N.N. – Helmut Reichelt. Zur logischen Struktur des Kapitalbegriffs bei Karl Marx * Rezension
N.N.
Helmut Reichelt. Zur logischen Struktur des Kapitalbegriffs bei Karl Marx
In der sich Ende der sechziger Jahre diversifizierenden Studentenbewegung gab es eine kleine Fraktion, die sich in Einzelaktionen, zumeist aber in kollektivierten Lektürekursen dem methodischen Zugriff auf das “automatische Subjekt” Kapital widmete: Marxismus, so die der aktivistischen Mehrheit der revolutionierten Bürgerkinder zugeraunte Weisheit, war Methode und diese galt es vor allem anderen zu rekonstruieren. Man studierte nicht nur die blauen, sondern z. B. auch die roten Bände der Reihe “Politische Ökonomie. Geschichte und Kritik” aus der “Europäischen Verlagsanstalt”, die ansonsten mit Vorliebe an bildungshungrige Gewerkschafter gratis verteilt und von diesen ungelesen in der nächsten Ecke abgestellt wurden, und insbesondere, angestoßen von Roman Rosdolskys in dieser Reihe erschienenem Werk “Zur Entstehungsgeschichte des Marxschen ‘Kapital‘, die bis dahin kaum rezipierten Marxschen “Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie”. Nicht von ungefähr eröffnete Helmut Reichelt seine zuerst 1970 erschienene und in den folgenden Jahren mehrfach nachgedruckte Arbeit Zur logischen Struktur des Kapitalbegriffs bei Karl Marx, die jetzt, versehen mit einem “Vorwort zur Neuauflage”, erneut vorliegt (Freiburg: ça ira, 2001, 285 S.), mit den Worten: “Als Roman Rosdolsky im Jahre 1948 …”, verweist aber gleich anschließend in tradiertem akademischem Gestus – keine Dissertation ohne Desiderat der Forschung – darauf, daß man trotz Rosdolskys Vorarbeiten “der erhofften Klärung der methodischen Probleme … kaum einen Schritt näher gekommen zu sein (scheint)”. Ob die Arbeit an der Rekonstruktion der Marxschen Methode zwischenzeitlich – nach immerhin dreißig weiteren Jahren intensiver Marx- und sonstiger Lektüre – als geglückt oder gar beendet betrachtet werden kann, darf wohl bezweifelt werden, weist doch Reichelt gleich am Anfang seines “Vorworts zur Neuauflage” darauf hin, daß er seinerzeit, als er den “ erste(n) Versuch einer Rekonstruktion der Marxschen dialektischen Methode im Kapital” vorlegte, “einen zentralen Hinweis übersehen” hatte. Es handelt sich dabei um einen in einem 1859 geschriebenen Brief an Engels gegebenen Hinweis von Marx darauf, daß in seinen zukünftigen Ausarbeitungen einer Kritik der politischen Ökonomie “die Methode vielmehr versteckt” sein werde. “Marx”, so die aktuelle Schlußfolgerung Reichelts, “hat es also seinen Lesern nicht leicht gemacht: einerseits präsentiert er ein Werk mit hohem wissenschaftlichen Anspruch; andererseits versteckt‘ er die Methode, durch die sich gerade Wissenschaftlichkeit definiert.” Das ist natürlich gemein von Marx, führt aber immerhin dazu, daß der weiteren Erforschung der Marxschen Methode mittlerweile eine fast schon transzendente Qualität zugesprochen werden kann, vorausgesetzt man sieht von jenen Lektüremängeln und -fehlern ab, deren Eingeständnis zugleich – quasi trivialdialektisch – die Notwendigkeit weiterer intensiver Lektüren begründet. Unabhängig von solchen Imponderabilien läßt sich Reichelts Arbeit jedoch immer noch als wichtiger Beitrag zu einer “Nachzeichnung der dialektischen Darstellung der Kategorien und Erörterung der Implikationen dieser Darstellungsform” lesen, verstanden als Vorarbeit für ein adäquates Verständnis “der von Marx getroffenen Unterscheidung zwischen der Darstellung des ‚allgemeinen Begriffs des Kapitals‘ und der – von Marx explizit ausgeklammerten – Darstellung der wirklichen Konkurrenz, des existierenden Kapitalismus”, die letztlich wohl erst dann geleistet werden kann, wenn die methodischen Desiderata endgültig gelöst sind, was aber, da die Marxschen ökonomischen Manuskripte immer noch nicht vollständig publiziert worden sind, noch einige Zeit dauern kann, anknüpfend u.a. an die Vorarbeiten von Reichelt und Hans-Georg Backhaus, dessen gesammelte Interpretationen bereits vor einigen Jahren in dem Band “Dialektik der Wertform. Untersuchungen zur Marxschen Ökonomiekritik” veröffentlicht wurden, thematisiert Nadja Rakowitz in ihrer Arbeit Einfache Warenproduktion. Ideal und Ideologie (Freiburg: ça ira 2000) den ideologischen Charakter der in der bürgerlichen politischen Ökonomie formulierten “Arbeitswerttheorie”, die ein “in Form der einfachen Zirkulation und der dieser gemäßen Produktion: der einfachen Warenproduktion” erscheinendes Ideal von “Gleichheit und Allgemeinheit” transportiert, “das über die bürgerlichen Gesellschaft hinauszuweisen scheint”. Die daraus resultierenden und sowohl von politischen Ökonomen als auch manchen Sozialisten – dies wird verdeutlicht an den Beispielen Proudhon und Silvio Gesell sowie am Konzept der ,Zivilgesellschaft‘ – formulierten und tradierten bürgerlichen Illusionen von politischer Gleichheit und gerechtem Lohn, juristisch fixiert im Privatrecht, konterkariert Rakowitz mit einem ausführlichen Rekurs auf die Marxsche Wertformanalyse, auf deren Basis “die Kritik der einfachen Zirkulation und damit die Kritik der einfachen Warenproduktion und ihr notwendiges Übergehen in die Kritik des Kapitalverhältnisses” zu leisten und somit “zumindest die negativen Bedingungen der Aufhebung der bürgerlichen Gesellschaft” aufzuzeigen sind.
Aus: Archiv für die Geschichte der Arbeit und des Widerstands N° 17 ( 2003), S. 808 f.