Initiative Sozialistisches Forum – Neues vom Gröphaz

Initiative Sozialistisches Forum

„Versöhnlich ins Stadtgefüge“

Die Freiburger UB und die Verwandlung des Studiums ins Angestelltendasein

Zur neuen Universitätsbibliothek fällt niemandem etwas ein, und doch weiß jeder etwas dazu zu sagen. Allgemein wurde bemängelt, sie erscheine monströs, wie ein düsteres Raumschiff, kaum wie der „Diamant“, den der Architekt Heinrich Degelo vor Fertigstellung angepriesen hat. Von vorne – Moment, wo ist hier eigentlich vorne? Wie beim Dessauer Bauhaus haben die Eingänge keine repräsentative Funktion und sind damit unauffällig bis zur Unsichtbarkeit gehalten. Das Gebäude öffnet sich nicht, es erklärt sich nicht durch ein herausragendes Portal, das den Zutritt hervorhebt, sondern die charakteristische Form und der Eingang des Gebäudes zeigt sich erst, wenn es aktiv erkundet wird. Um tatsächlich Einlass zu finden, muss man selbst tätig werden. Eigeninitiative ist da kein schlechtes Stichwort, das passt gut zur Wissenschaft, die in ihr betrieben werden soll. Zwar häufen sich die Klagen der Industrie, die Studenten seien schlecht ausgebildet (ein subversiver Zug des Bologna-Prozesses?), aber die Hauptaufgabe eines Studenten liegt ja zunächst in der Beherrschung der diversen Prüfungsordnungen, dem geschickten Umgang mit Studienverlaufsplänen, Praktika, der Planung des ein oder anderen Auslandsaufenthalts, der termingerechten Prüfungs- oder Studienanmeldung, der Rückmeldung, Anmeldung, und so fort: ein Crashkurs zum Verwaltungsfachwirt seiner selbst. (Beruhigend, dass die neue Bibliothek einem mit dem mächtigen Aussehen eines Bürokomplexes den Rücken stärkt.)

Ein Studium möchte entsprechend realitätstüchtig durchgeführt werden und die enthaltenen Studieninhalte sind daher auf Anwendbarkeit und Positivismus verpflichtet. Was sich nicht anwenden lässt, muss sich wie die alte UB den Vorwurf gefallen lassen, sich einem „Dialog“ mit der Umwelt zu verweigern. Kommunikation ist deswegen ein wichtiges, wenn nicht das Konzept der neuen UB.

Die Studenten freuen sich schon auf die Hausarbeiten, die sie in dem Gebäude schreiben werden müssen. So hell, so viel Arbeitsplatz, so viele abgeschiedene oder abgetrennte Sitzecken. Bei dieser Rundumversorgung mit ausgeklügelten Annehmlichkeiten der Innenarchitektur fällt offensichtlich nicht auf, dass das vermeintliche Wohnzimmer ein Ort ist, an dem jeder Winkel des Miteinanders oder der Vereinzelung, jede Laune und Eigenart ihrem produktiven Potential entsprechend abgeschöpft werden soll. Ebenso, wie die Architektur spätestens seit den 70er Jahren den Willen formulierte, den „Ansprüchen an Ruhe, Sicherheit, Privatsphäre, sozialen Kontakten“ (Laage, 1978) gerecht zu werden, liegt keine Gnade oder Freundlichkeit vor, sondern die ganzheitliche Hege und Pflege des Arbeitskraftbehälters, der für seine Arbeit Ruhe benötigt, für seine Kreativität Inspiration, für seine Motivation einen netten Plausch und ab und zu mal einen rauschhaften Absturz – solange all das im Dienst des Studiums steht!

Aber eine wirklich nachhaltige Nutzung dieser sozialen Körperfunktionen überfordert die meisten Einzelnen dann doch. Trotz Werbung für Selbstoptimierung und Co ist die Klage, man könne sich zu Hause nicht richtig disziplinieren, allgegenwärtig. Die Universität ist sich dieses Problems wohl bewusst: in der Infrastruktur der UB, in der sich über Angst und Frustration bei einem Kaffee mit einem Kommilitonen reden lässt, fällt es viel leichter, destruktive oder unpassende Neigungen, Äußerungen und Angewohnheiten konstruktiv zu kompensieren: hier kann Langeweile in Muße und Faulheit in Achtsamkeit umgedeutet werden.

