Michael Landmann – Weitere Motive des Antiisraelismus * Leseprobe aus: ders., Das Israelpseudos der Pseudolinken
Michael Landmann
Weitere Motive des Antiisraelismus
Unter den Motiven, die die Neue Linke an die Seite der Palästinenser treiben, ist das
(1) antiimperialistische vielleicht das hervorstechendste. Aber es ist nicht das einzige.
(2) Die Neue Linke ist von Moskau nicht so unabhängig wie sie vorgibt. Ihre Empörung über den Einmarsch in der Tschechoslowakei war lau. Im Konflikt zwischen Moskau und Peking steht sie zwar auf seiten Pekings, das sich jedoch hinsichtlich des Proarabismus von Moskau in nichts unterscheidet. Die Konvergenz der Neuen Linken mit den etablierten kommunistischen Mächten nimmt im Laufe der Jahre zu. Als Schwungrad an der kommunistisch-arabischen Achse schaltet sie sich in die große Politik ein. Wenn Nixon in Kambodscha einmarschiert, wird überall in der Welt dagegen demonstriert; über die russische aktive Beteiligung an dem Kampf, den Ägypten gegen Israel führt, schweigt man sich aus. Den Imperialismus schlägt man, die USA meint man. Sowjetischer Imperialismus ist in Wahrheit kein Imperialismus.
(3) In der Hinwendung zur Dritten Welt bekundet sich uneingestanden, und obgleich man von ihr erst die Krönung des Fortschritts erwartet, ein retrograd romantischer Affekt, eine “Europamüdigkeit”. Dies steht zwar außerhalb der politischen Motivation, trägt aber bei vielen Mitläufern dazu bei, sie Wurzeln schlagen zu lassen. Israel gehört zum rationalistischen, durchtechnisierten und neurotischen Westen. Von ihm sind die Araber als Orientalen weniger angekränkelt. Sie haben noch den Reiz des Geheimnisses.
(4) Bis zum Sechstagekrieg erschienen die Israelis als die underdogs, die man verteidigen muß. Nach ihrem Sieg verlagert sich das natürliche Mitgefühl auf die Unterlegenen. – Dieses Mitgefühl ist kurzsichtig. Israel kann Schlachten gewinnen, aber nicht verhindern, daß die Araber erneut gegen es rüsten. Je mehr sie sich modernisieren, um so mehr wird ihre zahlenmäßige Überlegenheit ins Gewicht fallen. Sie empfangen große Waffenlieferungen nicht nur des Ostens. Während Israels Siege nur Waffensiege sind, die die Existenz der arabischen Staaten und Völker nicht bedrohen, wäre der arabische Sieg eine Staats- und Volksvernichtung.
(5) Die Kritik an Israel bildet einen Differenzierungspunkt gegen das Establishment und seinen durchschnittlichen Philosemitismus, der speziell in Deutschland dem Verdacht unterliegt, für unüberwundene Schuldkomplexe und für weiterhin latente faschistische Tendenzen als eine Art Blitzableiter zu dienen. Die junge Generation will ihr Freisein von beidem dokumentieren durch die Unbefangenheit, mit der sie an das Israelproblem herangeht. Mit dieser Unbefangenheit könnte sie zwar an sich zu einem ähnlichen Ergebnis kommen wie das Establishment – im “zwei mal zwei = vier” stimmen auch Todfeinde überein –, was Kritik an Israel und ein größeres Verständnis auch für die arabische Seite nicht ausschlösse. Sie zieht es aber, vielleicht um sich besser abzugrenzen und darin eine eigene, unterscheidende Identität zu finden, vor, auch hier in die totale, provokative Opposition zu gehen. Das aber ist gewagtes Spiel. Im Bestreben, sich à tout prix zu unterscheiden, ergreift man als Werkzeug der Unterscheidung nicht nur das Wahrere und Bessere. Die angebliche Unbefangenheit ist negative Abhängigkeit. Die, die das Establishment des Faschismus bezichtigen, entfalten unter diesem Tarnschild z. T. selbst faschistische Züge.
(6) Der etablierten Gewalt des Kapitals läßt sich nicht nur mit Gewaltlosigkeit – die eine messianische, aber keine politische Kategorie ist – begegnen. Das Ob und das Wie der Anwendung von Gewalt muß zwar von der studentischen Bewegung immer neu reflektiert werden, man kann sie aber politisch nicht ausschließen. Die Neue Linke erstrebt grundsätzlich zu Recht die Einheit von revolutionärer Theorie und Praxis. Sie bleibt aber im statisierten Gegenwartswesten selbst auf die Theorie restringiert. Ihre Praxis erschöpft sich in Demonstrationen und deren gewalttätiger Ausartung, Institutsbesetzungen an Universitäten und Agitation. Daher gilt ihre Bewunderung denen, die die Gewalt anwenden, dem realen Kampf, der unmittelbaren Aktion.
(7) Die Revolution will vorab das schlechte Bestehende vernichten. Ein schlechtes Bestehendes ist in den Augen der Araber auch der Staat Israel. Revolutionäre und Araber solidarisieren sich in der Bejahung der Verneinung.
(8) Was man verwirft und ändern will, an dessen Wertungen ist man nicht gebunden. Das Amoralische ist jetzt das höhere Moralische, das Kriminelle das Revolutionäre. Auch dieser Illegalismus erklärt die Attraktion von Teilen der Neuen Linken durch die Palästinenser. Man bejaht nicht nur den Kampf als solchen, sondern speziell auch die Methode des Kampfes, den Terrorismus und die Attentate der extremen Gruppen.
