Alexander Stein – Der völkische Staat * Leseprobe aus: Alexander Stein, Adolf Hitler …
Der völkische Staat
Alexander Stein
Der Charakter des neuen Staates, für den der Staatsstreich in allen seinen Etappen die Voraussetzungen geschaffen hat, wird in den “Protokollen” folgendermaßen gekennzeichnet:
“Mit der Einführung der neuen Verfassung des Volksstaates werden wir dem Abgeordnetenhause unter dem Vorwande der Wahrung des Staatsgeheimnisses das Recht nehmen, Anfragen über staatsrechtliche Maßnahmen der Regierung zu stellen.” (S. 50). [ 1 ]
“Wir werden die Tagungen der Volksvertreter abschaffen; an ihrer Stelle soll dem Präsidenten als Träger der vollziehenden Gewalt das Recht zustehen, die Volksvertretung einzuberufen oder aufzulösen. Im Falle der Auflösung kann er den Beginn der neuen Tagung nach Belieben hinausschieben …
Der Präsident wird die bestehenden Gesetze, die eine verschiedene Deutung zulassen, stets in unserem Sinne auslegen; er wird sie außer Kraft setzen, wenn wir ihn auf die Notwendigkeit solcher Maßnahmen verweisen. Außerdem wird er das Recht haben, neue Gesetze von kurzer Dauer, ja selbst Änderungen der Verfassung vorzuschlagen. Zur Begründung braucht er ja nur zu sagen, diese Maßnahmen seien für das Wohl des Staates erforderlich.
Auf solche Weise können wir allmählich, Schritt für Schritt, alles vernichten, was wir ursprünglich, zu Beginn unserer Herrschaft, in die Verfassungen der Volksstaaten aufnehmen mußten. Unmerklich werden die letzten Spuren jedes verfassungsmäßigen Rechtes verschwinden, bis schließlich die Zeit gekommen sein wird, in der wir offen jede Regierungsgewalt im Namen unserer Selbstherrschaft an uns reißen.” (S. 51). [ 2 ]
Dieser Zustand ist jetzt bereits in Deutschland erreicht. Er entspricht dem Plan, den Hitler in “Mein Kampf” entworfen hat:
“Der völkische Staat hat, angefangen bei der Gemeinde bis hinauf zur Leitung des Reiches, keinen Vertretungskörper, der etwas durch Majorität beschließt, sondern nur Beratungskörper, die dem jeweilig gewählten Führer zur Seite stehen und von ihm in die Arbeit eingestellt werden, um nach Bedarf selber auf gewissen Gebieten wieder unbedingte Verantwortung zu Übernehmen, genau so, wie sie im größeren der Führer oder Vorsitzende der jeweiligen Korporation selbst besitzt …
In keiner Kammer und in keinem Senate findet jemals eine Abstimmung statt. Sie sind Arbeitseinrichtungen und keine Abstimmungsmaschinen. Das einzelne Mitglied hat beratende Stimme, aber niemals beschließende. Diese kommt ausschließlich nur dem jeweils dafür verantwortlichen Vorsitzenden zu.” (S. 501/2).
Auch die Idee, die unbeschränkte Selbstherrschaft durch Volksbefragungen zu maskieren, ist den “Protokollen” entlehnt. Natürlich können unter der Herrschaft der Unfreiheit und des Terrors solche “Volksbefragungen” immer nur Scheinplebiszite sein. Wie Napoleon III. seinen Staatsstreich vom 2. Dezember 1851 durch ein Plebiszit zu legalisieren suchte, so trieb Hitler das gleiche Spiel am 12. November 1933, nach dem Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund, am 19. August 1934, nach der Usurpation der Präsidentenwürde, sowie am 29. März 1936, nach der Zerreißung des Locarno-Paktes und dem Einmarsch in die Rheinlandzone. Wie Napoleon I. und Napoleon III. bei ihren Plebisziten, so erhielt auch Hitler bei seinen “Volksbefragungen” 92 bzw. 99 Prozent. Das Wesen dieser plebiszitären Selbstherrschaft, die in Deutschland durch das Gesetz von 14. Juli 1933 festgelegt worden ist, wird in den “Protokollen” treffend gekennzeichnet:
“Aus allem Gesagten werden Sie ersehen, daß wir nach dem Vertrauen des Volkes nur haschen, um unsere Staatsmaschine leichter in Gang zu bringen. Es kann Ihnen nicht entgangen sein, daß wir nur dann die Zustimmung der öffentlichen Meinung suchen, wenn es sich um bloße Worte handelt, um Fragen, die wir selbst in die Welt gesetzt haben. Tatsächlich tun wir aber, was wir wollen. Selbstverständlich verkünden wir stets, daß wir uns bei allen unseren Maßnahmen von der Hoffnung und Überzeugung leiten ließen, dem Allgemeinwohl nach Kräften zu dienen.” (S. 57).[ [ 3 ] ]
Im Übrigen entsprechen die in den “Protokollen” dargelegten Grundsätze der Staatskunst, auch denen des Hitlerschen “totalen Staates”. Es seien nur kurz die wesentlichsten herausgegriffen:
