Programm Sommer 2019
Donnerstag, 2. Mai 2019
Individueller Terror. Georg Elser und die Linke
Georg Elser (1903-1945) war ein kommunistisch orientierter Arbeiter, der Adolf Hitler mit einem selbst gebauten Sprengsatz im November 1939 fast um sein Leben brachte. Zum unbestrittenen Helden des deutschen Antifaschismus schaffte es der autodidaktische Bombenleger aber nie. Stattdessen überlagerten sich seit der »glückliche[n] Errettung Adolf Hitlers aus der Lebensgefahr« (O-Ton sowjetische Regierung) nazistische und antifaschistische Verschwörungstheorien, bis in den späten 1960er Jahren die Alleintäterschaft des schwäbischen Handwerkers nachgewiesen wurde. Es war wohlgemerkt nicht Willy Brandt, sondern Helmut Kohl, der das »Bürgerbräu-Attentat« erstmals regierungsoffiziell würdigte. Die außerparlamentarische »Neue Linke« der Bundesrepublik blieb im »roten Jahrzehnt« still. Und auch die DDR tat sich bis zuletzt schwer damit, dem Einzeltäter einen Platz in der Geschichtsschreibung des deutschen Widerstands einzuräumen. Der Vortrag wirft einen Blick auf die ideologischen und politischen Hindernisse, die es der Linken in Ost und West schwer machten, Georg Elsers Leistung anzuerkennen.
Es spricht Matheus Hagedorny. Er studierte Philosophie, Neuere Geschichte und Verfassungs-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte an der Universität Bonn und ist Autor des Buches Georg Elser in Deutschland, das bald im ça ira-Verlag erscheinen wird.
Um 20 Uhr im Büro des ça ira-Verlages, Günterstalstr. 37, im Hinterhof.
Donnerstag, 16. Mai 2019
Die politische Sozialisation Wolfgang Pohrts
Der Vortrag widmet sich der Zeit in Frankfurt Ende der Sechziger, Anfang der Siebziger, in der Wolfgang Pohrt politisch sozialisiert wurde, und zwar vor allem durch Hans-Jürgen Krahl, durch den er auf die Idee zu seinem Dissertationsthema gebracht wurde. In seinem frühen Text Arbeiter und Kleinbürger von 1972, in dem er auch seine eigene Existenz als »Lumpensammler« (Walter Benjamin) reflektiert, heißt es bereits, dass Revolution nicht heißen kann: Aufbau des Sozialismus, sondern Zertrümmerung der Warenwelt. Oder in den Worten Krahls: »Die Emanzipation der Gattung ist nicht mehr möglich über die personalisierende Enthüllung der herrschenden Klasse, sie ist nur möglich über eine Denunziation der Dinge, des im Spätkapitalismus produzierten Schunds, in denen die Verhältnisse sich kristallisieren.« Im »verpfuschten Leben« und im »erniedrigenden grauen Alltag« erkennt Pohrt die treibende Kraft der Unruhe, die auch »aus der Trauer über das Sterben der Gebrauchswerte« (Krahl) resultiert. Die Protestbewegung ist für ihn ein kurzer Moment, in dem es möglich war, auch intellektuell Rache zu nehmen am »Betrug am richtigen Leben, dessen Opfer man selbst werden sollte«. Verflochten damit wird Pohrts Beteiligung an den Studentenprotesten erzählt.
Es spricht Klaus Bittermann, Verleger der edition tiamat und Herausgeber der Werke Wolfgang Pohrts. Die Veranstaltung findet in Kooperation mit dem Referat gegen Antisemitismus (Universität Freiburg) statt.
Um 20 Uhr im Baires, Günterstalstr. 37.
