Initiative Sozialistisches Forum – "Wer Warum Wie Was"

Initiative Sozialistisches Forum

“Wer Warum Wie Was”

„Wer Warum Wie Was“ – in großen Lettern prangen die Fragepronomen am Eingang der Ausstellung „Nationalsozialismus in Freiburg“ und künden von häppchengerechter Aufbereitung für Möchtegernschlauberger, die Stifte gespitzt für den Wissenstest. Wer nicht fragt, bleibt dumm, und damit die Fragen nicht ausgehen, holen die Ausstellungsmacher am Eingang zu einer auf Boden und Wand gedruckten Fragenorgie aus. „Es ist wichtiger, Fragen stellen zu können, als auf alles eine Antwort zu wissen.“, wusste schon James Thurber. So zwingen die Ausstellungsmacher den Besucher am Anfang zur stoffmäßigen Kapitulation, umschiffen die mehrsprachig wiederholten Fragen eine konkrete Auseinandersetzung mit dem Thema möglichst großräumig. Denn nicht eine unmittelbar sich aufdrängende Frage wie etwa: „Warum töteten Deutsche Juden, Nichtdeutsche und Behinderte, wie spielte sich das in Freiburg ab und was passierte mit Tätern und Opfern danach?“ wird gestellt, sondern das Thema ins Anthropologisch-Allgemeine gehoben: „Warum strebt der Mensch nach Macht? Wie konnte das passieren? Welche Rolle spielt Religion? Wie können Menschen soviel Macht erlangen? Wer sind die Opfer? Wer sind die Täter? Warum ist ein Menschenleben mehr wert als ein anderes? Was sind Menschenrechte?“ etc. Immerhin haben sich die Ausstellungsmacher die Einsicht abgerungen, dass es Täter gegeben haben müsse, denn in der im Katalog abgebildeten Modellansicht des vorab geplanten Ausstellungseingangs war tatsächlich noch die Frage aufgeführt: „Wer ist schuld? Hat jemand Schuld?“ Dort war auch insgesamt drei Mal die im Zusammenhang mit dem Thema nur völlig idiotisch zu nennende Frage: „Warum habe ich Angst?“, abgedruckt, die in der Ausstellung zu „Was macht mir Angst?“ abgewandelt wurde und nur noch larmoyante Betroffenheit und Opfer-Identifikation zulässt: „Was hat das Ganze mit mir zu tun? Wie gehe ich mit der Geschichte um? Warum sollte ich mich heute damit beschäftigen?“ Dass man von der Volksgemeinschaft nicht lassen möchte, zeigt das penetrante „Wir“: „Warum dürfen wir nicht vergessen? Warum schauen wir weg?“ Der nationalsozialistische Kulturbegriff, der Menschen unter „Kulturen“ subsumiert, west im postmodernen Antirassismus fort, hier im moralischen Imperativ einer multikulturellen Lernkontrolle: „Wie tolerant bin ich gegenüber anderen Kulturen?“ So werden die Juden und andere Opfergruppen zu einer „Kultur“, das Problem der Deutschen wohl nur, ihnen nicht „tolerant“ gegenüber gewesen zu sein. Kein Wort, weil keine Einsicht in den Nationalsozialismus als deutsches Großprojekt, das durch die Verschmelzung des Volksgenossen mit dem Souverän die negative Aufhebung des Kapitals in der Vernichtung der Juden anstrebte.

Auch die göttliche Erkenntnis bietet keine Zuflucht, von der das Triptychon des Renaissance-Künstlers Martin Schaffner als nächster Station der Ausstellung kündet. Das traditionelle Tafelmotiv des Jüngsten Gerichtes zeigt auf der linken Seite die Aspiranten für das Paradies, während auf der rechten Seite Teufelswesen einen Vorgeschmack auf die Hölle bieten. Allenfalls ließe sich eine Parallele zum Ausstellungsthema ziehen, dass der Nationalsozialismus diese bereits auf Erden bereithielt. Darum aber geht es hier nicht: Die Zentraltafel mit Jesus als göttlichem Richter ist verschollen, stattdessen ein Spiegel eingebaut. Die Besucher betrachten sich also selbst, während sie über die Handlungsanweisung der Exponattafel sinnieren können: „Mit dem fragmentarisch erhaltenen Tafelbild soll das Urteilen und Reflektieren, das Richten über die Zeit des Nationalsozialismus angestoßen, diskutiert, analysiert werden. Wer sich im Spiegel betrachtet, wird mit seinen eigenen Gedanken und Gefühlen der NS-Zeit gegenüber konfrontiert.“ Abgesehen von der Zumutung, Gedanken und Gefühle zu dekretieren: Was unter Ausstellungsmachern vermutlich als pfiffige Idee gilt, ist inhaltlich völliger Schwachsinn – Frevel allein der Gedanke, das Jüngste Gericht wäre mit historischem Urteil, das christliche Gute und Böse mit Opfern und Tätern des Nationalsozialismus gleichzusetzen –, dient allerdings dazu, jegliche Kritik verstummen zu lassen. Täter möge man zwar schon benennen, aber über sie zu richten, wiederhole nur den Gottesspruch. Welcher Besucher gesteht es sich schon zu, den göttlichen Richterstuhl einzunehmen und über die Täter zu urteilen? Schon die Fragen im Eingang: „Was hätte ich getan? Warum schaue ich weg? Welche Vorurteile habe ich? Wer urteilt?“, zeigen den Wunsch nach Täteridentifikation und lassen keinen Zweifel daran, dass dem Nachgeborenen kein kritisches Urteil mehr zustehe.

