jour fixe Programm Frühjahr/Sommer 2007

Jour Fixe Programm Frühjahr / Sommer 2007

Mittwoch, 18. April 2007

Felix Lipski: Jüdischer Widerstand im Ghetto von Minsk (Weißrußland)
während des Zweiten Weltkrieges

“Minsk, die Hauptstadt Weißrußlands, wurde am 28. Juni 1941, sechs Tage nach dem Beginn des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion, von der Wehrmacht erobert. Anfang Juli wurden 1050 jüdische Intellektuelle erschossen, wenig später der Befehl zur Errichtung des Ghettos erlassen. Es umfaßte 40 Straßen und Gassen der Altstadt, die mit Stacheldraht umzäunt wurden, hauptsächlich alte Holzhäuser. Seine Ausdehnung betrug anfangs kaum zwei Quadratkilometer, trotzdem wurden über achtzigtausend Juden hineingepreßt. Im August 1941, während dreier Razzien, wurden 5000 Männer zwischen 16 und 50 Jahren erschossen; die Überlebenden zur Zwangsarbeit verpflichtet. Im Verlauf dieser “ Aktionen”, die die SS durchführte, wurden zwischen November 1941 und Oktober 1943 über 100000 Juden erschossen oder in Gaswagen umgebracht. Zwischen November 1941 und Oktober 1942 wurden über 35000 Juden aus Deutschland, Österreich und aus dem Protektorat Böhmen und Mähren nach Minsk deportiert. Im Winter 1941 wurden 7000 Juden aus Hamburg, Düsseldorf, Frankfurt, Berlin, Brünn, Bremen und Wien in einem mit Stacheldraht abgeteilten Bereich des Minsker Ghettos untergebracht. Die meisten Transporte wurden gleich in das KZ Trostenez gebracht und dort ermordet; nur ca. 40 deutsche Juden blieben am Leben. Im August 1941 bildete sich die erste Untergrundorganisation. Es war eine kommunistische Gruppe, denn in der Sowjetunion gab es keine jüdischen Organisationen und Parteien; im Oktober bildete sich dann eine vereinigte Widerstandsorganisation unter der Leitung von Michel Gebelew und Hirsch Smolar. Sie gliederte sich in konspirative Gruppen, die sog. “Zehn”. Meine Mutter Rosa Lipskaja war die Leiterin einer solchen Gruppe. Zu ihren Aufgaben gehörte der Aufbau eines Untergrundnetzes, das Abhören von Radiosendern, das Verbreiten von Frontnachrichten in Form von Flugblättern, der Einrichtung eine Druckerei und das Beschaffen von Waffen, Kleidung und Medizin, dazu der Kontakt mit den nichtjüdischen Widerstandsorganisationen von Minsk. Die Zahl der Untergrundkämpfer betrug über 400. Sie stellten sich die Aufgabe, die Juden zu retten und zu den Partisanen zu bringen. Schon im Winter 1941/42 schickte das Ghetto die ersten Bewaffneten in die Wälder, um Partisanenstützpunkte aufzubauen. Die Minsker Juden gründeten sieben Partisaneneinheiten, im ganzen haben an die 11000 Juden in weißrussischen Partisaneneinheiten gekämpft.” – Felix Lipski (Bochum), geb. 1938 in Minsk, Chirurg, Überlebender des Ghettos Minsk, Gründer und erster Präsident des Weißrussischen Verbands der ehemaligen jüdischen Häftlinge der nationalsozialistischen Ghettos und KZ. Forschungsschwerpunkte: Geschichte des Ghettos von Minsk, jüdischer Widerstand in Weißrußland. Publikationen in weißrussischer, russischer und deutscher Sprache, so sein Beitrag in dem Buch der Projektgruppe Belarus: “Existiert das Ghetto noch?” Weißrußland: Jüdisches Überleben gegen nationalsozialistische Herrschaft, das im Verlag Assoziation A (Berlin) erschienen ist (weitere Informationen unter www.assoziation-a.de/gesamt/Existiert_das_Ghetto_noch%3F.htm

Um 20 Uhr im Jos Fritz-Café, Wilhelmstr. 15 (Spechtpassage).

