Keine Träne für Dresden
Keine Träne für Dresden – Über die Dresdenmythen
Martin Blumentritt
Vortrag im Jour Fixe der Initiative Sozialistisches Forum am 18. Juni 2002
Die Fakten
In der Nacht vom 13. auf den 14. Februar 1945 griff die Royal Air Force die bis dahin weitgehend verschont gebliebene Stadt Dresden mit großen Bomberverbänden an. Der erste Angriff erfolgte von 22.03 bis 22.28, durch 235 viermotorige Lancasters und 9 zweimotorige Mosquitoes der 5. Group und war erfolgreicher und genauer als erwartet. Von 01.25 bis 01.55 erfolgte der zweite mit 524 Lancasters der 1., 3., 6., und 8. PFF Group. Beide Angriffe erfolgten unter den Schutzschirm von Fernnachtjägern der 100. Group und der 11. Group des Fighter Command. Der erste Angriff hatte einen Feuersturm ausgelöst, der die Innenstadt, ca. 15. Quadratkilometer, niederbrannte. Hierbei kamen 15 bis 30.000 Menschen um, da für Luftschutz nicht hinreichend gesorgt war. Am darauf folgenden Tage ging von 12.17 bis 12.31 ein dritter Angriff auf das Stadtgebiet nieder, diesmal amerikanische Flugzeuge, 311 B-17 »Flying Fortress« der 379., 303., 384. ,305., 92., 306., 401., 457. und 351 Bombardment Group in der 8. US-Air-Force unter dem Schutz von 187 Langstrecken-Jägern, der wegen des Wetters, fliegerischer und technischer Pannen wenig erfolgreich war und das Ziel, den Verschiebebahnhof Friedrichstadt, verfehlte.
Im Rahmen der Bombardierung von Städten, die Ursache dafür waren, daß die Alliierten den Krieg gewannen, war die einzige Besonderheit, daß Dresden vorher kaum Angriffen unterlag und die Bevölkerung keinerlei Erfahrung mit Luftangriffen hatte. Daraus ergaben sich auch nicht immer böswillige Fehlerinnerungen an die Ereignisse, die später instrumentalisiert wurden.
Die Stadt Dresden war ein wichtiges Zentrum der Verwaltung, des Transport- und Kommunikationswesen, neben Berlin und Leipzig die größte deutsche Stadt unmittelbar im Rücken der Ostfront, besaß eigene militärische Anlagen, Kasernen und Truppen. Die Produktionsbetriebe waren vollständig in die Struktur der Rüstungsindustrie integriert.
»Dresden wurde, in Erwartung alliierter Luftangriffe, von verschiedenen Luftabwehrsystemen geschützt: Flugabwehrkanonen und Scheinwerfern. Die Dresdner Luftverteidigung unterstand dem gemeinsamen Luftwaffenbefehlsbereicht für Dresden (Korpsgebiet IV) und Berlin (Korpsgebiet III).« [1]
schildert Joseph W. Angell die Erfahrung aus dem Jahre 1944, aufgrund dessen davon auszugehen war, daß Dresden verteidigt würde und als legitimes Kriegsziel zu gelten hatte. Besonders bedrohlich waren allerdings nur die Flak-Konzentrationen um Ruhland und Brüx, nachdem ein Teil der Flak in den Westen abgezogen worden war. Allerdings hatte die Royal Air Force schon ihre schmerzliche Erfahrung mit der deutschen Flugabwehr gemacht.
Denn für die Royal Air Force war der Bombenkrieg zunächst einmal eine sehr verlustreiche Sache. Waren die Deutschen zuerst bei den ersten Nachtangriffen auf das Ruhrgebiet im Mai 1940 überrascht worden und hatte wenig Vorkehrungen getroffen, so begann alsbald unter der Führung von Luftwaffengeneral Joseph Kammhuber der Aufbau eines Verteidigungssystems, das unter dem Namen »Kammhuber-Linie« bekannt wurde. Eine Staffel schwerer Nachtjäger vom Typ Me 110 ging gegen die von der Flugabwehr mit Scheinwerfern angestrahlten britischen Bomber vor. Da die Luftangriffe in Intervallen erfolgten, hatten die Nachtjäger genug Zeit ein Flugzeug nach den anderen anzugreifen. So wurden 1940 492 und 1941 1034 Bomber abgeschossen, ca. ein Drittel davon von Flakgeschützen. Die Verlustquote war so hoch, daß das Bomber Command Schwierigkeiten hatte, die ausgefallenen Maschinen zu ersetzen. Erst im Frühjahr 1942, nachdem am 23. Februar Luftmarshall Arthur Harris zum Chef des Bomber Commands ernannt wurde, begannen technische und taktische Verbesserungen. Harris war in den 30er Jahren zum Befürworter von Bombardierungen geworden und war davon überzeugt, daß »das Kriegspotential des Feindes zu zerstören« die sicherste Methode sei, einen Krieg zu gewinnen. Nach dem Krieg wurde Harris unberechtigt beschuldigt, für die Flächenbombardierungen persönlich verantwortlich zu sein und dabei um einer strategische Chimäre willen, der Brechung der Kriegsmoral der Bevölkerung, einen Terrorbombenkrieg geführt zu haben. Diese Anschuldigung ist aber keineswegs triftig, die Strategie der Flächenbombardierung hatte sich schon weit früher als notwendige Konsequenz durchgesetzt:
»Die Strategie der Flächenbombardierung hatte sich schon Monate vor Harris´ Übernahme des Bomberkommandos als operative Notwendigkeit durchgesetzt. Die Ungenauigkeit der Angriffe auf einzelne Fabriken oder Eisenbahnknotenpunkte zwang das Bomberkommando dazu, andere Wege zu gehen, um eine allgemeine Unterbrechung der Kriegsanstrengungen und Demoralisierung der Fabrikarbeiter zu erreichen. Im Mai 1941 sandte Lord Trenchard, bis 1930 Chef des Luftstabs, ein Memorandum zur Luftkriegsführung an Churchill, das schon angestaubtes Diktum von der niederschmetternden moralischen Wirkung der Bombardierung wiederholte und mit der These verband, die Deutschen seien besonders anfällig für ,Hysterie und Panik´. Der Bericht wurde von den Oberbefehlshabern der Streitkräfte mit Zustimmung gelesen. (…) Im Februar 1942, eine Woche vor Harris´ Ernennung, wies man das Bomberkommando förmlich an, alle Anstrengungen ,auf die Moral der feindlichen Zivilbevölkerung´ zu konzentrieren. Die Konzeption der Flächenbombardierung war also längst festgelegt, als Harris sein Amt antrat, und ist nicht erst von ihm erfunden worden. Harris hegte nicht den geringsten Zweifel daran, daß ,die Moral´ ein äußerst problematisches Zielobjekt darstellte und einem ,aus der Verzweiflung geborene(m) Rat´ entsprang. Er ging davon aus, daß die Deutschen nicht so schnell zu demoralisieren waren, wie seine Kollegen hofften, und bezweifelte sogar den strategischen Nutzen der Zerstörung der Moral, angesichts einer Alltagswirklichkeit, zu der das ,Konzentrationslager um die Ecke´ gehörte. Harris hielt vielmehr an seiner Überzeugung fest, daß es darauf ankomme, die materielle Kriegsfähigkeit Deutschlands zu zerstören, und dieses Ziel war seiner Ansicht nach nur mit massiver und fortgesetzter Bombardierung zu erreichen. Dazu gehörten für ihn Fabriken, Transportwesen und Dienstleistungsbereiche ebenso wie die Arbeiterviertel selbst. Die Demoralisierung der Bevölkerung konnte für Harris nur ein Nebenprodukt des Abnutzungskrieges gegen die deutsche Wirtschaft sein.
Diese von Harris verfochtene Konzeption nahm zwangsläufig Tote in der Zivilbevölkerung in Kauf, was 1942 eine bedeutend breitere Zustimmung fand, als es das liberale Gewissen heute wahrnehmen möchte. Die Auswahl der Zielobjekte und die 1942 zur Verfügung stehende neuste Technik machten ein hohes Maß an zivilen Opfern – im heutigen Militärjargon Kollateralschäden genannt – unvermeidlich.« [2]
Die Sunday Times vom 15. Februar 1998 berichtet, daß Sebastian Cox, der offizielle Historiker der RAF, neue historische Beweise präsentierte, die zeigen, daß Air Marshall Sir Arthur Harris das Opfer innerer Kämpfe der RAF war und beweisen, daß seine Politik des Flächenbombardements höchst effektiv war, um Deutschland niederzuringen. Cox legte dar, daß Harris den Makel des Befehls Churchills, den Vormarsch der Sowjets zu unterstützen, indem östliche deutsche Städte wie Dresden bombardiert wurden, auf sich nahm. Nach dem Krieg wurde ihm zufolge Harris zum Sündenbock für die massive Zerstörung, die resultierte.
Denn nach dem Krieg leitete ausgerechnet Zuckerman, ein Zoologe, der früher in Konflikt mit Harris in der hitzigen Debatte über die Ziele der Bomber Command geraten war, den offiziellen Untersuchungsausschuß hinsichtlich der Effektivität der Operationen. Damals vertrat er die Auffassung, daß das Bomber Command sich darauf konzentrieren sollte, das deutsche Schienennetz zu bombardieren, während andere argumentierten, daß die Ölversorgung der Nazis das Ziel sein sollten, Forderungen, die sich aus technischen Gründen als illusorisch erwiesen hatten. Das Ressentiment aber blieb und lange blieb der Ruf von Harris geschädigt.
Harris konnte ein weiteren Vorteil nutzen, daß sein Bomber Command nicht länger allein kämpfen mußte, nachdem die USA 1942 begannen ihre Luftwaffe für den Kampf gegen Deutschland zu organisieren. Die 8. US-Luftflotte stellte eine militärische Bereicherung dar, sowohl personell – junge selbstbewußte und unerschrockene Luftwaffensoldaten – als auch technisch. Die schon 1935 entwickelte Boeing B-17 »Fyling Fortress« wurde zum Mittelpunkt der amerikanischen Bombengeschwader, da sie eine große Flughöhe und Reichweite erlaubte, eine starke Panzerung aufwies und eine spezielle Bewaffnung, gegen Angriffe sich zu verteidigen. Dies erlaubte auch Tagesflüge und somit eine bessere Sichtung der Zielobjekte. Das Norden-Bomben-Zielgerät, das der RAF nicht zur Verfügung gestellt wurde, steigerte die Trefferquote beträchtlich. So ergab sich die Arbeitsteilung, daß die RAF Industriegebiete bei Nacht, die 8. US-Luftflotte ausgewählte Fabriken, Bahnhöfe oder Treibstofflager bei Tage angriff.
