschauung, er ist vielmehr, wie auch schon der Untertitel des „Kapital“ besagt: „Kritik“ – Vorbesprechung am

Donnerstag, 10. 11., um 20 Uhr im Büro der ISF, Wilhelmstr. 15 (Spechtpassage).

Der Kurs findet immer vierzehntägig Donnerstagabends statt bis Juli 2005, dazu an zwei Wochenenden Ende Februar/Mitte März und einmal im Juli.

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Sonntag, 13. November

Beethoven und die französische Revolution

1805 – 1897: Ludwig van Beethoven und Richard Strauss, die „Sinfonia eroica“ und „Ein Heldenleben“, das Bürgertum im revolutionären Überschwang und im Niedergang: welche Rückschlüsse das Schicksal ästhetischer Subjektivität auf die Geschichte der realen zuläßt wird Thema eines Vortrages sein, der dabei demonstrieren möchte, daß die Dialektik der Aufklärung sich nicht nur begrifflich erschließen, sondern hörend erkunden läßt. – Es spricht Clemens Nachtmann (Berlin/Graz), Redaktion „Bahamas“.

Um 18 Uhr im Jos Fritz-Café, Wilhelmstr. 15 (Spechtpassage).

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Dienstag, 15. November

„Hitler war’s!“

Die Befreiung der Deutschen von ihrer Vergangenheit

Eichinger, Fest, Knopp und andere sind für Hannes Heer die Kronzeugen einer radikalen geschichtspolitischen Wende, die sich zur Zeit vollzieht: Es ist wieder hoffähig geworden, allein Hitler zum Sündenbock zu machen und damit die Deutschen aus der Verantwortung zu entlassen. Der Bann ist gebrochen: Vom Dritten Reich wird wieder erzählt, als hätte es nur ein unschuldiges Volk und lauter Opfer gegeben. Vor allem Eichingers inzwischen preisgekrönter Film „Der Untergang“ verleiht dieser modisch werdenden Geschichtsdeutung fragwürdige Glaubwürdigkeit. Die Blaupause für diesen Film lieferte das gleichnamige Buch von Joachim Fest. Diesem hitlerzentrierten Geschichtsbild stellt Hannes Heer Beispiele für die aktive Unterstützung des NS-Regimes durch die Wehrmacht und durch breite Teile der Bevölkerung entgegen – ein Kapitel über den neuen deutschen Familienroman (Uwe Timm oder Wibke Bruhns seien genannt) etwa zeigt die freiwillig eingegangene Verschränkung von privater und großer Geschichte. Hitler alle Schuld aufzubürden, so das Fazit von Hannes Heer, kann nicht der Ausweg sein aus Schuld und Verantwortung. Dieses Manöver macht ihn noch einmal zum Führer der Deutschen. – Es spricht Hannes Heer (Hamburg), Autor von „Hitler war’s!.

Die Befreiung der Deutschen von ihrer Vergangenheit“ (Aufbau-Verlag, Oktober 2005) sowie von „Vom Verschwinden der Täter. Der Vernichtungskrieg fand statt, aber keiner war dabei“ (2004).

Um 20 Uhr im Jos Fritz-Café, Wilhelmstr. 15 (Spechtpassage)

In Zusammenarbeit mit der Buchhandlung Jos Fritz

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Montag, 21. November

Freiburg in der NS-Zeit

Antifaschistischer Stadtrundganz

An exemplarischen Stationen wird aufgezeigt, was in Freiburg passierte, wie die Arisierung organisiert wurde, welche Menschen wo gelebt haben, die ihre Wohn- und Lebensstätte verlassen mußten. An der Universität wird vom Rektorat Martin Heideggers im Frühjahr 1933 die Rede sein. Der Rundgang endet gegen 17 Uhr am Platz der Alten Synagoge. – Es führt und kommentiert E. Schlesiger

Treffpunkt um 15.30 Uhr am „Basler Hof“, Kaiser-Joseph-Straße (gegenüber Buchhandlung Herder).