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Donnerstag, 19. April 2007

Freiburg in der NS-Zeit

Antifaschistischer Stadtrundgang

An exemplarischen Stationen wird aufgezeigt, was in Freiburg passierte, wie die Arisierung organisiert wurde, welche Menschen wo gelebt haben, die ihre Wohn- und Lebensstätte verlassen mußten. An der Universität wird vom Rektorat Martin Heideggers im Frühjahr 1933 die Rede sein. Der Rundgang endet gegen 17 Uhr am Platz der Alten Synagoge. – E. Schlesiger führt und kommentiert.

Treffpunkt um 15.00 Uhr am “Basler Hof”, Kaiser-Joseph-Straße (gegenüber Buchhandlung Herder).

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Donnerstag, 26. April 2007

Der Gegen-Staat

Zur politischen Romantik der Rote Armee Fraktion (RAF)

Die Praxis der RAF war eine extreme, d.h. konsequente Form des Staatsfetischismus. Die RAF, das war der Gegen-Staat, der dem Souverän sein Gewaltmonopol entgegenstellte und den Anspruch auf sein ureigenes Recht erhob, Gefangene zu nehmen und über sie zu richten; den Unterschied zu machen zwischen Zivilisten und Kombattanten; zu definieren, was das Volk ist, wer dazu gehört und wer nicht. Dabei hatte die RAF doch mit einer furiosen Kritik an der Praxislosigkeit und dem zähen Objektivismus der Linken begonnen und dagegen die Kraft der Tat gesetzt! Aber sie verblieb im Horizont ihrer bürgerlichen Subjektivität, reproduzierte die schlechte Endlichkeit des Staates en miniature. Schon in ihrem radikalen Existenzialismus ist die politische Romantik angelegt. Daß die RAF ein Produkt der Romantik gewesen ist, fällt auch ihren staatstragenden Kritikern auf: Da werden Baader & Co gerne mit Figuren aus den Romanen Dostojewskijs verglichen und ihre Gewalt als apolitische bloßgestellt. Die Entpolitisierung der RAF bezweckt vor allem eins: Die Heiligsprechung des ganz und gar politisch handelnden Staates. Damit wird die Dialektik von Staat und Gegen-Staat verschwiegen: Wie die RAF den Staat brauchte, um sich daran aufzurichten, so ist sie längst zu einem konstitutiven Moment der ideologischen Staatsapparate mutiert. Was wären sie ohne Christian Klar? – Es spricht Felix Klopotek (Köln), der u.a. für Jungle World und konkret schreibt. Demnächst erscheinen die von ihm herausgegebenen Schriften von Christian Riechers Die Niederlage in der Niederlage. Texte zur Arbeiterbewegung, Klassenkampf, Faschismus in Italien (Münster 2007).

Um 20 Uhr in der KTS, Basler Str. 103.

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Mittwoch, 2. Mai 2007

Was heißt: Kritik der politischen Ökonomie?

Eine Debatte zwischen Ingo Elbe (Rote Ruhr-Universität) und Joachim Bruhn (ISF)

These: In der Marx-Rezeption der letzten Jahrzehnte läßt sich bei allen theoretischen Fortschritten auch eine Tendenz ausmachen, die Ökonomiekritik in theologischer Manier zu lesen. Wert, Geld und Kapital werden nach dem Vorbild des christlichen Gottes oder seiner modifizierten Hegelschen Variante konzipiert, das ganze dann als ’Positivismus-‘ oder gar ’Theoriekritik‘ verkauft. Als sei Religionskritik die Konstatierung und moralische Ablehnung eines real existierenden personalen Gottes, wird Kapitalkritik als Konstatierung und moralische Ablehnung eines real existierenden logischen Widerspruchs verstanden, demzufolge “4=5”, “ein Ding zugleich und in derselben Hinsicht Nicht-Ding” sei usf. Dies ist nicht nur Resultat einer spezifisch deutschen Vorliebe für die “mysteriöse Komposition von Gegensätzen” (Feuerbach), sondern auch einer Konfusion hinsichtlich der Abstraktionsebenen der Darstellung im ’Kapital‘ und einer Verwischung der Differenz von Formanalyse und Ideologiekritik. Kurz gesagt: Das, was Marx an bürgerlicher Geschichtsphilosophie und Politökonomie kritisiert, wird von marxistischen ’Theologen‘ für dessen eigene Position ausgegeben, Marx in einen pseudotiefsinnige n deutschen Ideologen verwandelt und dem Irrationalismus Tür und Tor geöffnet. Dagegen soll gezeigt werden, daß Marx‘ werttheoretische Grundbegriffe mit dem “credo quia absurdum est” marxistischer Theologie nichts zu tun haben und eine wissenschaftliche Analyse der Formen des gesellschaftlichen Reichtums keineswegs einer Rationalisierung ihres Gegenstands gleichkommt. (Ingo Elbe)