Die Auseinandersetzungen in der Nachkriegszeit, die suggerierten, daß ein ungleicher, brutaler Kampf zwischen Bombern und Zivilbevölkerung stattgefunden habe, übersahen, daß die Bomber gegen feindliche Verteidigungskräfte, Jagdflugzeuge und Flak-Batterien und nicht gegen die Einwohner antraten. Der Weg zu den Zielobjekten mußte hart erkämpft werden, die Piloten saßen frierend und beengt in unbequemen, lauten, leicht verwundbaren Flugzeugen, die sie durch einen dichten Sperrriegel von über 50.000 über das Land verteilten Flugabwehrgeschützen lenken mußten. Auf den Rückflügen bereiteten Wetterbedingungen, Treibstoffknappheit und Beschädigungen durch Flak-Treffer immense Probleme. Jeder Einsatz war eine militärische Konfrontation, die das Todesrisiko der Besatzungen deutlich erhöhte. Daß die Bomberoffensive dann letztlich doch erfolgreich war, lag auch an den falschen Prioritäten und Rachsucht Hitlers. Statt zusätzliche Flugzeuge für die Bomberabwehr zur Verfügung zu stellen, drängte er Göring, statt dessen zu terroristischen Vergeltungsschlägen:
»aufhören wird der Engländer nur, wenn seine Städte kaputtgehen, durch sonst nichts.« [3]
Eines steht fest, wie Richard Overy betont:
»Die Bomberoffensive war ein entscheidendes Element für den Sieg der Alliierten.« [4]
Befragungen gleich nach dem Krieg bestätigten das, sowohl in Japan wie in Deutschland. Die Wachsende Kriegsmüdigkeit wurde von 36 % der Befragten in Deutschland auf die Bombardierung zurückgeführt und auf die Frage »Was war das Schlimmste für die Zivilbevölkerung während des Krieges?« antworteten 91 %: die Bombardierung. Zwar hatte Harris recht, daß die Bombardierung keine Welle der Panik und Enttäuschung zeitigen würde, die die Kriegsbereitschaft hinwegspülen würde, aber dennoch war sie ein demoralisierendes Kollektiverlebnis. Vice-Marshal Tony Mason wird in dem schon erwähnten Artikel der »Sunday Times« zitiert:
»Erst jetzt sind wir in der Lage, die Wirkung der Flächenbombardierung richtig einzuschätzen. Es ist klar, daß die deutsche Kriegswirtschaft sehr empfindlich getroffen wurde beim Versuch gegen das Bomber Command sich zu verteidigen. Insbesondere die Luftwaffe war unfähig die Ostfront zu verstärken, wegen der Notwendigkeit den Luftraum zu verteidigen. Dies hatte eine sehr schwerwiegende Wirkung auf den ganzen russischen Feldzug.« [5]
Arthur Harris´ Rufschädigung durch Zuckerman, konnte Cox zufolge nicht verhindert werden konnte, weil er einige Jahre vor diesem verstarb, als die Beweise noch nicht auf dem Tisch lagen.
» Erst jetzt sind wir überhaupt in der Lage aufzuzeigen, daß die Bomber Offensive wesentliche effektiver gewesen ist als früher geschildert wurde.« [6]
Sir Arthur Harris hatte folgendermaßen in seinem Memorandum vom 28. Juni 1942 die Aufgaben und Leistungen des Bomber Commands geschildert.
»Es ist unmöglich, in einer Denkschrift auch nur einen Teil der ungeheuren Zerstörungen zu nennen, die wir in Deutschland verursacht haben. Während etwa 7000 Flugstunden benötigt werden, um ein U-Boot auf See zu versenken, konnte mit der gleichen Zahl von Flugstunden ein Drittel der Stadt Köln zerstört werden…
Die rein defensive Verwendung von Luftstreitkräften ist eine erhebliche Verschwendung. Der Einsatz von Flugzeugen im Seekrieg bedeutet ein bloßes Picken am Rande der feindlichen Stärke, ein Warten auf Gelegenheiten, die vielleicht niemals kommen… Dieser Einsatz gleicht dem Suchen einer Stecknadel im Heuhaufen. Man versucht dabei, ein kleines Äderchen nach dem anderen zu durchschneiden, anstatt die Hauptader zu durchtrennen. Das Bomberkommando greift die Basis der gesamten Seemacht an…
Zusammenfassend muß gesagt werden, daß das Bomberkommando die einzigen offensiven Kampfhandlungen durchführt, die gegen Deutschland unternommen werden…. Das Bomberkommando gibt uns die einzige Möglichkeit, Rußland rechtzeitig zu unterstützen. Die einzige Möglichkeit, Deutschland so weit physisch zu schwächen und nervlich zu erschöpfen, daß eine Invasion aussichtsreich erscheinen könnte, liegt daher bei der Art der Gewaltanwendung, die unseren Feind jetzt schädigen und später den Sieg sicherstellen kann. Das ist auch die einzige Gewaltanwendung, die wir direkt gegen Japan ins Feld führen können…« [7]
Dies wird durch die Forschung der letzten Jahre bestätigt. Im Kalten Krieg änderten sich allerdings die Interessen der Sowjets. Die Sowjetpropaganda begann mit der Diffamierung der Kriegsführung ihrer ehemaligen Koalitionäre. Zum 10. Jahrestag im Jahre 1955 erklärte der DDR-Ministerpräsident Otto Grotewohl die Bombardierung Dresdens wie folgt:
»Dieses unsinnige Verbrechen diente ebenso wie die Zerstörung von Brücken, Talsperren und anderen lebenswichtigen Einrichtungen durch die SS dem Zweck, eine Trümmerzone zu schaffen, die den siegreichen Sowjetarmeen das weitere Vordringen unmöglich machen sollte.«
Das verdreht die Tatsachen gänzlich, drangen doch im Gegenteil die Sowjets auf eine Forcierung des Krieges. Am 6. Oktober 1942, als in Stalingrad die Kämpfe einen Höhepunkt hatten, verspottete gar noch die Pravda die Briten mit einer Karikatur, die Briten geißelte, sie würden versäumen, mit einem Angriff auf die rückwärtige Front der Deutschen den verzweifelt kämpfenden Roten Armee zur Hilfe zu kommen. Deutschland hatte 1941 den Krieg gegen die Sowjetunion fast gewonnen und stand 1942 im Begriff, den entscheidenden Sieg zu erringen. Im August hatten Stalin und Churchill sich getroffen. Churchill versuchte zu erklären, weshalb eine militärische Unterstützung noch nicht möglich sei. Stalin sah zwar ein, daß er den Westen nicht gegen seinen Willen zum Kämpfen animieren konnte, reagierte aber mürrisch und gereizt bis Churchill das Angebot der Westmächte auf den Tisch legte, nämlich die Bombardierung Deutschlands und eine anglo-amerikanische Landung in Nordafrika im Spätjahr 1942 (die Operation Torch). Overy schildert die Begeiste rung Stalins:
»Stalin gefiel das Vorhaben einer Landung in Nordafrika, da diese seiner Ansicht nach die Niederlage Rommels besiegeln und den Kriegsaustritt Italiens beschleunigen würde. Noch besser gefiel ihm die Idee der Bombardierung. Hierin ,stimmten die beiden Männer zum ersten Mal überein´, telegrafierte Harriman am nächsten Tag dem amerikanischen Präsidenten. Stalin regte an, neben Fabriken auch Wohnhäuser zu bombardieren, und machte Churchill Vorschläge, welche Städte sich am besten als Ziele eigneten. ,Bald hatten die beiden – jedenfalls auf dem Papier – die bedeutendsten Industriestädte Deutschlands zerstört´, berichtete Harriman nach Washington. Die gespannte Atmosphäre hatte sich gelockert. Stalin akzeptierte, daß die Briten ihren ,Beitrag nur durch die Bombardierung Deutschlands zahlen´ konnten, wie Churchill es formulierte, und der britische Premier versicherte seinem Gastgeber, daß diese Bombardierung ,gnadenlos´ sein werde, um die Moral der deutschen Bevölkerung zu brechen.« [8]
Stalin drängte also den Westen ihre Anstrengung zu forcieren und blieben bis zum Schluß in Kontakt, wie der Briefwechsel zeigt, den Jürgen Elsässer erwähnt:
»Überliefert ist ein reger Briefwechsel zwischen Winston Churchill und Josef Stalin; Churchill erstattete detailliert Bericht über die Erfolge der Städtebombardements, legte oft sogar Luftaufnahmen und Dias bei. So erhielt Stalin am 12. Januar 1944 von Churchill eine Geheimbotschaft mit dem launigen Text: ,Teilen Sie mir bitte rechtzeitig mit, wann wir aufhören sollen, Berlin zu zerstören, damit genügend Unterkünfte für die Sowjetarmee stehen bleiben.´ Stalin antwortete todernst: ,Unsere Armeen haben in der letzten Zeit wirklich Erfolge erzielt, aber bis nach Berlin ist es für uns noch sehr weit… Folglich brauchen Sie die Bombardierung Berlins nicht abzuschwächen, sondern sollten Sie möglichst mit allen Mitteln verstärken.´ Der Angriff auf Dresden wurde den Sowjets durch die US-Militärmission in Moskau vorab mitgeteilt; sie erhoben keine Einwände. Der in Moskau lebende KPD-Führungskader Anton Ackermann äußerte sich im Februar 1945, in Kenntnis der schweren Luftangriffe und eventuell auch in Kenntnis des Angriffes auf Dresden, anerkennend darüber, wie ,die amerikanischen und englischen Luftflotten täglich stärker auf das rückwärtige Gebiet jener deutschen Armeen wirken, die der Roten Armee gegenüberstehen und dieser somit vom Westen her helfen.´« [9]
Schließlich kommen wir auf die Toten und Verletzten. Götz Bergander zitiert die Schlußmeldung über die vier Luftangriffe auf den LS-Ort Dresden am 13., 14. und 15. Februar des Höheren SS- und Polizeiführers Elbe« vom 15. März 1945, in Eilenburg angefertigt, deren entscheidende Sätze lauten:
»Bis 10.3. 1945 früh festgestellt: 18375 Gefallene, 2212 Schwerverwundete, 13718 Leichtverwundete. 350 000 Obdachlose und langfristig umquartierte (…) Die Gesamtzahl der Gefallenen einschließlich Ausländer wird auf Grund der bisherigen Erfahrungen und Feststellungen bei der Bergung nunmehr auf etwa 25000 geschätzt.« [10]
Um 3. April 1945 erschien der Lagebericht Nr. 1414 des Berliner Polizeichefs. Darin hieß es »BdO. Dresden – Nachtrag. 13. /14.2 Dresden. Die Zahl der geborgenen Gefallenen beträgt nach dem Stand von 31.3. 45: 22 096 Personen.« [11]
1993 wurden im Stadtarchiv Dresden bislang nicht beachtete Nachträge des Marstall- und Bestattungsamtens entdeckt. Es stellte sich heraus, daß zwar die oberen Behörden bei Kriegsende ihre Akten vernichtet hatten, aber Unterlagen aus einigen Ämtern wie Baupolizei, Ernährungs-, Fürsorge und Bestattungsamtes davon ausgenommen waren, die Friedrich Reichert zufolge, die Zahlen bestätigen. [12]
Wenn man noch nicht geborgene Tote schätzt, wird man nicht auf mehr als 35000 Luftkriegstote kommen. Einzig Walter Weidauer1965 und Götz Bergander 1977 zogen die Schlußmeldung heran, während andere Autoren nicht belegte Augenzeugenberichte und Vermutungen zur Grundlage nahmen. Weitere Luftangriffe sollten nicht vergessen werden. Es gab bereits am 7. Oktober 1944 und 16. Januar 1945 amerikanische Bombardements und hinterher am 2. März und 17. April. Die Zahl der Opfer ergaben sich auch daraus, daß man Luftschutzmaßnahmen für die Menschen vernachlässigte, während die kriegswichtigen Betriebe, wie das Goehle-Werk und die Firma Ernemann (Zeiß-Ikon-Kameras) äußerlich Bunkern glichen,
»über seinen Fenstern waren schräge Flächen zum Abweisen von Brandbomben vorgezogen. Bei Ernemann war eine Treppenhausschutzanlage gebaut worden, wie u.a. auch bei den Wanderer-Werken in Chemnitz und in Chemnitz-Schönau, das heißt, die Treppenhäuser selbst oder von ihnen abgetrennte Geschoßpodeste wurden stabil genug errichtet, um den Zerknall von 500 kg Bomben auszuhalten.
