Initiative Sozialistisches Forum – Neues vom Gröphaz
Initiative Sozialistisches Forum
Neues vom Gröphaz
Zur Debatte um Heideggers “Schwarze Hefte”
Wer den größten Philosophen aller Zeiten einmal mit Adorno gelesen hat, dem fällt es gewiss schwer, noch zu staunen, wenn nun mit jedem seiner »Schwarzen Hefte« der Antisemitismus des Philosophen scheibchenweise verpackt in dessen Gesamtausgabe präsentiert wird. Seine berühmten Werke, in denen davon nichts zu finden ist, weil Juden und Judentum nicht erwähnt werden, verweisen dennoch auf ihn wie das Winterhilfswerk auf die Gaskammern. Anstelle von »Verjudung« und »jüdischer Verschwörung« ist darin vom Andrang des »Dämonischen« und von der »bodenlosen Organisation des Normalmenschen« in Russland und Amerika die Rede, die das deutsche Volk in die Zange nähmen; statt von »Gegenvolk« und »Vernichtung« von »Volk« und »Sein zum Tod«. Die Windungen seiner Sprache resultierten gerade daraus, dass Heidegger das ideologische Zentrum des nationalsozialistischen Staates – die antisemitische Projektion – ausspart und ihn zugleich als Ganzes – also mit seinem Zentrum – bejaht. Nun liefern aber die »Schwarzen Hefte« doch noch dieses Herzstück nach (das davor schon von Emmanuel Faye in Seminarprotokollen entdeckt worden war) – und der Schock im französischen und deutschen Feuilleton, das sich um Adornos, aber auch Karl Löwiths und Dolf Sternbergers Kritik kaum je gekümmert hat, tritt mit geradezu logischer Notwendigkeit ein. Aber die Schocktherapie, die Behandlung zur Exorzierung der kurzzeitig aufgetretenen Verstörung, begann schon, noch ehe die Hefte überhaupt publiziert waren.
Es ist ein Spezifikum der Heidegger-Rezeption in Deutschland nach 1945, dass sie stets den Umweg über Frankreich nimmt, um von dort reimportiert zu werden. Wie es einst eines Jean Beaufret oder eines Jacques Derrida bedurfte, um Heidegger auch unter deutschen Linken wieder hoffähig zu machen, so war es diesmal vor allem der Beaufret-Schüler und Heidegger-Übersetzer François Fédier, der eine Debatte auslöste, die auch den deutschen Blätterwald zum Rauschen brachte. Fédiers Anfeindungen gegen den Herausgeber der »Schwarzen Hefte«, Peter Trawny, und seine kolportierten Versuche, die Veröffentlichung der inkriminierten Stellen zu verhindern, waren der Auftakt einer Diskussion, die schon anlässlich der Bücher von Victor Farías und Emmanuel Faye geführt wurde und die erneut in der Entnazifizierung und Rehabilitation von Heideggers Denken enden wird.
Die Therapie, die auf den Schock folgt, dient einzig der Katharsis: der psychischen Reinigung durch Inszenierung einer Debatte, deren einziger Zweck es ist, dass nicht das Geringste an Erkenntnis aus ihr folgt, um so weitermachen zu können wie bisher. So sehr die schockierten Teilnehmer auch ihrer Erschütterung darüber Ausdruck verleihen, dass Heidegger angesteckt war »von den Pathologien des (20.) Jahrhunderts« (Günter Figal im Deutschlandradio Kultur), so sehr dient gerade ihr Engagement der übergeordneten Aufgabe, die altbekannte Aufspaltung mit erleichtertem Gewissen fortzuschreiben: die Trennung in die Person Heidegger, die fehlbar war und sich habe verführen lassen, und in das Werk eines »der größten Philosophen des 20. Jahrhunderts«, aus dessen »schmerzhaften« Verirrungen sich lernen lasse, wie weit sich Philosophie, worauf Heidegger selbst aufmerksam gemacht habe, »versteigen« könne, wie Peter Trawny in der Zeit schreibt. Insofern wäre die Debatte als Spiegelspiel zu charakterisieren, in dem kritische Würdigung mit unbedingter Apologie um die Deutungsmacht streitet – solange gesichert ist, dass Heideggers Philosophie selbst nicht zur Debatte steht: Paradebeispiel jener permanent in Szene gesetzten Kontroversen, von denen das Feuilleton lebt.