Antithese: Die spezifische linksdeutsche und recht eigentlich: akademisch-sozialwissenschaftliche Lesart des marxschen “Kapital” besteht darin, daß die marxsche Kritik auf den Gegensatz von Tatsachen- und Werturteil heruntergebogen und verniedlicht werden soll. Im Gegensatz zu Ingo Elbe besteht diese Kritik keineswegs in der “Konstatierung und moralischen Ablehnung eines … logischen Widerspruchs”, sondern in der Demonstration dessen, daß der Selbstwiderspruch der Gattung Mensch, so, wie er in der Spaltung des bloß phänomenalen vom gesellschaftlich funktionalen Menschen fundiert und in allem “Formwandel der Knechtschaft” (Marx) prozessierend seine falsche Vermittlung sucht, an und für sich derart paradox ist, daß er sich nicht in positivistischen Definitionen des Einmaleins, sondern allein in polemischen Paradoxa ausdrücken läßt. Die Gattung, ins Kapitalverhältnis gebannt, ist die vielbeschworene, selten begriffene “Identität von Identität und Nicht-Identität”. Was Elbe als “marxistische Theologie” ablehnen zu müssen glaubt, ist tatsächlich das Beste an der Sache – die schon Hegel geläufige Scheidung von Verstand und Vernunft, die in einem Begriff von Kritik mündet, der sich nicht szientivistisch mit “der wissenschaftlichen Analyse der Formen des Reichtums” abspeist. Und, ganz nebenbei, bleibt unverständlich, wie Ingo Elbe von “Abstraktionsebenen der Darstellung im ‚Kapital‘” zu sprechen vermag – was lineare Entwicklung unterstellt –, wo doch das Werk selbst kein Ende gefunden hat. Gegen Elbes Argumentation wird daher vom Zusammenhang zwischen dem Anfang des marxschen “Kapital” und dem Untergang bzw. der Abschaffung des Kapitals die Rede sein müssen. (Joachim Bruhn)

Ingo Elbe (Dortmund) gehört zum Kollektiv der Roten Ruhr-Universität Bochum; seine Thesen über “Marxismus-Mystizismus. Oder: die Verwandlung der Marxschen Theorie in deutsche Ideologie” sind in Nummer 5 der Zeitschrift “Prodomo” erschienen (www.prodomo-online.tk).

Joachim Bruhn (Freiburg) arbeitet an der ISF mit; seine Anti-Kritik wird in Prodomo °6 erscheinen und Ende April auch bei www.isf-freiburg.org in der Rubrik “Beiträge” verfügbar sein.

Um 20 Uhr im Jos Fritz-Café, Wilhelmstr. 15 (Spechtpassage).