Wenn in Dresdner Wohnhäuser irgendwo sichere Luftschutzräume eingebaut wurden, entstanden sie allein dank privater Initiative.« [13]
Und Gauleiter Martin Mutschmann baute sich einen privaten Bunker. Bei der Vernehmung durch die Rote Armee bedauerte er die Zerstörung von Kunstschätzen und anderen Dingen der Stadt, auf die Frage, ob er an Menschenopfer nicht denke, sagte er:
»Menschen sind natürlich auch viele umgekommen. Aber ich meine nur, die Kunstschätze kann man nicht mehr ersetzen.« [14]
Und auf den mangelnden Luftschutz angesprochen:
»Nach den Luftangriffen warf man mir vor, ich hätte in Berlin energischer auftreten müssen und einfach bei einer weiteren Verweigerung von Luftschutzbauten die Verantwortung ablehnen sollen. Da hätte ich jedoch dem Führer meinen Posten als Gauleiter zur Verfügung stellen müssen, und das tut man doch wegen so etwas nicht.« [15]
Memoria rerum gestarum
Hätten sich nicht allerlei Mythen und Legenden um die Wirklichkeit des Luftkrieges über Dresden gesponnen, wäre darüber gar nichts mehr zu sagen oder gar zu beklagen. Es war Krieg – genauso schlecht und gut – wie in anderen Städten auch und die Menschenverluste waren solcher »Menschenliebe« wie des eben zitierten Gauleiters zu verdanken, die sich um Sachen und den Endsieg mehr sorgen machen als um Menschen.
Die Mythen betreffen mehrere Gesichtspunkte, einmal die Zahl der Toten, die bis über 300.000 übertrieben wurden. Dann die Kriegswichtigkeit und der Erfolg der Angriffe, der schon gezeigt wurde und dann die Erfindung oder auch nur Einbildung von Tiefflieger-Angriffen. Der Mythos, der Produkt des Kalten Krieges war, die Behauptung der Sowjetkommunisten, die Zerstörung Dresdens sei ein Kalkül der Westalliierten gewesen, den Vormarsch der Roten Armee zu behindern und eine prospektive sowjetische Besatzung zu hintertreiben, ist schon bei der Behandlung der Tatsachen widerlegt worden.
Wenn historische Vorgänge derart verzerrt dargestellt werden, ist es angebracht die Frage nach den konstitutiven Bedingungen des Gegenstandes zu stellen, nach Gedächtnis und Erinnerung, nach der Geschichtskultur,
dem »Inbegriff der Deutungen von Zeit durch historische Erinnerung, die für eine Gesellschaft notwendig ist, um ihre Lebensformen und -vollzüge im aktuellen Prozeß des zeitlichen Wandels sinnhaft zu organisieren« [16].
Der Fortschritt von einem Geschichts – und Zeitbegriff, der von Erinnerung abstrahiert zu einem durch Erinnerung konstituierten Begriff von Geschichte wird in Walter Benjamins Passagenwerk als kopernikanische Wende der geschichtlichen Anschauung aufgefaßt:
»Die kopernikanische Wendung in der geschichtlichen Anschauung ist dies: man hielt für den fixen Punkt das ,Gewesene` und sah die Gegenwart bemüht an dieses Feste die Erkenntnis tastend heranzuführen. Nun soll sich dieses Verhältnis umkehren und das Gewesene seine dialektische Fixierung von der Synthesis erhalten, die das Erwachen mit den gegensätzlichen Traumbildern vollzieht. Politik erhält den Primat über die Geschichte. Und zwar werden die historischen »Fakten« zu einem uns soeben Zugestoßenen: sie festzustellen ist die Sache der Erinnerung. Und Erwachen ist der exemplarische Fall des Erinnerns. Jener Fall, in dem es uns gelingt, des Nächsten, Naheliegendsten (des Ich) uns zu erinnern. Was Proust mit dem experimentierenden Umstellen der Möbel meint, Bloch als das Dunkel des gelebten Augenblicks erkennt, ist nichts anderes als was hier in der Ebene des Geschichtlichen und kollektiv gesichert wird. Es gibt ,noch nicht bewußtes Wissen´ vom Gewesenen, dessen Förderung die Struktur des Erwachens hat.« [17]
In der Erinnerung erkennt sich die Gegenwart nicht nur als durch die Vergangenheit bedingt, sondern die Gegenwart wird in den Mittelpunkt gerückt. Es gibt zwei Varianten [18] dieses Textes, die verschieden nuancieren, in der späteren – hier nicht zitierten – Fassung überwiegt das unwillkürliche Moment in den historischen Fakten, das dem politischen Willen und der Aktion zugrunde liegt, während in der früheren das Moment der Synthesis mehr betont wird, auf das es mir vorrangig ankommt. Das Erwachen aus einem Traum, das den Bildspender abgibt, bedeutet das Wahrnehmen von Geschichte als eigener. Im Traum gibt es keine Erinnerung an das Ich, diese entsteht im Erwachen, in Blochs »Schlafkammer des gelebten Augenblicks«. [19]
Der Dresden-Mythos ist gekennzeichnet durch ein Ausfall von Synthesis-Leistungen, die ähnlich wie der manifeste Trauminhalt der Deutung bedarf: Walter Benjamin analogisiert:
»Die Verwertung der Trauminhalte beim Aufwachen ist der Kanon der Dialektik. Sie ist vorbildlich für den Denker und verbindlich für den Historiker.« [20]
Freuds Traumdeutung analysiert die psychischen Mechanismen, die den manifesten Trauminhalt selegieren, die Mechanismen, die eine Zensur bewirken.
In analoger Weise ist auch die Erinnerung an Dresden zensiert, was Schuldgefühle weckt wird ausgeblendet. Die unmittelbaren – wie auch immer traumatisch verzerrt – erlebten Ereignisse in der Nacht vom 13. zum 14. Februar werden immer wieder herbeizitiert, aber nicht auf ihren historischen Kontext bezogen. Der Konkretismus dabei könnte mit Adorno Konkretinismus genannt werden. Es ist so wie mit dem armen, verlassenen Waisen, der seine Eltern ermordet hat und das ausblendend um Mitleid fleht, er sei doch ein armer Waiser und man möge ihn nicht auch noch mit Schuldvorwürfen quälen. Ist sein elendes Dasein als Waise nicht Strafe genug? Die traumatisierenden Ereignisse werden aus ihrem historischen Kontext gerissen, sie verlieren ihre historische Sinnhaftigkeit und die Bombenangriffe werden nur noch als sinnloser Terror gewertet, das Bewußtsein verharrt in einer mythischen Bewußtseinslage, die nur durch historische Erfahrung zu sprengen wäre, an der gar kein Interesse besteht, außer dasjenige, nichts an sich heranzulassen, das Schuldgefühle wecken könnte. Die reale Möglichkeit des Erinnerungsverlust ergibt sich aus der spezifischen Konstitution kapitalistischer Produktionsweise, als einer, in der die Tradition in den Mitteln stattfinde, während die Geschichtserinnerung polemisch mit der bürgerlichen Überwindung traditionaler Herrschaft ausgelöscht wurde.
Benjamin verwendet ein Bild aus dem trojanischen Krieg:
»Das kommende Erwachen steht wie das Holzpferd der Griechen im Troja des Traums.« [21]
Mit dem Kapitalismus – so Benjamin – sei ein »neuer Traumschlaf über Europa« gekommen und damit »eine Reaktivierung der mythischen Kräfte« [22]. Mit der Konstitution bürgerlichen Gesellschaft etablierte sich also eine prinzipielle Verdrängung von Geschichte, wie sie bereits von dem französischen Revolutionär Sieyes ganz bewußt propagiert wurde:
»Dürfte man die Dinge beim Namen nennen, könnte man fragen, was der Unterschied zwischen einem Bürger (Bourgeois) und einem richtigen Privilegierten ist. Nun, dieser blickt unablässig zurück in die edle Vergangenheit; dort sieht er seine Stärke, er lebt seinen Vorfahren. Der Bürger dagegen blickt unverwandt auf die allgemeine Gegenwart und die gleichgültige Zukunft, mit seinem Fleiß ernährt er jene und bereitet die andre vor. Er ist, statt gewesen zu sein; ihn trifft die Strafe … und die Schande, all seinen Verstand, all seine Kraft für unseren jetzigen Dienst einzusetzen und von seiner Arbeit zu leben, auf die alle angewiesen sind. Ach, warum geht der Privilegierte nicht in die Vergangenheit, genießt das seine Titel und Würden und überläßt der dummen Nation die Gegenwart und die Unfeinheit!« [23]
Tradition wird in der Gesellschaft negiert, wo sie irreflexiv in den Produktivkräften bzw. Produktionsmitteln bewahrt wird. Kontinuität ist somit nicht gegeben, sondern kann nur konstruiert werden. Erinnerung ist anders als in traditionaler Vergesellschaftung nicht konstitutiv für die Aufrechterhaltung der Herrschaft und wird somit fungibel und somit zum Objekt von Geschichtspolitik. Sie kann durch nationalistische Indoktrination, die in Deutschland stets den Juden als Antagonisten hatte, ersetzt werden. Und dabei stört Erinnerung nur, insbesondere, sofern sie Schuldgefühle weckt.
Diesen Sachverhalt berührt Walter Benjamin:
»Das träumende Kollektiv kennt keine Geschichte. Ihm fließt der Verlauf des Geschehens als immer nämlicher und immer neuester dahin. Die Sensation des Neusten, Modernsten ist nämlich ebenso Traumform des Geschehens wie die ewige Wiederkehr alles gleichen. Die Raumwahrnehmung, die dieser Zeitwahrnehmung entspricht, ist die Superposition. Wie sich nun diese Formen auflösen im erhellten Bewußtsein, treten an ihrer statt politisch-theologische Kategorien zu tage. Und erst unter diesen Kategorien, die den Fluß des Geschehens erstarren lassen, bildet sich in dessen Innern als kristallinische Konstellation Geschichte. – Die ökonomischen Bedingungen, unter denen eine Gesellschaft existiert, bestimmen sei nicht nur im materiellen Dasein und im ideologischen Überbau: sie kommen auch zum Ausdruck. Genauso wie ein Schläfer ein übervoller Magen im Trauminhalt nicht seinen ideologischen Überbau findet, genau so mit den ökonomischen Lebensbedingungen das Kollektiv. Es deutet sie, es legt sie aus, sie finden im Traum ihren Ausdruck und im Erwachen ihre Deutung.« [24]
Welcher latente Inhalt sich im manifesten ausdrückt, gilt es zu fragen. Was ist bei der Konstitution des Dresden-Mythos der latente Inhalt, der die Verzerrung von Geschichte bewirkt? Es ist dasselbe Motiv, das heute auch bei der Beurteilung der Politik Israels eine Rolle spielt und dasselbe, das auch in Japan dazu führte, daß die Täter nicht zu mehr in der Lage waren als zu einer erzwungenen Reue, erzwungen durch die internationale Öffentlichkeit. Die Verdrängung der Kriegsschuld erfolgt in Japan ähnlich wie im Falle Dresden mit Hiroshima und Nagasaki.