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Dienstag, 29. November

Das Filmkollektiv Slatan Dudow zeigt:
Lemmy Caution – Ermittlungen gegen die Wirklichkeit

Geheimagent Lemmy Caution kommt nach Berlin, um Ermittlungen gegen die kapitalistische Wirklichkeit aufzunehmen. Er soll herausfinden, warum die Menschen an Verhältnissen kleben, die für die meisten von ihnen nur Leid, Elend und Not bereithalten. Die deutsche Abwehr, die ihn schon erwartet, schickt Caution ihre Agenten auf den Hals. Mit ihnen wird er spielend fertig, nicht aber mit der geheimnisvollen Doppelagentin Svobodnaja Ljubova. Eine vermeintliche Spur führt in die Villa des Großindustriellen Bertotti (hinter dem sich der Chef der deutschen Abwehr, Hermann Müller-Goebbels, verbirgt). Durch den Verrat Svobodnajas gerät Caution dort in eine Falle. Doch in letzter Sekunde schlägt sie sich auf seine Seite und rettet ihm das Leben. Als sich Caution Hals über Kopf andertweitig verliebt und seinen Auftrag aus den Augen verliert, liquidiert Svobodnaja ihn, um sich „ihre Freiheit zu bewahren“. Sterbend sinniert Lemmy über seinen Grundirrtum, eine mächtige, alles steuernde Organisation dort erwartet zu haben, wo überpersönliche Verhältnisse walten. – Bei „Lemmy Caution“ handelt es sich um einen surrealistischen, experimentellen Agentenfilm im Stil von Gordards „Alphaville“, dem auch die Hauptfigur entlehnt ist, und dem Film noir der vierziger Jahre. Bernd Reinink (Buch und Regie) aus Berlin wird sich im Anschluß an den Film der Diskussion stellen.

Um 20 Uhr in der KTS, Baslerstr. 103.

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Dienstag, 13. Dezember

Deutsche Befindlichkeit

In Deutschland läßt sich derzeit ein beinahe schizophrenes gesellschaftliches Phänomen beobachten: Dem Bau eines zentralen Holocaust-Mahnmals in Berlin, der Thematisierung des NS in den Lehrplänen der Schulen und dem ritualisierten Gedenken am 9. 11. steht eine immer noch weitgehende Tabuisierung des Themas im Alltag gegenüber. Dahingegen scheinen die Publikationen und Filme zuzunehmen, die das Leiden der deutschen Zivilbevölkerung während und nach dem Krieg illustrieren („Bomben auf Freiburg“). Nicht mehr die nationalsozialistische Vergangenheit scheint es zu sein, die der Verdrängung anheim gefallen ist und der Aufarbeitung bedarf, sondern die „Verbrechen“ der Alliierten. Ebenso mehren sich die Streifen, die den heroischen Widerstandswillen gegen das „Hitler-Regime“ bezeugen möchten, und auch seit dem Kassenschlager „Der Untergang“ könnte man mit den Mitscherlichs durchaus den Voyeurismus unterstellen, mal wieder den „geliebten Führer“ sehen zu wollen. Deutschland zieht seine Verantwortung für die Welt aus der moralischen Lehre von Auschwitz, Horst Köhler besucht die Knesset und spricht zu den Israelis in der Sprache der Mörder, und Schröder und Fischer betrauern gemeinsam mit Rußland und Frankreich die Gefallenen des Zweiten Weltkrieges. Deutschland – eine „normale Nation“? Die Frage welcher an diesem Abend nachgegangen werden soll, ist die nach dem Fortleben der nationalsozialistischen Vergangenheit in der Gegenwart und in der Zukunft. Wie werden Nationalsozialismus und Holocaust im „kollektiven Gedächtnis“ der Deutschen weiterleben, wenn die Zeitzeugen keine Stimme mehr haben? Wem wird von den Nachfolgegenerationen in Deutschland die Deutungsmacht über die Vergangenheit gewährt? Meine Hypothese ist, daß sich die Deutschen sowohl auf der Seite des kulturellen Gedächtnisses im Sinne der „Zivilreligion Auschwitz“ mit der Parole „Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!“ als auch auf der Seite des kommunikativen Gedächtnisses mit der von Xenophobie, Nationalismus, Rassismus, Antiintellektualismus und Antisemitismus gefärbten Alltagsreligion um ein konkretes Sprechen über Auschwitz, ein Einnehmen der Perspektive der Opfer herumlavierten. – Eva Hildisch (Freiburger Bündnis gegen Antisemitismus und Israelfeindschaft).

