Nur echt mit dem “Druckfehler” auf Seite 47
Nur echt mit dem “Druckfehler” auf Seite 47
Joachim Bruhn
Daß das Bescheidwissen der entschiedenste Feind der Aufklärung ist, daran hat man sich längst gewöhnen müssen. Man könnte diesen traurigen Sachverhalt auch das Adornosche Gesetz nennen: Mit der Masse akademisch gedrillter Experten, die die Öffentlichkeit notorisch als den Markt ihrer Meinungen mißverstehen müssen, nimmt die Chance ab, sich einen Reim darauf noch machen zu können; und genau umgekehrt proportional zum Output der Informationen sinkt die Hoffnung auf ihren Begriff. Der ideologisch-industrielle Komplex, eben das zum System geronnene Verhängnis aus “Meinung, Wahn, Gesellschaft” [ 1 ] , hat das Bescheidwissen zur Philosophie aufgenordet. Und worüber wüßte diese “Philosophie”, d.h. die losgelassene Spökenkiekerei, seit jeher besser Bescheid als über die Juden und über ihren verzweifelten Notwehrversuch: Israel?
So ergibt sich in Sachen Israel eine besonders innige Intimität zwischen den Experten und ihrem Publikum, das, insbesondere in Deutschland, schließlich selbst nur aus Experten besteht. Das Publikum giert nach Fakten, Fakten, Fakten, die das illustrieren, was man eh‘ schon weiß; und die Experten überbieten sich darin, diesen empiristischen Unfug mit der Trademark ihrer je hybriden Sinnstiftung zu veredeln. Die Literatur, die daraus folgt, ist zwar so öde und so langweilig wie noch jede Konterrevolution, aber das macht nichts, denn das Bescheidwissen ist längst zur Sucht geworden und giert. Daher ist es einerseits zwar völlig überflüssig, daß Jürgen Elsässer mit der Broschüre “Israel – ein Kolonialsiedlerstaat in der Sackgasse” von Dieter Elken und Meno Hochschild unentwegt weiter für diesen Markt produziert, aber andrerseits haben die Leute natürlich längst vergessen, was ihnen vor 70 Jahren schon in der Broschüre “Alljuda als Kriegstreiber” erklärt worden war, bzw. vielmehr: sie haben es keineswegs vergessen, sondern sie wollen es immer wieder aufs Neue hören, denn die Zeit vergeht, aber die Sucht des Bescheidwissens besteht. 1938 hatte man ihnen z.B. erklärt, “daß das Judentum nicht etwa einen Staat im Staate, sondern einen Staat über dem Staate darstellt”, d.h.: eine Weltverschwörung, man hatte das Publikum überdies ultimativ davon in Kenntnis gesetzt, wo diese Verschwörung ihr Zentrum hat, d.h. in Amerika, und schließlich hatte man es darüber benachrichtigt, was diese “antideutsche Hetzclique” wirklich im Schilde führt, nämlich die globale Macht des “jüdischen Imperialismus” [ 2 ] . Das Publikum wußte Bescheid, und es stürzte sich unter sachkundiger Anleitung eines ausgewiesenen Experten in den nach Lage der Dinge gebotenen Notwehrexzeß.
Das ging in letzter Instanz schief. Zwar: der Verbrecher will die Strafe. Aber: die Anerkennung dafür war in den Nürnberger Prozessen nach Lage der Dinge auf die sog. Hauptkriegsverbrecher beschränkt worden. Der Rest des Publikums ging leer aus, wurde um die Strafe regelrecht geprellt [ 3 ] und mußte weitermachen, d.h. weitere Nachfrage entwickeln und ansonsten Martin Walser lesen von wegen Auschwitz als “Moralkeule”. Das war, das ist unbefriedigend, und darauf spekulieren das Elsässer-Chamäleon und seine famose linksvölkische “Volksinitiative”, die, das darf man wohl sagen, aus derselben unbefriedigten, nun schon manischen Geltungssucht sich speist, die auch das Publikum umtreibt.
Man weiß alles, man ist aber ein Nichts: das nervt gewaltig. So wärmen die Autoren der Elsässer-Broschüre einerseits, nach bestem Wissen und, ja nun: Gewissen, die Behauptungen von 1938 auf: so stellen sie die enorm kritische Frage danach, ob nun Israel wirklich der “Staat aller Staatsbürger” sei oder nur der “Staat einer Nation” (S. 39 ff.). Das kommt einerseits gut: denn daß das Volk der Souverän sein soll, das gehört sich eigentlich und von Rechts wegen eben genau so. Aber das wußte der Staatlichkeitswahn ja schon je, daß der Staat wesentlich eine therapeutische Anstalt ist zum Empowerment, zur Selbstverwirklichung der Leute zu sein hat, die sich, sie können einfach nicht anders, zum souveränen Volk rotten. Also werden die Autoren lyrisch: da sie wissen, daß der Mensch eine Pflanze ist, muß er vor allem eins fürchten: die “Entwurzelung”, daß man ihn so aus Blut und Boden zieht wie eine Rübe. Die Palästinenser sind dann “Ureinwohner, deren Familien seit Jahrhunderten in Palästina verwurzelt sind” (S. 40), sie sind die Ostpreußen, Schlesier und die Sudeten unserer Zeit; soweit, so gut. Aber, und obwohl man das immer wieder sagen muß, das wußte das Publikum längst schon, daß die Juden eine abstrakte, abgehobene und überhaupt wurzellose Macht darstellen, daß also ihr Zionismus in Wahrheit darauf zielt, einen “nach innen und außen aggressiven, rassistischen und undemokratischen Staat” zu gründen, der nichts anderes bezweckt als die “Vernichtung von Völkern” (S. 89), d.h. den regelrechten Nazi-Faschismus, der, wie der Sozialdemokrat Kurt Schumacher einmal trefflich bemerkte, “das Antideutscheste schlechthin” gewesen sein soll.