Die heimliche Logik, die sich in den Mythen verbirgt, ist simpel. Es denkt in den Deutschen: Wenn ich schon die Schuld des deutschen Kollektivs, mit dem ich identifiziert sein und bleiben will, nicht leugnen kann, dann sollen doch wenigstens die anderen auch nicht besser sein. Und so tendieren Darstellungen des Bombenkriegs nicht zufällig dahin, in Formulierung und Gestus gängiger Darstellungen der Taten der Deutschen sich anzuähneln. Projektion als »typisch bürgerliche Pathologie«(H.J. Krahl) ersetzt die historisch-kritische Konstitution, die synthetischen Leistungen des Verstandes und die Rekognition im Begriffe werden – sei´s pathologisch affiziert, sei´s propagandamäßig genudelt – korrumpiert. Die Medien dominieren der Einsicht Günther Anders zufolge die Wirklichkeit.
»Wenn das Phantom wirklich wird, wird das Wirkliche phantomhaft.« [25]
Ich zitiere aus einer Webseite, die Dresden gedenkt, die offenkundig das ausspricht, worum es geht, nämlich, die Bombardierung Dresdens so herzurichten, daß sie zur Entlastung des Gewissens hinsichtlich der Verbrechen der Deutschen in der NS-Zeit instrumentalisierbar wird. Dieser Bezug ist nicht von außen an die Sache geführt, sondern wird von den Legendenbildnern selber hergestellt, was ich daher an einem Beispiel ausführlich dokumentiere,das aus dem letzten Jahr stammt:
»Dürfen wir um Dresden trauern?
Trauer und Gedenken stehen in Deutschland 56 Jahre nach dem Ende des Krieges hoch im Kurs. Religiöse und ethnische Minderheiten haben schreckliche Verfolgungen erlitten, dies ist gewiß ein Grund zum Gedenken. Gewiß. Aber es wurden auch Millionen von deutschen Menschen getötet, Menschen, die genauso unschuldig waren wie die heute herausgehobenen Opfer. Auch sie hatten nichts anderes getan, als zu einem unterlegenen Volk zu gehören.
Genauso unschuldig…
Das deutsche Volk war ahnungslos. Es war durch die Massenmedien der Zeit im Sinne des Zeitgeistes indoktriniert, im Unwissen gehalten, betrogen und getäuscht über das, was im Hintergrund ablief. Daß sich so viele Menschen täuschen lassen konnten, ist den Nachgeborenen heute kaum noch vorstellbar. Es sollte uns gerade heute eine Warnung sein. Auch heute ist das Wissen durch ein System von Schlagworten ersetzt, die die allgemeine Ahnungslosigkeit mit Phrasen verhüllt. Besonders gering ist das Wissen um die historische Situation und die vielen Gründe, die in einen Krieg führten, in dem Millionen von Deutschen bis zum äußersten gekämpft haben.
…für Deutschland gekämpft
Sie haben für Deutschland gekämpft, nicht weil sie für Hitler waren, sondern weil sie ihr Vaterland retten wollten, das in eine schier ausweglose Situation geraten war. Unsere Großväter und Väter waren keine Verbrecher – bis auf wenige Ausnahmen wie in anderen Völkern auch -, sondern sie haben gekämpft, ,weil sie ihr Land liebten´, – so hat es Francois Mitterand noch am 8. Mai 1995 unseren Politikern ins Stammbuch geschrieben.
Und jeder, der von Verbrechen redet, möge zuerst in seiner eigenen Familie nach Tätern und Opfern suchen, bevor er sich mit Pauschalurteilen gegen die Generation seiner Väter stellt.
Eine kollektive Schuld der Deutschen hat es nie gegeben, alle Kinder und Greise, alle Frauen und Mädchen, die Opfer des Bombenterrors, der Vertreibung und der Hungerjahre wurden, hatten keine Schuld. Sie waren Opfer, auch Opfer einer kollektiven Verleumdung.
In der Sowjetzone wurde diese Schuld-Propaganda besonders gerne von jenen aufgenommen, die unter dem Mantel der Freundschaft mit einer fremden Macht den Kampf gegen Deutschland von innen weiterführten.
Wer das eigene Volk beschuldigte, der war sich der Gunst der Siegermächte sicher, und so ist es nicht erstaunlich, wie groß mit den Jahren das Heer derjenigen wurde, die sich vor Selbstbezichtigung geradezu überschlugen.
Die von der östlichen Siegermacht installierten Zeitungen und Rundfunkanstalten machten sich an die Bearbeitung der Volksseele; anstelle der natürlichen Zuneigung zum eigenen Land konnte sich ein nationaler Selbsthaß zum Mittelpunkt eines neuen Nationalbewußtseins entwickeln, der bis heute seine Blüten treibt.
Den Massenmedien mit ihren feinen Methoden des selektiven Erinnerns und des selektiven Vergessens ist eine Bearbeitung des Bewußtseins der Nation gelungen, die heute ein Gedenken daran, daß auch Millionen Deutsche Opfer waren, zu einem öffentlichen ungeliebten Unterfangen machen.
Dies ist ein unnatürlicher Zustand, der in kaum einem anderen Lande möglich wäre. Welche deutsche Familie hat keine Toten in diesem Krieg zu beklagen?
Es ist unnatürlich, wenn die Menschen nicht um ihre nächsten Angehörigen trauern, nicht derer gedenken, mit denen sie durch die Gemeinschaft der Liebe und des Schicksals unzertrennbar verbunden sind.
Es ist menschenverachtend, würdelos, ja niederträchtig, wenn ein Volk nicht seiner eigenen Toten gedenkt. So wie die Toten verschwiegen, geleugnet, als ,selber schuld gewesen´ verhöhnt werden, so werden auch die Zahlen heruntergerechnet. Meist sind offizielle Zahlen unter Verschluß.
Dies gilt für Dresden, wo ARD und ZDF sich auf ,über 15.000´ geeinigt haben, genauso wie für die Gesamtzahl der getöteten Deutschen, die bei mindestens 9 Millionen – nach anderen Untersuchungen sogar bei über 13 Millionen Toten – liegt.
Nur weil sie Deutsche waren
Für diese Toten, die auch Opfer eines kollektiven Schicksals wurden, die allein deshalb starben, weil sie Deutsche waren, gibt es in diesem Land keine angemessene Ehrung.
Für diese nationale Katastrophe gibt es kein zentrales Museum, keine Gedenkstätte, keinen Gedenktag, kaum feierliche Reden der ,Großen dieses Staates´. Wo sollte man ihrer gedenken?
Sie liegen verstreut in den zerbombten Städten zwischen Köln und Königsberg, sie liegen verscharrt an den Wegrändern in Ostpreußen und Schlesien, in den Rheinwiesen und in Sibirien, und sie liegen auf allen Friedhöfen der Hungerjahre, an die sich heute keiner mehr erinnern will.
Nur an einem Ort ist der massenhafte Tod unschuldiger deutscher Menschen und die Zerstörung deutscher Kultur wie keinem an anderen versammelt:
In Dresden
Hier sollten wir des Schicksals jener Millionen von Deutschen gedenken, für die das Kriegsende keine Befreiung war.« [26]
Die Deutschen waren demgemäß so unschuldig wie ihre Opfer, vor allem Juden, gehörten ebenso einem unterlegenen Volk an, ahnungslos und indoktriniert hätten sie gekämpft für das Vaterland, Pauschalurteile – wer wollte dem schon widersprechen – seien nicht angebracht und dann läuft es darauf hinaus, eine Kollektivschuld-Vorwürfe abzuwehren, die niemand erhebt, ein famoses Verfahren, das Günther Anders schon als eines erkannt hatte, das darauf abzielt die Kollektivunschuld unter dem Strich herauskommen zu lassen. Behauptungen wie die, die offiziellen Zahlen – ich hatte einige davon zitiert – seien unter Verschluß, sind leicht zu widerlegen, indem man sie zitiert. Daß die ach so unschuldigen Deutschen gestorben sind, weil sie Deutsche sind, so wie die Juden, weil sie Juden sind, ist dann wohl die dreisteste der Projektionen. Ähnlich wie Täter und Opfer in Bitburg geehrt werden sollten, so werden die Opfer der Deutschen mit den Toten der Luftangriffe gleichgesetzt. Da das nicht so ohne Weiteres geht, wenn man sich an die Wirklichkeit hält, müssen an der Realität einige quantitative und qualitative Veränderungen vollzogen werden. Wirklichkeit und Bild sind im Folgenden an zwei Punkten zu konfrontieren.
Überhöhte Zahlen
Von den zahlreichen Autoren, die über die Zerstörung Dresdens schrieben, war es ausgerechnet Geschichtsfälscher David Irving, der in einem Prozeß unterlag, den er gegen Deborah Lipstadt anstrengte, derjenige, der die meiste Aufmerksamkeit auf sich zog. Genauer als in diesem Fall ist wohl noch nie jemand das Geschichtsfälschen nachgewiesen worden. Das Problem ist, daß das Buch schon längst seine Wirkung gehabt und dessen Inhalt wie ein Gerücht sich fortpflanzt und in den Köpfen festgesetzt hat. Hier finden wir alle Legenden bereits vorgearbeitet, so daß darauf genauer einzugehen lohnt. Mittlerweile hat sich Irving als Anhänger Hitlers demaskiert, der ein Interesse hat die Taten klein zu reden, wie die Maßnahmen der Alliierten zu übertreiben. Und so kommt er dem, was in den Deutschen denkt, entgegen und wurde so durch seine Arbeiten äußerst wirksam. Daß er Engländer ist, wäre ja nur durch einen Juden zu toppen.
Die der Wirklichkeit am nächsten kommende Opferzahl von höchsten 35.000 hat Irving eine eins vorgesetzt und log dreist:
»Die Deutschen haben einfach die erste Ziffer weggelassen, um die Zahl für die Russen annehmbarer zu machen, die behauptet hatten, das Bomberkommando sei keine besonders wirksame Waffe.« [27]
Richard J. Evans erwiderte richtig, daß im Gegenteil die Russen eher ein Grund gehabt hätten, die Zahl im kalten Krieg aufzubauschen und daß es keine Beweise gäbe, daß die erste Stelle weggestrichen wurde. Aber das reichte ja Irving noch nicht. Gegenüber dem »Stern« äußerte er, es sei
»interessant zu sehen, wie die Zahl der Luftkriegstoten stetig wuchs, wie man es erwarten konnte.« »Ist das nicht imponierend?« [28]
Da waren bei ihm nun die Zahlen schon auf 200.000 angewachsen. Besondere Bedeutung hatte ein Dokument, von dem Irving eine Kopie besaß mit dem Titel »Der höhere SS und Polizeiführer Dresden: Tagesbefehl Nr. 47«, das einem Oberst Grosse zugeschrieben wurde, das sich als Auszug aus der Schlußmeldung des Dresdener Polizeipräsidenten ausgab. Allerdings hatte schon 1955 Max Seydewitz, früherer Bürgermeister von Dresden das Dokument als Fälschung abqualifiziert und Irving hatte selber die Einschätzung 1963 akzeptiert und als raffinierte Propaganda bezeichnet.