So folgt dem freiwilligen Miteinander die geschlossene Gesellschaft auf dem Fuß: extra ecclesiam nulla salus, es gibt kein Heil außerhalb der Kirche – oder eben der Universität. Denn so verlockend flexibel das Studium sich gibt, so individuell man sich seinen Stundenplan zusammenstellen, seine Arbeitszeiten selbst bestimmen kann (Toll, denken bekanntlich Einige, endlich kann ich machen was ich will, wie wäre es z.B. mit Kindern?), am Ende ist jeder für sein Scheitern selbst verantwortlich.

Nach Betreten der Bibliothek muss noch im Erdgeschoss eine Entscheidung gefällt werden: Ruhe und Konzentration im Arbeitsbereich, wo die Bücher bereitstehen. Oder man wählt das Parlatorium, wo in Arbeitsgruppen oder mit Kommilitonen geschwatzt werden kann und soll. Zwischendurch kann in der Cafeteria etwas gegessen, ein Kaffee getrunken, oder im Außenbereich auf den organisch geschwungenen Mixturen aus Kunst und Betonmöbeln herumgelungert werden. Dem sind keine Grenzen gesetzt, die Bibliothek hat 24 Stunden, Sieben Tage die Woche geöffnet, es stehen sogar Automaten für Snacks, Sandwiches und Getränke für die Nachtschwärmer bereit. Ein rundum hermetisches System, das aber nicht hermetisch wirkt. Denn der Bau ist abwechslungsreich, bei Tages- und Nachtzeit, von unterschiedlichen Perspektiven aus betrachtet, erscheint er kleiner und größer, strahlend und düster, durchsichtig und monumental, transparent und abweisend zugleich. Seine Architektur schmiegt sich bei genauerer Betrachtung stärker an die Umgebung an, als dem ersten Eindruck lieb ist, der in der aufdringlichen Modernität nur einen unaufholbaren Arbeitsauftrag wittert. 24 Stunden lang, versorgt mit allem Nötigen, kann hier das letzte aus dem Gehirn gepresst werden, das die Studenten immerhin noch selbst mitbringen. In jeder Ritze des Miteinanders im Café, dem Geplauder im Parlatorium, verbirgt sich vielleicht eine Idee, ein kreativer Einfall für eine Hausarbeit, eine Erörterung, ein Referat, den man wie Kekskrümel aus den Sitzecken pulen kann. In den Winkeln des Raumes, der weit erscheint, aber eigentlich streng begrenzt ist, findet sich immer ein Kommilitone, der Referatspartner, Lernpartner, Partner fürs Leben sein kann.

Im Parlatorium steht es den Studenten frei, ihre sozialen Kontakte zu pflegen, hier „darf auch laut gelacht und lebhaft diskutiert“ werden, wie es in der Broschüre jovial heißt. Aber worüber diskutieren und lachen? Vielleicht über die Tatsache, dass die Geisteswissenschaft, wo sie gesellschaftliche Veränderung beschwört, zumeist moralische Lehranstalt ist, deren Kern sich darauf beschränkt, sich und andere zu beschränken? Dieser Auftrag ist Programm im zynischen Konformismus des Bibliotheksgebäudes. Es solle sich „versöhnlich ins Stadtgefüge“ einpassen, forderte Degelo, der damit den Arbeitsauftrag, die „Visitenkarte und Interface der Universität“ abzubilden, nicht nur ästhetisch korrekt erfasst hat. Dagegen „war die alte UB ziemlich autistisch im Stadtgefüge und hat sich um nichts außen herum geschert“, wie ein „Moloch“, ein „Raumschiff, das an dieser Stelle abgestürzt ist“. Eine Universität, die sich einfügt, die niemanden stört, die stattdessen lediglich ihre Umgebung spiegelt, darin einzigartig ist und zuletzt sogar kleiner wirkt, als sie tatsächlich ist. Aber die Geschlossenheit der Form, der Raum, der hier geboten wird, ist ein öffentlicher, kein privater. Seine Konstruktion verweist auf seine Bestimmung, und auf die Bestimmung der Studenten hin, die ihre Funktionsweise so schicksalhaft verinnerlicht haben, dass sie ihnen kaum gewahr wird. Die Wissenschaft wird hier nachhaltig und total, als abstrakter, universaler Kompetenzerwerb so autark betrieben wie das postmoderne, energieeffiziente Gebäude. Wie dieses Gebäude die benachbarten Bauten in seiner Fassade spiegelt, sich durch den üppigen Außenbereich in Richtung Innenstadt ausbreitet, geradezu kokett ins große Ganze der Stadt Freiburg einlädt, ist die Bibliothek ein selbst kaum genauer zu definierendes Gemeinschaftsprojekt: Alle sollen mitreden! So das Motto schon der Neubauplanung, das sich aber durch die gesamte Nutzung hindurch zieht.

