Die Gewalt des Souveräns
Initiative Sozialistisches Forum
Die Gewalt des Souveräns
Dumm gelaufen: die kapitalisierte Gesellschaft, deren Ideologen sie als die “Gesellschaft der Individuen” lobpreisen, offenbart sich als autoritätshörige Gemeinschaft der Subjekte. Denn nicht die Individuen sind, so, wie sie gehen und stehen, das Maß oder gar die Urheber ihrer Vergesellschaftung,; sie sind dies nur als Subjekte, als Rechtspersonen, d.h. nur im Resultat ihrer repressiven Vergleichung durchs Kapitalverhältnis und seinen politischen Souverän, nur, indem sie ihre Bedürfnisse wie ihr Interesse an Selbsterhaltung in einem halsbrecherischen Akt, der sie zugleich um die Chance der Vernunft bringt, in die Wertform übersetzen, sich als Warenhüter verhalten und sich in die allgemeine Konkurrenz stürzen. Wer diesen Schaden hat, braucht um den Spott nicht verlegen zu sein – angefangen bei den Nationalökonomen, die diesem Zustand die Regie einer “unsichtbaren Hand” andichten bis hin zum letzten, natürlich: gemeinnützigen ökoesoterischen Solarkapitalisten, der mit dem Slogan wirbt: “Geld regiert die Welt. Es kommt drauf an, was man draus macht!” erhebt sich ein unheimlich schadenfrohes Gelächter.
Keiner weiß, wie ihm geschieht, und doch sind alle um so fleißiger dabei: Diese Subjekte verstehen zwar nicht, wie es möglich ist, die so sinnlich verschiedenen Dinge des Lebens in die totalitäre Form des Geldes zu übersetzen, aber sie tun es jeden Tag mit der unermüdlichen Leidenschaft scharfsinniger Rindviecher. Und indem sie es tun, versetzt sich die Menschheit in einen, zoologisch betrachtet, ganz neuen Zustand: in die Gattung der Warenhüter. Dieses tätige Absehen vom Individuum, diese reale Abstraktion, transformiert die Einzelnen zu fungiblen Exemplaren der kapitalisierten Gattung. Darin erschaffen sie zugleich den Wert als das Transzendentalsubjekt des Kapitals und setzen ein übersinnliches Prinzip, das so unbarmherzig auftrumpft wie noch kein Gott. Man muß ihn glauben und bekennen, sonst glaubt man dran. Der Wert bewegt sich im Jenseits von Vernunft, aber indem er sich dort aufspreizt, bringt er das Denken auf nichts als Verstand herunter. Als Subjekte sind die Individuen unheimlich schlau und regelrecht gerissen, aber daß die sinnlich so verschiedenen und unvergleichlichen Dinge des Lebens einen Wert haben und haben müssen, das ist ihnen so evident wie dem Gläubigen die magische Kraft der Reliquie. Der Wert erscheint als Natur, aber diese seine Erscheinung ist Resultat eines gesellschaftlich inszenierten Spektakels, das seine Entstehung gleichsam verschluckt hat. Zwar: Der Wert entsteht erst in der Produktion für den Tausch. Aber: Der Tausch setzt die Dinge als Werte identisch. So wird, sagt Marx, jedes Arbeitsprodukt in eine “gesellschaftliche Hieroglyphe” verwandelt, und den Menschen reflektieren sich “die gesellschaftlichen Charaktere ihrer eigenen Arbeit als gegenständliche Charaktere der Arbeitsprodukte selbst, als gesellschaftliche Natureigenschaften dieser Dinge”. Der Gebrauchswert kommt zum Preis, die Ware zum Geld wie die Jungfrau zum Kinde. Und der Verstand, der dies zu rationalisieren strebt, steht wie der Volkswirt auf dem Katheder und die Kuh vorm neuen Tor.
