Initiative Sozialistisches Forum – Das Fleisch der Deutschen * Einladungstext zur jour fixe Programm Frühjahr/Sommer 2013
Initiative Sozialistisches Forum
Das Fleisch der Deutschen
Und schimpft ihr den Vegetarier einen Tropf,
so schmeißen wir Euch eine Walnuß an den Kopf.
Erich Mühsam
Latenter Schinken-Rassismus. Die Idiotie der herrschenden Produktionsweise zeigt sich vielleicht nirgends deutlicher als in der sog. “Lebensmittel”produktion. Was nach der Gebrauchswertseite von Ideologen als “Grundbedürfnis” angeblich jahrhundertealter “Bedürfnispyramiden” proklamiert wird, um die Menschen auf ihre bloße Natur zu reduzieren – als wäre im konkreten Hunger, der durch irgendetwas gestillt werden will, wovor sich der Hungernde nicht ekelt, nicht die Menschheitsgeschichte konzentriert –, erweist sich bei näherer Betrachtung meist als durch den Tauschwert erzwungener Schund. Seit der Kapitalisierung der Ernährungsindustrie im 19. Jahrhundert ist die Lebensmittelfälschung ein bis heute unverdienterweise nicht hoch genug geachteter Zweig der offiziell-akademischen Lebensmittelchemie. Im 19. Jahrhundert zählte der französische Chemiker J.-B.-A. Chevalier für ausgewählte Lebensmittel unterschiedliche Methoden der Fälschung: zehn alleine für Butter, zwölf für Salz, 19 für Milch, 20 für Brot, 23 für Branntwein, 24 für Mehl, 28 für Schokolade, 30 für Wein und 32 für Kaffee. Überboten wird das nur durch die Arzneimittelproduktion, wo eine parlamentarische Untersuchungskommission bei 34 Proben von Opium auf 31 Fälschungen gekommen ist. So gesehen sind die heute nur noch etwa einmal im Quartal aufkommenden Lebensmittel-“Skandale” ein echter Fortschritt. Der Einfallsreichtum in der Lebensmittelfälschung macht sie jedenfalls zu einer der kreativsten Branchen, die der Kapitalismus hervorgebracht hat. Wer in der Konkurrenz weit genug geht, ohne zu weit zu gehen, dessen Genius wird belohnt. Zu weit ging beispielsweise einer jener Winzer, die in den ’80er Jahren ihren Wein mit Frostschutzmittel veredelten, als er selbiges auch noch steuerlich absetzen wollte. Mit Pflanzenschutzmitteln vergiftetes Bio-Fleisch und gefälschte Bio-Eier kamen schon 2002 nicht besonders gut an. Dioxin findet sich alle Jahre wieder im Fleisch – von “Skandalen” kann daher eigentlich nur sprechen, dessen Gedächtnis durch all die feinen Ingredienzien schon bißchen angeschlagen ist. Angesichts der Häufung von Lebensmittelfälschungen und Falschdeklarationen im Frühjahr 2013 kapitulierte dann auch der oberste Lebensmittelkontrolleur des Landes, Martin Müller, Vorsitzender des Bundesverbandes für Lebensmittelkontrolle: “Wir können uns nicht neben jedes Schnitzel stellen”. Dagegen darf sich aber jeder Schnitzelproduzent, der nur ein wenig von BWL versteht, aufgefordert fühlen, neue, sparsamere Methoden auszuprobieren. Solange Lebensmittel des Gewinns wegen produziert werden, wird man als Zulassung zum Gewerbe einen Heiligenschein verlangen müssen – oder doch neben jedes Schnitzel einen Kommissar plazieren. Denn daß sich die Fälscher nicht um die Steigerung des Bruttosozialprodukts verdient machen oder ihnen gar die am lautesten geforderten Fähigkeiten des modernen “homo oeconomicus” fehlten, nämlich Kreativität und Flexibilität, kann man ihnen wohl am wenigsten vorwerfen.