Freiburger Stadtgemeinschaft versus deutsche Volksgemeinschaft

Nicht umsonst lautet der Titel der Ausstellung „Nationalsozialismus in Freiburg“ (und nicht etwa „Freiburg im Nationalsozialismus“), denn dieser habe mit jenem nichts zu tun, von einem „nationalsozialistischen Freiburg“ ist nicht die Rede. „1933 errichteten die Nationalsozialisten auch in Freiburg eine beispiellos grausame Gewaltherrschaft. Tausende Freiburgerinnen und Freiburger wurden aus rassischen und politischen Gründen ausgegrenzt, verfolgt und in zahlreichen Fällen auch ermordet.“ Zentraler Bestandteil der Ausstellung ist die Suggestion, der Nationalsozialismus sei über Freiburg „von außen“ hereingebrochen: durch listige Propaganda aus Berlin, Instrumentalisierung der wirtschaftlichen Not und falsche Heilsversprechungen. Das soziale Versprechen, das die Nationalsozialisten den Deutschem machten und von diesen begeistert aufgenommen wurde, war jedoch von Anfang an ein antisemitisches, da das Wohl der Volksgemeinschaft sich aus der Ausrottung des ‘parasitären Judentums’ ergeben sollte, wobei dieser Teil des Versprechens mit Auschwitz eingelöst wurde. Die Kuratoren bemühen sich sichtlich, die „alte und ehrwürdige Kulturstadt am Oberrhein“ (Der Alemanne. Kampfblatt der Nationalsozialisten Oberbadens) als erstes Opfer Hitlers darzustellen: Wie aus heiterem Himmel sei der antisemitische (ein Begriff übrigens, den man in der Ausstellung vergeblich sucht) Wahn per Dekret über die Stadt gekommen. Weiterhin hätten die Nationalsozialisten ein „Doppelspiel“ mit der friedliebenden Bevölkerung gespielt, die das ökonomische und ideologische Einpeitschen auf den Expansionskrieg als bloße Verteidigungsmaßnahme wahrgenommen hätte. So war die Hitlerjugend für den Opa, der im Zeitzeugeninterview in glücklicher Erinnerung an seine Kindheit schwelgend von dieser Zeit erzählt, bis heute ein Freizeitspaß für testosterongeladene Jungs. Der Gedanke, dass der Jugend Disziplin und Opferbereitschaft abgerungen wurde, um sie auf die anstehende Eroberung Europas vorzubereiten, wäre ja auch zu abwegig. Einzig ein vierzehnjähriges Mädchen aus Haslach, das in der Ausstellung als genialische Prophetin aus einem „systemkritischen Lehrerhaushalt“ erscheint, ahnte den Krieg bereits 1937 voraus. Die Ahnungslosen und die Verfolgten werden entgegen der nationalsozialistischen Realität zu „Freiburgerinnen und Freiburgern“ verbunden, während die Täter nie Freiburger, sondern immer „Nationalsozialisten“ sind, womit die eingangs aufgeworfene Frage, wer denn die Täter und wer die Opfer seien, durch die Ausstellung deutlich beantwortet wird. So wird das einende Moment der Volksgemeinschaft, das es den Deutschen gestattete, sich als Angehörige eines moralisch und rassisch überlegenen Kollektivs, in dem die Klassen versöhnt seien, zu wähnen, schlicht zugunsten des projektiven Bilds „einiger weniger Profiteure“ entsorgt: Die Freiburger hätten mit strenger Lebensmittelrationierung zu kämpfen gehabt, während jene Profiteure sich, gleichsam auf dem Rücken der Stadtgemeinschaft, an jüdischem Besitz bereicherten. Manche Freiburger wurden eben nach Gurs deportiert, andere warteten vergebens auf den versprochenen Aufschwung oder verloren durch die Bomben ihr Hab und Gut, die einen wurden in den Krematorien in Auschwitz verbrannt, die anderen im Keller eines zerbomten Freiburger Fachwerkhauses „wie in einem Krematorium“ (Badische Zeitung) – alle waren sie Opfer des Nationalsozialismus. Die als Angehörige der „Gegenrasse“ verfolgten und ermordeten Juden werden nachträglich ins Freiburger Täterkollektiv eingemeindet.

