Chris Arthur – Moishe Postone, Time, Labor, and Social Domination

Chris Arthur

Moishe Postone, Time, Labor, and Social Domination

In der Tat wiederholt sich vieles in diesem Buch. Das ist schade, denn die guten Sachen befinden sich hauptsächlich in der zweiten Hälfte. Der erste Teil ist dem Angriff auf einen »Pappkameraden« namens »traditioneller Marxismus« gewidmet. Vieles von dem, was hier als etwas »Neues« behauptet wird, dürfte den Mitgliedern der CSE und der URPE [1] wohlbekannt sein. Im weiteren Fortgang des Buches werden aber tatsächlich originelle Positionen entwickelt.

Für mich liegt das große Verdienst des Buches von Postone darin, daß es die methodologische Frage nach der Bedeutung der dialektischen Logik von Hegel für den Marxismus klärt. Jeder kennt die geheimnisvolle Bemerkung über den »rationellen Kern«, der in Hegels Dialektik stecke.[2] Normalerweise denken die Leute, man müsse Hegel »wieder auf die Füße stellen«, um zu einer vernünftigen materialistischen Dialektik zu gelangen. Was aber, wenn der »rationelle Kern« von Hegels Dialektik genau in seinem »Idealismus« besteht! – »rationell« in dem Sinn, daß er aus der verrückten Welt der dem Kapital eigenen Verkehrungen von Form und Inhalt herrührt. Diese faszinierende Möglichkeit wird hier erläutert.

Postone zufolge »geht Marx davon aus, daß ein historisches Subjekt im Hegelschen Sinn tatsächlich im Kapitalismus existiert«, nämlich das Kapital, das wiederum auf der abstrakten Arbeit beruht. Mit anderen Worten: Hegel hat die widersprüchlichen gesellschaftlichen Formen des Kapitalismus erfaßt, aber »nicht in ihrer historischen Besonderheit« (S. 81). Daraus folgt:

Die Struktur der dialektischen Entfaltung der Marxschen Argumente im Kapital sollte als Metakommentar zu Hegel verstanden werden. Marx habe nicht Hegel auf die klassische politische Ökonomie »angewandt«, sondern Hegels Gedanken in einen Zusammenhang zu den Begriffen der gesellschaftlichen Formen der kapitalistischen Gesellschaft gestellt (S. 81).

Während eine bloße Umkehrung von Hegel zu einer materialistischen Geschichtsphilosophie führt, die auf einigen a priori gegebenen dialektischen Schemata beruht, ist es die wahre Leistung der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie, die Formen, die Hegel als absolut und ideell denkt, als gesellschaftliche auszumachen. In diesen Formen kann tatsächlich eine historische »Logik« erkannt werden; aber eine, die auf die Parameter der kapitalistischen Entwicklung begrenzt ist, weil deren gesellschaftliche Formen durch eine materielle Abstraktion in der Weise einheitlich konstituiert werden, daß dies eine Dialektik begründet. Die Methode entspricht dem Gegenstand. Postone argumentiert auch zutreffend, daß der Gegenstand die entwickelte kapitalistische Gesellschaft ist – nur sofern der Wert als »eine totalisierende Kategorie« existiert (S. 271).

Postone macht sich zu Recht über »Post-Marxisten« und »Post-Modernisten« lustig, die der Kategorie der Totalität die Gültigkeit absprechen, als trügen Hegel und Marx die Schuld an ihr. Dabei reflektieren diese nur (Hegel unkritisch, Marx kritisch) die totalisierende Logik der Wertform, die sich selber so erdrückend aufzwingt, daß alle Beziehungen von ihr erfaßt werden.