Am stärksten empört sind dabei stets die Fans jener Marke, die zwar ebenfalls ihre eigenen Skandale hat, gleichwohl aber zu den Profiteuren der unappetitlichen Rezepturen gehört, nämlich die Bio-Konsumenten. Dabei weiß kaum jemand, welche Bedingungen tatsächlich erfüllt sein müssen, um das begehrte Bio-Siegel auf die Ware kleben zu dürfen. Erstaunlich ist dann nicht, daß Produzenten zur Markenfälschung greifen und illegalerweise die Legebatterie-Eier mit “Bio” stempeln, sondern daß dies eher selten öffentlich bekannt wird. Einfacher noch als die Lebensmittel direkt zu fälschen, ist doch, ihr schlicht fälschliche Namen unterzuschieben. Doch was macht zum Beispiel den Schinken zum Schwarzwälder? Diese Frage ist Anlaß eines regionalen Streits, bei dem sich demnächst zwei Rackets vor Gericht gegenüberstehen, die in Wirklichkeit beide nur den Schutz der Marke wollen: Foodwatch nämlich warnte jüngst in einer Pressemitteilung: “Schwarzwälder Schinken könnte weiterhin auch aus Timbuktu kommen”. Der Schutzverband Schwarzwälder Schinkenhersteller sieht darin jedoch eine “gezielte Ruf und Imageschädigung” schwarzwälder Kernkompetenzen. Zwar wacht der Verband mit Argusaugen darüber, daß nur im Schwarzwald gesalzener Schinken auch als Schwarzwälder verkauft wird; damit sich der Absatz aber auch lohnt, dafür gibt es in der Region allerdings leider einfach nicht genug Schweine; und deswegen muß Fleisch aus Niedersachsen und Dänemark importiert und integriert (d.h. im Schwarzwald gesalzen) werden, als “nützliche Ausländer” gewissermaßen. Weil Foodwatch aber trotz gelungener Integration und Eingliederung in den Markt auf dem Migrationsintergrund des hier gesalzenen Schinkens aus Timbuktu beharrt, wirft ihnen der Schinkenanwalt Ulrich Gruler aus Freiburg “latenten Rassismus” vor. Nicht nur über den Irrsinn der Produktionsweise, auch über den der “Integrationsdebatte” kann man alles Nötige bei der Lebensmittelindustrie lernen.
Erklär’s mir. Man nehme je eine Prise Volkspädagogik, naive Aufklärung und infantile Regression, mische alles kräftig durch, lasse das Ganze etwas gären – und heraus kommt die Kolumne “Erklär`s mir” der Badischen Zeitung. Sie zeigt, daß eine um Sinn und Verstand gebrachte Öffentlichkeit, die sich philosophisch in Habermas’ Kommunikationskompetenztechnologie niederschlägt und ergo politisch bei den Piraten sich vernetzt, selbst vor Kindern nicht haltmachen kann. Denn alle sollen über alles mit allen reden können; und so muß der Leitartikel auch für die U13-Kundschaft aufbereitet werden, der unterstellt wird, daß sie alles erklärt bekommen will. Diese pädophile Projektion beflügelt den redaktorischen Imperativ, jede noch so verwickelte Materie aufs Eigentliche herunterzubrechen. Die Frage “Was ist Klassik?” wird dann so beschieden: “Ein Klassiker ist ein Künstler – Musiker, Maler oder Schriftsteller –, der große Anerkennung gefunden hat. Als klassisch bezeichnet man etwas, worin man ein Vorbild sieht. Beim Alten Griechenland spricht man von einem klassischen Zeitalter und meint damit das 5. und 4. Jahrhundert vor Christus. Da wurde in der Kunst ein ganz neues Bild vom Menschen entworfen. Es entstanden zum Beispiel Skulpturen, von denen wir sagen würden, daß sie aussehen wie wirkliche Menschen. Oder eher noch wie Menschen, die Götter sind. So schön wie sie sind! So ist das Bild der Klassik, das sich eingeprägt hat, das einer vorbildlichen Schönheit – einer Schönheit, die schöner ist als das Leben. Doch wenn man nachschaut, neue Fundstücke ansieht und alte noch einmal, wie in Frankfurt im Museum jetzt, dann kommt man zu ganz überraschenden Schlüssen. Es sieht so aus, als wäre die griechische Klassik noch viel lebendiger, viel lebensechter gewesen, als wir annahmen. Und eben dies ist die großartige Leistung damals vor zweieinhalbtausend Jahren.” Die unverstandene Sache wird in der so adoleszententümlichen Lesart vollends zur Idiotie. Was dem Rotstift des Lektors zum Opfer zu fallen hätte, gilt als gelungene Heranführung der Kleinen an die Welt der Großen. Aber der freiwillige Verzicht auf das Denken beweist nur, daß die ausgewachsenen Redakteure nur scheinbar erwachsen wurden und vielmehr vorm gesellschaftlichen Zwang ins Kindliche flüchten, bzw. ins Infantile, denn so kindlich war nie ein Kind. Die Vernunftfeindschaft gebietet, daß kein Gegenstand ihr widerstehen darf, daß alles und jedes in “einfacher Sprache” darzustellen ist. Die peinliche Anbiederung der BZ an die Kinder ist Ausdruck eben jener allgemeinen Kameraderie, die die “Erwachsenen” im allgegenwärtigen Usus des Duzens, ausufernder Selbstpädagogisierung wie sinnfreier Selbstmotivationsparolen längst schon betreiben, um sich das Interieur der verkehrten Gesellschaft mit vergnügten Bonbonfarben auszumalen.