Da Irving wegen des Prozesses gezwungen war, den Anwälten des Prozeßgegners die Privatkorrespondenz und die Notizen für seine Forschung zugänglich zu machen, hatte der Gutachter Evans einen guten Einblick in dessen Arbeitsweise. Seine indirekte Quelle war ein Dr. Max Funfack, der Irving allerdings einen entrüsteten Brief schrieb, in dem er betonte, er hätte Zahlen nur von dritter Hand erfahren und diese differierten erheblich, er sei auch gar keine Standortsarzt gewesen, sondern nur Urologe im Lazarett und er betont:
»Ich kann also keinerlei verbindliche Aussagen über die Zahl der Toten machen, sondern nur das wiedergeben, was mir berichtet wurde.« [29]
Irving hatte das Dokument von Walter Hahn bekommen, der mit Funfack befreundet war und ohne dessen Wissen eine Abschrift angefertigte hatte. Irving log gegenüber dem RAF-Historiker Noble Frankland, er habe das Dokument von Funfack erhalten, der während des Krieges Standortarzt gewesen sei. Das wirkliche »Original« war selber eine Fälschung und enthielt ganz einfach Zahlen, mit den Goebbels die Korrespondenten der Auslandspresse in Berlin fütterte und die in Auslandssendungen der Nazis auftauchten. Irving war also einer Abschrift eines Dokuments aufgesessen, das Aktivitäten des Goebbelschen Propagandaministerium entsprang. Die Zahlen sind absurd. Die Bergung von 200.000 bis 250.000 Leichen in einem Monat hätte mehr Personal und Transporter gekostet als vorhanden waren. Und Irving wurde von Theo Miller, der dem Räumungsstab angehörte, mitgeteilt, daß
»alle aufgefundenen Leichen entweder bestattet oder auf dem Altmark verbrannt wurden« [30]
Und er zeigte auf, daß so große Mengen in der Zeit zu bergen, wie Irving behauptete, technisch nicht möglich wäre.
Irving mußte, nachdem der – von mir schon zitierte – Schlußbericht auftauchte einen demütigenden Rückzieher machen, der entsprechende Leserbrief erschien in der »Times«. Aber der Mythos hatte sich schon genügend verbreitet. Evans zitiert L.A. Jackson, Chefhistoriker des britischen Luftministeriums nach dem Erscheinen des Leserbriefes von Irving:
»Es ist praktisch unmöglich, einen Mythos dieser Art zu zerstören, wenn er sich erst einmal ausgebreitet hat und vielleicht in anderen Büchern auf der ganzen Welt gedruckt worden ist.« [31]
Aber Irvings Widerrufung war so vorbehaltlos nicht. Er bestritt weiterhin, daß die Polizei eine so große Anzahl wie 18 375 Leichen gezählt haben könne, allerdings daß sie 202 040 Tote zählen könne, daran hatte er seltsamerweise keinen Zweifel gehabt. In der deutschen Neuauflage 1967 spielte der »Tagesbefehl 47« immer noch eine herausragende Rolle wie in der englischen Ausgabe 1966 und die überhöhte Zahl von 135.000 war auch nicht revidiert. In der englischen Ausgabe von 1971 wurden die erbetenen Änderungen nicht gemacht, die Zahl wurde lediglich auf 100.000 reduziert und der gefälschte »Tagesbefehl 47« war immer noch im Anhang enthalten. Nun fiel Götz Bergander eine Abschrift des wirklichen Dokuments in die Hände, die Werner Ehlich hatte. Dort betrug die Zahl der Todesopfer 20204, die Zahl der erwarteten Opfer 25000 und die der kremierten Leichen 6865. Offenbar hatte jemand, vermutlich aus Goebbels Propagandaministerium hinter jede der Zahlen eine Null angehängt. Erst 1977 rang sich Irving durch, die Fälschung als Fälschung zuzugestehen. Nur hielt er weiterhin an höheren Zahlen fest. Er vergrößerte sogar die eigenen Zahlen. Aus einer ständigen Bevölkerung Dresdens von 650.000 Einwohnern und hundertausenden von Flüchtlingen wurden dann eine bis zwei Millionen Flüchtlinge. Den Zuwachs bezeichnet Evans zurecht als Produkt der Phantasie. Bergander ermittelte eine Zahl von rund 200.000 Flüchtlingen. Friedrich Reichert, ein Dresdner Historiker, wies nach, daß die Einwohnerzahl wegen der abwesenden Frontsoldaten nicht 650.000, sondern 567.000 betragen hatte und addierte 100.000 Flüchtlinge dazu, was ja schon eine beträchtliche Zahl ist, aber weit von 2 Millionen entfernt.
So viel zu den Totenzahlen. Überhöhte Zahlen kursieren eh und je, teilweise finden sich in ein und derselben Tageszeitung gleich drei abweichende Zahlen.
Die Legende von den Tieffliegern
Waren die Zahlen, mit der man hantierte, übertrieben, so kommen wir jetzt zu den reinen Phantasieprodukten, die Erzählungen und Augenzeugenberichte von Tieffliegerangriffen auf Dresden und Umgebung.
Einen ersten schriftlichen Beleg solcher Legenden zitiert Helmut Schnatz, dessen gründliche Arbeit ich zur Grundlage meiner Argumentation genommen habe. Es handelt sich um einen Brief, den der Leiter der Quäker-Hilfe Carl J. Welty in Koblenz am 10. 2. 1947 an seine Frau schrieb.
«Es gab drei schwere Luftangriffe in einer Nacht (sic)… Diejenigen, die in die wenigen Parks flohen, um den Flammen zu entkommen, wurden von Tieffliegern mit Maschinengewehren beschossen (machineguned by low-flying airplanes). Harry sagt, er wolle versuchen, zutreffende Zahlen und Fakten über Dresde n zu erhalten, weil dies das schrecklichste Beispiel eines Massenmords aus der Luft ist neben Hiroshima und dieser anderen japanischen Stadt, was im Krieg vorkam.« [32]
Dies bezeugt, daß Gerüchte über ungewöhnliche Umstände bei den Angriffen schon kurz danach kursierten.
Im Merian-Heft Dresden vom Juni 1949 findet sich schon gedruckt gelogen eine frühe Erzählung.
»… Auf den Strom der Flüchtlinge, der sich in den Großen Garten ergoß, wohin sich auch die Tiere aus dem benachbarten Zoologischen Garten flüchteten, machten englische und amerikanische Flieger ebenso wie auf den Elbwiesen in Tiefangriffen mit Maschinengewehren Jagd.« [33]
Hier sind schon die Elemente der Legende versammelt, die alsbald immer wieder auftauchen, die Lokalisierung, die Vorstellung von Menschenjagden mit Flugzeugen und Bordwaffen und die Verwerflichkeit solcher Kriegshandlungen wird schon angedeutet. Übertroffen wird diese Darstellung in dem zuerst im »Grünen Blatt« erschienen vermeintlichen Tatsachenbericht »Der Tod von Dresden« von Axel Rodenberger, der dann als Buch herauskam. Der Ullsteinverlag war sich nicht zu blöd, das von massenhaften sachlichen Unrichtigkeiten nur so strotzende Buch doch tatsächlich 1995 wieder aufzulegen, immerhin aber mit einer distanzierenden Bemerkung im Nachwort, was die historische Richtigkeit der Tieffliegerangriffe angeht. Die Anschaulichkeit der Darstellung steigert sich in der Legendenbildung immer mehr, die Fülle von Details suggerieren Authentizität:
»Eine Steigerung des Entsetzlichen war kaum noch denkbar. Und doch stieg noch das Grauen. Im Tiefflug brausten Jagdbomber das Elbtal entlang, über die Elbwiesen hinweg. Ihre Bordkanonen und Maschinengewehre sprühten feurige Garben in diese dunklen Flächen hinein. Wie Perlenschnüre glitzerten die langen Reihen der Leuchtspurmunition, bis sie im Dunkel verschwanden… Die noch Lebenden bewegten sich nicht … Und die Bordkanonen bellten. Die Maschinengewehre ratterten. Wieder – wieder – wieder! In steiler Kurve wendeten die huschenden Schatten. Erneut sprühte das Feuerwerk der Vernichtung. Durch die feuerspeienden Schatten fielen die Bomben neuer Verbände. Kein Zufallstreffer wischte einen der huschenden Schatten hinweg. Sie flogen unbeirrt und kehrten zurück. Wieder – wieder – wieder!« [34]
Noch dreister ist die Darstellung von Karl Bartz:
»Drei Stunden später (nach dem ersten Nachtangriff, d. Vf.) schlug das Verhängnis wieder zu. Wieder erschienen 1000 Bomber, diesmal im Tiefflug (Hervorhebung des Verfassers) und warfen in die Menschenmenge Spreng- und Splitterbomben, und dann schlossen sie mit Bordwaffen in die sich windende Menschheit!« [35]
Die Bomber flogen nämlich in Höhen zwischen 6930 und 2310 Metern. Und wären sie tiefer geflogen, dann hätten die Bombenschützen nicht gleichzeitig in den MG-Türmen sich befunden haben können, um schnell mal ein paar Leute abzuknallen.