Diejenigen, die sich nicht dazu verstehen, den Antisemitismus Heideggers frei heraus abzustreiten, folgen der Strategie der deutschen Vergangenheitsbewältigung, sich zur Geschichte und zu der Verantwortung, die aus ihr erwachse, zu bekennen. Während sie ideologische Legitimation für die Gegenwart daraus ziehen, das Unleugbare einzubekennen und in ein Argument für Heidegger zu transformieren, erklären die verbissenen Adepten allein die Idee, Heidegger könne antisemitische Ressentiments gehegt haben, für schieren Unsinn. Dieser resultiere daraus, so die antisemitische Abspaltung des Antisemitismus, »dass der Herausgeber Heideggers in Deutschland heute solche Angst hat, im Zusammenhang mit den Zitaten selbst als Antisemit zu erscheinen, dass er sich genötigt fühlt, bei jeder Erwähnung des Wortes Judentum den Antisemitismus-Vorwurf vorsorglich gleich selbst zu erheben«, so François Fédier in der Zeit. Mittels »der Keule des Antisemitismus« (Joseph Hanimann in der Süddeutschen Zeitung) wollten sich die Heidegger-Kritiker profilieren und darüber hinwegtäuschen, dass Heidegger als der Denker, der er war, niemals solch einer »richtig dumme(n) und totalitäre(n) Ideologie« (Silvio Vietta im Deutschlandradio Kultur) habe anhängen können.
Gemeinsam ist den kritischen und den apologetischen Stimmen das Bedürfnis, Heideggers Zivilisations- und Modernekritik zu retten – und nicht zuletzt darin zeigt sich, dass der Unterschied zwischen beiden Fraktionen lediglich ein gradueller ist. Letztere leugnen Heideggers Antisemitismus in toto, während erstere bloß verleugnen, dass dieser in unauflösbarem Zusammenhang mit seinem Denken steht. An der Kritik der »seit der Neuzeit um sich greifenden ›Bodenlosigkeit‹ und ›Weltlosigkeit‹« sei nur auszusetzen, dass in den »Schwarzen Heften« diese Erscheinungen der Seinsvergessenheit »dezidiert und platt mit dem ›Judentum‹ zusammengespannt« würden, so Matthias Flatscher in der österreichischen Tageszeitung Die Presse. Antisemitismus sei das keiner, nimmt Vietta im Deutschlandfunk Kultur vorweg, sondern vielmehr Kulturkritik an den Juden, die sich dem »rechnenden Denken« verschrieben hätten: Die »Kritik, die er an den Juden führt, ist eine ganz andere Kritik. Die kommt eigentlich aus einer Zivilisationskritik«. Und François Fédier erklärt in der Zeit Heideggers Ausführungen über »die zähe Geschicklichkeit des Rechnens und Schiebens und Durcheinandermischens«, in der die »Weltlosigkeit des Judentums gegründet« sei, geradezu zur Solidaritätserklärung, weil der Seinsphilosoph darin bloß das Judentum »als erstes Opfer dieses Riesigen« habe ansprechen wollen.
In einem interessierten Missverständnis wird – gemäß dem beliebten postmodernen Spiel, zwischen genetivus subjectivus und genetivus objectivus zu changieren – die »Weltlosigkeit« zum Subjekt erhoben, das sich das Judentum zum Instrument mache: Das »Weltbild« (Heidegger) des »Rechnens und Schiebens«, die seinsvergessene Verfallenheit ans Seiende bezeichneten für den Freiburger Existentialontologen also den »Grund des Riesigen« und nicht das Judentum, wie böswillige Interpreten ihm unterstellten. Spiegelbildlich zu Derridas Versuchen, aus Marx einen Kämpfer gegen die Uneigentlichkeit zu machen, versuchen Vietta und Fédier, Heidegger als frühen Marx zu verkaufen. Während die Anleihen, die Marx in seiner Schrift »Zur Judenfrage« beim christlichen Antijudaismus nimmt, Einsprengsel bleiben und angesichts seiner Kritik der politischen Ökonomie sich nicht nur erübrigen, sondern als wahnhaft durchschauen lassen, so sind es der Ursprungs- und Eigentlichkeitswahn in Heideggers Denken, seine Ranküne gegen Künstlichkeit und Rationalität, die den antisemitischem Hass auf Vermittlung und Versöhnung in sich tragen und zum Ausdruck bringen.