Wer aber vom Antisemitismus nicht reden will, sollte auch vom NS schweigen…

Die Ausstellung gibt sich sichtlich Mühe, das oberste Ziel der deutschen Revolution, die Vernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden, unter dem Deckmantel der Intersektionalität verschwinden zu lassen. Es findet sich kaum ein Text, in dem von Juden und nicht von „ausgegrenzten Minderheiten“ die Rede ist. Die wahnhafte Überzeugung, Glück und Leben der Völker hingen von der Ausmerzung der Juden ab, wird zum Sündenbockprinzip banalisiert. Wird die Shoa doch einmal thematisiert, wird alles nur noch schlimmer: Mit pseudo-aufklärerischem Gestus, der sich in Wahrheit bereits dem Antisemitismus unterwirft, wird darauf verwiesen, dass viele Juden doch zum Christentum konvertiert seien und sich zu Deutschland bekannt hätten, wenigstens die, so schreit es einem zwischen den Zeilen entgegen, hätten doch verschont werden sollen. Auch zahlreiche Portraits von Opfern der Nationalsozialisten betonen deren Patriotismus, was auch Rückschlüsse auf die Auswahl jener, derer hier gedacht wird, zulassen dürfte. Dabei schwingt, negativ gelesen, Entscheidendes mit: das Bemühen, dem antisemitischen Feindbild vom „vaterlandslosen Juden“ zu widersprechen und somit das Ressentiment gegen jene, die sich tatsächlich als Kosmopoliten verstanden. Ebenfalls auffällig bei der Auswahl der Opferbiografien ist, dass die meisten den Holocaust überlebt haben und im besten Falls sogar wieder nach Freiburg zurückgekehrt sind oder es zumindest vorhatten, wie die Autoren unermüdlich betonen. Dem Besucher wird dabei das Gefühl vermittelt, dass das alles so schlimm doch gar nicht war, zumindest nicht „bei uns in Freiburg“, mit Ausnahme der Bombardierung, versteht sich.

… und erst recht von der Bombardierung

Diese steht am Schlusspunkt der Ausstellung, visualisiert durch das mit Abstand größte Ausstellungsstück: eine britische Fliegerbombe. Als Folge des deutschen Angriffskriegs werden nicht die zerstörerische Ausdehnung Deutschlands über den Kontinent, das Niedermetzeln großer Bevölkerungsteile im Osten und die Ausweitung der Judenvernichtung genannt, sondern direkt und ohne Umwege die Zerstörung der Freiburger Innenstadt. Zeigte man sich ansonsten um „Multiperspektivität“ bemüht, zeugt hier kein einziger Satz davon, dass die durch die Bombardierungen erreichte Kapitulation Deutschlands für unzählige Menschen eine Befreiung bedeutete. Stattdessen wird als einzige Quelle der Bericht des Nazi-Kampfblattes „Der Alemanne“ angeführt, aus dem zudem halb affirmativ zitiert wird und in dem im Grunde das gleiche steht, wie in den unzähligen Artikeln der Badischen Zeitung, die jedes Jahr zum Jahrestag der Bombardierung veröffentlicht werden: Während in jenem davon die Rede ist, dass die „ehrwürdige Kulturstadt“ und ihre „unschuldige Bevölkerung“ völlig „unerwartet“ von „britischen Luftgangstern“ (Der Alemanne) heimgesucht wurde, steht in dieser geschrieben, dass die „friedliche Universitäts- und Pensionärsstadt Freiburg“ in ihrer „schwärzester Nacht“ Opfer eines „terroristischen“ Angriffs der alliierten Bomber, die ihre „infernalistische Fracht“ (Badische Zeitung) über der Stadt abwarfen und das schöne Freiburg in Schutt und Asche legten. Einig sind sich beide antisemitischen Schundblätter, deren Karikaturen über Juden auch bemerkenswert Gemeinsamkeiten aufweisen, darüber, dass der Versuch der Alliierten, das Ende der deutschen Barbarei zu beschleunigen, indem sie durch Flächenbombardements die beispiellose Treue der Deutschen zu Führer und Vaterland zu brechen versuchten, als unmoralischer Terrorakt einzustufen sei. Ein Glück, so sind sich die Freiburger seit 1944 einig, dass das Münster verschont blieb, es hätte alles schlimmer kommen können!

