Karl Selent – Yasser Arafat und der Mufti von Jerusalem
Yasser Arafat und der Mufti von Jerusalem
Karl Selent
Im Libanon ist der Großmufti schließlich am 4. Juli 1974 mit 77 Jahren gestorben. Als Haj Amin al-Hussaini begraben wurde, schritt Yasser Arafat auf dem Weg zum Friedhof hinter dem Sarg. Sein Gesicht war von Tränen feucht. Er bekannte sich zu diesem Mann.
Gerhard Konzelmann (1981, 20)
zitat”> Haben sie es fertig gebracht, unseren Helden (!) Amin al-Hussaini beiseite zu schieben? … Es gab zahlreiche Versuche, Haj Amin loszuwerden, den sie als einen Verbündeten der Nazis betrachteten. Und trotz alledem lebte er doch in Kairo, nahm am Krieg von 1948 teil, und ich war einer seiner Soldaten.
Yasser Arafat am 2. August 2002, Interview mit der palästinensischen Tageszeitung “Al Kuds”, hier zitiert nach Assistant Professor Francisco J. Gil-White, Fellow am Solomon Asch Center for Study of Ethnopolitical Conflict, University of Pennsylvania ( http://emperors-clothes.com/german/articles/d-palestina.htm#_ftn1)
Arafat hat al-Hussaini, den Alliierten der Nazis, kürzlich als einen Helden für die Massen bezeichnet. Die nationalistischen Führer, die aufgrund ihrer antijüdischen Ideologie Hitler nahe standen, werden nach wie vor verehrt und von der Autonomiebehörde idealisiert.
Itamar Marcus, Direktor von Palestinian Media Watch, am 29. Januar 2003 im Interview mit der linksliberalen Wochenzeitung Jungle World
Muhammed Abdul Rahman Abdul Raouf Arafat al-Kudwa al-Hussaini, genannt Yasser, so lautet der volle Name des heutigen Chef-Palästinensers auf Lebenszeit. Über seinen Vater gehört Arafat zur Familie der Hussainis aus Gaza, einem weit entfernten Zweig des einflußreichen Clans der Hussainis aus Jerusalem. Seine Mutter, eine geborene Abu Saud, stammte nicht aus Gaza. Ihre Familie gehörte zum Clan der Hussainis aus Jerusalem. Mit Haj Amin al-Hussaini stellte die althergebrachte Familie von Honoratioren den Großmufti der Stadt. Aufgrund des archaischen Familienclansystems der Araber Palästinas, in dem “die Loyalität dem eigenen Clan gegenüber weit vor der Loyalität zu Politikern oder Geistlichen kam”, darf angenommen werden, daß der junge Arafat in Haj Amin das Oberhaupt seines Clans gesehen hat, dem er verpflichtet war (Wallach, 80). Daß allerdings Haj Amin al-Hussaini der Onkel von Yasser Arafat gewesen sei, gehört ins Lexikon der populären Irrtümer. Nicht der Mufti, sondern dessen “enger Freund und Bundesbruder”, Scheich Hassan Abu Saud, war Arafats besagter Onkel. Das Oberhaupt einer prominenten religiösen Familie spielte “eine entscheidende Rolle in der Erziehung des jungen Arafat”, als der nach dem frühen Tod seiner Mutter einige Jahre in der Sawia der Abu Sauds in Jerusalem verbrachte (Wallach, 83). Unterkunft hatte der siebenjährige Yasser aber nicht bei Scheich Hassan, sondern bei einen Onkel, der kinderlos geblieben war, Salim Abu Saud. Das Viertel lag direkt neben der Klagemauer, und “die Kinder (konnten) dann und wann Streitereien zwischen den Moslems und den Juden beobachten”. Beim gemeinsamen Essen in der Sawia “wurden immer wieder die Geschichten von Haj Amins Arbeit für die Organisation der Araber und Scheich Hassans Anstrengungen diskutiert, die Juden an der Mauer in die Schranken zu weisen”. Während des arabischen Aufstands von 1936, als er die Verhaftung seines Onkels miterlebte, gab es für den kleinen Yasser “keine größeren Helden als seine Verwandten Haj Amin al-Hussaini und Scheich Hassan Abu Saud … Diese beiden … gaben Yasser Arafats