Wo fängt Solidarität an, wo hört der Spaß auf, wie vegan ist das Kapital? “Diese Frage dürfte von 4 Personen, die im Juni 2011 sechs Kartons mit vegetarischen Brotaufstrichen und Marmelade, 60 l Mandelmilch, vier Kartons mit je 50 Tüten Müsli und zwei Kartons mit 30 Müsliriegeln entwendet haben sollen und der betroffenen Freiburger Firma Tartex + Dr. Ritter unterschiedlich bewertet werden,” so Radio Dreyeckland. Wenn das “mensch” schon Lebensmittel vor der Tonne schützt, dann nicht irgendwelche. Und wo ließe sich besser containern als in Tartex-Tonnen, bei denen “mensch” sich sicher sein kann, nicht wie die Made im Speck, sondern wie die Hefekulturen im Kombucha-Tee sich tummeln zu können? Wühlt das “mensch” in veganen Tonnen, dann geht das schließlich auch der Frage geschickt aus dem Weg, ob auf den Müll geworfenes Fleisch nicht besser doch gegessen werden sollte, damit die Tiere wenigstens nicht ganz umsonst gestorben sind. Dabei machten vier Menschenskinder eines Abends den Riesenfang in Gestalt einer Fünf-Jahres-Frühstücksplanwirtschaft; aber die Freude darüber hielt nur kurz, denn die laut Firmenphilosophie einzig “ethisch vertretbar” handelnde Firma Tartex ließ den veganen Bubenstreich mit aller Härte strafrechtlich ahnden, und die Betroffenen wurden mit vier Monaten Haft bestraft: dumm gelaufen!
Aber der öde Konflikt zweier Fraktionen von Öko-Spinnern bekommt doch noch eine komische Note, wenn der Koraktor, die Zeitschrift der KTS, dem Vorfall echt kapitalismuskritisch an die Wurzel geht. Denn Tartex gehe es “selbstverständlich nur darum (…), sein Geschäft zu führen, also Geld zu vermehren”, während die “vier Menschen”, die doch die Lebensmittel “ihrem eigentlichen Zweck zukommen (…) lassen” wollten, nur Sachen klauten, die “nur zu dem Zweck produziert (wurden), daß am Ende ein Gewinn für das Unternehmen herauskommt.” Letzterer Zweck ist pfui und irgendwie uneigentlich. Dabei bekommt der Koraktor es weder unter einen Hut, daß der Staat “jeden Verstoß gegen die ausschließende Logik des Eigentums abstrakt auf sich und sein Recht” bezieht und das an den Müsli-Dieben exekutiert, noch daß das Unternehmen andrerseits versucht, auch noch aus seiner 1b-Ware das Maximum herauszuholen, indem es sie mit Rabatt an seine Malocher losschlägt, anstatt sie herumstreunenden Linken zu eigentlicheren Zwecken zu überlassen. Beides wird zwar sauber aus der kapitalistischen Verwertungslogik abgeleitet, dennoch echauffiert man sich unter konsequenter Leugnung der Vorwürfe über Tartex. Um schließlich doch noch zu einem klaren Urteil kommen zu können, erklärt man den ganzen Vorfall einfach zu einem Mißverständnis: “Auch wenn der Tathergang sich so wie in der Anklageschrift geschildert zu getragen (sic!) hätte, wäre die Tat eher ein Mißverständnis, daß (sic!) sich mit einem kleinen Zettel an den beschädigten Waren auch vermeiden ließe.”