Dienstag, 28. Mai 2019
Zur Kritik der Öffentlichkeit
»Objektives, faktenbegründetes und rationales Denken gibt es nicht, zumindest nicht in der Form, in der es der Aufklärungsgedanke suggeriert« – dergestalt ist der Glaubenssatz der postmodernen Gegenaufklärung, es gebe keine Wahrheit, mittlerweile in Öffentlich-Rechtlichen Medien in Form eines sogenannten »Framing-Manuals« herabgesunken. Öffentlichkeit wird demnach zu einem Kommunikationsraum, in dem Zustimmung über Moralisierung und sprachliche Einlullung herzustellen ist. Ebenso zweifelhaft ist das Öffentlichkeitsmodell der »Piraten-Partei«: Beteiligten sich nur alle mittels liquid democracy software am Markt der Meinungen, werde daraus schon das Richtig-Vernünftige entstehen. Der Anwendung des den Verantwortlichen vermutlich nur aus einem Wikipedia-Artikel bekannten Werkes von Friedrich Engels zur Dialektik der Natur und des darin von ihm formulierten »Umschlag von Quantität in Qualität« zum Praxis-Prinzip war allerdings wenig Erfolg beschieden: Nach Tausenden von Einträgen im piratischen Polit-Wiki war man keinen Deut klüger. Geschichte wiederholt sich bekanntlich als Farce. In den Öffentlichkeitstheorien seit 1750 ensteht, analog zur unsichtbaren Hand des Marktes, die Vorstellung einer Öffentlichkeit, die kollektive Vernunft generiert - was an den Antinomien der bürgerlichen Gesellschaft scheitern musste. Im Vortrag soll dieser historische Hintergrund beleuchtet und ein Bezug zu Öffentlichkeitstheorien der Nachkriegszeit, u.a. in Jürgen Habermas‘ Strukturwandel der Öffentlichkeit, hergestellt werden.
Es spricht Torsten Liesegang, Autor der Studie Öffentlichkeit und öffentliche Meinung. Theorien von Kant bis Marx.
Um 20 Uhr im Büro des ça ira-Verlages, Günterstalstr. 37, im Hinterhof.
Freitag, 7. Juni 2019
Stadtrundgang: Freiburg im Nationalsozialismus
An exemplarischen Stationen wird gezeigt, was in Freiburg nach 1933 passierte, wie die Arisierung organisiert wurde und welche Menschen wo gelebt haben, die ihre Wohn- und Arbeitsstätten verlassen mussten. An der Universität wird vom Rektorat Martin Heideggers im Frühjahr 1933 die Rede sein.
Der Rundgang endet gegen 17 Uhr am Platz der Alten Synagoge. E. Imbery führt und kommentiert. Der Treffpunkt ist um 15.00 Uhr am »Basler Hof«, Kaiser-Joseph-Straße (gegenüber der Buchhandlung Herder).
Donnerstag, 13. Juni 2019
Rackets und Souveränität
Von Max Horkheimer als Kritik des Nationalsozialismus intendiert, sollte die Racket-Theorie zugleich die verschiedenen Gesellschaftsformen übergreifenden Tendenzen identifizieren, die mit der »steigenden organischen Zusammensetzung des Kapitals« (Marx) wirksam werden. So reflektiert die Racket-Theorie den Verlust des Scheins der Autonomie des Rechts – mit der Abschaffung des Rechts, wie im Nationalsozialismus, bzw. mit dem Funktionswandel des Rechts in den bürgerlichen Gesellschaften. Die Racket-Theorie betont die Gemeinsamkeiten von Gesellschaften, in denen die bürgerlichen Vermittlungsinstanzen abgeschafft worden sind bzw. tendenziell neutralisiert werden. Den dadurch drohenden Zerfall der Souveränität und den Zusammenhang wie auch die Differenz von Souveränität und der prekären Einheit, welche die miteinander rivalisierenden Rackets allenfalls zu bilden imstande sind, sowie die Bedeutung, die der Antisemitismus dabei einnimmt, werden hingegen kaum berücksichtigt. Doch gerade die mit dieser Differenz verbundenen Unterschiede gilt es festzuhalten, wenn man der sich aufdrängenden Frage nachgeht, weshalb sich die USA trotz der dort von Horkheimer beobachteten Racket-Strukturen dem antisemitischen Vernichtungskrieg der nationalsozialistischen Rackets militärisch entgegengestellt haben.
Es spricht Thorsten Fuchshuber, Autor des im ça ira-Verlag erscheinenden Buches Rackets – Kritische Theorie der Bandenherrschaft. Er lebt in Brüssel.
Um 20 Uhr im Büro des ça ira-Verlages, Günterstalstr. 37, im Hinterhof.