Wie die Ausstellung durch Multiperspektivität versucht, das Leid der Juden im NS zu relativieren und die Pogromnacht zur Randnotiz zu machen, bemüht sich auch die Stadt sichtlich, die Erinnerung an die Vernichtungswut der Freiburger zu verbergen. So war das Unbehagen seitens der Stadt entsprechend groß, als Bauarbeiter bei der Umgestaltung des ‘Platz der alten Synagoge’ auf Mauerreste eben jener in der Reichspogromnacht zerstörten Synagoge stießen. Die Stadt Freiburg behandelte den Fund, wie auch den Wunsch der israelitischen Gemeinde nach Erhaltung der Mauerfundamente, in erster Linie als Stör- und Kostenfaktor bei der Neugestaltung des Platzes. Anstelle der Überreste der Synagoge soll sich ein Brunnen in Form deren Umrisses versöhnlich und modern ins Stadtbild fügen. Dieser Wasserspiegel habe für die grüne Gemeinderatsabgeordnete Maria Viethen „wesentlich mehr Symbolkraft als die gefundenen Steine“. Die Symbolkraft liegt vor Allem darin, dass der entstehende Brunnen die Flammen der Synagoge an der Stelle zu löschen versucht, an der in der Reichspogromnacht das Wasser nur zum Schutze der umliegenden Gebäude eingesetzt wurde. Die selbstgewählte Erinnerung wird, indem sie die Nachwirkung der Mordbrennerei der Freiburger ein für alle Mal löschen solle, als die bessere Alternative angesehen. Da eine „Konservierung“ laut OB Salomon zu kostspielig und aufwendig sei, wurden die letzten Reste der Synagoge zum „dauerhaften Schutz“ unter Beton versiegelt. Man möge lieber die letzten Reste der Synagoge im Erdboden verscharren und darauf das Symbol Freiburger Aufarbeitung triumphal platzieren. Wie das Verstecken der eigenen Geschichte unter der Erde als Wachhalten der „Erinnerung an das Grauen der Nazizeit“ oder als „Erhaltung“ und „Konservierung“ verstanden werden kann, bleibt dabei schleierhaft. Ebenso unverständlich ist, inwiefern intakte Mauerfundamente unter dem zukünftigen Brunnen tatsächlich als konserviert gelten können, da es doch recht unwahrscheinlich scheint, dass der darüber liegende Platz jemals aufgerissen wird, um die Mauerreste freizulegen.

Aber der Deutsche Salomon weiß wohl am besten, wie das mit der adäquaten Erinnerung zu funktionieren hat, die Meinung der jüdischen Gemeinde kann hierbei auch geflissentlich übergangen werden, wenn es dem Projekt, sich als modernes wiedergutgewordenes Freiburg zu inszenieren, dienlich ist. Die gefundenen Überreste als Zeugnis jener deutschen Revolution, die in Auschwitz zu sich selbst kam, an eben dem Ort stehen zu lassen, an dem die Nationalsozialisten die Synagoge zerstörten, mag wohl nicht in das Bild einer (post)modernen Stadt mit linksliberalen Bürgern passen. Mit bemerkenswerter Selbstgewissheit geriert sich die Verwaltung als alleinig Zuständige für die Art und Weise des institutionalisierten Gedenkens, das sich so einmal mehr als Identitätsprojekt der Aufarbeitungsweltmeister entlarvt. Dabei ist man sich scheinbar für keine Geschmacklosigkeit zu schade: Während einer Informationsveranstaltung zu der die Stadt jüdische Gemeindemitglieder einlud, sprachen sich eben diese einstimmig für den Erhalt der Mauerreste aus, nur um noch am gleichen Tag von der Fortsetzung des Bauvorhabens zu erfahren. Als sich später die Vorsitzende der israelitischen Gemeinde, Irina Katz, von der Einhaltung des Denkmalschutzes vor Ort vergewissern wollte (und Bauarbeiter vorfand, die die angeblich anfälligen Steine mit Spitzhacken abrissen und mit Füßen auf einen Haufen traten, wie ein Video belegt), verwies man sie kurzerhand der Baustelle.

Nicht einmal auf die Bitte, mit dem Abtragen der Steine bis Mitte November zu warten, ging man ein. So wurde also, auch am 9. November, mit dem Segen der demokratischen Bürokratie beseitigt, was Freiburger Nazis 78 Jahre zuvor übrig ließen – Gedenken nach Gusto der Täternachfahren bei unerträglicher Ignoranz gegenüber den Nachkommen der Opfer, legitimiert durch ökonomistische Sachzwangargumentation. Ein Paradebeispiel erinnerungspolitischer Widerlichkeit, welches im Keller des 700 Jahre alten Augustinermuseums sicherlich besser aufgehoben wäre, das man zur Konservierung zusammen mit der Ausstellung „Nationalsozialismus in Freiburg“, im Sinne Freiburger Aufarbeitung, dann ja ebenfalls mit Beton zuschütten könnte.

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