Für Israel
Vier Kapitel über Souveränität als Einführung in negative Urteilskraft
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Beschreibung
Gerade dann, wenn das kritische Bewusstsein, was Souveränität beinhaltet, am dringendsten benötig wird, droht es, verschüttzugehen. Das gilt unter den unerträglich sich verschärfenden Bedingungen von Israels Existenz vor und nach dem 7. Oktober gewiss in besonderem Maß.
Symptomatisch dafür ist etwa die Berufung aufs internationale Recht als Selbstzweck – um wohlmeinend nachzuweisen, dass jener Staat diesem Recht entsprechend seine Selbstverteidigung organisiere, und denen entgegenzutreten, die auf der selben Grundlage die abgrundtiefe Antithese behaupten, seine Regierung handle dem internationalen Recht zuwider und hier seien vielmehr Kriegsverbrecher am Werk, die vor den Internationalen Strafgerichtshof gestellt werden müssten. Für die Frage jedoch, worin die Souveränität eines Staats überhaupt besteht und wie darum das internationale Recht aufzufassen wäre, bleibt dann weder Raum noch Zeit. So wundert es nicht, wenn deutsche Politik die Sicherheit Israels als Teil der deutschen Staatsraison ausgibt – aber kaum dass es jemand merkt, verrät sie sich damit schon selbst. Denn die Formulierung lässt ausdrücklich offen, um welchen Teil es sich dabei handelt und in welchem Verhältnis er zum Ganzen steht, wobei die propagandistische Bedeutung des Begriffs »Staatsraison« ja darin liegt, dass dem Souverän alles zum Mittel werden kann und darf. Ähnliches, wenn auch weniger verräterisch, haben sprachliche Verrenkungen wie etwa die Rede vom ›israelbezogenen Antisemitismus‹ im Sinn: durch Einordnung in ein ideelles Aktensystem, Intersektionalität genannt, verschwindet die in der deutschen Linken seit Jean Améry mühsam errungene Erkenntnis, dass der Antizionismus zur Speerspitze des Antisemitismus geworden ist.
Das heißt, die fast unlösbare Aufgabe besteht immer noch darin, »weder von der Macht der anderen, noch von der eigenen Ohnmacht sich dumm machen zu lassen« (Adorno); ins Politische gewendet: die eigene partikulare Taktik, der Macht gegenüber angewandt, nicht als Wahrheit des Ganzen misszuverstehen; weder das Muster fürs internationale Recht, also das wirkliche, weil von einem Souverän garantierte Recht innerhalb des Staats, noch das internationale Recht selbst (so scharf zwischen ihnen unterschieden werden muss, weil letzteres von keinem Gewaltmonopol gedeckt wird) als allgemeinen Zustand der Freiheit zu verklären.
Vor solcher Verdummung ist Zionismus gefeit, insofern er sich einen Sinn für die negative Urteilskraft in der jüdischen Religion bewahrt hat, also – in den Worten der Dialektik der Aufklärung – dafür, Hoffnung einzig ans Verbot zu knüpfen, das Endliche als das Unendliche, die Lüge als Wahrheit anzurufen, sodass Erkenntnis in der Denunziation solchen Wahns gründe.
20 Jahre nach seinem Buch Suicide Attack – Zur Kritik der politischen Gewalt unternimmt es Gerhard Scheit, seither veränderte Konstellationen für Israel und den Zionismus, für deren Gegenwart wie für deren Geschichte zu erhellen. Das neue Buch ist der Erinnerung an Joachim Bruhn gewidmet.