Der Zwang zur (Selbst-)Verwertung, den die Diktatur des Kapitals an die Subjekte abkommandiert, wird durch die Verdinglichung der Abstraktion im Geld besiegelt. Das Geld erhebt sich zum “realen Gemeinwesen”, so Marx. Darin verliert Herrschaft ihren persönlichen Charakter, sie wird abstrakt und verdinglicht sich sogleich. Das Verhältnis der Ausbeuter zu den Ausgebeuteten, der Herrschenden zu den Beherrschten objektiviert sich im Geld, im scheinbar neutralen Dritten der allseitigen Vermittlung. So faßt sich die kapitalisierte Gesellschaft durch ein Drittes, den Wert, hindurch zusammen und synthetisiert sich zum Ganzen, das das Falsche ist. Seine durchschlagende Wirklichkeit gewinnt es im stummen Zwang der Verhältnisse, darin, daß die Vermittlung zum Ding wird, die gesellschaftliche Synthesis zur Sache, woraus eine paradoxale Einheit erwächst, die im Geld materialisiert und im Kapital zum autistischen Subjekt wird.
Weil die Gleichheit der Konkurrenten, die durch den Staat des Kapitals, durch den politischen Souverän garantiert wird, aus der Wesensgleichheit der Dinge als Waren resultiert, kann ihre Freiheit nur die des Vertrages sein. Ihr freier Wille, den das Bürgerliche Gesetzbuch als Geschäftsfähigkeit anerkennt, liegt im Jenseits der Individuen, d.h. im Subjekt. Das Gesetz setzt sie als lebendige Agenturen des Kapitals, durch die hindurch der Wert sich verwertet. So ist der freie Wille, das Zentrum der Menschenrechte, unmittelbar zugleich der Zwang zur Akkumulation, die fugenlose Einheit aus Spontaneität und System. Die Subjektivität der Bürger, die sich als so wehleidiges wie impertinentes Selbstbewußtsein der Ware konstituiert, macht Karriere als organisierter Selbstbetrug über die eigene Fungibilität. Mit gutem Grund sprach Marx daher von den “ökonomischen Charaktermasken der Personen”, die selbst wiederum “nur die Personifikationen der ökonomischen Verhältnisse sind.” Kein Wunder weiterhin, daß die ökonomische Charaktermaske ohne ideologische Denkmaske nicht haushalten kann, daß sie nicht denken kann, ohne es zwanghaft zu tun, d.h. in den Formen der Logik.
Unter der Form des Subjekts sind die Individuen zwar weder die Urheber noch das Maß ihrer Vergesellschaftung, gleichwohl bürgen sie dafür mit ihrem Leben. Wie ihr Körper als die Ware Arbeitskraft in das Kapitalverhältnis integriert wird, so implantiert sich dieses vermittels des objektiven Geistes der Ideologie in den Körper, der als Arbeitskraftbehälter durchkapitalisiert wird. Daraus folgt, daß die Klassengesellschaft als das genaue Gegenteil ihrer selbst erscheint, daß die Klasse der “Eigentümer bloßer Arbeitskraft” (Marx) aus Eigentumsbestien besteht wie alle anderen auch; ein trauriger Sachverhalt, den die Sozialisten aller Fraktionen mit Bedacht übersehen. Denn es ist nicht die Arbeitskraft, die das Kapital konstituiert, sondern es ist das Kapital, das an den Individuen jene Realabstraktion vornimmt, die sie als juristische Subjekte, als vertragsfähige Personen und Privateigentümer ihrer Arbeitskraft gesellschaftspraktisch setzt. Das Klasseninteresse des variablen Kapitals, der organisierten Arbeitskraftbehälter, hat die Form des Rechts- und Marktsubjekts, das den Preis der Ware Arbeitskraft militant gegen “Wirtschaftsflüchtlinge” und “Schmarotzer” zu schützen strebt. Seine integrale “Sittlichkeit” besteht daher im Kult von Arbeit und Nation.