Leben die Richtung” (Wallach, 86, 90, 65). In dem Heimatfilm vom kämpfenden Palästina, den uns Yasser Arafat hier vorführen läßt, spielt er das erste Steine werfende Urkind der Intifada: denn schon während jenes Aufstands von 1936 “streute Yasser auf den Straßen Nägel aus, zerschlitzte die Reifen der britischen Autos und warf Steine” (Wallach, 88). Arafats Aufenthalt in Jerusalem endete wahrscheinlich 1937. Der Vater holte ihn zurück nach Kairo, wo die Familie seit 1927 lebte, und wo Arafat laut Universitätsregister am 4. August 1929 geboren wurde. Nun darf geraten werden, wer seit 1946, als der Mufti von Jerusalem aus dem Dritten Reich zurückgekehrt und in Kairo Quartier genommen hatte, in dessen Haus ein und aus ging? “Der junge Arafat saß Freitags am Eßtisch und lauschte den Reden … über das Bündnis der Araber mit den Nazis”. Er “hörte gern die Geschichten vom Krieg”. Man diskutierte “über den arabischen Nationalismus, über islamische Bewegungen und geheime militärische Pläne … Arafats leidenschaftliches Interesse fiel dem Mufti auf, der ihn ermutigte, sich auf eine Führungsrolle vorzubereiten” (Wallach, 103, 106). Wegen seines ägyptischen Akzents sollte Arafat zunächst den Waffenschmuggel nach Palästina bewerkstelligen; die Organisation hoffte, der einheimische Arafat könne beim illegalen Waffenkauf niedrigere Preise aushandeln als die Agenten des Muftis aus Palästina, die in Kairo leicht an ihrer Aussprache zu erkennen waren. In jenen Tagen entschied sich, welchem Broterwerb der junge Mann sein Leben lang nachgehen sollte: Der ägyptische Staatsbürger Yasser Arafat wurde Berufspalästinenser. “Mehrmals erhielten Arafat und andere Studenten geheime Unterrichtsstunden von einem deutschen Offizier, der mit Haj Amin nach Ägypten gekommen war”. Der Mann aus der Wehrmacht besorgte Yasser Arafats “Ausbildung für militärische Kommandounternehmen” (Wallach, 107). Die deutsch-islamischen Verschwörer “rekrutierten nicht nur in Kairo lebende Palästinenser”, sie “wandten sich auch an die ägyptischen religiösen Fundamentalisten”, die zur “Muslimbruderschaft zählten” (106). Schon seit den dreißiger Jahren hatte der Mufti enge Beziehungen zu den Muslimbrüdern gepflegt. Dann, im ersten arabischen Krieg gegen Israel, 1948, als der Mufti von Jerusalem erneut zum “Jihad” gegen die Juden rief, “ging Arafat mit einem Kommando der Muslimbruderschaft nach Palästina” (Baumgarten, 63). In der Encyclopaedia of the Orient heißt es zu diesem Krieg: “Arafat fights on the side of the grandmufti of Jerusalem”. Nach der Niederlage von 1949 blieb Arafat den Muslimbrüdern in Ägypten verbunden. “Durch ihre Unterstützung” gewann er 1951 “die Wahlen zum Vorsitzenden der palästinensischen Studentenföderation” an der Universität von Kairo (Rotter, 59). Yasser Arafat “fühlte” sich von den “Doktrinen der Bruderschaft, Antiimperialismus und nationale Wiedergeburt durch den Islam, angezogen”. Er gebärdete sich als palästinensischer Nationalislamist, der z.B. Forderungspapiere, “die mit Blut geschrieben” waren, theatralisch an die ägyptische Regierung übergab. “Ohne Neigung, Bücher zu lesen oder Geselligkeit zu suchen, linkisch in der Gesellschaft von Frauen”, schien Yasser Arafat als Student und Parteigänger des Haj Amin al-Hussaini “kein wirklich anderes Interesse als Palästina zu haben” (Gowers, 13, 3, 38). Man könne ohne Übertreibung behaupten, meinte Danny Rubinstein in der FAZ, daß Arafat “seit seiner Jugend so gut wie kein Privatleben hat”. Er lebe “asketisch wie ein Mönch”.