(9) Andererseits dokumentiert sich darin auch eine Schwäche. Radikale Studenten wollen die Revolution erzwingen in einer nichtrevolutionären Situation, die Araber wollen sich mit der geschichtlichen Tatsache Israel nicht abfinden. Daher findet bei beiden in Verzweiflung der eigenen Absolutheit ein Übergang zu Underground-Methoden statt: von der Vernunftdiskussion zum scheinrevolutionären Aktionismus bei den Studenten, vom regulären Krieg zur Unterstützung von Guerillakrieg und Terroranschlägen bei den Arabern. Das ist bei den politisch Engagierten eine analoge Regression wie auf unpolitischer Ebene bei den Hippies die irrationalistische Regression zu Magie und Mythos. Der echte emanzipatorische Impuls, der sowohl in der studentischen wie in der palästinensischen Bewegung steckt, wird beidemal durch die Wahl inadäquater Mittel korrumpiert. Die Verwandtschaft in der Fehleinschätzung seiner selbst und des Gegners und das heimliche Wissen um sie stiften gegenseitige Sympathie. Die Solidarisierung wuchert stärker als im Positiven auf der Schattenseite.
(10) In der Multivalenz unbewußter Faktoren dienen aber Aktionismus und Terror auch dazu, sich selbst Mut einzuflößen.
(11) Die Wahrheit hat es durch ihre Unwiderstehlichkeit an sich, sich universell allen mitzuteilen. Sie trennt die Menschen nicht, sondern verbindet sie. Der Selbsterhaltungs- und Selbststeigerungsinstinkt eines Kampfbundes dagegen zielt im Gegenteil dahin, sich von andern zu unterscheiden: je mehr er dies tut, um so notwendiger ist seine Existenz, um so enger rückt er unter sich zusammen, um so verbissener stählt sich seine Kraft. Daher ist es ein wissenssoziologisches Gesetz, daß die “neue Wahrheit”, die er seinem Bewußtsein nahe bringen will, nüchtern besehen ein Skandalon sein muß (so wie in anderer Weise nichts so unzertrennlich macht wie ein gemeinsam begangenes Verbrechen). Der soziale Kitt enger Gruppen und verschworener Kampfbünde ist der Glaube an einen Wahnsinn. Leugne eine Evidenz, und du hast eine Partei. Neben der Gerechtigkeit und echten Wahrheit, die sie vertritt, glaubt daher auch die Neue Linke, ohne Skandalon nicht auskommen zu können, und in ihrer Not, ein solches Skandalon zu finden, bot sich ihr das Israelpseudos. Je skurriler es ist, um so besser versieht es seinen Zweck.
(12) Was die Neue Linke mit den Arabern verbindet, das ist auch die unnachgiebig erhobene Maximalforderung, das Mit-dem-Kopf-durch-die-Wand, das Alles-oder-Nichts. Nicht Verhandlungen, sondern Krieg: so die Araber. Nicht Reformen, sondern Revolution: so die Neue Linke, die daher die Reformer, die ihr den Wind aus den Segeln nehmen könnten, schärfer bekämpft als die Konservativen. Beide gelangen aber zur gleichen intransigenten Haltung auf entgegengesetzter Grundlage. Die Araber sind Traditionalisten: sie wollen revanchistisch wiederherstellen, was war. Die Neue Linke ist umstürzlerisch: sie will das radikal Neue und macht daher dem Bisherigen nicht die kleinste Konzession. So berührt sich Immobilismus mit Veränderungsrausch.
(13) Man kann d as gemeinsame Verhalten auch auf die bei beiden zutage tretende “Geschichtsfremdheit” zurückführen, wobei abermals eine Konvergenz der Extreme zu konstatieren ist: die Araber stehen dem Denken in Kategorien des geschichtlichen Wandels relativ fern, die Neue Linke dagegen hat den europäischen Historismus bereits wieder abgeschüttelt. Wir erwähnten ihre Geschichtsfremdheit schon einmal, als wir davon sprachen, daß sie auch den arabisch-israelischen Konflikt doktrinär unter ihr antiimperialistisches Schema subsumiert, ohne sich individualisierend zu vergegenwärtigen, was ihn von andern Konflikten unterscheidet. Ungeschichtlich, rein vom Prinzipiellen her, und damit letztlich unpolitisch, denkt sie aber auch hinsichtlich der Erreichung ihrer eigenen Ziele: während es die Erkenntnis von Marx war, daß der revolutionäre Gedanke dem angepaßt sein muß, was ihm aus der Situation entgegenkommt, glaubt sie wieder wie die alten Utopisten unrealistisch an einen “Sprung ins Reich Gottes”. Analog gelingt es den Arabern nicht, ihr abstraktes Rechtsideal historisch zu vermitteln und in eine politische Gerechtigkeitsforderung umzusetzen. Eher, als Israels geschichtlich gewordene Realität anzuerkennen, verzichten sie in quasi religiöser Absolutheitspose auf die Vorteile, die ihnen selbst daraus erwüchsen. [ 1 ]
Anmerkungen
[ 1 ] Nur hingewiesen sei hier auf Lipset a.a.O., nach dem der aus inneramerikanischen Gründen zu erklärende Antiisraelismus vieler Neger erst sekundär auf die weiße Neue Linke übergriff.