David F. Frankfurter – Kein anderes Deutschland * Rezension von Geyer, Loeb u.a., Fight for Freeedom

David F. Frankfurter

Kein anderes Deutschland

Die Namen Curt Geyer, Bernhard Menne oder Fritz K. Bieligk sind heute wohl nur noch einem kleinen Kreis von Alt-SPDlern oder Historikern, die zu den britischen Debatten über Deutsche und Nazis arbeiten, bekannt. Dank der Initiative “Materialien zur Aufklärung und Kritik” aus Halle, in deren Auftrag Jan Gerber und Anja Worm die Texte herausgegeben haben, gibt es nun Gelegenheit diese Richtung antinazistischen Widerstandes wieder zu entdecken.

Die im Buch versammelten und überwiegend hier erstmals ins Deutsche übersetzten Texte umfassen den Zeitraum von 1939 bis 1948. Sie stammen hauptsächlich aus Broschüren, die die damalige Fight-for-Freedom-Verlagsgesellschaft publizierte, und die in hohen Auflagen in der britischen Gesellschaft zirkulierten.

Im Kontrast zur Einschätzung der Situation im nationalsozialistischen Deutschland durch die Exilorganisation der SPD, von “Neu beginnen”, oder der SAP machen diese Publikationen deutlich, wie scharfsichtig F.f.F in ihrer Beurteilung der Lage war. Nur zu oft herrschte nämlich bei anderen Widerstandsgruppierungen der Tenor vor, daß nicht sein kann, was nicht sein darf. Im parteikommunistischen Widerstand etwa, der mit seiner leninistischen Schablone à la Dimitroff die nationalsozialistische Herrschaft zur “terroristischen Diktatur der reaktionärsten, chauvinistischsten, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals” fälschte. – So ließ sich selbst noch die “Deutsche Arbeitsfront” als Verschwörung einiger Industrieller gegen die im Prinzip guten Arbeiter deuten. Der Klassenantagonismus zwischen Kapital und Arbeit wurde so in der Theorie gewahrt, seine reale Aufhebung auf kapitalistischer Grundlage in der antisemitischen Kriegs- und Volksgemeinschaft blieb dadurch aber unbegreiflich.

In nüchterner Klarheit dagegen publizierte die F.f.F-Gruppe März 1942 eine Erklärung, die den bezeichnenden Titel “Der Kampf gegen den Nationalismus in der deutschen Arbeiterbewegung muß von vorn begonnen werden” trägt. Darin machen sich die Unterzeichnenden keine Illusionen bezüglich der Lage: Die Erfahrungen “über das Verhalten des deutschen Volkes seit Beginn des Krieges” zeigen deutlich, “daß Hitler nicht ein Zufall ist, sondern daß er von der größten Massenbewegung der deutschen Geschichte in die Macht getragen worden ist, und daß seine Regierung eine Mehrheit in Volk und Parlament hatte; daß der politische Wille des deutschen Volkes sichtbar wird im deutschen Volksheer, das den Sieg will; daß der Krieg in Deutschland unterstützt wird von einer überragenden Mehrheit des deutschen Volkes.” Darum, so liest man an anderer Stelle, mache es längst keinen Sinn mehr, zwischen Deutschen und Nazis zu unterscheiden. Denn eben jene politische Charakterisierung, die suggeriert, daß zumindest ein relevanter Teil der deutschen Gesellschaft gegen das Regime eingestellt sei, ließ sich nicht aufrechterhalten. – Dies, so muß rückblickend bemerkt werden, war, wenn man von den wenigen Ausnahmen an Widerstandsgruppen und Einzelpersonen absieht, bittere Realität, alles andere Wunschdenken.

Ziel der Arbeit des F.f.F.-Zusammenhangs war es, im britischen Exil durch Aufklärungsarbeit so viele wie möglich davon zu überzeugen, daß jegliches Schielen auf Waffenstillstandverhandlungen oder einen Separatfrieden nicht nur das Nazi-Regime stärken, sondern zugleich die Bedrohung der britischen Gesellschaft im Kern bedeuten würde. – Eng verknüpft war diese Fraktion des Non-Appeasement mit dem britischen Diplomaten Robert Gilbert Vansittart. Er vertrat gleichermaßen die These, daß sich eine Unterscheidung zwischen Deutschen und Nationalsozialisten in Hinblick auf die deutsche Geschichte wie auch auf die Realität der Krieges nicht aufrechterhalten ließe, und sich katastrophal auf die Kriegspolitik der Alliierten auswirken würde.

Mit ihrem Engagement trugen die Freedom-Fighters und Vansittart ihren intellektuellen Teil zur Erkenntnis des Charakters des Nationalsozialismus und damit zum Kampf gegen ihn bei. Der beginnende Kalte Krieg beendete ihre Wirkung. Antideutsche Politik war nun bestenfalls zweitrangig, da inzwischen die UdSSR zum Hauptfeind erkoren war und mit der Blockkonfrontation auch die antinazistische Reeducation zunehmend durch West- wie Ostintegration konterkariert wurde. Um so leichter erlangte die Ideologie vom guten, “anderen Deutschland” in West wie Ost dauerhaft Wirkung und wurde – unterschiedlich schnell – zur patriotischen Legitimation beider Staaten. Bis heute, wie nicht zuletzt in vielen Reden und Gedenkfeiern zum deutschen Widerstand deutlich wird.

Aus: hagalil.com (30. 3. 2011)

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