Donnerstag, 27. Juni 2019
»Aufhören!« Ein Abend der ISF im Gedenken an Joachim Bruhn
Mit Texten, Zitaten, Hörproben und anschließender Diskussion.
Um 20 Uhr im Baires, Günterstalstr. 37.
Freitag, 5. Juli 2019
Stadtrundfahrt: Freiburg im Nationalsozialismus
Antifaschistische Stadtrundfahrt. Radtour zur Erinnerung an die Deportation von 403 jüdischen Mitbürgern in das Internierungslager Gurs am 22. Oktober 1940 und deren Vorgeschichte in Freiburg – geführt durch E. Imbery.
Treffpunkt um 15:30 Uhr am KG I, Rempartstraße.
Donnerstag, 11. Juli 2019
Die Sehnsucht nach dem geschlossenen Handelsstaat, oder: Weltmarkt, Wertgesetz und Judenhass
Die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie ist die vollendete Negation des geschlossenen Handelsstaats, wie ihn Fichte einmal den Deutschen ans Herz legte und wie er heute als Feindbild Globalisten fröhliche Urstände feiert. Aber was nützt es, ihn mit Marx als wahnhafte contradictio in adjecto zu kritisieren, wenn Nationalsozialismus und »Sozialismus in einem Lande« darauf die Probe gemacht haben?
Es nützt vielleicht, um die gegenwärtigen Chancen der Antiglobalisten von links und rechts besser einzuschätzen. Was diese auf die »Globalisten« projizieren, die den funktionierenden National- und Sozialstaat unterminierten, je nach Geschmack und Szene als postmoderner oder neoliberaler Kapitalismus perhorresziert, wird von Marx als Modifikation des Wertgesetzes auf dem Weltmarkt und Stufenleiter in der Durchschnittsbildung der Arbeitsintensität offengelegt, die vom funktionierenden Kapitalverhältnis immer schon gesetzt sind. Eben darum hat jede Kritik im Sinne des kategorischen Imperativs nach Auschwitz vom Weltmarkt auszugehen: Solange etwa die Rechtspopulisten Europas einer Wirtschaftspolitik nachgehen, die linke Agitation als neoliberalen Teufel an die Wand malt, und ihnen alles andere vom Weltmarkt verbaut wird, ist die Gefahr einer unmittelbaren Wiederkehr jener rechten oder linken Katastrophenpolitik insofern noch gebannt, als man grosso modo dasselbe macht wie die angefeindete EU und wie diese tunlichst mittelbar, dadurch gebremst, auf sie hinarbeitet.
Indiz für solche »Normalität« ist der Rückzug von geopolitischen Wahnvorstellungen, die eben erst zum Zug kommen können, wenn der Weltmarkt zerfällt. Mit den Begriffen des Carl Schmitt-Darstellers Björn Höcke ausgedrückt: das erhoffte »Interventionsverbot raumfremden Kapitals« ist nicht durchsetzbar, so bleibt nur die agitatorische Wirkung eines »Migrationsverbots raumfremder Bevölkerungen«. Durch den Rückzug auf Innenpolitik und Anti-EU-Propaganda wird hier Israel zumindest vorübergehend aus der Schusslinie genommen, ja sogar als Identifikationsobjekt ausersehen. Ganz anders stellt sich die Situation von den erdölexportierenden Ländern aus dar: Deren Sonderstellung in den internationalen Handelsbeziehungen ermöglicht eine Art Surrogat für Autarkiepolitik, und dieses Surrogat zeigt seine verheerende Wirkung in dem direkt oder indirekt unterstützten Djihad im »Haus des Krieges«. Denn das »Haus des Islam« ist der geschlossene Handelsstaat unter den Bedingungen des fortbestehenden Weltmarkts, Islamic Banking die zeitgemäße Form der »Brechung der Zinsknechtschaft« und Antizionismus die Speerspitze des Antisemitismus.
Es spricht Gerhard Scheit (Wien), Mitherausgeber der Zeitschrift sans phrase und Autor zahlreicher bei ça ira erschienenen Bücher.
Um 20 Uhr im Baires, Günterstalstr. 37.