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Mittwoch, 16. Mai 2007

Der Zionismus des Proletariats

Auf dem Gründungskongreß der Zionistischen Bewegung 1897 in Basel spielten sozialistische Ideen keine Rolle. Dies verwundert nicht, denn hätte es Versuche gegeben zionistische Ideen mit sozialistischen zu vermischen, wäre das wohl auf erbitterten Widerstand gestoßen. Schon wenige Jahre später hatte sich das Bild radikal gewandelt. Zionistisch-sozialistische Parteien waren zu einem integralen Bestandteil der Bewegung geworden und in weniger als drei Jahrzehnten zur dominanten politischen Kraft im damaligen Palästina. So dominant, daß man von der “Diktatur der zweiten Aliyah” (hebr.: Aufstieg) sprach. Die Vorherrschaft der sozialistischen Arbeiterparteien sollte nicht nur die Phase bis 1948 prägen, sondern, in ihrer sozialdemokratischen Spielart, auch die drei Jahrzehnte nach der Staatsgründung. Diese Fraktion der israelischen Arbeiterbewegung bestimmt auch heute noch das Bild der sozialistischen-zionistischen Arbeiterbewegung außerhalb Israels. Namen wie Ber Borochow oder Nachman Syrkin, die den Zionismus mit der sozialistischen Revolution verbanden, sind darüber in Vergessenheit geraten. – Es spricht Stefan Braun (Wiesbaden), Co-Autor des von Alexandra Kurth herausgegebenen Buches “Insel der Aufklärung. Israel im Kontext” (Gießen: Netzwerk-Verlag 2005).

Um 20 Uhr im Jos Fritz-Café, Wilhelmstr. 15 (Spechtpassage).

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Mittwoch, 30. Mai 2007

Zeev Milo: Im Satellitenstaat Kroatien

Eine Odyssee des Überlebens 1941 – 1945

Im April 1941 überfiel die deutsche Wehrmacht Jugoslawien. Die jugoslawische Armee kapitulierte bald und Jugoslawien wurde aufgeteilt. Die Deutschen wurden von den KroatInnen als Befreier begrüßt, weil sie sich in Jugoslawien benachteilig gefühlt hatten. Auf dem Territorium Kroatiens und Bosnien-Herzegowinas wurde der so genannte “Unabhängige Staat Kroatien” (NDH) unter der Führung Ante Pavelics ausgerufen, der trotz seines Namens ein Staat von Deutschlands und Italiens Gnaden war. Die Ideologie der nunmehr an die Macht gekommenen Ustascha basierte auf fanatischem Serbenhaß und Antisemitismus. Sie übernahmen eigeninitiativ die Verfolgung und bald auch die Ermordung der jüdischen Bevölkerung in Konzentrationslagern auf dem Gebiet des NDH. Auch wurde die Bevölkerung unzähliger serbischer Dörfer ermordet. Bald formierte sich der Widerstand gegen dieses Regime und immer mehr Gebiete wurden später von den PartisanInnen erobert. Zwischen den Besatzungsmächten Deutschland und Italien entbrannten immer mehr Konflikte, z.B. als die Italiener sich weigerten, die zu ihnen geflüchteten kroatischen Jüdinnen und Juden auszuliefern. Doch bis zum Kriegsende sollten noch viele, vor allem im berüchtigten KZ Jasenovac, das Leben lassen. Insgesamt überlebten nur knapp mehr als 20% jener Jüdinnen und Juden, die vor dem Krieg auf dem Gebiet des NDH gelebt hatten. Dennoch gehören seit 1990 positive Bezugnahmen auf den Ustascha-Staat zum kroatischen Alltag. ­– Zeev Milo wurde 1922 in Zagreb geboren. Während der Ustascha-Herrschaft gelang es ihm 1942 nach eineinhalb Jahren Leiden und täglicher Lebensgefahr mit seinen Eltern in die italienisch besetzte Zone an der Adriaküste und später zu den Partisanen zu fliehen. 1949 wanderte er nach Israel aus, wo er nach Beendigung seines Studiums in die Armee eintrat, in der er den Rang eines Obersts erreichte. Danach war er in führenden Positionen in der israelischen Elektronikindustrie tätig; heute lebt er in Tel Aviv. Sein Buch Im Satellitenstaat Kroatien. Eine Odyssee des Überlebens 1941-1945 erschien im Hartung-Gorre-Verlag (Konstanz).

Um 20 Uhr im Jos Fritz-Café, Wilhelmstr. 15 (Spechtpassage).