Das Judentum sei jedoch für Heidegger, so der Tenor des Feuilletons, lediglich eine der Formen, in der die Seinsvergessenheit auftrete. Dementsprechend habe er, nachdem seine anfängliche »Phase der Überwältigung durch den ›Führer‹ eine Enttäuschung erfahren« habe, auch »das Nazistische« gleichermaßen wie »das Jüdische« als »Triumph des ›Gestells‹« charakterisiert, »vor dessen Hintergrund Menschen, ob im Frieden oder Krieg, zum Material riesiger Kalküle, Verrechnungen, technischer Projekte unter dem Willen zur Macht wurden«, so der Grazer Philosoph Peter Strasser in der Presse. Abgesehen davon, dass nur im Wahnsystem eines Heidegger-Apologeten die Gleichsetzung von Nationalsozialismus und Judentum einen Beleg für die Inexistenz von Antisemitismus darstellen kann, erweist sich das vorgebrachte Argument angesichts der »Schwarzen Hefte« ganz offenbar als Schutzbehauptung, sprich: als dreiste Lüge. »Die zeitweilige Machtsteigerung des Judentums aber hat darin ihren Grund, dass die Metaphysik des Abendlandes, zumal in ihrer neuzeitlichen Entfaltung, die Ansatzstelle bot für das Sichbreitmachen einer sonst leeren Rationalität und Rechenfähigkeit, die sich auf solchem Wege eine Unterkunft im ›Geist‹ verschaffte«, heißt es im »Schwarzen Heft« von 1939 (Abteilung XII).
Wird schon hier die »leere Rationalität und Rechenfähigkeit« in einen ursächlichen Zusammenhang mit dem Judentum gebracht – sonst machte der Satz schlichtweg keinen Sinn: Wie soll das metaphysische Weltbild »Ansatzstelle« für etwas bilden, was es überhaupt erst hervorbringt? –, so spricht Heidegger im »Schwarzen Heft« von 1941 (Abteilung XIV) explizit gar von einer bestimmten Art der »Menschentümlichkeit«, die das Judentum charakterisiere: »Die Frage nach der Rolle des Weltjudentums ist keine rassische, sondern die metaphysische Frage nach der Art von Menschentümlichkeit, die schlechthin ungebunden die Entwurzelung alles Seienden aus dem Sein als ›weltgeschichtliche‹ Aufgabe übernehmen kann.«
Es zeigt sich hier, wie falsch die Gleichsetzung von Antisemitismus und Rassismus ist, die Behauptung, dass Antisemiten ihren Hass nur rassistisch begründen könnten. Die metaphysische Frage tut es ebenso, wenn nur die Antwort darauf, wer das Prinzip verkörpert, das für die »Entwurzelung« und »Zersetzung« des Eigentlichen verantwortlich ist, von vornherein feststeht. Er muss es gar nicht als Rasse im biologistischen Sinn verkörpern, das kann und soll sogar offen bleiben; wichtig ist nur, dass er vernichtet wird.
Für das Feuilleton ist hingegen die Gleichsetzung von Rassismus und Antisemitismus ein grundlegendes Element der Apologie: Antisemitismus ist hier nur als rassistisch denkbar, da Heidegger aber kein Rassist war, seine Vorstellungen von Volk und Gemeinschaft vielmehr seinsgeschichtlich begründete, kann er auch kein Antisemit gewesen sein. Ein »durchgängiges rassistisches Konzept des Judentums im faschistisch-biologistischen Sinne bestätigt der Text nicht«, schreibt Flatscher; »Antisemitismus ist ein rassistischer Begriff und rassistisch hat Heidegger nicht gedacht«, so Vietta im Deutschlandradio Kultur; »Heideggers Vorstellung vom Dasein lässt jede Form von Rassismus unmöglich erscheinen, sein Daseinsbegriff lässt nicht zu, den Menschen als Rasse zu denken«, meint Fédier in der Zeit.