Ausgehend von diesem Begreifen der historischen Besonderheit der Marxschen Kategorien fordert Postone, »den Marxismus nicht als eine universell anwendbare Theorie, sondern als eine kritische Theorie speziell für die kapitalistische Gesellschaft« (S. 5) zu begreifen: Sie analysiere die für den Kapitalismus spezifischen Formen von Arbeit, Reichtum und Zeit. Im Einzelnen führt er aus, daß Arbeit nicht »das Prinzip der gesellschaftlichen Konstitution und nicht in allen Gesellschaften die Quelle des Reichtums« (S. 6) ist. An dieser Stelle droht Verwirrung, da Postone den Begriff »Reichtum« hier ungenau verwendet. Es ist allgemein bekannt, daß Marx der Ansicht entgegengetreten ist, Arbeit sei die einzige Quelle des materiellen Reichtums. Woran Postone denkt, ist aber folgendes: Erstens, daß nur im Kapitalismus die Arbeitszeit zum Maßstab der sozialen Form des Reichtums wird; zweitens, daß in einer Zukunft, die nahezu frei von Arbeit ist, Wissenschaft und Technologie die Hauptquellen des Reichtums sein werden (wobei er sich auf die bekannten Passagen in den Grundrissen stützt). Der interessantere Teil seiner Behauptung ist jedoch das Argument, daß nur im Kapitalismus Arbeit eine gesellschaftliche Form annimmt, die sie zur Basis aller gesellschaftlichen Vermittlung macht. Im Verlauf seiner Analyse der Bestimmungen dieser gesellschaftlichen Form der Arbeit schenkt er der eigentümlichen Dialektik der Zeit, die den Trieb zur Akkumulation unterstreicht, viel Aufmerksamkeit.

Sein Verständnis der eigentümlichen gesellschaftlichen Form der Arbeit hat Konsequenzen dafür, wie das Verhältnis zwischen »Struktur« und »Kampf« in angemessener Weise verstanden wird. Postone sagt, das Kapital könne nicht »vollständig« als ein Klassenverhältnis erfaßt werden, dessen innere Entwicklung »allein« auf dem Klassenkampf beruht. Überzeugend zeigt er, daß zusätzlich zu solchen Überlegungen die dem Kapital eigene strukturelle Logik begriffen werden muß: der Wert »ist weder ein bloßer Regulator der Zirkulation, noch allein eine Kategorie der Klassenausbeutung; sondern als selbstverwertender Wert formt er den Produktionsprozesses und begründet die innere Dynamik der kapitalistischen Gesellschaft« (S. 278).

Diese Interpretation hebt sich von reduktionistischen Betrachtungsweisen ab, wie sie in John Holloways Aphorismus »Kapital ist Klassenkampf« (Bonefeld und Holloway, 1991, Ch., 9) zum Ausdruck kommen. In Wirklichkeit besteht zwischen Struktur und Kampf eine dialektische Wechselbeziehung. Leider verliert Postone diese aber aus den Augen. Sein fataler Fehler besteht darin, daß er von dem »das Kapital kann nicht vollständig und nur in Klassenbegriffen erfaßt werden« – von diesem »vollständig« und diesem »nur« – zu einer völligen Ablehnung der Bedeutung des Klassenkampfes für den Sozialismus übergeht.

Die zentrale Behauptung seines Buches ist folgende: Während der »traditionelle Marxismus« den Kapitalismus vom Standpunkt der Arbeit aus kritisiert, denkt Postone, daß Marx zufolge die Arbeit im Kapitalismus »der Gegenstand der Kritik« ist (S. 6). Als Wertbestimmung ist die proletarische Arbeit gesellschaftlich konstitutiv für das Kapital; daher »widerspricht sie ihm nicht völlig« (S. 371). Daraus zieht er die Schlußfolgerung, daß die Arbeiterklasse dem Kapitalismus und seiner Entwicklung wesentlich angehört, statt die »Verkörperung seiner Negation« zu sein (S. 17).

Weder die Voraussetzung noch die Schlußfolgerungen treffen zu. Postones Gegensatz zwischen einem Standpunkt der Arbeit und einer Kritik der Arbeit ist eine falsche Antithese. Insoweit die Arbeit sich selbst als den Grund ihrer eigenen Unterdrückung begreift, unterzieht sie sich einer Selbstkritik. Postone schließt sich dermaßen in seiner Betrachtung der Kategorien als historisch besondere ein, daß er nicht mehr sehen kann, wie aus dem Inneren des Systems heraus seine objektive Transzendenz behauptet werden kann. Daher kann er den Standpunkt der Arbeit nicht als einen erkennen, der zu einer selbsttranszendierenden Bewegung führt.

