Thomas Hauke – Die verselbständigte Form
Thomas Hauke
Die verselbständigte Form
Kleist schrieb in dem Essay Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden, daß die Rede selbst mitunter erst die Gedanken hervorbringt. Ähnliches lässt sich auch vom Schreiben behaupten. Und da Schreiben verschiedene Formen kennt, unterscheiden sich die Gedanken in einer Rezension von denen in einem Buch. Allein die Form des Buches verlangt einen bestimmten Zusammenhang des Dargestellten, das sich zu einem Ganzen fügen soll. Das erfordert Gedanken, die einen solchen Zusammenhang erst deutlich werden lassen.
Stephan Grigats Buch mit dem gewichtig klingenden Titel Fetisch und Freiheit zeigt vor allem, daß sein Autor an der Form “Buch” gescheitert ist. Das heißt nicht, das Buch sei gedankenlos. Viele Überlegungen für die Grigat bekannt ist, finden sich hier wieder. Enthalten sind starke Thesen zu den Themen Antisemitismus, Nationalismus und Israelsolidarität. Einwürfe, die es (immer wieder) wert sind, in den entsprechenden Debatten gehört zu werden. Nationalismus, Antisemitismus und Rassismus sind für Grigat Basisideologien der kapitalistischen Gesellschaft. Als solche sind sie das falsche Bewußtsein der Verhältnisse im Kapitalismus, aber sie werden im Gegensatz zu den ökonomischen Ideen, an die sich auch halten muß, wer sie als falsch durchschaut hat, nicht zwangsläufig vertreten. “Auf die fetischistische Vergesellschaftungsform mit der Identifizierung alles Bösen und als bedrohlich Wahrgenommenen mit den Juden oder dem jüdischen Staat zu reagieren […] bleibt selbst in einer noch so unfreien Welt eine zu verantwortende Entscheidung jedes Einzelnen”. (349) Die u.a. daraus folgende Revision wertkritischer Politikabstinenz ist so sympathisch wie der Einsatz gegen jene, die mit der Kritik des linken Antisemitismus glauben, das Projekt einer kommunistischen Gesellschaftskritik los geworden zu sein.
Misslungen ist das Buch aber, weil es für seinen zentralen Gegenstand, die Fetischkritik, keine angemessene Darstellungsform findet. Die gekürzte Doktorarbeit lässt sich am besten dadurch beschreiben, was sie alles sein könnte, aber nicht ist. Fetisch und Freiheit beginnt mit dem Auftauchen des Begriffs “Fetisch” in den Berichten aus den Kolonien des 16. und 17. Jahrhunderts, schränkt aber bald den Blick auf Marx und die marxistische Debatte ein. Eine Begriffsgeschichte ist das Buch also nicht geworden, denn spätestens ab dem zweiten Kapitel ist klar, daß es Grigat um Konzepte geht, die ausgehend von Marx entwickelt wurden. Das Buch hätte zur Entwicklung dieser Konzepte einen eigenen Beitrag liefern oder zumindest die aktuellen Ideen von Grigats Referenztheoretikern Bruhn und Scheit systematisch darstellen können. Doch statt die Entwicklung der Fetischkonzepte zu analysieren, ist es ein weitgehend zusammenhangsloses Sammelsurium von Fetischbegriffen. Da etwa zwischen Alfred Sohn-Rethel und Guy Debord kein echter Zusammenhang hergestellt wird, liest sich der Übergang so: “Eine Beschäftigung mit den von Sohn-Rethel aufgeworfenen Problemen findet fast ausschließlich im Rahmen der kleinen wertkritischen Gemeinde statt. Ähnliches gilt für einen der wichtigsten Fetischkritiker aus Frankreich, dessen Theorie im folgenden kurz zu würdigen ist”. (188) Die Konzeption einer Fetischkritik wird so nicht plastisch.
Die verschiedenen Positionen stehen sich nicht nur unvermittelt gegenüber, sie bleiben auch als historische Formen marxistischen Denkens unproblematisiert. Weder wird gezeigt, wie eine Stufe Mängel der anderen bearbeitet und dabei eigene Stärken und Schwächen entwickelt, noch wird eine historisch-politische Einordnung geleistet. Ohne eine solche Rekonstruktion der einzelnen Ansätze muß aber auch ihre Kritik misslingen. Diese hat fast immer die Form von Kurzverdikten à la: “Bei Althusser geht es nicht um Ideologiekritik, sondern um einen ideologischen Kampf. Statt einer Theorie des Klassenbewußtseins, welches die Schwierigkeiten der Entwicklung emanzipativen Bewußtseins in der fetischistischen Gesellschaft thematisieren müßte, begnügt sich Althusser mit einem unbesiegbare(n) und klare(n) Vertrauen in die Arbeiterklasse” (200). Das Ungenügende dieses Urteils zeigt Grigat, wenn er in den folgenden Kapiteln Althussers Begriff der “ideologischen Staatsapparate” selbst verwendet. Leider verfährt der Autor auch mit wertkritischen Theorien so, nicht nur mit solchen, denen sein Autor nichts abgewinnen kann. Lediglich Marx und Adorno wird mit etwas mehr Empathie begegnet – doch auch die Darstellung ihrer Ansätze kommt über Altbekanntes nicht hinaus. Für Leserinnen, die mit der antideutschen Wertkritik vertraut sind, wirken große Teile des Buches ermüdend. Als Einführung in die Wertkritik hingegen sind die Darstellungen zu knapp und bleiben zu viele Konzepte unerläutert.
Grigat, der sich schon mal übertriebenen Applaus verbittet (“Wir sind hier doch nicht auf einem Parteitag!”), hat mit Fetisch und Freiheit seinen wichtigen Einwürfen eine falsche, autoritäre Form gegeben. Artikel und Statements entsprächen eher seinen Gedanken.
Aus: Phase 2. Zeitschrift gegen die Realität N° 26 (Dezember 2007)