Nur darin bestünde die Subversion der falschen Gesellschaft, die allseits geteilte Lüge, die der politische Souverän zwecks Zugangskontrolle zur nationalen Arbeitskraft erfindet, zu denunzieren, d.h. ihr “natürliches” Kriterium zu hintertreiben, die sog. “nationale Identität” zuerst, die Kapitalproduktivität und Staatsloyalität nicht zu vergessen, schließlich die objektive Schranke selbst, die Gewalt des Staates, wie sie sich als Grenzschutz darstellt. Mehr als 1600 Menschen starben schon dieses Jahr bei dem Wagnis, in die Europäische Union vorzudringen, um sich dort der Akkumulation dienstbar zu machen. Und wer die Grenze bezwang, wird ausgespäht, drangsaliert und zwangskaserniert oder hofft im Elend, verlassen von jedweder Solidarität, auf die Legalisierung seiner Existenz. Doch keine “Friedensflottille” sticht in See, um Flüchtlinge zu retten und Frontex auszumanövrieren; die Fluchthilfe wird verweigert. Denn diejenige Fraktion der deutschen Sozialdemokratie, deren Internationalismus von Genosken wie Norman Paech oder Annette Groth verwaltet wird, hat etwas Besseres oder vielmehr etwas ganz Anderes zu tun, denn sie mag nur eine einzige Grenze kennen, die “künstlich” und illegitim ist: die Grenze Israels.
Im Haß auf Israel findet der Staatlichkeitswahn zu sich selbst, und hier bekennt sich der F etischismus der kapitalen Souveränität als das Über-Ich der Subjekte, indem der jüdische Staat, was der Zwangslogik des Denkens nicht aufgeht, als das vermittlungslose Anti schlechthin an den Pranger stellt, als, wie schon die Nazis zu diagnostizieren beliebten, “Staat über allen Staaten” und daher Unstaat, der das Völkerrecht konsequent mit Füßen tritt. Israel hat der unvermittelte Gegensatz zu allem zu sein, was dem Staatsbürger heilig ist. Der Antizionismus – der doch tatsächlich nichts anderes ist als die geopolitische Reproduktion des Antisemitismus – phantasiert daher zwanghaft vom “Staat des ganzen Volkes” und suhlt sich im Traum von der guten Herrschaft, zu der die Juden konstitutionell unfähig sein sollen. Die Schönheit und der unwiderstehliche Charme des Souveräns soll an der Häßlichkeit Israels so recht evident werden. Israel hat daher, so hört man aus der Linkspartei, ein “kolonialer Fremdkörper” zu sein, der in den Mutterboden der Autochthonen “eingepflanzt worden” sei und sich weigere, “sich irgendwie zu integrieren” (so, nur zum Beispiel, Norman Paech); gerade so, als wäre nicht jeder Staat ein Kunstprodukt des Gewaltmonopols über Leben und Tod, gerade so, als sei nicht jede Grenze ein gewalttätiger Verrat an der Menschheit.
So vollendet sich im Antizionismus jene böse Dialektik der kapitalisierten Gesellschaft selbst, die es macht, das jeder Einzelne glasklar weiß, was er im Interesse seiner Selbsterhaltung zu tun hat, während das Ganze in Gestalt der Volkswirtschaft das “größtmögliche Unglück der größtmöglichen Zahl” (Marx) darstellt und die Krise sodann diesen Okkultismus der Vergesellschaftung auf die Palme bringt. Die ihrer selbst ohnmächtige Gesellschaft befällt ein unbedingter Wille zur restlosen Transparenz; es ist der Röntgenblick von Spökenkiekern, der unbedingte Wille zum wissenschaftlichen Lottosystem. Antisemitismus ist die Eintrittskarte. Das Mindeste, was er als Wahnertrag bringt, ist die okkulte Aufklärung des Geldrätsels; das Letzte, das er zu bieten hat, ist die zum Mord eskalierende selbstbewußte Panik der Warenhüter vor ihrer eigenen Überflüssigkeit.
