Tobias Faßmeier – Verhandlung des Antisemitismus * Rezension von ISF, Ehrbare Antizionisten, furchtbare Antisemiten und Küntzel, Djihad und Judenhaß
Tobias Faßmeier
Verhandlung des Antisemitismus
Im ça ira-Verlag aus Freiburg erscheinen anspruchsvolle politische Bücher. Zu ihnen zählen auch verschiedene lesens- und diskussionswürdige Publikationen zu Nationalismus und Antisemitismus. Zu letzterem Brennpunkt der aktuellen linken Auseinandersetzungen in Deutschland erschienen zwei Bücher. Von der Initiative Sozialistisches Forum (ISF) wurde ‘Furchtbare Antisemiten, ehrbare Antizionisten’ in einer zweiten erweiterten Auflage herausgegeben und Matthias Küntzels ‘Djihad und Judenhaß’.
‘Furchtbare Antisemiten, ehrbare Antizionisten’ ist eine provozierende Stellungnahme zu den Projektionen innerhalb der deutschen Linken bezüglich Israels. Detailliert wird der latente und teilweise auch ganz offene antisemitische Charakter des ‘Antizionismus’ in Deutschland herausgearbeitet. Die kritische Analyse beruht auf der Erkenntnis, daß Antisemitismus eine rassistische Erscheinung mit einer speziellen Implikation ist. ”Der Antisemitismus ist eine Ersatzhandlung, ‘der Jude’ eine Projektion der bürgerlichen Gesellschaft, in dessen Verfolgung sie ihren Antagonismus zu bewältigen versucht” (S.66). Für die bürgerliche Weltordnung ergibt sich damit eine klare Konsequenz. ”Das Recht eines Juden auf die israelische Staatsbürgerschaft ist zwar alles andere als die Lösung der Antisemitenfrage, aber gleichwohl eine Errungenschaft ersten Ranges; zumindest in einer nationalstaatlich verfaßten Weltgesellschaft (…). Israels Existenz ist genau aus dem Grund unverzichtbar, weil die Behauptung der PLO, die Juden seien nur eine Religionsgemeinschaft und daher nichts als Bürger der Staaten, denen sie angehören, schon längst von der Geschichte widerlegt worden ist (…)” (S.83). Daher sei eine Trennung des Antizionismus vom Antisemitismus nicht möglich. Wer diese Position einzunehmen versucht, ”(…) der Vertritt ihn ohne einen Schimmer eines ideologiekritischen Bewußtseins und wird zum »nützlichen Idioten« (Lenin) der Agitation von rechts und links” (S.61). Dabei wird auch auf den vom ‘antideutschen’ Ansatz als Spezifikum festgestellten speziellen Charakter des deutschen Antisemitismus, wie er im Nazionalsozialismus offensichtlich wurde, eingegangen. Die Grundlage antizionistischer Positionen innerhalb der Linken bildet die fatale Position zum ‘Selbstbestimmungsrecht der Völker’. Bei dieser stellt sich die Frage, ob sich die bürgerliche und proletarische Position bezüglich ihrer ”Unfähigkeit zum Bruch mit Herrschaft und Ausbeutung” (51) vom ‘Selbstbestimmungsrecht’ Adolf Hitlers unterscheidet. Aus dieser Überlegung resultiert: ”Weil die Rede vom ‘Volk’ zu nichts anderem taugt als zur kritischen Kategorie, zur Bezeichnung einer Zusammenrottung von zu Subjekten konstituierten Individuen zu Staatszwecken und damit zum Menschenmaterial von Herrschaft, gehört ihr Gebrauch unter Linken verboten. Und weil die Propaganda für das ‘Selbstbestimmungsrecht der Völker’ fundamental antisemitisch und strukturell rassistisch ist, darum hat sie in der Linken nichts verloren.” (S. 51)
Die Veröffentlichung der ISF zeichnet sich durch eine provokante, stringente Argumentation und theoretische Analyse aus, die den antisemitischen Kern der ‘antizionistischen’ Propaganda in Deutschland freilegt. Und unterscheidet sich wesentlich von der Fleißarbeit Matthias Küntzels.
