Die Stille vor dem Schuß
Die Stille vor dem Schuß
Eine Antwort auf Gremliza
Joachim Bruhn
Der Ausnahmezustand des Kapitals steht unmittelbar bevor. Es wird sich dann zeigen, daß die auf den Wert begründete Produktionsweise nicht etwa unmöglich geworden ist, daß die Widervernunft, die sie von Anfang an auszeichnet, die sie durch den Wert als negative Vermittlung gleichsam ‘überhegelte‘ und in der Flucht nach vorne zu übertrumpfen suchte, im kompletten Zusammenbruch jedweder gesellschaftlichen Reproduktion endet. Es zeigt sich, daß das Verhältnis von Konjunktur und Krise keine Endlosschleife und keine Achterbahn ist, wie es sich Keynesianer und (Neo)Liberale gegenseitig einreden, sondern daß jede Krise, wie Henryk Grossmann 1929 wußte, nur “eine unterbrochene und nicht zur vollen Entfaltung gelangte Zusammenbruchstendenz” darstellt.
Aber “von der Krise ins Chaos” wird es schon deshalb nicht gehen, sondern zu Schlimmerem kommen, weil die Gewißheit, mit der Gremliza von der “herrschenden Klasse” spricht, nichtig ist. Das klingt nach linksradikalem Gewerkschaftlertum: Denn wenn es die denn gäbe, bestünde Hoffnung auf einen wie immer schäbigen Rest gesellschaftlicher Subjektivität. Das gesellschaftliche Resultat des Nazi-Faschismus ist aber ja nicht nur die Verwandlung der Arbeiterklasse in den Stand der zeitweilig von Staatswegen mit kapitalproduktiven Aufgaben betrauten Staatsbürgern, sondern die Totalisierung des Begriffs und der Sache der “Charaktermaske”, d.h. die negative Aufhebung der Klassengesellschaft selbst. Auch ganz Oben ist Null, wenn dort nicht erst recht. Wer nichts wurde, wurde Volkswirt. Die Volksgemeinschaft war keinesfalls lsquo;nur‘ das kollektive, klassenversöhnende, die Klassen in sich aufhebende Vernichtungswerk an den Juden und anderen lsquo;Untermenschen‘, sie war wesentlich zugleich ein Produktionsverhältnis: die Produktion des Deutschen an und für sich als des lsquo;Übermenschen‘, d.h. die fugenlose Verschweißung der Selbsterhaltung des Körpers mit dem Diktat der Selbstverwertung des Werts. Im Resultat ist es kein Zufall, wenn sich die FAZ (9. 12.) keine Auskunft mehr von Ökonomen sich erhofft, sondern von Physikern, die Ökonomie begreifen als ein “magnetisches Stück Eisen, das beim Erwärmen plötzlich … seine Magnetkraft verliert. Wann genau dies passiert, kann das einzelne Atom nicht verstehen, weil es eine Systemeigenschaft des Zusammenwirkens aller Atome ist.”
So ist es: die negative Vergesellschaftung durchs Kapital ist zur unmittelbaren Naturalform der Individuen geworden. Samt und sonders sind sie “Eigentumsbestien” (Johann Most, 1887), Kapitalatome, die ihre Verwertbarkeit als Naturrecht reklamieren. Wo doch, wie 1923, Panik herrschen sollte: Inflationshysterie, Bank-Run, Flucht in den “Sachwert” und Kartenlegen, herrscht jetzt die Stille vor dem Schuß. Diese unheimliche Ruhe erklärt sich allein aus dem absoluten Vertrauen der Deutschen in die unbedingte Faschismusfähigkeit ihres Souveräns, in seine Potenz zur “Brechung der Zinsknechtschaft”, in seine autoritäre Gewalt zur Geldreform, die das Geld, das “Zeichen der Trennung zwischen dem Produkt und seiner Austauschbarkeit … so arrangieren (soll), daß es die Identität ausdrückt” (Marx, 1857). Es wird der Staatsbankrott sein, der den Deutschen erweisen wird, daß das Programm der NSDAP von 1920 zu einem gewissen Teil bis heute unerfüllt blieb: Die Partei, hieß es da, “bekämpft den jüdisch-materialistischen Geist in und außer uns.” Einander anfallen werden sie sich als die Juden ihrer selbst.
Aus: konkret 3/2009