Dementsprechend nimmt das Parlatorium gut die Hälfte des Raumes ein. Ein krasser Gegen satz zu den alten Bibliotheksbauten, in denen meist ein höflich, aber unerbittlich ausgefochtener Wettkampf um die wenigen Gruppenarbeitsplätze herrschte, die dann in zugigen und unbequemen Sitzplätzen im Flur gefunden werden mussten. Denn die alten Bauherren, vergleicht man etwa die neue UB mit der in Sichtweite befindlichen KG IV Bibliothek, räumten den Büchern und Einzelarbeitsplätzen für die je einzelne Aneignung immer den Vorrang vor dem Austausch ein.

Vor der Bibliothek der Historiker steht der Betrachter vor einem alten, neogotischen, roten Sandsteingebäude wie vor einer Kirche, die Treppe führt hinauf in die heiligen Hallen, bzw. zunächst in die kleine verandaartige Vorhalle, die nochmals durch eine Gittertür begrenzt wird. Die Form des hohen Sockels des Gebäudes, der Treppe, der Vorhalle, einer, zwei, nein, drei Türen bis zum Inneren, ist eine autoritäre Geste, die gut zum religiös-majestätischen Auftrag des Gebäudes passt: den unmündigen, ordinären kleinen Ameisen ordentlich was beizupauken. Also nicht die Weihung und Isolierung der Vernunft, die als Selbstzweck gegenüber gesellschaftlichen Zwängen geschützt werden soll, wie nostalgisch vermutet werden könnte, sondern die geistige Arbeit und ihre Ministranten werden hier symbolisch erhoben und abgegrenzt von der profanen Außenwelt, den Arbeitern, den Angestellten, eben den noch niederen Befehlsempfängern. Dass diese gleichwohl den Laden finanzieren, wie häufig gepoltert wird, stellt eine besondere Herausforderung im Verhältnis der geistigen zur körperlichen Arbeit dar, dem die Architektur des neuen Baus zu begegnen versucht. Obwohl man sich des Eindrucks nicht erwehren kann, dass diese Gesellschaft in ihrer Geschlossenheit und Selbstverständlichkeit kaum mehr der philosophischen, soziologischen und historischen Begründung bedarf, so bedarf sie doch der Verwaltung und Innovation; wie die werdenden Politiker und Sachverständigen, Referenten ihr Verwaltungsmaterial brauchen, das nichtsdestotrotz die Ästhetik dieser Funktionalität, von der die Verwalteten wohl ahnen, dass er an ihre Substanz geht, in den meisten Fällen verabscheut.

Die UB möchte trotzdem ein Raum der Begegnung sein; in der äußeren Spiegelung der Fassade und ihrer Transparenz drückt sich die Bereitschaft der öffentlichen Dienstbarkeit aus, ebenso unsichtbar und körperlos über den Verhältnissen zu schweben (der Hang zu akademischer Magerkeit lässt die Bewohner noch harmonischer mit dem Gebäude verschmelzen) und zugleich eine eigene Sphäre, ein Raum für die Benutzer zu sein, in dem sich sowohl die Freizeit verbringen, als auch die Qualifikation vorantreiben lässt. Gespräche unter Gleichen fördern das Arbeitsklima und die Leistung, flache Hierarchien sind betriebswirtschaftlich rentabel und schweißen gleichzeitig die Gruppe zusammen, die gegenüber dem eher unmoralischen und unmotivierten Rest der Gesellschaft ihre (doch stets nur latente) Überflüssigkeit in Anwendung soziologischer Härte und moralischer Abgrenzung zu übertünchen sucht.

Lediglich die Angst, dass durch eigenbrötlerischen Egoismus qua individueller Wissensaneignung des Einzelnen die auf kommunikativer, kreativer Zusammenarbeit bauende Gruppe ausgebootet wird, lässt sich kaum austreiben, berührt sie doch ein zentrales Paradox im Schlüssel zum beruflichen Erfolg: Projekte, Referate und Hausarbeiten sollen in der Zusammenarbeit, der Diskussion, der gemeinsamen Korrektur entstehen, aber der Substanz der Auseinandersetzung Herr zu werden obliegt jedem Einzelnen. Kein Wunder, dass die Darstellung des Strebers meistens antisemitisch ist.

