Frank Schale – Rezension zu Gruber/Lenhard (Hrsg.) Gegenaufklärung

Frank Schale

Rezension zu Gruber/Lenhard: Gegenaufklärung

Die im Band versammelten Beiträge folgen der von den Herausgebern im Vorwort erklärten Prämisse, dass Deutschland “der Ausgangspunkt jener unheilvollen Bewegung der Gegenaufklärung [ist], die im Linkshegelianismus eines Bruno Bauer und Max Stirner ihren Anfang nahm, in Nietzsches ‘Wille zur Macht’ und Heideggers ‘Sein zum Tode’ ihren vorläufigen Höhepunkt erreichte und heute in Form des radikalen Islam und seiner postmodernen und poststrukturalistischen Apologeten im Westen seinen zeitgemäßen Ausdruck findet.” (7) “Deutsch” ist in dieser Perspektive alles, was entweder eine bestimmte Affirmation der bestehenden gesellschaftlichen Ordnung umfaßt oder als verkürzte Kapitalismuskritik bemängelt wird, weshalb die hier abgehandelten mehrheitlich französischen Autoren deutscher als manch Deutscher sind: Gemeint sind gleichermaßen die Theoretiker, die Habermas bereits in seinem “Der philosophische Diskurs der Moderne” kritisierte, aber auch heutige Populärphilosophen von Agamben bis Žižek. Fast jeder, der sich auf einzelne Aspekte von Heideggers und Nietzsches Schriften bezieht und mit dem mißverständlichen Begriff “Antihumanismus” etikettiert ist, kann als Gegenaufklärer tituliert werden – fast jeder, denn manche linke Heroen (Sartre, Freud, Althusser und vor allem Adorno) werden von der schneidenden bis unsachlichen Mißbilligung, Nietzsche gelesen und ihn nicht gleich als einen Faschisten denunziert zu haben, geflissentlich ausgenommen. Mögen die Studien im Einzelfall durchaus anregend und die Kritik bisweilen plausibel sein, bemerkenswert ist, dass die Beiträger kaum Interesse zeigen, die Hauptwerke der beanstandeten Autoren einer fairen Analyse zu unterziehen und sie stattdessen ausschließlich aus der Imagination des “Deutschen” konstruieren, während ihnen andere Traditionslinien, die zweifellos außerhalb des “Deutschen” liegen – man denke an Durkheims Soziologie oder Bachelards Wissenschaftstheorie – unbekannt zu sein scheinen.

Aus: Portal für Politikwissenschaft (Mai 2012)

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