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Sonntag, 3. Juni 2007

Halbmond & Hakenkreuz

Das “Dritte Reich”, die Araber und Palästina

Ausgehend von den ersten gewalttätigen Ausbrüchen des palästinensischen Nationalismus in den frühen 20er Jahren werden die Anfänge der deutsch-arabischen Beziehungen dargestellt und die ideologischen Überschneidungen mit dem Nationalsozialismus analysiert. Mit der Landung des Deutschen Afrikakorps im Februar 1941 in Libyen begann die direkte deutsche Intervention im arabischen Raum. Damit waren weitreichende strategische Planungen zur Eroberung des gesamten Nahen und Mittleren Ostens verbunden. Für 1942 war die Ausweitung der Shoah über Europa hinaus geplant. Unter tatkräftiger Mithilfe von arabischen Kollaborateuren sollte auch in Palästina der Massenmord an den Juden organisiert werden. Das dazu erforderliche deutsche Per sonal wartete nur auf den Marschbefehl. Der Panzerarmee Afrika unter Feldmarschall Erwin Rommel war im Sommer 1942 ein Einsatzkommando der Sicherheitspolizei und des SD beigeordnet. In Erwartung eines siegreichen Vormarsches Rommels nach Ägypten und Palästina wurde das Einsatzkommando ermächtigt, “in eigener Verantwortung gegenüber der Zivilbevölkerung Exekutivmaßnahmen zu treffen”. Im Klartext hieß das: die Shoah auf den Nahen Osten auszudehnen und die dortige jüdische Bevölkerung zu ermorden. Die Leitung des Einsatzkommandos übernahm SS-Obersturmbannführer Walther Rauff, der zuvor im Reichssicherheitshauptamt für die “technische Ausrüstung” der Einsatzgruppen in Osteuropa und den Betrieb mobiler “Gaswagen” zuständig gewesen war. Mit der deutsch-italienischen Niederlage in Ägypten war die Kollaboration von arabischen Muslimen mit dem Nationalsozialismus noch nicht beendet. Unter anderem folgten Aufstandspläne zur Revolutionierung der Maghrebstaaten und umfassende Rekrutierungen von Muslimen für Wehrmacht und SS. Ein Blick auf die Nachkriegsgeschichte soll die erstaunlichen Lebenswege der wichtigsten deutschen und arabischen Protagonisten dieser bisher weitgehend unbekannten Aspekte aus dem Zweiten Weltkrieg beleuchten und die Aktualität des Themas verdeutlichen. – Es spricht Martin Cüppers (Berlin), Mitarbeiter der Forschungsstelle Ludwigsburg und Co-Autor des Buches von Klaus-Michael Mallmann/Martin Cüppers: Halbmond und Hakenkreuz. Das “Dritte Reich”, die Araber und Palästina, Darmstadt (Wissenschaftliche Buchgesellschaft) 2006.

Um 20 Uhr in der KTS (Baslerstr. 103).

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Mittwoch, 13. Juni 2007

Staatssubjekt Kapital

Heinz Langerhans und die deutsche Krisenbewältigung

1934, in einer Zeit, in der sich Deutschland als staatgewordene Friedensbewegung geriert, sagt Heinz Langerhans, Schüler Karl Korschs und zeitweise am Frankfurter Institut für Sozialforschung tätig, für 1940 einen zweiten Weltkrieg voraus. Er verweist kritisch auf das “Linke” und “Progressive” am Nationalsozialismus, beschreibt die neuen Formeln von Staat und Kapital mit der Formel “Staatssubjekt Kapital” und deutet an, was viele Linke sich noch heute zu begreifen weigern: Der faschistische Sozialpakt ist keine Propagandalüge der Nazis; die Volksgemeinschaft ist vielmehr die Aufhebung der Klassengesellschaft auf dem Boden der Klassengesellschaft. “Das Staatssubjekt Kapital”, so Langerhans in seinen Gefängnisthesen, “erzwingt sich das Monopol auf Klassenkampf. (…) Eine rücksichtslose soziale Pazifierungsaktion mit dem Zweck der ‚organischen‘ Einfügung des Kapitalteils Lohnarbeit in den neuen Staat wird eingeleitet.” Der Vortrag wird die Biographie des kommunistischen Intellektuellen darstellen und sich mit Hilfe der Schriften Langerhans‘ um die Beantwortung der Frage “Was ist ‚links‘ am Nationalsozialismus?” bemühen, und damit zugleich um eine Ehrenrettung der Totalitarismustheorie. Anders als die Totalitarismustheoretiker, mit deren Leerformeln die Studenten der Politikwissenschaft gequält werden, wird er dabei allerdings weder Stalinismus und Nationalsozialismus gleichsetzen noch in die Apologie der “offenen Gesellschaft” des Sir Karl Popper verfallen. Ein kritischer Begriff des Nationalsozialismus hätte sowohl das Verbindende als auch das Trennende der verschiedenen “Totalitarismen” aufzuzeigen. – Es spricht Jan Gerber (Halle). Er gehört zum Diskussionskreis “Materialien zur Aufklärung und Kritik” (www.materialien-kritik.de ) und ist Mitherausgeber der Langerhans-Textsammlung Staatssubjekt Kapital. Texte zur Diskussion um Faschismus, Krieg und Krise (Materialien zur Aufklärung und Kritik °1), Halle 2004.