Für mich ist die Positon von Marx »der kritisch eingenommene Standpunkt der Arbeit« (Arthur, 1986: 145). Ich sehe keinen Grund (und auch Postone tat dies vor 20 Jahren noch nicht – siehe Postone und Reinicke, 1974), sich gegen die von Marx selber erklärte Betrachtungsweise zu wenden, daß seine Kritik den Standpunkt »der Klasse« vertrit t, »deren geschichtlicher Beruf die Umwälzung der kapitalistischen Produktionsweise und die schließliche Abschaffung der Klassen ist – das Proletariat« (Das Kapital, MEW Bd. 23, S. 22).

Das Kapital beruht letztendlich auf proletarischer Arbeit – »daher«, so argumentiert Postone in einem wunderbaren non sequitur [3], »kann die Überwindung des Kapitals nicht auf der Selbstbestätigung der Arbeiterklasse beruhen« (S. 371).

Natürlich kann sie! – wenn die Arbeiter sich selber als die menschlichen Wesen bestätigen, die sie zusätzlich zu ihrem Dasein als Träger von Arbeitskraft sind. Postone spricht, als habe das Kapital erfolgreich das Kapitalverhältnis vergegenständlicht – als könnten die Arbeiter nicht in und gegen die Wertform denken.

Da Postone diesen objektiven Standpunkt aufgeben hat, kann er seine Kritik nicht mehr gesellschaftlich verorten; er kann nur zu »Möglichkeiten« Zuflucht nehmen, die »subjektiv« begriffen werden könnten, oder auch nicht. »Diese Kritik wurzelt nicht in dem, was ist, sondern in dem, was möglich geworden ist«, schreibt er (S. 361). Er hofft, daß »die Menschen« (S. 373) auf dieser Basis das bestehende Herrschaftssystem bekämpfen mögen. Wie schwach! Welche Menschen? Industrielle? Bürokraten? Bischöfe? Wissenschaftler? Arbeiter?

Natürlich unterscheidet sich die proletarische Revolution von der der Bourgeoisie darin, daß letztere innerhalb des Feudalismus ihre eigene Produktionsweise ansatzweise entwickeln und auf der Basis ihres Reichtums, ihrer Erziehung und ihres Wissens über neue Produktivkräfte um die politische Macht wetteifern konnte. Dem Proletariat fehlt diese praktische Basis, um seine Hegemonie zu beanspruchen. Es repräsentiert neue Produktivkräfte nur in dem Sinne, daß seine Revolution gegen das Kapital den Weg für die oben erwähnten Möglichkeiten eröffnet. Die Grundlage für seine Revolte wurzelt in der existierenden Unsicherheit, Belastung und Leere der Lohnarbeit. Der Standpunkt dessen »was ist«, ist auch der Standpunkt dessen »was sein könnte«, wenn er der negative Pol eines Widerspruchs ist.

Der Schlüssel zu Postones Perspektive sind die Passagen der Grundrisse und des Kapital, die sich auf die wachsende Tendenz beziehen, die lebendige Arbeit durch die Resultate des gesellschaftlich angeeigneten Wissens um Wissenschaft und Technologie zu ersetzen. Er ignoriert die von anderen daraus gezogene Schlußfolgerung, daß die »Klasse der Zukunft« die Technokraten sein werden, und bietet stattdessen eine vage Hoffnung, die »Menschen« könnten die Notwendigkeit für einen auf diesem gesellschaftlichen Wissen basierenden Sozialismus erkennen, in dem der Arbeit nur noch eine marginale Rolle zugewiesen wird oder zumindest nicht mehr das Subjekt des »Tretmühleneffekts« ist, der den Akkumulationstrieb des Kapitals konstituiert.

Meinerseits gestehe ich zu, daß die proletarische Revolution es schwer haben wird, »zu sich selbst zu kommen«, denn wegen des leicht »dezentrierten« Verhältnisses zwischen Klassenkampf und den besonderen Formen der »Materialisierung des Kapitals« hat das Proletariat, auch wenn es die auf dem Eigentum beruhenden Klassenverhältnisse zerstört, die schwierige Aufgabe noch vor sich, ein seinem Wesen nach entfremdetes und entfremdendes hierarchisch organisiertes Produktionssystem sich anzueignen und zu reorganisieren. Wenn es der Revolution nicht gelingt, dieses von Grund auf umzukrempeln, dann wird jemand anderes es verwalten und Profit aus ihm ziehen. In diesem Sinne kann das Kapital in gewisser Weise ohne Kapitalismus existieren (vergleiche Mészáros, 1992).