In der DDR war die Literatur auch nicht besser, Max Seydewitz umfangreiches Werk kommentierte den zweiten Angriff:
»Dieselben Herren, die dem Rundfunksprecher in London den Auftrag gegeben hatten, den Menschen in dem brennenden Dresden zu empfehlen in den Großen Garten zu gehen, dieselben Menschen beauftragten ihre Bombengeschwader, über den Großen Garten zu fliegen und dort auf die hilf- und schutzlosen Männer und Frauen, Kinder und Greise ihre Bomben abzuwerfen, über sie glühenden Phosphor auszugießen und schließlich die trotz Bomben und Phosphorbränden noch nicht Umgekommenen mit Bordwaffen abzuschießen.«
Und in Bezug auf den dritten Angriff:
»Und wieder gab es Tote und Verwundete, brennende und zusammenstürzende Häuser, Entsetzen und Verzweiflung. Dann folgen die Flieger über die Elbwiesen, die schwarz von Menschen waren, die sich aus der brennenden Stadt gerettet hatten, und schossen dort im Tiefflug am hellichten Tag in die Menschen hinein« [36]
So aufbereitet drang die Legende 1959 auch in die wissenschaftliche Literatur ein, in Maximilian Czsesanys Dissertation »Der Luftkrieg 1939-1945«. Die Formulierungen deckten sich im Wortlaut und Darstellung mit den schon zitierten. Und Anfang der 60er Jahre übernahm David Irving, den wir schon als Geschichtsfälscher kennengelernt haben, die Sache publizistisch. In der »Neuen Illustrierten« erschien ein Bericht von 35 Folgen, der so erfolgreich war, daß er 1964 als Buch herauskam. So war die Tieffliegerlegende so sehr in den Köpfen, daß man mit Tatsachen und Beweisen sie nur noch schwer erreicht. Irving wiederholte allerdings nicht die Legenden über nächtliche Tieffliegerangriffe, wohl weil er gewissen Kenntnisse in die technischen Möglichkeiten der geflogenen Flugzeuge hatte, sondern bezog sich auf die angeblichen amerikanischen Tiefangriffe:
»Aber es sind nicht die Bomber, die diesen Angriff so schrecklich machten, … Es sind die Begleitjäger vom Typ Mustang. Sie haben den Befehl (Hervorhebung des Verfassers), die Verwirrung auf den Ausfallsstraßen bis zur Panik zu steigern. …«
»In den Krankenwagen, die mit großen, weithin sichtbaren roten Kreuzen versehen sind, liegen zahlreiche Schwerverwundete. Als die Tiefflieger angreifen, halten sie es in dem Wagen nicht mehr aus …. Vor uns steht ein offener Lastwagen. Auf seine Ladefläche liegen schwerverwundete Soldaten. Die Fliegen schießen aus allen Rohren mit Bordwaffen. …. Und immer wieder kehren die Maschinen zurück, nehmen alle Wagen auf den Elbwiesen unter Feuer … Wie auf den Elbwiesen, so ist es auch im Großen Garten, so ist es vor allem auch in den Außenbezirken der brennenden Stadt an der Elbe, wo sich die endlosen Kolonnen der Treckfahrzeuge vorwärtschieben. Das sind die , Truppenverbände´ und , Marschkolonnen´, die nach den Berichten der Piloten angegriffen werden sollen.« [37]
Irvings Darstellung suggerierte Wissenschaftlichkeit, indem er auf angebliche Befehle, beteiligte Einheiten, genaue Uhrzeiten, technische, fliegerische und organisatorische Details abhob. Und selbst nachdem bereits 1977 Götz Berganders seriöse Arbeit über den Luftkrieg über Dresden Zweifel an der Existenz von Tiefangriffen erhoben hatte, wurde die Erstauflage 1990 und 1995 unverändert nachgedruckt. Die Legenden wurden immer wieder zitiert, gingen in Nachschlagewerke ein, wurden zu den Jahrestagen in den Tageszeitungen und in Fernsehserien wiederholt. Es könnten unzählige Belege gebracht werden, ich verweise auf die detaillierte Darstellung von Helmut Schnatz.
Eines haben dies Darstellungen gemeinsam, sie zeigen, daß die »Zeugen« gar keine klaren Vorstellungen hatten, was Tiefflieger und Tiefangriffe sind. Die Bilder, die über die Wirklichkeit dominieren, stammen aus Propagadafilmen wie »Kampfgeschwader Ätzow«. Dort werden die deutschen Bordschützen glorifiziert, sie würden Polen mit Bordwaffenbeschuß verjagen und so genau treffen, daß keine Volksdeutschen in Gefahr geraten. Das ist allerdings schier unmöglich, wie soll man mit einem mit 200-300 km/h fliegenden Flugzeug einzelne Personen ausmachen. Die deutschen Wochenschauen zeigen Bilder, wie aus Bugkanzeln von Bombern (He 111 oder Ju 88) aus niedriger Höhe auf gegnerische Fahrzeugkolonnen mit Maschinengewehren gefeuert wurde Solche Tiefangriffe waren selten, zumal die niedrig fliegenden Flugzeuge ein schönes Ziel für die Flak-Verteidigung boten. Schnatz beschreibt die am häufigsten und erfolgreichsten Tiefangriffe folgendermaßen, es greif en
»ein- oder zweimotorige Jäger oder Jagdbomber, also kleine, sehr schnelle und wendige Flugzeuge« mit »Bordwaffen, also schweren Maschinengewehren oder Maschinenkanonen« an. Unter Jagdbomber sind zu verstehen: »Jagdflugzeuge, die speziell dafür ausgerüstet sind, auch Raketen oder ein oder zwei Bomben kleinen Kalibers (insgesamt 100 lb. = 453 Kg) mitführen zu können und die in Frontnähe gegen Ziele am Boden eingesetzt werden. Haben sie Bomben abgeworfen, können sie mit Flugeigenschaften wie Jagdflugzeuge gegnerische Flugzeuge angreifen oder sich gegen sie verteidigen. Solche Flugzeuge waren nicht an den Luftangriffen auf Dresden am 13. und 14. Februar beteiligt, obwohl das in den zahlreichen Aussagen immer wieder gesagt wird.« [38]
Die Maschinengewehre oder leichten Kanonen von Jägern und Jagdbombern waren starr im Rumpf oder den Tragflächen eingebaut, so daß das Ziel mit dem gesamten Flugzeug anvisiert werden mußte, so daß sie in gerader Linie genau auf das Ziel zuflogen und das hatte in einer Mindesthöhe von 200 bis 300 Metern zu erfolgen, wenn man sich nicht in einen Kamikazeflieger verwandeln wollte. Und aus so einer Höhe muß ein Ziel überhaupt erst einmal erkannt werden. Tiefangriffe, die dicht über den Dächern oder in Häuserhöhe erfolgen, sind technisch mit Bordwaffen gar nicht möglich. Ein Ziel von 2×2 m wirkt im Visierkreis des Zielgeräts wie eine Briefmarke. Überhaupt etwas zu treffen ist selbst für geübte Piloten schwer. Man hat etwa 1,5 Sekunden Zeit zum Zielen und treffen, so daß allerhöchstens ein Ziel getroffen werden kann. Die Schilderungen von rauschhaften, frischfröhlichen, übermutigen, waghalsigen Aktionen, »Germans in Rudeln zu jagen« sind nicht einmal denkbar, da es sich um gefährliche Flugmanöver handelt, die Beherrschung des Flugzeugs, Selbstkontrolle, höchste Konzentration erfordern. Das Stereotyp: »Sie schossen auf alles was sich bewegte« entsprach überhaupt nicht der Wirklichkeit von Tiefangriffen. Wenn Tiefflieger auftauchten, erstarrte alles oder man, sah zu Züge oder Fahrzeuge zu verlassen. Geschossen wurde höchstens auf alles, was man überraschen konnte. Aber nun mal nicht in Dresden.
Helmut Schnatz weist detailliert nach, welche Rahmenbedingungen notwendig gewesen wären, damit Tiefangriffe hätten möglich gewesen sein können. Jede einzelne fehlende Bedingung macht für sich genommen solche Angriffe technisch unmöglich. Zu den angebliche Tiefangriffen bei Nacht ist zu sagen: Die Lancaster Bomber scheiden für die Annahme von Tiefangriffen von vornherein aus. Der Mosquito dagegen war ein kleines und wendiges Flugzeug, käme also grundsätzlich in Betracht. Der Typus, der als Markierungsflugzeug eingesetzt wurde besaß keine Bordwaffen und kam dafür insofern nicht in Frage. Andere Typen wären für die Fernnachtjagd im Prinzip möglich. Diese erschienen ab Winter 1943/44, um die Einflüge der Bomber abzuschirmen. Man wußte, daß durch die Benzinknappheit, Treibstoff bei den Deutschen sparsam eingesetzt werden mußte, so daß es keine zwei größere Nachtjagdeinsätze der Deutschen hätte geben können. Der Schwerpunkt des Einsatzes lag also in der ersten Operation. Allerdings waren die meisten Einsätze dieser Flugzeuge nicht im Ostbereich, sondern in der Westhälfte des Reiches. Schnatz geht einige Möglichkeiten durch, eine Gruppe von Squardronen ließ sich leicht ausschließen:
»Scheidet man … alle die Mosquitos aus, die aus Gründen des Einsatzraumes für Tiefangriffe in Dresden nicht in Betracht zu ziehen sind, so zeigt sich, daß sie gleichzeitig auch aus Gründen der Flugzeitangaben hierfür nicht in Betracht kommen. Aus dem Flugzeitendiagramm für die Nacht des 13. /14. Februar 1945 (…) geht klar hervor, daß fast alle Mosquioto- Nachtjäger so frühzeitig in England landeten, daß für sie die Zeitspanne zwischen dem zweiten Angriff auf Dresden (nach dem ja dann die Tiefangriffe stattgefunden haben sollen) und der Landezeit in England für den Rückflug viel zu kurz gewesen wäre – mit anderen Worten, diese Flugzeuge scheiden in jedem Fall für Tief aus.« [39]
Für andere Typen stellt Schnatz komplizierte Berechnungen der Flugzeiten an, am Maßstab der Flugzeiten der Markierungsflieger und gemäß der erzielbaren Geschwindigkeiten. Die Mosquitos waren allesamt auf dem Rückflug, als der erste Angriff schon lief. Fazit:
»Aus den britischen Einsatzaufträgen, Flugdaten und -strecken wie aus den deutschen Luftlagemeldungen ergibt sich damit, daß es keine britischen Tiefangriffe mit Bordwaffen gegeben hat. Auch die Markierer kommen nicht in Frage, da die von ihnen geflogenen Bomberversionen, wie schon erwähnt, keine Maschinengewehre und -kanonen besaßen.« [40]
Schnatz geht aber noch weiter und nimmt hypothetisch Tiefangriffe an, die durch Piloten erfolgten, die von ihrem eigentlichen Auftrag abwichen, wie das ein Leserbrief in der FAZ meinte behaupten zu dürfen. Die 6 Flieger, die nichts zu tun gehabt haben sollen, hätten dann dieser Argumentation zufolge im »Rausche des Mordens« ihre eigenen Ziele gesucht. Dann aber bleiben immer noch die atmosphärischen Bedingungen und ihre Auswirkungen auf die Flugzeuge. Vor allem die Feuerstürme und Flächenbrände machten Tiefangriffe dort generell unmöglich:
»Selbst wenn also einzelne Nachtjäger unmittelbar über Dresden geflogen wären, so wären sie schlichtweg lebensmüde gewesen, sich mit ihren leichten Maschinen hinunter in die Hölle zu stürzen,die am Boden und natürlich auch in Bodennähe in den Höhelagen der Tiefflieger raste.« [41]
Es sei also die Zusammenfassung der Argumentation zitiert:
»Wie sich aus der Untersuchung ergibt, sind die behaupteten Tiefangriffe in der Nacht Phantasmagorien, geboren aus dem Schrecken einer urplötzlich hereingebrochenen unerwarteten Katastrophe gigantischen Ausmaßes. Von den Hunderten von Flugzeugen, die die britische Luftwaffe in der Nacht des 13. /14. Februar 1945 gegen Deutschland fliegen ließ, war nur ein sehr kleiner Teil, nämlich Maschinen des Typus Mosquito, in der Lage, Tiefangriffe der Art, wie Literaten und Augenzeugen sie behaupten, zu fliegen.
