Lars Quadfasel – Gegenaufklärung * Rezension zu: Gruber/Lenhard, Gegenaufklärung

Lars Quadfasel

Gegenaufklärung

Die Rezeption von Autoren wie Foucault, Lyotard oder Derrida, des so genannten Poststrukturalismus also, vollzog sich im deutschsprachigen Raum mit merkbarer Verzögerung. Was in Frankreich als Reaktion auf »1968« entstand und im darauffolgenden Jahrzehnt auch in den USA zum Inbegriff von »critical theory« avancierte, breitete sich in der hiesigen Linken erst nach der Zäsur von 1989 aus. Auf der Suche nach Orientierung präsentierten gestandene Klassenkämpfer plötzlich ›diskursive Machtstrukturen‹ und die ›Performanz der Sprache‹ als Feldzeichen einer runderneuerten Opposition. Heute kommt kaum ein Linker mehr ohne die bedeutungsschwangere Aussage aus, dieses oder jenes – Geschlecht, Nation, Behinderung oder Identität – sei »konstruiert «. Und wo sich Gestus und Vokabular des Poststrukturalismus als neue Tünche fürs alte Projekt erwiesen, mutet es auch fast schon zwangsläufig an, daß dessen Ikonen, ob Badiou, Zizek oder Butler, mit ihren antizionistischen Invektiven den geheimen Sinn der Parole vom »Tod des Subjekts« einmal im erhofften Ende Israels finden würden.

Poststrukturalismus war daher immer ein, in mehrfacher Hinsicht, dankbares Objekt jener an Marx und Adorno geschulten kommunistischen Strömung, die auch unter dem Namen »Antideutsche« bekannt geworden ist. Aus deren Reihen liegt nun, nach zahlreichen Aufsätzen und Flugschriften, mit Gegenaufklärung. Der postmoderne Beitrag zur Barbarisierung der Gesellschaft ein Sammelband zum Thema vor. Darin soll es einmal wirklich grundsätzlich hergehen. Der Poststrukturalismus, verrät der Klappentext, sei »nichts anderes als das ›Nachleben des Nationalsozialismus in der Demokratie‹« und suche dementsprechend den »Schulterschluß mit dem radikalen Islam«. Das Vorwort von Alex Gruber und Philipp Lenhard, der beiden Herausgeber, entwirft dazu das theoretische Programm: Die »unheilvolle Bewegung«, die in Islam und Poststrukturalismus kulminiert, soll, unter Rekurs auf den Marx-Engelsschen Begriff der »deutschen Ideologie«, über die Stationen Heidegger und Nietzsche bis auf Bruno Bauer und Max Stirner zurückgeführt werden. (Feuerbach, den dritten im Bunde der in der Deutschen Ideologie kritisierten Junghegelianer, läßt man etwas verschämt beiseite.)

Ganz wohl scheint den beiden Autoren dabei selbst nicht zu sein. »Was zunächst wie eine theoretische Konstruktion klingt«, sprechen sie sich Mut zu, »erweist sich bei näherer Betrachtung als kritische Reflexion der barbarischen Tendenz der kapitalistischen Vergesellschaftung.« Damit haben sie freilich nicht immer Glück. Was als materialistische Erdung gedacht ist, funktioniert, wie so vieles im vorliegenden Band, als Analogieschluß. Über das »selbstreferentielle Raunen seinsverliebter« –d.h. Heideggerscher und Derridascher – »Theorie« heißt es etwa: »Wie der Wert in der Krise sich seines Gebrauchswerts zu entledigen trachtet, weil dieser als naturale Fessel seiner selbstbezüglichen Bewegung erscheint; wie er als gleichzeitig notwendige Einheit von Gebrauchswert und Tauschwert ihn aber nur im Prozeß sich selbst verewigender Vernichtung exorzieren kann, so eröffnet die unhintergehbare Vermitteltheit des Seins durch Seiendes jenen Reigen antiessentialistischer Kritik, als welcher das postmoderne Denken auftritt.«