Auf der sichersten Seite ist man darum, wenn Heideggers Philosophie überhaupt zur Religion erklärt wird – eine Wendung, die schon Heidegger selbst vollzogen hatte, als er seinem berühmt-berüchtigten Spiegel-Interview den Titel gab: »Nur noch ein Gott kann uns retten«. Diesen Faden aufgreifend erklärt Peter Strasser in der Presse die Schicksalsgläubigkeit Heideggers zur »negative(n) Theologie«, die nichts mit »Faschismus« zu tun habe. Ganz so, als ob der Nationalsozialismus keinen Schicksalsglauben besessen hätte – während doch der Rassegedanke der gleichermaßen säkularisierte wie mythisch wiederauferstandene Gedanke an die göttliche Vorsehung war –, wird so getan, als ob Heideggers Motiv der »Wiederherstellung aller Dinge in ihrem ursprünglichen Reinheitszustand« nachgerade das Gegenteil des völkischen Gedankens darstelle. Vielmehr stecke hinter Heideggers auch von Strasser nicht zu leugnenden »Größenphantasien« doch nur der »kindlich-kindische Wunsch, aus einer Endschlacht siegreich hervorzugehen: als geschundener und letztlich strahlender Messias des Geistes. Dass den Juden dabei die Rolle des heilsgeschichtlichen Blockierer zugewiesen wurde (…) ist zumindest ein theologisches Ärgernis.«
Ein Ärgernis ist es also, noch dazu ein von kindlichen Phantasien geprägtes, dass Heideggers Suche nach dem Sein in seiner Ursprünglichkeit zielsicher bei der Identifizierung der Juden als Verkörperung jenes Prinzips landet, das diesem Sein den Garaus bereite. Heideggers Vernichtungsphantasien zu »Verirrungen« zu erklären, die nun einmal zum schicksalsgleichen »schmutzigen Erbe unserer Kultur« gehörten, weswegen nichts anderes übrig bliebe als sie anzunehmen, weil sie uns »noch trägt und bindet, indem wir sie verleugnen«, wie Strasser schreibt , diese Ontologisierung des Ontischen charakterisiert gleichermaßen Heideggers Philosophie wie die Versuche, sie zu retten: Einverständnis mit dem Bestehenden und Eskamotierung der Gewalt, die zu seiner Aufrechterhaltung notwendig ist.
Es wäre nun ein Leichtes nachzuweisen, dass es im Nationalsozialismus im Ideologischen durchaus keine einheitliche Auffassung dessen gab, wie der Vernichtungswahn auszubuchstabieren sei, vielmehr rivalisierten auch darin die verschiedenen Rackets, die einen mehr biologistisch orientiert, die anderen auf die metaphysische Frage konzentriert; die einen mit der Religion, die anderen gegen die Religion. Im Postnazismus eröffnete sich dadurch die Möglichkeit, immer die Position des jeweils anderen Rackets als die eigentlich nationalsozialistische zu brandmarken, um sich selbst davon freizusprechen. Und diese Möglichkeit setzt sich nicht zuletzt fort in der Art, wie man es gelernt hat, den Antizionismus vom Antisemitismus freizusprechen. Die Debatte um die »Schwarzen Hefte« zeigt, dass die Heidegger-Rezeption auch dafür ein Paradigma darstellt: Er war nach solchem Verständnis so wenig Antisemit, wie es der ist, der Israel kritisiert: Man wolle ja nicht die Juden verfolgen, sondern nur die Souveränität ihres Staates, ihre alles verschlingende »Rechenfähigkeit« und »Weltlosigkeit«.