Um 20 Uhr im Jos Fritz-Café, Wilhelmstr. 15 (Spechtpassage).

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Mittwoch, 27. Juni 2007

Kritik des Positivismus

Der Positivismus ist eine im Ausgang des 19. Jahrhunderts sich verallgemeinernde wissenschaftliche Denkform, die meinte, gegen den idealistischen Tiefgang des deutschen Bildungsbürgertums, soziale Beziehungen im entwickelten Kapitalismus in denselben einfachen und evidenten Kategorien und Gesetzen darstellen zu können, wie dies die Wissenschaften von der Natur erfolgreich vorexerzierten. Daß sich dieser Positivismus mittlerweile selbst in den Universitäten im Land der Dichter und Denker konkurrenzlos durchgesetzt hat, und der altdeutsche Mief höchstens noch in der Waldorfpädagogik und einigen selbsternannten “Bildungseliten” im Feuilleton etwa der “FAZ” ein Nischendasein fristet, sollte den antideutschen Kritiker doch das Zugeständnis erlauben, daß auch in Deutschland Fortschritt möglich scheint. Doch leider ist festzustellen, daß sich insbesondere nach 1945 nicht nur eine spezifisch deutsche Demokratie und Politik und Ästhetik, sondern auch so etwas wie ein deutscher Positivismus konstituiert hat, ein Positivismus, der die Negation, und damit die Kritik, so gründlich, radikal und fundamentalistisch zu eliminieren im Begriff ist, daß den Pragmatikern, den traditionellen Empiristen und (kritischen) Rationalisten noch Hören und Sehen vergehen werden wird. – Es spricht Manfred Dahlmann (ISF, Freiburg).

Um 20 Uhr im Jos Fritz-Café, Wilhelmstr. 15 (Spechtpassage).

