Armin Pfahl-Traughber: Die Protokolle der Weisen von Zion kritisch beleuchtet
Armin Pfahl-Traughber
Die Protokolle der Weisen von Zion kritisch beleuchtet
Die bekannte Fälschung „Die Protokolle der Weisen von Zion“ dürfte die wirkmächtigste antisemitische Schrift der Weltgeschichte sein. Bereits seit 1920 war öffentlich bekannt, wovon der Text umgeschrieben worden war. Gleichwohl fanden die „Protokolle“ danach weltweite Verbreitung. Bis in die Gegenwart hinein erscheinen immer wieder neue Versionen…
Dies war auch im Deutschland der Weimarer Republik so. Seinerzeit beauftragte der Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens den Autor und Publizisten Binjamin Segel damit, eine umfangreiche kritische Studie zum Thema zu schreiben. Sie erschien 1924 im Berliner Philo Verlag unter dem Titel „Die Protokolle der Weisen von Zion kritisch beleuchtet. Eine Erledigung.“ Es blieb indessen bei dieser ersten Auflage, obwohl darin eine gründliche Erörterung und Prüfung erfolgte. Franziska Krah gab Jahrzehnte später das Buch erneut heraus, ergänzt um eine Einleitung über die Verbreitung der „Protokolle“ und ein Nachwort über Person und Wirken von Binjamin Segel.
Dieser hatte eine sehr arbeitsintensive und gründliche Analyse vorgenommen, wobei unterschiedliche Ausgaben miteinander verglichen wurden. Dabei fiel der kritische Blick nicht nur auf den eigentlichen Text, auch Entstehungsversionen und Rahmenbedingungen hinterfragte Segel. Zur Bedeutung bemerkte er: „Mit diesen Protokollen hat gleichsam die Geschichte das Experiment gemacht, was man alles in einem aufgeklärten Zeitalter, in aufgeklärten Ländern den Klassen zumuten darf, die sich rühmen, die Vertreter von ‚Bildung und Besitz‘ zu sein“ (S. 37). Dies wird akribisch anhand von zahlreichen Fehlern und Widersprüchen aufgezeigt. Dabei finden sich immer wieder ironisierende Anmerkungen, die Segel auch zu satirischen Vergleichen motivierten. Indessen verzichtet er nie auf das entscheidende Sachargument. Die ganze Absurdität, die etwa mit den konkurrierenden Fassungen zur Entstehungsgeschichte einhergeht, kann man wohl auch nicht anders thematisieren. Dabei scheint übrigens der besondere Humor der 1920er Jahre auf.
Das längste Kapitel ist „Das Plagiat und seine Urschrift“ überschrieben. Darin werden viele Stellen aufgelistet, welche die Erfinder der „Protokolle“ aus Maurice Jolys „Macht und Recht“ übernommen hatten. Aus dem Textvergleich ergaben sich auch Einsichten, die einen Blick in die Werkstatt der Fälscher erlaubten. Auch wenn der Autor nicht die genaue Entstehungsgeschichte rekonstruieren kann, was übrigens der Forschung bis heute nicht gelungen ist, macht er doch durch viele Indizienschlüsse deutlich, dass ursprünglich auf den russischen Zaren Nikolaus II. politischer Einfluss genommen werden sollte. Von dieser Absicht abgelöst erfolgte dann der publizistische Siegeszug der „Protokolle“. Segel verwies auf damals wichtige Propagandisten, wozu eben auch der Automobilkonzernbegründer Henry Ford und nicht nur der NS-Ideologe Alfred Rosenberg gehörten. Bemerkenswert hellsichtig war seine Einschätzung: „Die Protokolle sind … der höchste Ausdruck des Antisemitismus, seine vollkommenste Waffe zur Bekämpfung und Vernichtung der Juden“ (S. 477).
Mitunter entsteht der Eindruck, dass der Autor die Schrift an sich zu ernst nahm. So ist ein Kapitel „Die religions- und geschichtsphilosophische Grundlage der Protokolle“ überschrieben. Aber auch damit kann deren Wirkung umso besser verstanden werden, was ebenso für das Kapitel „Zur Psychopathologie des Antisemitismus“ gilt. Der Herausgeberin Krah kommt das Verdienst zu, die wohlmöglich ansonsten vergessene Schrift wieder zugänglich gemacht zu haben. Sie informiert in der Einleitung und im Nachwort auch über die Biographie von Segel und den Forschungsstand zu den „Protokollen“ (wobei indessen nicht nur die Arbeiten von Michael Hagemeister nicht thematisiert werden). Segel hatte sich seinerzeit auch so viel Mühe mit seiner Kritik gemacht, weil er damit einen empfindlichen Schlag gegen den Antisemitismus hätte führen können. Zu der postulierten befreienden Wirkung ist es bekanntlich nicht gekommen. Denn allzu sehr siegte der judenfeindliche Hass über den öffentlichen Vernunftgebrauch.
Binjamin Segel, Die Protokolle der Weisen von Zion kritisch beleuchtet. Eine Erledigung (1924), herausgegeben und kommentiert von Franziska Krah, ça ira-Verlag 2017, 520 Seiten, 29 €.
Quelle: hagalil.com, 2. Februar 2020