Um 20 Uhr im Jos Fritz-Café, Wilhelmstr. 15 (Spechtpassage).

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Dienstag, 10. Januar

Natur und Gesellschaft bei Karl Kraus und Theodor W. Adorno

Sowohl Kraus als auch Adorno gelten als „Schwarzseher“, ihre Kritik als Negativismus und Kulturpessimismus. Tatsächlich postulierte die kritische Theorie eine durch Selbstreflexion bestimmte Beschränkung des Herrschaftsanspruches über die Natur, ohne aber in eine antiaufklärerische Naturapologie zu verfallen. Vielmehr begriff insbesondere Adorno die bestehende Gesellschaft als zweite Natur, deren Zwänge durch radikalisierte Aufklärung gebrochen werden müssen. Dieses Denkmodell konnte sich auf gedankliche Motive stützen, die bereits bei Karl Kraus, dem Autor der satirischen Zeitschrift Die Fackel, in einer freilich eher künstlerischen als philosophischen Form zu finden sind. Gezeigt werden soll, daß die Etikettierung der Krausschen Fortschrittskritik als eindeutig konservativ ebenso verfehlt ist wie die Behauptung, Adornos Kulturkritik sei aufgrund ihrer aporetischen Konstruktion (instrumentelle Vernunft versus Utopie) obsolet geworden. Die verkürzenden Fehlinterpretationen beruhen zu einem großen Teil darauf, daß die apodiktischen Schreibweisen und die essayistischen Textformen bei Kraus und Adorno nicht ausreichend berücksichtigt werden. Übertreibende Aphorismen, die den Bannkreis des Fortschritts beklagen, werden dann als Verdikte oder als deskriptive Statements fehlinterpretiert, anstatt sie in ihrer verfremdenden, warnenden und polemisierenden Funktion zu würdigen. Solcher Mißdeutung kann nur eine interdisziplinär angelegte Analyse entgegenwirken, die neben philosophischen und soziologischen Aspekten auch die Textstruktur einbezieht. Insbesondere der historisch-kritische Gehalt der scheinbar hoffnungslos geschichtspessimistischen Aphorismen aus der Dialektik der Aufklärung läßt sich erst im Kontext einer Analyse der Textstruktur entfalten. Denn das Denken in Widersprüchen, das Kraus und Adorno vereint, kann nur dann als produktiv rezipiert werden, wenn diese Widersprüche nicht vorschnell als Aporien abqualifiziert, sondern als objektive Darstellung der gegensätzlichen Potentiale im Prozeß der soziokulturellen Entwicklung selbst wahrgenommen werden. Der Einspruch gegen unreflektiertes Fortschrittsdenken, die Warnung vor Naturzerstörung und die Parteinahme für die leidende Kreatur sind bei Kraus und Adorno – fern jeglicher Sentimentalität – mit Ökonomie- und Herrschaftskritik untrennbar verbunden. Indem sie in ihrer jeweils spezifischen Art herausarbeiten, wie in der Pseudorationalität der bestehenden Gesellschaft der Naturzwang sich perpetuiert, entziehen sie diesen Vorgang den Schein der Schicksalhaftigkeit und helfen so, eine veränderte Praxis vorzubereiten. In dieser Perspektive lassen sich die Texte der Fackel mit Adorno als Modelle einer Versöhnung von Mimesis und Rationalität dechiffrieren, die eine mit der Natur versöhnte Gesellschaft zwar nicht inhaltlich zu entwerfen, wohl aber vermittels der künstlerischen Form zu antizipieren vermögen. – Es spricht Irina Djassemy (Wien), Autorin von „Der Produktivgehalt kritischer Zerstörarbeit. Kultur- und Gesellschaftskritik bei Krauss und Adorno“ (Verlag Könighausen und Neumann, 2002).

Um 20 Uhr im Jos Fritz-Ca fé, Wilhelmstr.15 (Spechtpassage).