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Mittwoch, 11. Juli 2007

Adornos Marx-Rezeption

War Adorno Marxist? Diese Frage bewegt zur Zeit allenfalls englischsprachige Blogs, wo er unter dem Label ‘cultural marxism‘ gehandelt und gegen seine Vereinnahmung durch die Postmoderne verteidigt wird. Hierzulande hat man ihn anläßlich des “Adorno-Jahrs” von diesem Verdacht medienwirksam gereinigt. Nicht soll es darum gehen, einem kritischen Geist “Marxismus” als Odium oder Ehrentitel anzuheften, wobei der Gehalt der jeweiligen “Marxismen” allererst zu klären wäre. Auch können die Spuren von Adornos Marx-Rezeption hier nicht biographisch detailgenau verfolgt werden. Vielmehr soll knapp umrissen werden, wie Elemente der marxschen Theorie in Adornos Werk figurieren. Dies gilt zunächst für die Auseinandersetzung mit der Kritik der politischen Ökonomie entsprechend dem Horizont der Marx-Rezeption der zwanziger und dreißiger Jahre. Entscheidend wird die Zentrierung der Kapitalismuskritik auf das “Tauschprinzip”. Die spätestens seit den vierziger Jahren vorgenommene Epochalisierung, der geschichtsphilosophisch die Annahme eines versäumten Augenblickes der Revolution zugrundegelegt ist, verbunden damit die Annahme einer neuen Qualität kapitalistischer Vergesellschaftung (“Spätkapitalismus”) entwirft ein Modell der Gesellschaft, für das die Rede vom Rückfall in die Barbarei in zweifacher Hinsicht von Bedeutung ist, zum einen durch seine Verifikation in Gestalt des Nationalsozialismus, zum anderen durch das Platzgreifen einer Theorie der unmittelbaren Herrschaftsförmigkeit, die keiner Vermittlung via Produktion, Markt, Recht und Parlament mehr bedarf, dafür aber, nicht zuletzt über die Massenmedien, sich auf Dauer stellt. Adorno versteht seine Theorie mit Marx als Erkenntniskritik und Gesellschaftskritik in einem, mit Marx bezieht er sich auf Hegel und grenzt sich zugleich von ihm ab. Sein Anliegen gegen beide ist, das Movens der Dialektik, Kritik, ergo Negativität, gleichsam rein herauszudestillieren und zugleich das Nichtidentische, das, was im Begriff nicht aufgeht, philosophisch zu retten. Dies w ird ihm jedoch zum “Immanenzproblem”. – Es spricht Kornelia Hafner (Frankfurt), die an der Marx-Gesellschaft mitarbeitet (www.marxgesellschaft.de). Zuletzt hat sie in dem von Diethard Behrens herausgegeben Band Materialistische Theorie und Praxis. Zum Verhältnis von Kritischer Theorie und Kritik der politischen Ökonomie veröffentlicht.

Um 20 Uhr im Jos Fritz-Café, Wilhelmstr. 15 (Spechtpassage).

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Samstag, 14. Juli 2007

Die Einsamkeit Theodor Herzls

Tagesseminar: Der Haß auf Israel und die materialistische Staatskritik

In punkto Israel ist der Gegensatz von Links und Rechts aufgehoben und vernichtet, weil man sich der gemeinsamen Geschäftsgrundlage als Deutsche versichern will. Darum geht es, das Verbrechen am Grund der eigenen Staatlichkeit abzuspalten und es auf Israel zu projizieren, d.h. dem Kult des Volksstaates sich ergeben zu können, dem so süßen wie mörderischen Wahn der Identität von Volk und Führung, von Bürger und Politik. Wie daher der Antisemitismus, die eher ökonomisch sich legitimierende Seite des Judenhasses, als die Alltagsreligion der kapitalisierten Gesellschaft in der Scheidung des “produktiven” vom “spekulativen” Kapital sich niederschlägt, so der Antizionismus, die eher politisch sich camouflierende Version eben desselben Judenhasses, in der säuberlichen Trennung zwischen dem “Staat des ganzen Volkes”, d.h. dem “organischen” Volksstaat Deutschland einerseits, und dem desolaten “Konstrukt” Israel andererseits, das sich, “unorganisches Gebilde” und “Bollwerk des Imperialismus”, das es unheilbar ist, gegen die Palästinenser nur “nazistischer Vernichtungsmethoden” bedienen könne. Es drückt sich in dieser Spaltung aus, daß sie eine Abspaltung ist, daß das kapitalisierte Bewußtsein unter dem Niveau noch der bürgerlichen Aufklärung liegt, daß es den revolutionären Ursprung seiner eigenen Staatlichkeit verleugnet. Die materialistische Staatskritik hat sich dieser Ideologisierung zu erwehren, indem sie allererst das unter den Deutschen gängige Märchen bestreitet, der Antisemitismus sei das eine, der Antizionismus aber das ganz andere.
Anmeldung durch Abholung des Vorbereitungsreaders im Jour fixe sowie durch Lektüre von: Initiative Sozialistisches Forum, Furchtbare Antisemiten, ehrbare Antizionisten. Israel und die linksdeutsche Ideologie (Freiburg: ça ira 2003).

Von 14 bis 19 Uhr im Büro der ISF, Wilhelmstr. 15 (9) / Spechtpassage.

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