Aus dem Inhalt
- Das Trauerspiel der Souveränität: Walter Benjamin und die politische Theologie
Necessitas legem non habet – Politische Philosophie als Kritik der politischen Theologie – Der Messias und der Ausnahmezustand – Kritik des Politischen als Geschichte des Sabbatianismus – Die existenzialontologische Wendung gegen den Messianismus – Die Sehnsucht nach der deutschtümelnden Kabbalistik – Die Apotheose des ›Muselmanns‹ - Der Judenstaat und seine Feinde: »Die Einsamkeit Theodor Herzls«
Assimilation als Widerspruch – Übergang zum Zionismus – Der Gestor und der Hegemon – Die Bewaffnung des Gestors – Exkurs über die Romane Vladimir Jabotinskys – Ende des Kulturzionismus: Erfahrung und Verdrängung – Der Antizionismus und der Eichmann-Prozess – Der jüdische Staat und das Dilemma der Neocons – Der jüdische Staat und der Hegemoniebegriff – Der unbewaffnete Weltsouverän und die Bewaffnung des Gegengestors - Der sterbliche Gott oder: Die Rackets und der Todestrieb
Die Resistenzkraft gegen das Racket – Racket und Klasse – Historisierung der Resistenzkraft I – Exkurs über Michael Kohlhaas – Historisierung der Resistenzkraft II – Massenpsychologie jenseits des Lustprinzips – Racket und Sadismus – Autarkie des Unstaats gegen den Primat der Ökonomie – Islamische Racket-Republik - Vor und nach dem 7. Oktober
Der praktische Imperativ nach Auschwitz – Rechtspositivismus und politische Theologie im jüdischen Staat – Nach dem 7. Oktober, an dem sich zeigte, was islamische Rackets vorläufig von Auschwitz an einem einzigen Tag zu wiederholen imstande sind – Der praktische Imperativ bei Jean Améry oder das gebotene Scheitern des »radikalen Universalismus« – Eine Heimholung am Rande: Von der antideutschen Jugendbewegung zur deutschen Sehnsucht nach Weltinnenpolitik
Leseprobe
Die Einen wollen, dass ein Weltsouverän als highest court einer Völkergemeinschaft den Nationalstaat ablöst; die Anderen sehen in diesem Wunsch einen bereits existierenden Weltsouverän als deep state beziehungsweise Antichrist am Werk. Das für Israel Unheilvolle an den Einen ist die Förderung einer internationalen Rechtsprechung, als wäre die Staatenwelt ein einziger Staat, was zwar durchzusetzen so unmöglich ist wie umgekehrt Kommunismus als Staatsprogramm – deren Beschwörung jedoch dazu beiträgt, die Hegemonie der USA wie die Souveränität Israels zu desavouieren und schlimmstenfalls zu untergraben; das in dieser Hinsicht nicht minder Ominöse an den Anderen ist, dass sie etwas ebenfalls Unmögliches, ein globalisiertes Kapital jenseits staatlicher Souveränität, in Gestalt von ›Globalisten‹ als real Existierendes phantasieren – und damit, ihrerseits auf Autarkie setzend, den wirklich existierenden Weltmarkt verteufeln, der doch nicht nur die Voraussetzung der US-Hegemonie ist, sondern eine der Bedingungen von Israels Souveränität. Eben diese Souveränität des jüdischen Staats wäre als der materialistische Vorbehalt zu begreifen, zu dem nach Auschwitz sich jede wahre Kritik des Politischen genötigt sieht.
Möglich ist der Vorbehalt allein aufgrund des besonderen Doppelcharakters des jüdischen Staats: das moderne Israel ist ebenso ›christlichen‹ Ursprungs als auch, differentia specifica, gegen ihn oder besser: gegen eine von dessen Ingredienzien gerichtet. Christlichen Ursprungs heißt hier, es übernahm von den Staaten, die der sogenannten ursprünglichen Akkumulation des Kapitals entstammen, die Prinzipien der Gewaltenteilung als etwas den Formen einer nicht mehr ›ursprünglichen‹ Akkumulation Unabdingbares. Sie kann aber nicht nur wie die Souveränität anderer Staaten als Mittel zum allgegenwärtigen Zweck der »Verwertung des Werts« (Marx) verstanden werden. Was demgegenüber als ihr partikularer Zweck erscheint, nämlich den antisemitischen Hass abzuwehren, ist in Wahrheit universell, weil dieser Hass »annihilation for the sake of annihilation, murder for the sake of murder« (Emil L. Fackenheim) im Auge hat: hinreichende Bedingung dafür, dass unter weitgehend veränderten politischen Voraussetzungen, wofür heute die islamischen Rackets stehen, Auschwitz sich wiederholen kann.
So wäre für Israel der neue kategorische Imperativ aus Adornos Negativer Dialektik auch als praktischer einer negativen Urteilskraft zu formulieren, und wie der kantische hat er es mit dem Verhältnis von Mittel, Zweck und Selbstzweck zu tun. Aber hier muss der Selbstzweck als unbedingte Negation der Vernichtung um der Vernichtung willen verstanden werden.
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