Am erwähnenswertesten ist hier wirklich der Fleiß, mit der eine Sammlung von Dokumenten zusammengetragen wurde, um den Faschismus- und Antisemitismusvorwurf gegen islamistische Strömungen, allen voran den Muslimbrüdern Ägyptens, nachzuweisen. Das an sich ist wenig aufregend, da diese Erkenntnis für diverse islamistische Gruppierungen mal mehr, mal weniger zutrifft. Interessant ist hier eher, daß sich Matthias Küntzel in keiner Weise mit islamistischen Bewegungen beschäftigt, bei denen der doch als so grundlegend behauptete Antisemitismusvorwurf: ”Der Djihadismus stachelte den Antisemitismus nicht nur an, sondern wurde durch diesen zugleich konstituiert.” (S.145) etwas schwieriger und weit abstrakter ist – beispielsweise bei philippinischen Islamisten. Auch innerhalb des arabischen Raums verschwendet er wenig Aufmerksamkeit auf die durchaus vorhandenen Unterschiede in den diversen regionalen Ausprägungen islamistischer Bewegungen. Das liegt natürlich auch nicht in seinem Interesse. Der Tenor des Buches schrammt ständig am Huntingtonschen ‘Kampf der Kulturen’ oder der Variante von Bassam Tibi, der sich im ‘Kampf der Zivilisationen’ befindet, entlang. Tibi wird in diesem Buch auch gerne und ausführlich zitiert – was sich nicht findet, ist eine Distanzierung zu einem Autor, dessen Werk die Welt und deren Konflikte in Kulturen und Zivilisationen gliedert (vgl. Bassam Tibi: Krieg der Zivilisationen. Hoffmann und Campe 1995).
Eine seltsame Linie für einen Verlag der unter anderem das Gesamtwerk des am 4. Mai verstorbenen Johannes Agnoli herausgibt und zu solchem Tiefflug doch einiges anzumerken gehabt hat. Positiv hervorheben läßt sich wenig, da der Tenor des Buches ständig die Gleichung Islamismus = Djihadismus = Islam intendiert. Eine Gleichung die so langweilig wie nichtssagend ist, da sie auf der Ausblendung aller Unterschiede basiert. Mit dieser Methode des Grobzeichnens läßt sich fast jede Gleichung aufstellen – ein derart differenzierter Ansatz ist unglaublich hilfreich. Er disqualifiziert höchstens den Autor. Verwunderlich ist darüberhinaus auch, daß das vernichtendste Urteil für das Buch Matthias Küntzels die ISF und damit der Verlag selbst formulierte. Und zwar in dem am Anfang besprochenen Buch. Dort läßt sich auf Seite 57 lesen, was üblicherweise Bestandteil von Grundseminaren der Sparte ‘Grundlagen der Politik’ ist: ”Aus dem indizienmäßigen Nachweis von Verhandlungen zwischen Nazis und Zionisten auf deren Wesensgleichheit zu schließen, ist schon deshalb absurd, weil die gleiche Methode, angewandt auf den Mufti von Jerusalem, den Chef der palästinensischen Nationalbewegung bis 1952, nichts anderes ergäbe, als den Beweis für deren faschistischen Charakter. Dieser Rückschluß vom historischen Schein aufs Wesen ist deshalb illegitim und führt schon deswegen auf fatale Folgerungen, weil er die Vermittlung, die in der Logik der Politik liegt und sich in der Devise artikuliert, daß der Feind meines Feindes mein Freund sein muß, bewußt übergeht.” Matthias Küntzels Buch ist nichts anderes als die ausführliche Anwendung dieser Methode. Darüber hinaus bemüht er sich, sämtliche Unterschiede zwischen dem eliminatorischen Antisemitismus des Nationalsozialismus und dem Antisemitismus arabischer Nationalbewegungen zu negieren. Über weite Strecken ist das Buch deshalb zu einem propagandistischen Pamphlet geworden. Der ”alles Faschisten”-Ansatz hat die schöne Eigenschaft im nationalstaatlichen Diskurs nie absolut falsch zu sein – seine inflationäre Anwendung hilft unheimlich weiter.
Bleibt die Frage, ob im ça ira-Verlag jemand die eigenen Bücher liest.
Zeitungsprojekt antifaschistischer Gruppen (ZAG) N° 41 (2002)