Von den Mosquitos wiederum war
• der weitaus überwiegende Teil nicht gegen Dresden selbst, sondern räumlich weit davon entfernt eingesetzt und
• ist auch nicht dorthin geflogen;
• von denjenigen, deren Auftrag der Schutz der Bomberverbände auf ihrem Weg nach und von Dresden war, scheitet ein weiterer Teil
• aus Zeitgründen aus;
• diejenigen, die danach noch verbleiben könnten, kommen nicht in Frage, weil ihre Flugstrecke in dieser Nacht nicht weit genug oder
• ihre Flughöhe zu hoch und
• ihre Tätigkeit, wie einwandfrei dokumentiert, eine andere war als Tiefangriffe.
Selbst wenn die wenigen – insgesamt drei – Piloten, die in Frage kämen, es gewollt hätten, die Auswirkungen des Feuerorkans, der in und um Dresden tobte, hätten ihnen eine Ausschau nach Zielen in Gestalt von Personen am Boden und ein Fliegen, wie es die Taktik des Tiefangriffs erfordert, schlichtweg unmöglich gemacht.« [42]
Amerikanische Tiefangriffe erscheinen prima facie plausibler, allerdings richteten diese – wo sie tatsächlich stattfanden – gegen andere Ziele. Auf Züge, die wegen Treibstoffmangel das wichtigste Transportmittel der Wehrmacht waren. Daher wurden zusätzlich Wagen mit Flak-Geschützen angehängt und die ersten Wagen blieben al s Schutzwagen leer. Weitere Ziele waren Schiffstransporte und seltener der militärische und zivile Straßenverkehr. Dies betraf allerdings mehr das offene Land, wo mit leichter Flak gerechnet wurde, große Städte wurden gemieden, wegen der Flak-Konzentration. Des weiteren hätten auch die Auswirkungen der britischen und amerikanischen Luftangriffe und die Wetterbedingungen ein Tiefangriff entgegengestanden. Die Sicht war nicht nur in großer Höhe, sondern auch am Boden so schlecht, daß Tiefangriffe Kamikaze-Flüge gewesen wären. Tiefangriffe über Dresden wären unverantwortlich, leichtsinnig gegenüber den eigenen Leuten gewesen. Schnatz vergleicht das, was die Piloten hätten leisten sollen mit den Kunstflügen 1988 über der US-Air Base in Ramstein, bei der neun Flugzeuge im Tiefflug kollidierten. Und das aber waren Piloten, die ihr Programm immer wieder eingeübt hatten.
Zusammenfassend zu den angeblichen Tiefangriffen bei Tage schreibt Schnatz:
• »Entgegen Seydewitz, Irving und anderen ist festzuhalten, daß es keine Befehle gegeben hat, mit Tiefangriffen die Dresdner Bevölkerung zu terrorisieren, sondern daß nur auf dem weiteren Rückweg und nur unter der Bedingung Tiefangriffe erlaubt waren, daß keine Jäger erschienen waren oder erwartet wurden,
• daß diese Bedingung im Fall Dresden nicht gegeben war, sondern daß dort und in der weiteren Umgebung vor, während und nach dem Angriff Luftkämpfe im Gang waren,
• daß demnach der Operationsrahmen, aber auch Operationsverlauf für Tiefangriffe am Ziel keinen zeitlichen Spielraum ließen,
• daß die schnelle Entwarnung ohne Vorentwarnung in Dresden nach den letzten Bombenwürfen beweist, daß der Luftraum Dresden nach der Bombardierung tatsächlich zügig geräumt wurde,
• daß dieser Umstand auch von der Luftlagereportage des deutschen Flugmeldedienstes bestätigt wird,
• daß die Treibstoffsituation wegen der Wetterlage und der Operation in der Nähe der Reichweitengrenze Tiefangriffe auf Dresden riskant machte,
• daß Tiefangriffe zwar tatsächlich, aber erst dann geflogen wurden, als die Abwehrlage für die US-Jäger geklärt und die amerikanische Streitmacht mitsamt ihren Begleitjägern schon weit von Dresden entfernt war,
• daß es wegen der Koinzidenzen der deutschen und amerikanischen Überlieferungen keinen Grund zur Behauptung gibt, die amerikanischen Piloten hätten ihre Tiefangriffe auf Dresden in ihren Berichten verschwiegen und
• daß es die behaupteten Menschenjagden in den Straßen und auf den Grünflächen Dresdens am 14. Februar nicht gegeben hat.« [43]
Nun darf man sich den Vorwurf der Projektion nicht so einfach machen, zur Projektion bedarf es immer eines epistemischen Korrelats, das Projektion ermöglicht und Bedingungen, die die Neigung zur Projektion bedingen. Die SD-Berichte der SS sprechen des öfteren von Gerüchten, die auf mangelnder Information und bewußter Desinformation beruhen. Ein Beispiel:
Karl-Heinz Mistele zeigte in einem Aufsatz [44] anhand von ähnlichen Kriegsgerüchten, die in verschiedenen Städten Deutschlands auftauchten, daß sie allesamt strukturell der Geschichte von »Hildebrand und Hadubrand« nachgebildet sind, der Sage vom Sohn der Stadt, der auf feindlicher Seite kämpft. In einem Fall soll es ein jüdischer Emigrant namens Walter gewesen sein, der nachts über Bamberg fliegend der Versuchung widersteht Bomben auf die Stadt abzuwerfen; die selbe Geschichte soll dann in Heilbronn ähnlich sich zugetragen haben, mit dem emigierten Juden Oppenheimer, der sich durch Mosquito-Störangriffe an den Heilbronnern rächte und die gleiche Geschichte findet sich dann in Oberlahnstein, anders variiert in Fulda und sicher an vielen anderen Orten. Alles nach dem literarischen Vorbild, das in der deutschen Literatur im 9. Jahrhundert beginnt und tradiert wurde. Es ist – auch antisemtischen – Wahn, aber hat System.
Wehrmachtsberichte im Winter 1944/45 suggerieren, daß Tiefangriffe sich hauptsächlich gegen die Zivilbevölkerung richteten. Entsprechend waren die Erwartungen, das Moment der Projektion steckt ja bereits in einem nicht-pathologischen Sinne in jeder Wahrnehmung. Unter extremen Bedingungen vermengen sich die Wahrnehmungen, die zeitlich verschoben stattfinden. Schnatz weist darauf hin, daß die Tiefflieger-Legende auch mit der Intensität und Modulierung der Motorengeräusche zusammenhängen könnte., die Motorengeräusche hörten sich ungewöhnlich an, so daß wirklich der Schein von Tiefangriffen entsteht. Dazu kommt, daß die Dresdner mit Luftkriegshandlungen gar keine eigene Erfahrung hatten und schwer psychisch traumatisiert waren. So war so schon die Wahrscheinlichkeit groß, daß äußere Vorgänge anders aufgefaßt und erlebt wurden als sie objektiv beschaffen waren. Eine Vielzahl von Geräuschen affizierte die Menschen. Die Feuerstürme gehen mit einem Prasseln und Knattern einher, aus den überreizte Nerven leicht das von der Propaganda suggerierte und somit erwartete Bordwaffenfeuer machen, Explosionen, wie die eines Munitionszuges im Bahnhof Neustadt könnten auch ähnliche Eindrücke erzeugen. Die Luftkämpfe am Tage im Elbtal taten ein Übriges. Und die Kommandobehörden der Wehrmacht richteten ja an ihre Flugzeugführer das Verbot
»durch zu starkes Drücken der Maschinen den Eindruck eines Sturzangriffes entstehen zu lassen. Sie müssen bei Flügen unter 500m alles vermeiden, was zur Verwechslung mit einem Tiefangriff führen könnte.« [45]
Dies sollte dem Schutz gegen Beschuß durch eigene Truppen dienen, etwa daß Flak-Kanoniere die eigenen Flugzeuge abschießen und wenn schon Fachleute keine Tiefflieger erkennen können, wie Otto Normalverbraucher.
Ein Stück weit erklären solche Phänomene die häufigen gleichlautenden Zeugenaussagen. Nur gibt es wiederum auch gegenteilige realitätstüchtige Zeugenaussagen, die ich nicht verschweigen möchte:
Werner Ehlich berichtet folgendes:
»Dem Abschießen von Menschen durch Bordwaffen steh ich mit Skepsis gegenüber. Ich habe den Mittagsangriff im Gr. Garten mit selbst erlebt, an der Hauptallee unter einem Baum liegend; da zuckelten freilich Bündel von Stabbrandbomben auf uns nieder, aber keine eigentlichen Geschosse. Wie ein Wunder wurde ich nicht getroffen von einer Stabbrandbombe, die für mich greifbar wie ein Zauberbuquet niederging und sich ausbreitete. … Auch von Tieffliegerangriffen die Menschen – angeblich bergeweise – hinwegrafft (sic) ist mir polizeilich nichts bekannt geworden. Jedenfalls gehörte ich dem II. Polizeirevier (nebst Präsidialwache) an, das sich erstreckte zwischen Elbe – Güntzstr,. Pirnaische Str. und Schiessgasse. Meine Kameraden hätten sonst etwas davon erzählt.« [46]
Christian Just wirkt als ein sehr genauer Beobachter:
»Den 2. Nachangriff erlebte ich im Freien, an der Südostecke der Kreuzung Albrechtstraße / Hans-Schemm-Allee (heue Blüherstraße) und Johann-Georgen-Allee (heute: Lingnerallee). Es war Ödland, auf dem man 1939 mit dem Bau eines ,Gauforums´ begonnen hatte. An jener Stelle hatte man mehrere Reihen von Sandsteinblöcken gelagert, zwischen denen meine Mutter und ich uns zunächst gesetzt, nach Ertönen der Alarmsirenen (weit weg, im Süden) hingelegt haben. Bei diesem Angriff registrierte ich einen Zusammenhang zwischen dem Geräusch der fallenden Bomben und deren Detonation: wenn der Ton hoch ansetzte, kam das Explosionsgeräusch aus ,weiter Ferne´; hörte man nur – ganz kurz – eine n tiefen Ton, erfolgte die Explosion unmittelbar darauf und in nächster Nähe. Einmal prasselte dann danach die ausgeworfene Erde auf meinen Rücken; der dazugehörige Bombenkrater befand sich, wie ich am nächsten Morgen sah, in etwa 50-60 m Entfernung. Nach dem Bericht von Kreuzkantor Mauersberger sollen auf eben dieser Johann-Georgen-Allee bei diesem Angriff Tiefflieger auf die Menschen dort geschossen haben (Mauersberger war allerdings nicht selbst dabei und berichtete nur, was er von anderen gehört hat) (Einf. i. Orginal). Ich habe nichts dergleichen wahrgenommen. Viele Tote und Verwundete lagen am nächsten Morgen in diesem Gelände, aber es waren Bombenopfer (auch Bekannte von uns). Wann ich auf die Elbwiesen kam, kann ich nicht sagen, wir hatten keine Uhr dabei. … (Wir) waren … nach Überquerung der Albertbrücke auf der Neustädter Seite zu den Elbwiesen hinuntergegangen, Richtung Waldschlößchen. Dort waren auch einige Gruppen Soldaten mit Schaufeln u. ä. Angetreten. Auf einmal spritzten diese auseinander und warfen sich zu Boden (einer begann sogar, sich einzugraben). Wir taten es ihnen nach. Gesehen habe ich nichts, gehört nur die Bomber, das Geräusch der fallenden Bomben und die Detonationen. Es schien mir aber alles weiter entfernt zu sein. Meine Mutter sagte mir allerdings, sie haben einen Bomben-Reihenwurf – etwa 120 m seitlich von uns – in die Elbe gehen sehen. Als die Soldaten aufstanden, taten wir es ihnen gleich. Eine Veränderung der Umgebung habe ich nicht festgestellt. Als wir dann vor dem Waldschlösschen den Hang hinaufgingen, fiel mir eine Reihe nicht zu tiefer Bombenkrater auf. Ich meinte damals, sie wären ganz frisch – also ein Ergebnis dieses Tagesangriffs-, ich war mir aber nicht sicher.« [47]
Solche vorsichtigen Berichte sind überzeugender als diejenigen, die schon vorgeformt nur so heraussprudeln und von Mal zu Mal gesteigert werden, wie manche es aus Lanzergeschichten ihrer Eltern oder Großeltern kennen. Wenn nun Autoren wie Irving Mythen weiterhin aufrechterhalten, die sie selber als »gefährliche Legende« der überhöhten Zahl der Opfer bezeichnete, dann wissen sie was sie tun und das tun sie mit Stolz:
»Mir wurde klar, dass es in dem, was ich [über Dresden] erfuhr, um etwas ging, das wir heute wahrscheinlich als einen Holocaust bezeichnen würden, von dem wir Engländer damals, 1961, absolut nichts wussten. Natürlich spricht heute jedermann über Dresden im gleichen Atemzug wie über Auschwitz und Hiroshima. Das ist mein Verdienst, meine Damen und Herren. Ich bin ein wenig stolz, wenn ich jedes Jahr am 13. oder 14. Februar, am Jahrestag [der Luftangriffe], die Zeitungen lese, und dort steht etwas über Dresden, denn bevor mein Buch zu diesem Thema erschien, hatte die Außenwelt noch nie etwas über Dresden gehört, wo gegen Kriegsende bei einem Luftangriff durch amerikansiche und RAF-Bomber auf eine unverteidigte Stadt in einer einzigen Nacht 100000 Menschen getötet wurden.« [48]
Diejenigen Deutschen, die ein Interesse an der Unwahrheit haben, werden solche Botschaften in sich aufsaugen. Und sie werden auch gern die Botschaft entgegennehmen, daß zwischen der Bombardierung Dresdens und Auschwitz kein Unterschied bestünde, wie er explizit in einem Interview sagte.