“Sicher ist, er hatte weder Liebschaften noch Liebhabereien. Freundschaften privater Natur ging er offensichtlich aus dem Weg. … Er machte sich nichts aus gutem Essen und bevorzugte ein fast spartanisches Dasein” (Moshel, 36). Als gläubiger Muslim trank und trinkt Arafat keinen Alkohol, aß und ißt er kein Schweinefleisch. Selbstverständlich unternahm er irgendwann die Wallfahrt nach Mekka und Medina, weshalb er den Zusatznamen Haj (der Pilger) tragen darf. Schon als Schüler in Kairo ließ er “die Kinder der Straße in militärischer Formation antreten und dann mit Blechtellern auf dem Kopf auf und ab marschieren, wobei er sie mit Stockschlägen traktierte, wenn sie aus dem Gleichschritt kamen” (Gowers, 11). “Er schlug die Jungen und brüllte sie an, damit sie parierten. … Wenn sie nicht gehorchten”, so berichtet sein Bruder Fathi, habe er “sie mit einem Stock geschlagen” (Wallach, 103). Kurzum, Yasser Arafat war in seiner Schüler- und Studentenzeit ein nichtrauchender Entsager und Genußverächter, ein verklemmter Spaßverderber, der “den Frauen gegenüber eher scheu war” (Vogel, 110), ein brutaler Schleifer, ein Scheißkerl, der all die miesen Eigenschaften vereinte, mit denen er normalerweise zum Staatsverbrecher, zum Diktator und Tyrann geworden wäre, wenn ihn die Israelis nicht daran gehindert hätten.
Nach dem Attentat der Muslimbrüder auf den ägyptischen Präsidenten Nasser am 26. Oktober 1954 wurde auch Yasser Arafat – “nach eigenen Angaben” – verhaftet. “Als Sympathisant, wenn nicht als Mitglied der Ikwhan”, der Muslimbrüder, die immer noch eng mit Haj Amin al-Hussaini zusammenarbeiteten, “war sein Name fast sicher in den umfangreichen Akten von Nassers Geheimpolizei verzeichnet” (Gowers, 13, 24). Verhaftungsgrund war jedoch nicht allein die Nähe zu den islamischen Klerikalfaschisten, sondern auch der explizit palästinensische Nationalismus, der Yasser Arafat kennzeichnete. Den streng panarabisch orientierten Behörden Ägyptens war eine solche Haltung suspekt. Auch deswegen ging Arafat im Anschluß an das Studium der Ingenieurwissenschaften nach Kuwait und begann dort ab 1958 mit dem Aufbau von Al Fatah, der späteren Kernorganisation der PLO. Zu den Gründungsströmungen gehörten Arafats Studienfreunde aus Ägypten, die sich im Umfeld des Muftis, der Muslimbruderschaft oder der Studentenföderation bewegt hatten. Hinzu kamen unabhängige palästinensische Nationalisten sowie eine Gruppe von “Mitgliedern der muslimisch-fundamentalistischen Partei ‘Tahrir’, die 1952 von einem ehemaligen Schüler Haj Amins gegründet worden war” (Gremliza, 29). Die erste Untergrundzeitung der Fatah, Unser Palästina, ließ sich Arafat zu einem Teil von Haj Amin finanzieren. Wie der Schwiegersohn des Muftis berichtet, sei sogar “der größte Teil des Geldes” für Al Fatah von Haj Amin al-Hussaini gekommen (Wallach, 143). Mit dem Auftrag, einen Verleger für die geplante neue Zeitung zu finden, reisten Arafat und Abu Jihad 1959 nach Beirut. Zu diesem Zeitpunkt hatte Haj Amin al-Hussaini Ägypten bereits verlassen müssen und seinen Wohnsitz nach Beirut verlegt. “Zweifellos berichteten Arafat und Abu Jihad dem Führer der alten palästinensischen Nationalbewegung von der Resonanz”, die sie mit Al Fatah “in den Golfstaaten gefunden hatten. Wahrscheinlich vermittelte Haj Amin seinen ehemaligen ‘Schülern’ … den Kontakt mit Taufiq Huri”, einem Verleger und führenden Mitglied