“Wir werden eine größere Vereinheitlichung der Verwaltung schaffen, um mit ihrer Hilfe alle Gewalt in unseren Händen zu vereinigen. Alle Zweige des staatlichen Lebens unserer Untertanen werden wir wie den Gang einer Maschine durch neue Gesetze regeln. Diese Gesetze werden nach und nach alle Abschwächungen und Freiheiten beseitigen, welche die Nichtjuden zugelassen hatten. Unser Reich soll durch eine grenzenlose Gewaltherrschaft gekennzeichnet werden, da es zu jeder Zeit und an allen Orten imstande sein muß, den Widerstand unzufriedener Nichtjuden im Keime zu ersticken.” (S. 41). [ 4 ]
“Die Hauptaufgabe unserer Verwaltung besteht darin, die öffentliche Meinung durch eine zersetzende Beurteilung aller Vorgänge in ihrer Widerstandskraft zu lahmen, den Menschen das eigene Denken, das sich gegen uns aufbäumen könnte, abzugewöhnen, und die vorhandenen Geisteskräfte auf bloße Spiegelfechtereien einer hohlen Redekunst abzulenken.” (S. 42). [ 5 ]
“Der oberste Grundsatz jeder erfolgreichen Staatskunst ist die strengste Geheimhaltung aller Unternehmungen. Was der Staatsmann sagt, braucht keineswegs mit dem übereinzustimmen, was er tut.” (S. 45). [ 6 ]
“Wir werden es zu verhindern wissen, daß hochbegabte Persönlichkeiten erstehen, denen die von uns geleitete Masse den Aufstieg, ja sogar die Aussprache nicht gestatten wird. Ist sie doch gewöhnt, nur uns zu folgen, da wir ihren Gehorsam und ihre Aufmerksamkeit gut bezahlen. Auf diese Weise werden wir uns eine blindgefügige Macht schaffen, die gar nicht imstande sein wird, etwas gegen den Willen unserer Vertreter zu unternehmen, denen wir die Leitung der Masse anvertraut haben. Das Volk wird sich ihrer Herrschaft willig unterwerfen; denn es wird wissen, daß von ihnen Arbeit, Zuwendungen aller Art und jegliche Vorteile abhängig sind.” (S. 48/9.) [ 7 ]
Was den Neubau des “völkischen Staates” betrifft, so ist Hitler über einzelne Ansätze nicht hinausgekommen – vielleicht deshalb, weil ihn hier die “Protokolle” im Stich gelassen haben. Seinen nächsten Mitarbeitern (Rosenberg, Goebbels usw.) schweben Pläne vor, die, unter Anlehnung an den faschistischen Ständestaat, eine Diktatur auf berufsständischer Grundlage mit einer “Leistungsaristokratie”, d.h. mit einer herrschenden “rassischen” Oberschicht, anstreben. [ 8 ] Hitler selbst denkt unklar an einen Staat, der dem preußischen Heer nachgebildet sein soll:
“Der Staat muß in seiner Organisation, bei der kleinsten Zelle der Gemeinde angefangen bis zur obersten Leitung des ganzen Reiches, das Persönlichkeitsprinzip verankert haben… Der Grundsatz, der das preußische Heer seinerzeit zum wundervollsten Instrument des deutschen Volkes machte, hat in übertragenem Sinne dereinst der Grundsatz des Aufbaues unserer ganzen Staatsverfassung zu sein: Aut orität jedes Führers nach unten und Verantwortlichkeit nach oben.” (“Mein Kampf”, S. 501).
Dieses Staatsideal ist in Wirklichkeit kein “arisch-germanisches”, sondern eine Nachahmung des Mongolenstaates Dschingis-Chans, der auf einem Führerkorps aufgebaut war, welches nur nach kriegerischer Tüchtigkeit ohne Rücksicht auf sonstiges Können ausgewählt wurde. Dieser Mongolenstaat, dem der preußische Militarismus in vielen Einzelheiten nachgebildet war, muß schon deshalb die Sympathien Hitlers genießen, weil er jene Diktatur einer neuen “rassischen” Herrenschicht ermöglicht, die Hitler in seiner Unterredung mit Dr. Otto Strasser im Mai 1930 forderte. Dieses Staatsideal liegt auch auf der Linie jener Forderung, die Hitler in “Mein Kampf” aufstellte:
“Der völkische Staat teilt seine Bewohner in drei Klassen: in Staatsbürger, Staatsangehörige und Ausländer… Die Verleihung der Staatsbürgerurkunde ist zu verbinden mit einer weihevollen Vereidigung auf die Volksgemeinschaft und auf den Staat.” (S. 490/91).
Dieser Schritt ins Mittelalter ist im “neuen Deutschland” vollzogen. Durch die am 15. September 1935 in Nürnberg angenommenen Gesetze sind die Juden als Parias erklärt und die übrigen Staatsbürger in zwei Klassen eingeteilt worden: In eine Klasse, der die herrschende Diktatur bei “gutwilligem” Verhalten das Reichsbürgerrecht verleiht und die allein die “vollen politischen Rechte nach Maßgabe der Gesetze” besitzt, und eine andere Klasse, die, aller bürgerlichen Rechte beraubt, der Tyrannei des “totalen Staates” ausgeliefert ist. [ 9 ]
Anmerkungen
1Sammons, Protokolle, S. 63.
2Ebd., S. 64.
3Ebd., S. 74.
4Ebd., S. 46.
5Ebd., S. 48.
6Ebd., S. 53.
7Ebd., S. 60.
8Goebbels, Der Nazi-Sozi, und Alfred Rosenberg, H. St. Chamberlain als Verkünder und Begründer einer deutschen Zukunft.
9 Vgl. Reichsbürgergesetz, in: Reichsgesetzblatt 1935, S. 1146, und Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre, in: Ebd., S. 1146f.