Ganz abgesehen von der schrägen Idee, die 1b-Ware mit “Diese Waren bitte nicht klauen! Sie sollen noch verkauft werden”-Aufklebern zu versehen, fällt schon an der vermüllten Orthographie, die der Koraktor konsequent durchhält, auf, in welcher Tonne man gewühlt hat. Denn so bunt wie in der KTS geht es auch in der Grammatik ihres Zentralorgans her. Hier werden Geschichten erzählt wie die von einer “Animal Liberation Front”-Gruppe, “der eine neue Person dazustoßt und einen neuen und frischen Wind in die Gruppe bringt.” Kurz darauf wußten die Redakteure nicht mehr, was ihnen “zustoßen” war, und der frische Wind, der von italienischen Rechtsradikalen herüberwehte, blies den Freiburger Antispeziesisten urplötzlich als übles Lüftchen, so daß sie den angekündigten ALF-Film durch einen anderen ersetzten, “der Tierbefreiung ebenfalls als Thema hat und dem (…) keine Verstrickungen zur (sic!) rechten bis rechtsradikalen Ansichten nachgesagt werden können.” Nach gehabter Film-Verkostung diskutierte man in trauter Runde ernsthaft darüber, “ob es sinnvoll sei Akteure der Tierausbeutungsindustrie für ihr Wirken leiden zu lassen.” Während in der KTS “menschliche Tiere” sich für das Quälen von menschlichen und “für die Befreiung von nichtmenschlichen Tieren einsetzen”, betreiben andere unterm gleichen Dach “Samba als direkte politische Aktionsform”, während sich wieder andere nicht gegen, sondern “für andereHerrschaftsverhältnisse (sic!), eine nachhaltige Ökologie oder wirklich freie Bildung” einsetzen. Versammelt sich solch pluralistisches Kuddelmuddel dann noch zu einem Stuhlkreis, kommt natürlich nichts als “Toleranz gegenüber anderen Ansichten” heraus, d.h. die freundliche Duldung von Antizionisten wie etwa der Band Oi Polloi, deren Auftrittsverbot nach einem knallharten Kreuzverhör (“Wie steht ihr zu Nationalismus?” “Wie steht ihr generell zu Antisemitismus?” “Wie steht ihr generell zu Rassismus?”) aufgehoben wurde. Denn die hatte ja auch überzeugende Argumente in Gestalt von “Palestinian and Israeli friends and family connections to Israel as well as several band members having travelled to Israel and the neighbouring Arab countries.” Toleranz gegenüber antizionistischen Tieren, Freiraum fürs “Klamotten flicken, verschönern, bedrucken oder selber Nähen… und alles was ihr sonst so schon immer mal lernen, machen oder teilen wolltet”, dazu noch Valentins-Herzchen als “Zeichen gegen Heteronormativität und Pärchenzwang”. Und so weiter, und so fort, denn “die KTS als Autonomes Zentrum bietet Platz für eine Vielzahl von politischen Meinungen und Ansichten.”
Vor Jahren, als Oi Polloi noch nicht rehabilitiert war und als menschliche Antispeziesist_innen noch nicht mit revolutionärem Samba für “Revolutionsdollar in der KTS-Kasse” sorgten, kam der Prophet zum Berge und weissagte die heutigen Verhältnisse: Ende 2007 referierten Jan Gerber und Michael Bauer in der KTS “über das regressive Bedürfnis deutscher Tierfreunde”. Sie zeigten, “daß viele Tierfreunde noch ganz andere ideologische Munition geladen haben. Wenn vegane Tierrechtler offen von den ‘Mächten des Bösen’ fabulieren, vom ‘Vegan Jihad’ träumen und ihre Avantgarde bereits das ‘sanfte Verschwinden der Menschheit von der Erde’ predigt, wird deutlich, daß hinter der Entscheidung, auf Tierprodukte zu verzichten, ein politisches Konzept steht.” Gezeigt wurde, “warum die Tierfreunde mit ihrer antispeziesistischen Forderung nach der Gleichsetzung von Mensch und Tier lediglich exekutieren, was ohnehin auf der Tagesordnung steht.” Daß in der KTS kein Wort davon hängengeblieben ist, zeigt ein Blick in den Koraktor: Denn mittlerweile hat die KTS alles getan, sich von den letzten Überlebseln etwaiger Restvernunft zu emanzipieren und stattdessen diskursiv auf endlosen Montagsplena ein wirres Biotop aus sich ergänzenden, sich gegenseitig ausschließenden, allemal aber nebeneinander dahinvegetierenden oder gleich vollkommen depravierten Gruppen und Veranstaltungen, Meinungen und Ansichten zu kultivieren, das, so bleibt zu hoffen, entweder weiterhin selbstgenügsam mit sich selbst hadern oder eines Tages im Diskursmorast postmoderner Linksradikalität still und leise versinken wird. Hauptsache, der Kampf geht weiter! In diesem Sinne: “Bleibt solidarisch, kämpft weiter und vergeßt nicht unsere Gefangenen in den Knästen.”