Man staunt – und fragt sich doch, ob wenigstens die Autoren anzugeben wüßten, was das sein und wie das gehen soll: eine »unhintergehbare Vermitteltheit des Seins durch Seiendes«, ein im Singularis mysticus sich aufspreizender Gebrauchwert und ein trachtender Wert, der so »selbstbezüglich« daherkommt, daß er (wenn auch nur »in der Krise«) »exorzieren« will, worin er sich einzig darstellen kann. Und zaghaft fragt man weiter, ob ein Autor, der andernorts Hannah Arendt vorwirft, sie exkulpiere die konkreten Mörder als »Rädchen im Getriebe« einer »verselbständigten Struktur der Moderne«, so schreiben darf, als fielen der Vernichtung zuvörderst philosophische Kategorien zum Opfer –oder ob das dem Inhalt eine Bedeutung beimißt, der ihm gar nicht zukommt, weil es vor allem tiefsinnig klingen soll. Das geschichtsphilosophische Getöse kommt freilich nicht von ungefähr. Es kleistert zusammen, was nicht zusammengeht. Denn auch die Autoren wissen ja, daß die »Barbarisierung«, auf die der Titel des Bandes verweist, nicht erst bevorsteht, sondern, um ein Wort Adornos zu variieren, bereits stattgefunden hat. Wenn »deutsche Ideologie«, wie Gruber und Lenhard schreiben, Denken der Vernichtung ist und folgerichtig in Heidegger ihren »Höhepunkt« gefunden hat, so kann es, rein logisch, über diesen hinaus keine Entwicklung mehr geben: Das vollendet Falsche kennt keine Widersprüche, die über es hinaustreiben. Soll dennoch zugleich die »deutsche Ideologie« im Poststrukturalismus umstandslos sich fortsetzen, gar erst zu sich selbst kommen, verschwindet folgerichtig die wirkliche gesellschaftliche Bewegung, als deren geistiger Vollzug sie, dem eigenen Anspruch nach, dechiffriert werden soll. Übrig bleibt Metaphorik: statt realer Vernichtung nun eben ›Exorzierung des Gebrauchswerts‹. In die Sphäre des reinen Geistes gebannt, wird das Aufspüren von Kontinuitäten zur stinknormalen Philologie – welche ihr Geschäft, das Aufspüren von ›Bezügen‹ und ›Einflüssen‹, bloß mit ein paar gesellschaftlichen Kategorien zu dramatisieren beliebt. Denn der Philologe weiß: Hat man die Quelle, hat man alles.

Mag Adorno daher Kritik noch verstanden haben als immanente, die den Gegenstand an seinen eigenen Ansprüchen blamiert, heißt sie für die Autoren des Bandes vor allem eins: den Nachweis führen, daß der Poststrukturalismus genau das ist, was auch Adorno schon kritisiert hat. Nirgends findet sich der Gegenstand begrifflich entfaltet, nirgends werden auch nur seine genauen Umrisse bestimmt; nirgends die Frage gestellt, auf welche politisch-ökonomische Konstellation Entstehung und Ausbreitung des Postrukturalismus verweisen – und wie es zugehen kann, daß dieser, wenn er schon Inbegriff deutscher Ideologie sein soll, ausgerechnet in Deutschland so vergleichsweise erfolglos blieb. [ 1 ]

Statt dessen wird entlarvt. ›Den postmodernen Nebelwerfern die Maske herunterreißen‹ hätte der Band auch gut heißen können. Niklaas Machunsky etwa eröffnet sein Plädoyer gegen Badiou mit dem schönen Satz: »Längst schon ist es angezeigt, den Meisterdenker einer geharnischten Kritik zu unterziehen, die seine nazistischen Neigungen offenlegt.« Gerhard Scheit wiederum will angesichts von de Saussure, Lévi-Strauss und Lacan »die falschen Synthesen denunzieren und den ursprünglichen Gegensatz« zur Kritischen Theorie herausarbeiten, »der zu Adornos und Horkheimers Zeiten noch manifest war«: Ideologiekritik als Agon.

