Werner Seppmann – Die Unordnung der Dinge * Rezension zu: Gruber/Lenhard, Gegenaufklärung
Werner Seppmann
Die Unordnung der Dinge
Für die Wirkungsweise ideologischer Herrschaftsvermittlung in den spätimperialistischen Gesellschaften ist es bezeichend, daß kaum Kritik an den modephilosophischen »Meisterdenkern« Michel Foucault und Jacques Derrida existiert. Die Sekundärliteratur zu ihnen ist uferlos – und besteht mit nur wenigen Ausnahmen aus unreflektierten Lobgesängen. Um so bemerkenswerter, daß Autoren aus dem Umkreis der Krisis-Gruppe sich der Aufgabe einer fundamentalen Kritik des »Postmodernen Denkens« gestellt haben. Dies ist eine notwendige Intervention, weil im Postmodernismus der gegenwärtige Kulturzustand zu sich selbst kommt: Die Feier einer allgemeinen Orientierungs- und Perspektivlosigkeit ist ein intellektueller Herrschaftsdienst, der sich meist hinter einer »kritischen« Fassade zu verbergen sucht.
Obwohl »Postmodernes Denken« als konzeptionelle Ideologie seinen Zenit überschritten hat, besitzen seine grundlegenden Orientierungen, auch in »kulturlinken« Kreisen großen Einfluß. Als Inbegriff kann hier theoretische »Subversivität« gelten. Hinter einer verwirrenden Vielfalt von Selbstetikettierungen (Postmoderne als Oberbegriff und davon abgeleitet Dekonstruktivismus, Poststrukturalismus, Genealogie, Postmarxismus etc.) verbirgt sich der Zweifel, daß innerhalb des sozialen Geschehens noch Ursachenkomplexe und Wirkungszusammenhänge erkannt werden können. Mit der »Unerkennbarkeit«, wird die Vorstellung einer Unveränderbarkeit der Welt mitgesetzt und dabei gleichzeitig »Wissen« auf die Dimension subjektivistischer Selbstgenügsamkeit reduziert.
In unterschiedlicher Intensität gelingt den Autoren des Bandes der Nachweis, daß es mit den kritischen Selbstzurechnungen nicht weit her ist. In den meisten Fällen handelt es sich beim »Postmodernen Denken« um eine (wenn in der Regel auch indirekte) Apologie herrschender Verhältnisse, die als Funktionselement eines ebenso intellektuellen, wie »lebensweltlichen« Irrationalismus die kulturelle Barbarisierung fördert. Mit absolutem Geltungsanspruch wird die »Wahrheit« verbreitet, daß es keine Wahrheit gäbe, also auch die von den herrschenden Verhältnissen produzierten Selbsttäuschungen undurchdringbar seien: Eine Unterscheidung von Schein und Wesen, Wahrhaftigkeit und Lüge sei mittlerweile unmöglich geworden.
Regelmäßiger Bezugspunkt für den Verzicht auf eine kritische Haltung zu den gegebenen Verhältnissen ist die sogenannte »Machttheorie« Foucaults, die in ihrem Kern aus der (von Nietzsche abgeleiteten) Vorstellung einer unaufhebbaren Verstrickung der Subjekte in ein überhistorisch gedachtes System von Unterdrückung und Selbstunterdrückung besteht. »Macht« wird als ein unaufhebbares Prinzip begriffen, das sich anonym (über die Köpfe und die Handlungen der Protagonisten hinweg) »entfaltet«: »Jeder von uns«, meint Foucault, »übt sie aus und sie äußert sich überall«. Folglich können und sollen für die Machtverstrickungen auch keine sozio-strukturellen Ursachen mehr benannt werden! Es soll ausdrücklich nicht darum gehen, die »Formen der Macht ihn ihrem Kern und in ihren allgemeinen Mechanismen oder ihren Gesamtwirkungen zu analysieren.« (M. Foucault)
Da gleichzeitig Subjektivität und Unterwerfung als identisch begriffen werden, ist eine kritische Distanz zu den konkreten Formen der Machtreproduktion nicht mehr möglich: Es wird der »Tod des Subjekts« (Foucault) verkündet, ohne sich mit den konkreten Prozessen der Subjektzerstörung, der Instrumentalisierung und Deformation der Menschen als Funktionsbedingung spätkapitalistischer Gesellschaften zu beschäftigten.