Denn das Kapital als das Prinzip der Vergesellschaftung präsentiert sich in der Gestalt des Geldes, und dessen Funktion, die allgemeine Ware zu sein und gegenüber allen Waren die Form totaler Unmittelbarkeit wie Allgemeinheit herauszukehren, reflektiert sich im Bewußtsein der Warenhüter notwendig falsch, daher als das Natürlichste der Welt. Ihr Bewußtsein ist die gewollte Verständlichmachung des gesellschaftlich Unbewußten, denn im Geld wird praktisch, was undenkbar ist; im Geld wird konkret, was über den Verstand geht; im Geld wird dinglich, was das gesellschaftliche Verhältnis ist; im Geld inkarniert der gesamte soziale Nexus. Die ideologische Selbstverständigung über das Unbegreifbare macht das Unbehagen allerdings nicht verschwinden, sondern potenziert es noch. So fragil ist diese zweite Natur, daß sie ohne den Kampf gegen eine Un- und Anti-Natur nicht zu sich selbst finden kann. Das ist die Stunde der Keynesianer und anderer Apostel der Geldreform, die wollen, daß., wie es einmal der Nationalökonom Beckenbauer glücklich formulierte, ihr Geld genauso hart arbeiten muß wie sie selber. Das Geld, und das Kapital erst recht, soll, seiner Natur gemäß, schaffen, nicht raffen.
In dieser Bewegung, die tatsächlich eine Spaltung und Verschiebung ist, wehrt das Subjekt das Kapital ab und bestätigt es zugleich. Denn die Spaltung am Kapital setzt einen Idealtypus von Produktivität so, wie die Spaltung am Souverän zur Erfindung Israels als des Anti-Staates schlechthin führt und damit das Bild der guten und gerechten Herrschaft um so strahlender leuchten läßt. Die deutsche Ideologie war bei derlei Produkten immer schon Marktführer; ihren Ökonomen etwa galt der Privateigentümer als “schöpferische Persönlichkeit”, Staat und Nation als “Werkgemeinschaft” oder gleich als “Gemeinschaft aller wertvollen und werteschaffenden Volksgenossen”, als“Gemeinschaft der Tat”. Ist dies auch schizophren, so ist es doch logisch: Das Kapital in einem zu verachten und es anzubeten, eben diese Spaltung reflektiert einen Gesellschaftszustand, der einerseits den Individuen das Recht auf Leben und Selbsterhaltung nur unter der Form des Rechts- und Marktsubjekts zugesteht, der sie andrerseits und in genauer Konsequenz dessen mit der Pleite ihrer Selbstverwertung bedroht und sie zur Überflüssigkeit verurteilt. Auf dieser schiefen Bahn führt die Flucht vor diesem Unglück immer weiter in es hinein, und das Kapitalverhältnis wird nun aufgespalten: in eine authentische Sphäre der Produktion (die sog. “Realwirtschaft”), in der nichts anderes als Blut, Schweiß und Tränen die Akkumulation gelingen lassen, und in eine parasitäre Sphäre der Spekulation, in der die Wertschöpfungsgemeinschaft des Volkes um “gutes Geld für gute Arbeit” betrogen wird. (Es verwundert dann nicht, daß der Wutbürger und Freund schöner Kopfbahnhöfe nach der Melodie von “Freude, schöner Götterfunke” auf den Refrain verfällt: “Wir sind das Volk! Wir sind das Geld!”) Weil das Kapital den Warenhütern in seiner Totalität rätselhaft ist, werden sie, sobald sie es, damit es greifbar und praktikabel werde, konkretisieren und also spalten, zu Propagandisten einer durch die Natur authentifizierten (Re-)Produktion, die sich von allem, was nicht identisch ist, zu befreien sehnt: von Untermenschen, die mangelnder Produktivität verdächtigt sind, von Übermenschen, von den Juden, die schon immer der Verschwörung gegen angestammte Herrschaft beschuldigt wurden und deren vorgeblicher “Kosmopolitismus” als die typische “Wurzellosigkeit” der “Heuschrecken” denunziert wird.
Geld regiert die Welt? Denkste
Wir bedanken uns bei Danyal vom Blog Cosmoproletarian Solidarity dafür, seinen Essay “Staat heißt Gewalt” für dieses Flugblatt kürzen und überarbeiten zu dürfen, siehe dort unter: http://cosmoproletarian-solidarity.blogspot.com