Ein Agon allerdings, das manches Mal eher ans Wrestling erinnert. Herausgeber Lenhard etwa prangert die Vertreter des Poststrukturalismus an, sie »bejahten unter explizit positiver Bezugnahme auf den NS-Philosophen Heidegger den im Nationalsozialismus brutal verwirklichten und sich nach 1945 fortsetzenden ›Tod des Subjekts‹.« Denn »das Individuum befinde sich in einem ewigen Kampf mit der ›Macht‹, ließ man verlautbaren«, und das folgt natürlich einem perfiden Plan: »In scheinbar kritischer Anlehnung an Heidegger wurde die Macht bzw. das Sein als usurpatorisch denunziert und ihr das ›Eigentliche‹ … entgegengestellt, auf das es sich zu besinnen gelte.« Wer aber mit der Eigentlichkeit gegen das Sein zu Felde zieht, richtet sich nicht bloß, wie Lenhard weiß, in »Heideggers Gehäuse der Hörigkeit«, was immer das sein soll, ein; er »bejaht« zudem »die sogenannten ›Kulturen‹, also vor allem jene barbarischen Sitten und Gebräuche diverser Völker und Stämme, die die bürgerliche Gesellschaft des Westens erfolgreich abgestreift hätten.« Das will keine Auseinandersetzung, so ndern rechnet auf Zuspruch: aufs ›Hört hört‹ und ›Sag es, wie es ist, Mann‹. Belege können da nur stören; wem beim Lesen der Gedanke kommt, daß doch unter Postmodernen üblicherweise nichts verschriener als Authentizität ist und ›kulturelle Konstruktion‹ in der Regel jedenfalls nicht als Lob zu verstehen, weiß dann eben, daß er nicht zum Kreis der Angesprochenen zählt.

Man bleibt halt gerne unter sich. Je kleiner die Runde, desto besser kann man sich schließlich bestätigen, welche große Gefahr man da aufgedeckt hat und was für ein großer Theoretiker man also sein muß. (Weswegen sich auch nirgends im Band ein Verweis auf die klassischen Texte der Postmoderne-Kritik, auf Dews’ Logic of Disintegration oder Eagletons After Theory, auf Jaime Sempruns Rive gauche oder Ferrys und Renaults Abhandlung über Antihumanistisches Denken findet. Man möchte einfach gerne der einsame Warner und Mahner sein.) Hierzulande geht es eben, da machen die Antideutschen keine Ausnahme, immer ein wenig deutsch-provinziell zu. Das fordert von allen, auch den Klügeren, ihren Tribut. Mal verwechselt Tjark Kunstreich, wenn er über Lacan schreibt, das – für dessen Theorie konstitutive –moi, die starke Form des französischen Personalpronomens, mit einem Possessivpronomen; mal wiederum setzt Gerhard Scheit in die Welt, für de Saussure habe die Bedeutung eines Zeichens nichts mit der Referenz auf einen Gegenstand zu tun. Am Stammtisch blamiert man sich mit so was nicht.

Natürlich steht in Gegenaufklärung (neben Totalausfällen wie Martin Dornis’ Beitrag über »Die Ideologie des Todes«, an dem es an keiner Stelle um den Tod geht) auch Richtiges und Lesenswertes. Dem erwähnten Aufsatz Kunstreichs gelingt es phasenweise, seinem Gegenstand erstaunlich gerecht zu werden, wenn er zu ergründen versucht, welche Anziehungskraft Lacan für Homosexuelle und für Auschwitz-Überlebende in den 50ern besaß; Machunsky fördert immerhin einige bemerkenswerte Parallelen zwischen dem Stil Badious und dem der Mao-Verherrlichungstexte der Neuen Linken zutage; und Manfred Dahlmann sagt, was es über Peter Sloterdijk zu sagen gibt. Nur bleibt auch das Klügere durch die Anlage des Ganzen, den Gestus des Bescheidwissers, der auf den Tisch haut, nicht unberührt. Wer daher wissen will, wie eine antideutsche Kritik am Poststrukturalismus aussehen könnte, ist besser als mit dem vorliegenden Band mit der einschlägigen Ausgabe der Zeitschrift Bahamas zum »postmodernen Bedürfnis« (Nr. 26 / 1998) bedient. Deren Artikel waren, zu ihrem Vorteil, wirklich im theoretischen Handgemenge entstanden; heute hingegen schreibt man vor allem für die eigene Gemeinde. Und die scheint ohne eine gewisse Hemdsärmeligkeit nicht mehr auskommen zu können.

Anmerkungen

1 Natürlich, »deutsch«, das soll, wie immer betont wird, keine Wesensbestimmung, sondern ein politökonomischer Begriff sein. Aber das hieße den Nominalismus doch vielleicht zu weit führen, wenn von allen führenden Industrienationen ausgerechnet die Deutschen am wenigsten empfänglich für deutsche Ideologie wären.

Aus: Versorgerin, (Linz) N° 92 / Dezember 2011

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