Denn schlussendlich muss jeder für sein Wissen und seine Gedanken in Einzelarbeit tätig werden, unsichtbar für den Kommilitonen. Der Kopf ist nicht transparent und schürt damit die Furcht der Kollegen, ob der Andere nicht vielleicht doch einem selbst voraus ist? Hat er etwa heimlich mehr gebüffelt und lässt einen selbst damit ins Hintertreffen geraten? Nicht nur darüber kann hämisch im Café Libresso (im Erdgeschoss) getratscht werden, sondern die Studenten können beruhigt sein, dass man in der „offenen Arbeitslandschaft“ immer „mitbekommt, was die anderen machen“, sogar „wenn jemand laut telefoniert“ (Degelo).

Das ist alles praktisch und nützlich gedacht. Und zur alten Architektur kann man so wenig zurückkehren, wie in den Schoß der Mutter, den der gängige Geschmack in Gestalt der Altbauten vorzieht. Aber die veraltete, elitäre universitäre Hierarchie von anno dazumal ist nicht nur genauso erdrückend, wie das kollektivierende studentische Netzwerk, sondern obendrein wenig angemessen, wenn man statt autoritätshöriger selbstorganisierte Ameisen braucht, die sich zwar genauso gerne vom Pöbel abgrenzen möchten, aber ihr zukünftiges Angestelltendasein im luftigen Büroschloss schon als Ultima Ratio ihres Studiums begreifen. Eine Öffnung zur Außenwelt, die ja schließlich später den Job bereithält, ist heute viel adäquater, als der Elfenbeinturm, der wahrscheinlich mehr geisteswissenschaftliche Putz- als Lehrkräfte beherbergt. Denn bei aller Begeisterung für die Mittel, die „Ihre UB“ (Homepage) für Sie bereithält, ist inmitten dieser zutiefst rationalen Ordnung, in der Jeder in seiner noch so abgefahrenen Arbeitsweise den Topf auf den Deckel kriegt, das, wofür tatsächlich gearbeitet werden soll, immer absurder geworden.

Wofür Studieren? Zum Kontakte knüpfen, Flexibilität einüben, Sport treiben, damit man den Gürtel um den schmalen Bauch stolz immer enger schnallen kann und Argumentieren lernen, warum andere zeitgleich auf dem Bau schuften oder im Büro ihre Lebenszeit totschlagen müssen. Sich schon mal in die Elite einfühlen und beim Plausch mit Gleichgesinnten für die Rechte derer eintreten, die für einen selbst gottseidank keine Konkurrenz darstellen und gegen die wettern, die das Material zum Verwalten und Rationalisieren darstellen. Für die ist die Bibliothek zwar auch da, denn schließlich: „Alle Bürger der Stadt sind eingeladen“ (Degelo) und alle stimmen ein. „Eingeladen“ ist aber wirklich gut, impliziert es doch, dass der Besucher bald wieder geht, gleich einem Besuch in der Chefetage: Die Leute dürfen ihren zukünftigen Arbeitgebern, Verwaltern, Politikern, Sachverständigen bei ihrer Ausbildung gerne über die Schulter schauen und applaudieren, wie schön die es haben. „Fast wie daheim“, denkt sich der Bürokaufmann wahrscheinlich.

Aber bis es soweit ist, muss jeder Student beizeiten den Buckel doch mehr krümmen, als er selbst zugeben möchte. Zurecht hat niemand Einspruch erhoben, als der Rektor in einer paternalistischen Geste des halb pathetischen, halb zärtlichen Streichelns den Studenten die neue Bibliothek geschenkt hat. Sondern jeder freut sich, dass hier ein so formidabler Arbeitsplatz geschaffen worden ist. Da nickt man freundlich und meckert lieber nicht zu laut, die persönlichen Abhängigkeiten sind durch die immense Bürokratie und die vielen Prüfungen, die jeder Student zu meistern hat, und bei der man sich nie ganz sicher sein kann, nicht vielleicht doch auf Kulanz angewiesen zu sein, schließlich nicht weniger geworden.

Instinktiv will man den Kopf einziehen, wenn man die UB betritt. Sie ist tiefer gelegt, denn die Gesellschaft in ihr ist untenrum organisiert, auf einer tieferen Ebene angelegt, nicht hoch erhoben, sondern jederzeit ist der Student gewöhnt, die Happen, die ihm zugeschmissen werden, lieber direkt vom Boden zu fressen, vor lauter Angst, versehentlich die Hand zu beißen, die ihn füttert.

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