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Dienstag, 24. Januar

Wegbereiter der Shoah

Die Waffen-SS, der Kommandostab Reichsführer-SS und die Juden-vernichtung 1939-1945

Obwohl dem sog. Kommandostab Reichsführer-SS mit den Brigaden der Waffen-SS eine Schlüsselrolle bei der Organisation des Holocaust im östlichen Europa zukam, hält sich bis heute der Mythos, die Waffen-SS sei nicht stärker in den Vernichtungsprozeß gegen die europäischen Juden verwickelt gewesen. Als ihre direkten Vorläufe waren mehrere SS-Totenkopfstandarten bereits seit Herbst 1939 der mörderischen Besatzungspolitik gegen Juden und christliche Polen beteiligt gewesen. Dies belegt exemplarisch, daß die Deutschen bereits im September 1939 einen Vernichtungskrieg in Gang setzten. Die SS-Brigaden des Kommandostabes waren dann, im Krieg gegen die Sowjetunion, die ersten Verbände überhaupt, die zur Massenvernichtung übergingen. Ihre Einsätze im August 1941 markieren den Beginn der „Endlösung“. Dieses Ergebnis war ohne Ermutigung durch übergeordnete Instanzen nicht denkbar, spiegelt auf der anderen Seite aber auch ein hohes Maß an Eigeninitiative der SS-Führer wider. Das ist entscheidend für die Genese der Shoah. Die Brigaden verübten unter dem Deckmantel der „Partisanenbekämpfung“ weitere Judenmorde. Daneben waren ihre Ersatz- und Versorgungseinheiten in Polen direkt an der Vernichtung der polnischen Juden beteiligt. Ein Teil dieser Verbände schlug im April und Mai 1943 den jüdischen Aufstand im Warschauer Ghetto nieder. Die SS-Täter der Brigaden des Kommandostabes sind nicht zuletzt auch ein Beispiel für die im Nachkriegsdeutschland kaum erfolgte Ahndung der NS-Verbrechen. Tausende Angehörige dieser Verbände kehrten nach der deutschen Niederlage zurück und widmeten sich nun dem Aufbau einer privaten Existenz. Erst Anfang der 60er Jahre kam es zu Ermittlungen gegen die Täter, die jedoch nur in Ausnahmefällen mit Verurteilungen endeten. – Es spricht Martin Cüppers (Berlin), Mitarbeiter der Forschungsstelle Ludwigsburg und Autor des Buches „Wegbereiter der Shoah. Die Waffen-SS, der Kommandostab Reichsführer-SS und die Judenvernichtung 1939-1945“ (Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2005).

Um 20 Uhr im Jos Fritz-Café, Wilhelmstr. 15 (Spechtpassage).

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Dienstag, 7. Februar

Die friedfertige Antisemitin?

Kritische Theorie über Geschlechterverhältnis und Antisemitismus

Haben Frauen dasselbe Bedürfnis wie Männer, unerlaubte Regungen auf „Sündenböcke“ zu projizieren oder sind sie zu aggressivem Verhalten und Antisemitismus gar nicht fähig? Sind Frauen tatsächlich das „friedfertige Geschlecht“ wie Margarete Mitscherlich dies behauptet? Jahrelang hat die „neue Frauenbewegung“ im Sinne einer identitätsstiftenden Geschichtsschreibung ein positives Bild von „der Frau“ im NS gezeichnet, was nicht selten zu einer den Holocaust verharmlosenden und antisemitischen Argumentation führt(e). Entgegen der Tatsache, daß Frauen als KZ-Aufseherinnen, Denunziantinnen oder Fürsorgerinnen an der antisemitischen Ausgrenzung und Vernichtung von Jüdinnen und Juden begeistert mitwirkten, werden sie in feministischen Schriften oft auch, im Widerspruch zu dem obigen positiven Bild, gerne als auf die Mutterrolle reduzierte „Gebärmaschinen“ (Renate Wiggershaus) dargestellt. Während 1988 zum Jahr des Holocausts an den Frauen erklärt wurde, gaben feministische Theologinnen dem Judentum die Schuld am Untergang des Matriarchats, dem Patriarchat weiters die Schuld am Nationalsozialismus… Wie die Schuldkette weitergeht, kann man bei Gerda Weiler nachlesen – ein feministischer Fall von Täter(innen)-Opfer-Umkehr. Ist dem feministischen Opfermythos seine Grundlage entzogen, so läßt sich auf Basis einer kritischen Theorie des Antisemitismus die Frage stellen, ob der Antisemitismus bei Frauen und Männern die gleichen Bedürfnisse befriedigt, oder ob entsprechend der verschiedenen Geschlechterrollen unterschiedliche Inhalte projiziert werden. Und welche Rolle spielt dabei die Entwicklung zu einer „vaterlosen Gesellschaft“, in der charakterlose Charaktere die autoritäre Persönlichkeit ablöse? – Es spricht Ljiljana Radonič (Wien), Ihr Buch „Die friedfertige Antisemitin? Kritische Theorie über Geschlechterverhältnis und Antisemitismus“ erschien 2004 im Peter Lang-Verlag, Frankfurt.