Postone ist ein revisionistischer Marxist; aber ein schüchterner. Das »Neue« hier ist, daß Punkte, die normalerweise von Andersdenkenden gegen Marx angeführt werden, als Marx’ eigene Standpunkte dargestellt werden! – z.B. die Behauptung, das Proletariat sei nicht »das revolutionäre Subjekt« (S. 388). Trotz seiner zweifelhaften politischen Schlußfolgerungen ist das Buch doch von großem Interesse. Die hier gelieferte »Kritik der Arbeit« ist ein wichtiger Beitrag zur Debatte um Marx.

Literatur

Arthur, C.J. (1986) Dialectics of Labour, Blackwell, Oxford.

Ders., (1993) »Hegel’s Logic and Marx’s Capital« in Marx’s Method in Capital, F. Moseley [ed.] Humanities, Atlantic Highlands, NJ.

Bonefeld, W., and J. Holloway [eds.] (1991) Post-Fordism & Social Form: A Marxist Debate, Macmillan, London.

Marx, K., Das Kapital [hier zitiert nach MEW Bd. 23].

Mészáros, Istvan (1992) Interview, in Radical Philosophy 62, Autumn.

Postone, M. and H. Reinicke (1974) »On Nicolaus ‘Introduction’ to the Grundrisse«, in Telos 22.

Fußnoten

[1] CSE = Conference of Socialist Economics, wurde 1970 gegründet und gibt in London die Zeitschrift Capital & Class heraus; URPE = Union for Radical Political Economics of the United States, wurde 1968 in den USA gegründet und gibt dort die Zeitschrift Review of Radical Political Economics heraus.

[2] Arthur meint eine Stelle aus dem Nachwort zur zweiten Auflage des ‘Kapital’ von Marx, die ich hier zum besseren Verständnis der Besprechung anführe: »Meine dialektische Methode ist der Grundlage nach von der Hegelschen nicht nur verschieden, sondern ihr direktes Gegenteil. Für Hegel ist der Denkprozeß, den er sogar unter dem Namen Idee in ein selbständiges Subjekt verwandelt, der Demiurg des Wirklichen, das nur seine äußere Erscheinung bildet. Bei mir ist umgekehrt das Ideelle nichts andres als das im Menschenkopf umgesetzte und übersetzte Materielle. / Die mystifizierende Seite der Hegelschen Dialektik habe ich vor beinah 30 Jahren, zu einer Zeit kritisiert, wo sie noch Tagesmode war. Aber grade als ich den ersten Band des ‘Kapital’ ausarbeitete, gefiel sich das verdrießliche, anmaßliche und mittelmäßige Epigonentum, welches jetzt im gebildeten Deutschland das große Wort führt, darin, Hegel zu behandeln, wie der brave Moses Mendelssohn zu Lessings Zeit den Spinoza behandelt hat, nämlich als ‘toten Hund’. Ich bekannte mich daher offen als Schüler jenes großen Denkers und kokettierte sogar hier und da im Kapitel über die Werttheorie mit der ihm eigentümlichen Ausdrucksweise. Die Mystifikation, welche die Dialektik in Hegels Händen erleidet, verhindert in keiner Weise, daß er ihre allgemeinen Bewegungsformen zuerst in umfassender und bewußter Weise dargestellt hat. Sie steht bei ihm auf dem Kopf. Man muß sie umstülpen, um den rationellen Kern in der mystischen Hülle zu entdecken.« (MEW Bd. 23, S. 27).

[3] Verneinung der Konsequenz; »wer a sagt, muß nicht b sagen«.

Cambridge University Press, Cambridge 1993

Aus: capital & Class, Nr.° 54
deutsche Fassung: Wildcat-Zirkular Nr. 18 – August 1995 – S. 37-41

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