So “geleitet” in der Tat ein Feldweg vom Heidegger-Hörsaal 1010 “den Fuß auf wendigem Pfad still durch die Weite des kargen Landes” (Heidegger: Der Feldweg) über Todtnauberg und Messkirch nach Palästina und von dort zurück an die Freiburger Universität, durch die Spechtpassage ins Jazzhaus. Beschritten hat ihn Gabi Webers Lieblingsreferent im Café Judenhass, der jüngst vor johlendem Publikum im Jos-Fritz-Café die “Dejudifizierung Israels” fordern durfte, das gegenwärtig freilich schlimmer als der Nationalsozialismus sei, um anschließend mit seinem nach dem ehemaligen Hauptquartier der PLO benannten “Orient-House”-Ensemble im Jazzhaus den Soundtrack zum multimedialen Aufgebot der Freiburger Antizionistenzentrale nachzuliefern. Gilad Atzmon hat wie kein anderer Heidegger-Apologet erkannt, dass es keiner neuen Veröffentlichung bedurfte, um zu wissen, dass Heidegger “kritisch” gegenüber “jüdischer Politik, Kultur, Ideologie und Geist” gewesen ist (so Atzmon in Veterans-Today). Allerdings: kein Antisemitismus sei es, sondern nur Kritik am Weltjudentum, wenn Heidegger in den Schwarzen Heften notiert, dieses sei “überall unfaßbar und braucht sich bei aller Machtentfaltung nirgends an kriegerischen Handlungen zu beteiligen, wogegen uns nur bleibt, das beste Blut der Besten des eigenen Volkes zu opfern”. “Kann eine ehrliche Beobachtung antisemitisch sein?” sekundiert ihm Atzmon, denn schließlich seien es “zionistische Stellvertreterkriege”, die Heidegger damit meine. Heidegger sei ein “deutscher Patriot” gewesen und habe als solcher gewusst, “dass es die Führer der Zionisten und die deutschen jüdischen Bankiers in Amerika waren, die den Eintritt Amerikas in den ersten Weltkrieg unterstützten”. Wer darin Antisemitismus glaubt erkennen zu müssen, so Atzmon, sei selbst nur ein “zionistisches Sprachrohr”.
Schon als Heidegger 1927 Sein und Zeit veröffentlichte, habe “die Frankfurter Schule, von jüdischen Akademikern beherrscht, bereits seit mehr als vier Jahren daran gearbeitet, die Grundlage für ihren Versuch zu schaffen, die deutsche Kultur im Namen des Kommunismus zu untergraben,” – kein Wunder also, so Atzmon, dass deutsche Nationalisten wie Heidegger genügend Gründe hatten, sich endlich einmal gegen jüdische “Kultur, Politik und Ideologie” (sowie, wie Atzmon an anderer Stelle notiert: “Religion” und “Geist”) zur Wehr zu setzen. Bestreitet man aber den Juden “politics”, also ihren Staat, “culture, ideology and spirit” und nicht zuletzt: “religion”, dann bleibt nach dieser Abstraktionsleistung nur noch der zu deportierende Körper übrig. So gibt sich Atzmons konsequente Heidegger-Apologie als nachgereichte Legitimation für den Massenmord zu erkennen.
Dass die Trennung von Werk und Person bei Antisemiten in der Regel so wenig aufgeht wie bei Heidegger, kann man an Atzmons Freunden vom Freiburger Antisemitenverein Café Palestine studieren. All die Vorträge und Events, ob in der Spechtpassage oder an der Uni, sind vom kaum noch camouflierten Hass auf die zum Opfer nicht bereiten Juden, auf ihren “Geist”, ihre Kultur und ihre Religion, also auf das “Weltjudentum” gezeichnet und bedienen das judenfeindliche Bedürfnis der Freiburger Szene, in der man auf Nachfrage selbstredend antworten wird, dass man “eigentlich” gegen Juden gar nichts habe, aber ….
So darf man annehmen, dass noch Atzmons Orientjazz und die zur Propaganda gereichten “arabischen Köstlichkeiten” politisch aufgeladen sind. Bot Heidegger nach einer Erinnerung von Günther Anders seinen Gästen – nicht frei vom Ressentiment gegen die Uneigentlichkeit und das Ge-stell – noch “sehr einfache Nudel-Abendessen” an, lädt Gabi Weber regelmäßig zum Falafelessen gegen Israel. Das muss er sein: der fundamentale Unterschied zwischen Antisemitismus und Antizionismus.
Der Text ist die von der ISF erweiterte Fassung eines in der Wochenzeitung Jungle World unter dem Titel “Die Schocktherapie” veröffentlichten Artikels von Alex Gruber und Gerhard Scheit, nachzulesen unter https://jungle.world/artikel/2014/13/die-schocktherapie . In der bei ça ira erscheinenden Zeitschrift sans phrase aus Wien, deren Redaktion die Autoren angehören, wird demnächst von Alex Gruber eine Fortsetzung veröffentlicht werden, die sich Slavoj Žižeks Heidegger-Verteidigung und seiner Auseinandersetzung mit der “‘judaischen’ Wende” im Poststrukturalismus durch Jacques Derrida widmen wird.