der islamischen Gruselorganisation “Die Diener Gottes”, der bereit war, formell als Herausgeber des getarnten Fatah-Blattes zu fungieren. Die Organisation verbreitete auf diese Weise “ihre Ideologie, die an zentralen Stellen mit der Haj Amins übereinstimmte” (Baumgarten, 139). Für die Mehrheit “der Gründergeneration Fatahs war Haj Amin der erste politische Mentor”. Er galt ihnen als “der einzig übrig gebliebene Repräsentant eines unabhängigen palästinensischen Nationalismus. Um jedoch der Verantwortung für die Niederlage von 1948 zu entgehen, mußten sie sich von ihm absetzen”. Nur so meinte die “Bewegung, Anerkennung in der palästinensischen Gesellschaft gewinnen zu können. Sie führten sich als neue Generation ein, die von den Fehlern der Väter gelernt habe. Daher blendete der neue palästinensische Nationalismus bis in die siebziger Jahre die Verbindungslinie zu Haj Amin aus” (Baumgarten, 313). Nun gab sich Al Fatah gerne auch das Image einer Befreiungsbewegung aus der Dritten Welt. Sprach Arafat vor internationalem Publikum, so redete er zeitgemäß vom bewaffneten Kampf oder von einem langen Marsch nach Jerusalem, befand er sich jedoch auf Pilgerreise nach Mekka und Medina, so redete er vom “Heiligen Krieg für die Befreiung von Palästina” (Küntzel, 118). Pragmatisch suchte man die finanzielle Unterstützung sowohl der kommunistischen Staaten als auch die der reaktionären arabischen Regime. Das Wort Genosse kam Yasser Arafat in Moskau genauso leicht über die Lippen wie der Titel Emir für den Beduinenkönig in Kuwait. “Neben nationalistischen und kommunistischen Elementen … fanden sich in PLO-Lagern zahlreiche arabische Broschüren mit Hitlerabbildungen – Übersetzungen von Mein Kampf” (Schiller, Bildzeile zu Abb. XIV zwischen S. 240 und 241). Hatte der Mufti von Jerusalem 1941 in Italien noch gehofft, Mussolini würde die Unabhängigkeit “eines arabischen Staates faschistischer Prägung” anerkennen (Lewis, 179), und hatte er im Gespräch mit Adolf Hitler noch betont, die Araber hätten “dieselben Feinde wie Deutschland, nämlich die Engländer, die Juden und die Kommunisten”, so lief die Brut der Alten, hier wie dort, politischen Modeströmungen hinterher, die sich mit den Bildern von Ernesto Che Guevara, Mao Tse-tung oder Ho Chi-Minh schmückten. Als aber Fatah in der Schlacht bei Karameh ein Jahr nach der Niederlage der Araber im Sechs Tage Krieg von 1967 einen Achtungserfolg erreichte, so zur stärksten Gruppierung unter sämtlichen Palästinenserfronten avancierte, da war auch Haj Amin al-Hussaini bereit, die “Krone des Führers” an Yasser Arafat weiter zu reichen. Wieder erinnert sich der Schwiegersohn des Muftis an die Begegnungen Hussainis mit Arafat in der jordanischen Hauptstadt Amman: Haj Amin habe gespürt, “daß Arafat der richtige Führer für die palästinensische Nation nach ihm sein würde. Er fand, er sei fähig, die Verantwortung zu tragen” (Wallach, 331). Am 7. Juli 1974 wurde Haj Amin al-Hussaini auf dem “Friedhof für die Gefallenen der palästinensischen Revolution” in Beirut beigesetzt. Yasser Arafat gehörte zur Trauergesellschaft im Hause al-Hussaini und gab seinem alten Mentor das letzte Geleit. An der Spitze des Beerdigungszuges gingen die maßgebenden Führer der PLO. Es folgten bewaffnete Einheiten der Fedayin. Sie alle standen am Grab des Nazi-Kollaborateurs. Sie alle erwiesen dem Verfechter der “Endlösung” die letzte Ehre.