Nicht schlecht, schön und gut: aber das wußte man doch alles schon. Daß “die Zionisten bestrebt sind, das Empfinden der Menschen für Gut und Böse, für Recht und Unrecht, für moralisch und unmoralisch zu zerstören”, das hatten schon andere Experten bescheidgestoßen, und auch, daß in Wahrheit “der Zionismus Antisemitismus ist”. [ 4 ] Die Elsässer-Autoren wissen nicht aus und nicht ein, wie sie noch ihr ganz persönlich und individuell unverwechselbar Besonderes zum ideologisch-industriellen Komplex beitragen sollen, denn alles ist schon gesagt, muß zwar endlos repetiert werden, aber das Sahnehäuptchen, das muß doch noch sein unter den Experten und den Intellektuellen. Woher aber eine Idee nehmen? Wie die Nachfrage des Publikums befriedigen?
Und so schreiben sie: “Selbst die Archäologie wird heute” von den Zionisten “mißbraucht, um Palästinenser aus ihren Häusern und Wohnviertel zu verdrängen. So besetzte die Siedlerorganisation Elad in den vergangenen Jahren ein Dutzend Grünflächen in Silwan, einem Wohnviertel in der arischen Jerusalemer Altstadt” (S. 47). Das ist nun wirklich eine neue Nachricht: die Juden kommen nicht mehr allein, wie gewohnt, aus den unendlichen Weiten ihrer abstrakten Abgehobenheit und Allmacht und “Alljuda” von oben herab nieder, um die Völker zu “entwurzeln”, nein: sie kommen auch von unten und wühlen und graben sich durch und kastrieren die Potenz und den Saft des Lebens an der Wurzel. Sie führen einen Zwei-Fronten-Krieg gegen die “Gemeinschaft der Völker” (S. 34). Das ist originell, ist tatsächlich eine ganz neue Ware auf dem Markt der Meinungen, ein Produkt, das allerdings nur sein kann das mühsam erwirtschaftete Endergebnis “einer differenzierten Entschlüsselung historischer Phänomene durch eine tiefergehende historische Analyse” (S. 94), das Schweißfleißresultat wahrscheinlich eines Dissertationsstipendiums der Rosa-Luxemburg-Stiftung unter der Supervision von Norman Paech und anderen Volksgemeinschaftsrechtlern.
Das ist schon allerhand. Aber es ist das noch längst nicht der ganze Erkenntnisgewinn. Denn Seite 47 heißt es tatsächlich, daß die Juden von unten “die arische Jerusalemer Altstadt” an der Wurzel ausrotten und untergraben. Das kann, in Anbetracht der fulminanten Deutsch-Kenntnisse Jürgen Elsässers, kein Druckfehler sein, kein Versagen des Lektorats, das “arabisch” schreiben wollte und “arisch” gedruckt hat. Das ist eine Freudsche Fehlleistung, d.h. die allseits für Wahrheit gehaltene Lüge, die deutsche Ideologie, die zur Öffentlichkeit und zum Markte drängt: Wir, die Deutschen, sind in Wahrheit die Palästinenser der Juden.
Rezension zu:
Dieter Elken/Meno Hochschild: Israel – ein Kolonialsiedlerstaat in der Sackgasse, Berlin: Kai Homilius Verlag 2009 (Compact N° 5, hrsg. von Jürgen Elsässer), 126 Seiten, 7.50 €
Aus: Polémos Nr. 4 (August 2011), S. 29f.
Anmerkungen
[ 1 ] Vgl. Theodor W. Adornos gleichnamigen Aufsatz in: Ders., Eingriffe. Neun kritische Modelle, Frankfurt 1965, S. 147 ff. sowie Ders., Theorie der Halbbildung, in: Soziologische Schriften, Bd. 1, Frankfurt 1972, S. 93 ff.
[ 2 ] Hans Gracht, Alljuda als Kriegstreiber, Berlin: Theodor Fritsch-Verlag 1938, S. 18 und 47.
[ 3 ] Vgl. Theodor Reik, Der unbekannte Mörder. Psychoanalytische Studien, Frankfurt: Fischer Verlag 1985, sowie: Franz Alexander/Hugo Staub, Der Verbrecher und seine Richter. Ein psychoanalytischer Einblick in die Welt der Paragraphen, Berlin: Internationaler psychoanalytischer Verlag 1929.
[ 4 ] Karam Khella, Über Antisemitismus, Hamburg: Theorie und Praxis-Verlag 32004, S. 20 f. – und auch der Elsässer-Verlag hatte schon vor Jahren ein einschlägiges Buch von Lenni Brenner, Zionismus und Faschismus. Über die unheimliche Zusammenarbeit von Zionisten und Faschisten (Berlin 2007) auf den Markt geworfen, das klippklar “die klassische Rolle des Zionismus als Vorreiter Hitlers in Sachen Antisemitismus” (S. 128) nachwies.