Ulf Biber – Freiburgs führender Kabarettist in Leinen gebunden * Rezension von Matthias Deutschmann, Hitler on the Rocks

Ulf Biber

Freiburgs führender Kabarettist in Leinen gebunden

Nein, nicht nur die von Deutschmann geschmähten, Hoimar von Ditfurth etwa, “der Geist, der nicht vom Himmel fiel”, und Kroetzens Franz Xaver, “geißelt sich mit der Linken, während er mit der Rechten onaniert”, oder gar Günter Grass, “in letzter Zeit nur noch Blech getrommelt”, nicht nur diese Passagiere auf der von den Reedern der großen Verlage” gesponserten “Arche Noah” des Freiburger Kabarettisten haben Sinn fürs Geschmäcklerische, wenn es um die eigene Vermarktung geht. Jedem, dem im Buchhandel das jetzt erschienene Matthias Deutschmann-Buch, trotz seines eher schlichten, an Rowohlt-Panther erinnernden Gewandes, in die Finger kommt, und jedem, der dann wie ich stutzend an diesem Vermerk im Impressum hängenbleibt, sei es gesagt: das ist kein guter Witz, das ist Ernst. Es gibt Matthias Deutschmann auch in Leinen gebunden und vom Autor signiert. Und natürlich war es schon immer etwas teurer, einen besonderen Geschmack zu haben.

Nicht daß dieser Spaß jetzt zum Schmuck des eigenen Ikea-Regals besonders nottäte, aber vielleicht für Papas Geburtstag? Und wer Matthias Deutschmann kennt, der weiß, dem ist der Erfolg nicht zu Kopf gestiegen, der läßt sich noch von (fast) jedem auf offener Straße ansprechen. Also, nur Mut: ein handsigniertes Exemplar mit persönlicher Widmung, das in Papas Bücherschrank auch neben Günter Grass bestehen kann, ist der Lohn.

Apropos Grass. Nicht nur über den Autor selbst, auch über die bürgerliche Presse, die in Person Fritz J. Raddatz mit bekannter feuilletonistischer Sprachgewalt Grassens “Rättin” als “Unheilsprophetie säkularen Ausmaßes” charakterisiert hatte, höhnt Deutschmann: “Die Ästhetik des Untergangs”. Über Deutschmann hat Raddatz noch nix gesagt. Dafür, immerhin, die “Badische Zeitung”: “Deutschmanns Gehirn ist ein springlebendiger Punchingball, der erst einmal alle politischen Tiefschläge der Nation und alle ideologischen Hämmer in ihrer ganzen Wucht einsteckt – sie anschließend ebenso präzise wie unberechenbar zurückgibt: nach allen Seiten beweglich, nach oben aber fest verbunden mit der deutschen Geistesgeschichte, mit Marx, mit Heine, mit Brecht und dem literarischen Kabarett der Weimarer Republik.” Bürgerliche Kritik hin, bürgerliche Kritik her – das darf nicht verschenkt sein, und so wirbt auf dem Rückdeckel des Buches mit diesem Zitat Matthias Deutschmann für die Badische Zeitung und die Badische Zeitung für Matthias Deutschmann. “Ich begrüße die boykotterprobte Linke, die mit der Rechten nach südafrikanischen Trauben greift.” Womit wir dann nach Impressum und Rückdeckel bei dem Teil des Buches angelangt sind, mit dem sich Rezensenten üblicherweise aufzuhalten pflegen, beim Inhalt. Was aber gibt es da noch zu sagen in einer Stadt, in der, allemal für die Leser dieser Zeitung, der Besuch des Deutschmann-Kabaretts schon Pflichtübung ist? Nicht viel mehr als: die Deutschmann-Kabarett-Texte gibt es jetzt auch in Buchform (illustriert im übrigen mit einem “Rattenzyklus” von Harald Herrmann). Und vielleicht noch: Einige der hier abgedruckten Texte gereichen vor allem zum Lob des Vortragskünstlers Matthias Deutschmann. Als Lesetexte sind sie nur schwer zu erfassen, und haben damit vor allem dokumentarischen Charakter im Sinne eines “songbooks”. Dies gilt dabei selbst für absolute Highlights des neuen Programms wie etwa die Max- und Moritz-Adaption “Young man go space”.

Und zu guter Letzt: In Deutschmanns “Hitler on the rocks” finden sich auch jene Texte des Autors, die man nicht einfach nur nachliest, die man im Gegenteil neu liest, die gelesen werden wollen. “Hitler”, “Mai 85” oder “Zynismus” sind für mich Beispiele, die zeigen, daß Kabarettexte auch Lesetexte sein und als solche bestehen können. Der bittere Nachgeschmack bei Deutschmanns “Hitler on the rocks”-Cocktail aber bleibt dort, wo Autor und Verlag sich nicht zu einer strengeren, an diesen Kriterien orientierten Textauswahl haben durchringen können – was wahrscheinlich bedeutet hätte, noch einmal zwei Jahre zu warten.

Aus: Stadtzeitung für Freiburg N° 122 (März 1987)

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