Zwar heißt es auch in diesem Sammelband, die »Auflösung überkommener Identitäten« gebe es »wirklich«, reproduzierten sich doch die anti-sozialen und anti-zivilisatorischen Prinzipien des Konkurrenz-Universums in der Beschädigung der Subjektausstattung. Aber dieser Effekt wird im Foucault-Denken bestenfalls beschrieben und konstatiert: Jenseits konkreter Ursachenanalysen angesiedelt, erscheint er als irreversible Bedingung menschlicher Vergesellschaftung. Historische Alternativen auch nur denken zu können, wird dadurch systematisch verhindert. Von der unkritischen Foucault-Apologie wird die bloße Tatsache der Benennung subjektiver Bedrängungserfahrungen jedoch als eine kritische Haltung mißverstanden. Dennoch: Innerhalb der theoretischen Grundannahmen wird aber »vollends klar, dass der Tod des Subjekts nur Apologie jenes ›automatischen Subjekts‹ bedeuten kann, das Marx als das Abzuschaffende analysierte.«
Wenn es noch eines Beweises für diese ideologische Umschlagautomatik bedurft hätte, dann liefern ihn die die sogenannten Gouvernementalitäts-Studien in der Foucault-Nachfolge. Durch ihre Argumentationspraxis wird deutlich, daß auf der Grundlage seiner Identisch-Setzung von Subjektivität und Unterwerfung nicht mehr zwischen neoliberalistischer Inanspruchnahme der »Arbeitskraftunternehmer« und personellen Selbstansprüchen unterschieden werden kann. In dieser Theoriepraxis erscheint die Zerstörung von Identitätsstrukturen durch vieldimensionale Beanspruchungsformen eines entgrenzten Ökonomismus als Entfaltungsraum »individueller Freiheit«, die Formen selbstzerstörerischer Bindungslosigkeit als Ausdruck einer pseudoemanzipatorischen »Selbstführung«. Das angeblich »subversive Wissen« endet als kapitalismuskonforme Legitimationsideologie. Nicht zufällig hat das »Postmoderne Denken« seinen Sieges- und Destruktionszug im Windschatten der neoliberalistischen Offensive begonnen.
Theoriegeschichtlich interessant an den versammelten Beiträgen ist, daß die Postmodernismuskritik mit Hilfe Adornos geleistet wird, dessen Theoreme in den letzten Jahren selbst verstärkt in den Sumpf regressiven Denkens geraten sind. Das ist die Konsequenz einer theoretischen Zwiespältigkeit der Kritischen Theorie, die ihren Ausgangspunkt in einer ebenfalls mit Nietzsche korrespondierenden geschichtsphilosophischen Verfallsmythologie hat, die in der Aussage kulminiert, daß »der Fluch des unaufhaltsamen Fortschritts … die unaufhaltsame Regression« sei, wie Horkheimer/Adorno in der »Dialektik der Aufklärung« formulierten. Dieser resignative Grundakkord hat die Kritische Theorie für modephilosophische Vereinnahmungen anfällig gemacht. Jedoch werden in den vorliegenden Studien zur »Gegenaufklärung« die Proportionen wenigstens teilweise wieder hergestellt, indem die mittlerweile verschüttete kapitalismuskritische Substanz der Frankfurter Schule wieder zur Geltung gebracht wird. Allerdings wird nicht deutlich, was die Machtverfallenheit des postmodernen Denkens tatsächlich bedeutet und welchen sozialen Klassen dessen affirmative Grundtendenz dienlich ist.
Aus: “junge Welt” vom 10. Januar 2011