Um 20 Uhr im Jos Fritz-Café, Wilhelmstr. 15 (Spechtpassage).

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Dienstag, 21. Februar

Marx und Adorno: Kritik als Darstellung

Es versteht sich, daß der Begriff der Kritik, wie ihn Marx im Untertitel des „Kapital“ als „Kritik der politischen Ökonomie“ gibt, mit dem landläufigen Verständnis des Nachweises von „Falschheit oder Ungenügen der bisherigen Ansätze“ nichts gemein hat, handelt es sich doch bei diesem Aufweis von Wider-sprüchen doch nur um jene „vulgäre Kritik“, der Marx die „wahre Kritik“ als jene gegenüberstellt, die die „innere Genesis“ des zu kritisierenden Gegenstandes und die „Notwendigkeit“ seiner realen Widersprüche nachweisen will. Dem entspricht Adornos Bestimmung der „Gesellschaft als Subjekt und Gesellschaft als Objekt“, die „dasselbe und doch nicht dasselbe“ sein sollen. Insbesondere seiner „Negativen Dialektik“ ist zu entnehmen, daß jener Fundamentalsatz der Kritischen Theorie Marx verpflichtet ist. Denn Adorno begründet werttheoretisch das Theorem, daß das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile. Und wie die Neutralisierung oder gar Eliminierung des Marxschen Kritik-Programms ein konstitutives Merkmal des traditionellen Marxismus ist (und zwar in allen seinen Spielarten), so wird bis heute der werttheoretische Hintergrund des Grundmotivs der Frankfurter Kritik, daß das Ganze der kapitalistischen Gesellschaft das Unwahre ist und eine falsche Identität von Subjekt und Objekt darstellt, ignoriert. In der Auseinandersetzung mit der Unterstellung, Adornos Gesellschaftsbegriff sei „holistisch“ oder „essentialistisch“, kann man gar nicht oft genug wiederholen: In der Kritischen Theorie ist Totalität keine Affirmative, vielmehr eine kritische Kategorie. – Es spricht Hans-Georg Backhaus (Frankfurt), Autor u.a. von „Dialektik der Wertform. Untersuchungen zur marxschen Ökonomiekritik“ (ça ira, 1997).

Um 20 Uhr im Jos Fritz-Café, Willhelmstr.15 (Spechtpassage).

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Samstag, 25. Februar

Textkritik

Moishe Postone: „Antisemitismus und Nationalsozialismus“

Moishe Postones theoretischer Versuch zur „Logik des Antisemitismus“ von 1979 ist zum Klassiker der materialistischen Gesellschaftskritik geworden, auch deshalb, weil er es erstmals unternimmt, den Begriff des Antisemitismus mit den fundamentalen Kategorien der marxschen Kritik der politischen Ökonomie ins Verhältnis zu setzen. Ob es selbst in diesem fraglosen Fortschritt noch Fragwürdiges gibt, soll Thema der „Textkritik“ sein, auch aus Anlaß der ersten definitiven Publikation des Essays bei ça ira (in: Moishe Postone, Deutschland, die Linke und der Holocaust. Politische Interventionen, Freiburg 2005, Seite 165-194; auch zum kostenlosen Download unter www. isf-freiburg.org erhältlich). – Unter dem Stichwort „Textkritik“ möc hte die ISF einmal im Semester die Gelegenheit bieten, einen grundlegenden Text der materialistischen Gesellschaftskritik zu lesen und im einzelnen zu diskutieren.

Von 15 bis 18 Uhr im Büro der ISF, Wilhelmstr. 15 (Spechtpassage).

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