»Interviewer: Juden an Gruben aufzustellen und mit Maschinengewehren niederzuschießen war also ebensoschlecht wie die Bombardierung Dresdens?
Irving: Ich sehe da kaum ein Unterschiede« [49]
Damit kann man Leuten helfen, ihre Lebenslügen aufrechtzuerhalten. Nun haben aber die Deutschen das Morden nicht selber beendet und ohne den Krieg der Alliierten würden wir heute noch in einem geistig umnebelten Zustand, mit gebeugten Rückrat arische Urlaute brüllen oder schon längst in der Gaskammer gelandet sein. Das das nicht – nicht mehr, nie mehr oder noch nicht – der Fall ist, dafür danke ich den Alliierten. Die Ressentiments, die heute nicht nur den ehemaligen Kriegsgegner, sondern auch den Opfern oder deren Nachkommen entgegenschlagen, sprechen nicht dafür, daß die Erinnerung an die NS-Vergangenheit bei den Nachkommen der Täter und denen der Opfer konvergieren könnte. Und in diesem Sinne zitiere Jean Améry zum Schluß:
»Hält unser Ressentiment im Schweigen der Welt den Finger aufgerichtet, dann würde Deutschland vollumfänglich und auch in seinen künftigen Geschlechtern das Wissen bewahren, daß es nicht Deutsche waren, die die Herrschaft der Niedertracht beseitigten. Es würde dann, so hoffe ich manchmal, sein vergangenes Einverständnis mit dem Dritten Reich als die totale Verneinung nicht nur der mit Krieg und Tod bedrängten Welt, sondern auch das eigene Herkommen begreifen lernen, würde die zwölf Jahre, die für uns andere wirklich tausend waren, nicht mehr verdrängen, vertuschen, sondern als seine verwirklichte Welt- und Selbstverneinung, als sein negatives Eigentum in Anspruch nehmen. Auf geschichtlichem Felde würde sich das ereignen, was ich vorhin hypothetisch für den engen individuellen Kreis beschrieb: Zwei Menschengruppen, Überwältiger und Überwältigte, würden einander begegnen am Treffpunkt des Wunsches nach Zeitumkehrung und damit nach Moralisierung der Geschichte. Die Forderung, erhoben vom deutschen, dem eigentlich siegreichen und von der Zeit schon wieder rehabilitierten Volke, hätte ein ungeheueres Gewicht, schwer genug, daß sie damit auch schon erfüllt wäre. Die deutsche Revolution wäre nachgeholt, Hitler zurückgekommen. Und am Ende wäre wirklich für Deutschland das erreicht, wozu das Volk einst nicht die Kraft oder nicht den Willen hatte und was später im politischen Mächtespiel als nicht mehr bestandsnötig hat erscheinen müssen: die Auslöschung der Schande.« [50]
[1]Joseph W. Angell jr. Historical Analysis oft the 14-15 February 1945 Bombings od Dresden, Washington D.C. 1953
[2]Richard Overy, Die Wurzeln des Sieges. Warum die Allierten den zweiten Weltkrieg gewannen. Reinbek bei Hamburg 2002, S. 150f
[3]cit. Bei Overy, a.a.O. S. 157
[4]A.a.O. S. 174
[5] »Only now are we able to measure precisely the effect of the carpet bombing of Germany. It’s clear that the German war economy was very seriously affected by the effort of defending against Bomber Command. Specifically, the Luftwaffe was unable to reinforce the eastern front because of the need to defend Third Reich airspace. This had a very serious effect on the whole Russian campaign.« Sunday Times 15. Februar 1998
[6] »We have only now been able to show that the bombing offensive was actually far more effective than has previously been portrayed.« Sunday Times 15. Februar 1998
[7]Götz Bergander, Dresden im Luftkrieg, Würzburg 1998, S. 327
[8]Richard Overy, Die Wurzeln des Sieges. Warum die Allierten den zweiten Weltkrieg gewannen. Reinbek bei Hamburg 2002, S. 137f
[9]Jürgen Elsässer, Drei Dresdenlügen in: aus: J.Elsässer, Wenn das der Führer hätten erleben dürfen. 29.
Glückwünsche zum deutsche Sieg über die Alliierten.
[10]Cit. bei Götz Bergander, Dresden im Luftkrieg, 1998 Würzburg S. 224f
[11] a.a.O. 226
[12]Friedrich Reichert, Verbrannt bis zur Unkennlichkeit, in: Verbrannt bis zur Unkenntlichkeit. Die Zerstörung Dresdens 1945,. Begleitbuch zur Austellung im Stadtmuseum Dresden Februar bis Juni 1995, Dresden 1994, S. 40ff
[13]Götz Bergander, a.a.O. S. 95
[14]Cit. bei Bergander a.a.O. S. 110
[15]ebenda
[16]Jörn Rüsen, Geschichtskultur als Forschungsproblem, in: Jahrbuch für Geschichtsdidaktik Bd. 3, Pfaffenweiler 1991/92, S. 39-50, hier S. 40
[17]Walter Benjamin, Das Passagen-Werk, Gesammelte Schriften Bd. 5, S. 1057f
[18]Die andere Variante findet sich auf den Seiten 490f.
[19]Ernst Bloch, Prinzip Hoffnung, S. 353
[20]Walter Benjamin, Das Passagen-Werk, Gesammelte Schriften Bd. 5, S. 580
[21]A.a.O. S. 495
[22]A.a.O S. 494
[23]Emmanuel Joseph Sieyes, Politische Schriften 1788-1790, übersetzt und herausgegeben von Eberhard Schmitt und Rolf Reichardt, Darmstadt und Neuwied 1975 S. 102
[24]A.a.O. S. 1023
[25]Günther Anders, Die Antiquiertheit des Menschen Bd. 1, 19877, S. 105
[26]Die Homepage ist zu finden unter der Adresse
[27]Dok. 142: Zeitungsausschnitt aus dem Daily Sketch, 29. April 1963 cit. bei: Richard J. Evans, Der Geschichtsfälscher. Holocaust und historische Wahrheit im David-Irving-Prozeß, Frankfurt a.M. 2001, S. 196
[28]a.a.O. S. 200
[29]DJ 35. Max Funfack an Irving 19. Januar 1965 cit. bei Evans a.a.O. S. 201
[30]Cit bei Evans a.a.O. S. 214
[31]Cit. bei Evans a.a.O.
[32]cit..bei Helmut Schnatz, Tiefflieger über Dresden? Legenden und Wirklichkeit, Köln, Weimar, Wien 2000, S. 7, der erwähnte Harry ist sein Mitarbeiter Harry Pfund.
[33]Fritz Löffler, Das heutige Stadtbild. In: Heinrich Leippe (Hrsg.), Merian Dresden, Hamburg 1949 S. 59 cit. bei Schnatz a.a.O. S. 7
[34]Axel Rodenberger, Der Tod von Dresden, berlin 1952, S. 128 cit. bei Schnatz a.a.O.S. 8
[35]Hans Rumpf, Der hochrote Hahn, Darmstadt 1952, S 349 cit. bei Schnatz S. 9
[36]Max Seydewitz, Zerstörung und Wiederaufbau von Dresden, Berlin (Ost), 1955, S. 79
[37]David Irving, und Deutschlands Städte sterben nicht, Zürich 1964
[38]Schnatz, a.a. O. S. 39
[39]Schnatz a.a.O. S. 54
[40]a.a.O. S. 61
[41]a.a.O. S. 67
[42]a.a.O. S. 69
[43]a.a.O. S. 123
[44]Karl-Heinz Mistle, Kriegsgerüchte. In: Lebendige Volkskultur, Festgabe für Elisabeth Roth zum Geburtstag, Bamberg 1980, S. 151
[45]Stellvertretendes Generalkommando XII. A.K. (Wehrkreiskommando XII), Schutz deutscher Flugzeuge gegen Beschuß durch eigene Truppen über deutschen Hoheisgebiet, 1. 9. 1941, Barch-MArch RW 17/63 cit. Schnatz S. 153
[46]Brief von Werner Ehlich, Dresden, an Bergander vom 2.3. 1985 cit. Schnatz S. 33f
[47]Brief von Christian Just, Freiburg i. Br. an Ver., 20.3. 1995 cit. Bei Schnatz a.a.O. S. 34
[48]Videokassette 175: Irving im Elangani Hotel, Durban, Südafrika, 5. März 1986 cit. bei Evans, a.a.O. S.234
[49]Videokassette 226: unredigiertes Material der Sendung »This Week«, 29. November 1991, cit. bei Evans a.a.O. S. 235
[50]Jean Améry, Jenseits von Schuld und Sühne. Bewältigungsversuche eines überwältigten. Stuttgart 1980 S. 124f